Achtzehntes Buch. - Schon waren Isotta und Rinaldini auf dem Schiffe. Die Anker wurden gelichtet; ein günstiger Wind schwellte die Segel; das Schiff flog aus dem Hafen ins Meer. Das Kastell lag in der Ferne; ...

Achtzehntes Buch

Wenn nun alle Sterne prangen,
Die dir glänzen sollen, sinkt
Deine Sonne; aufgegangen
Ist der Mond; die Sichel winkt!


Schon waren Isotta und Rinaldini auf dem Schiffe. Die Anker wurden gelichtet; ein günstiger Wind schwellte die Segel; das Schiff flog aus dem Hafen ins Meer. Das Kastell lag in der Ferne; die Türme wurden kleiner; das Land verschwand.

Einer Wolke gleich lag die Insel den Schiffenden im Rücken. Rund umfangen mit der unermeßlichen Fläche des Meers, umgeben mit dem ausgedehnten Gewölbe des Himmels schwebte lustig dahin das Schiff über die glatten Wellen; ein frischer Süd-Ostwind blies in die runden Segel. Schnell durchschnitt der Kiel die braunen Fluten.

Rinaldo ergriff die Guitarre. Jetzt erwachte sie wieder in ihm, die Liebe zum Gesang, er fühlte sich begeistert; er spielte und sang:

Wie ein Schiff durch Meeres-Wellen,
Schwebt das Leben durch die Zeit.
Dieses Schiffes Segel schwellen
Zufall und Gelegenheit.

Wünsche sitzen an dem Steuer,
Hoffnung hält den Anker fest.
Der ersehnten Liebe Feuer
Wird dem Schifflein sanfter West.

Doch des Unglücks Stürme brechen
Bald herein von Ost und Nord,
Wellen drohen zu zerbrechen
Des bedrohten Schiffes Bord.

Endlich lächelt doch der Hafen
Und das längst ersehnte Land.
Wenn sich Wunsch und Hoffnung trafen
Gab der Zufall oft die Hand.

Stille Sehnsucht blickt zum Strande,
Und die Freude schwebt zum Port;
Beide finden nun am Lande
Den gewünschten Freuden-Ort.

Ha! die klaren Zwillings-Sterne
Lächeln an dem Äther mir.
Fremdes Land! in schöner Ferne,
Such ich meinen Port in dir!

„In der Tat“ – sagte der Kapitän, – „das Liedchen hat mir gefallen, und der Herr Passagier singt recht gut! Mein God save the King! schnurre ich wohl auch mit weg, aber so künstlich brächte ich keinen Gesang heraus. – Wir müssen eine Bouteille Zypernwein miteinander ausstechen!“

Das geschah, und der Kapitain erzählte seine See-Abenteuer. – Im Schiffe war die ganze Mannschaft munter und vergnügt. Diese Freude dauerte aber nur einige Tage. Ganz unerwartet brach eines Tages gegen Abend wütend der Sturm los und schleuderte das Schiff von seinem Laufe weit ab. – Es flog zwischen den Liparischen Inseln durch, nahe an Palmaria vorbei. Umsonst versuchte man einzulaufen. Drei Tage schwebte das Schiff im Sturme umher. Endlich gelang es, aber nur mit großer Anstrengung, bei Capo di Calaro auf Sizilien die Anker auszuwerfen, das Schiff festzumachen.

Isotta war seekrank. Sie mußte ans Land gebracht werden. Bekümmert folgte ihr Rinaldo nach Sinagra, in eine ihm bekannte Gegend.

„So bin ich denn wieder, wo ich war!“ – rief er aus. – „Hierher soll ich die Mutter führen, wo mein Fuß so oft schon wandelte, und ach! in welcher Gestalt! – Wieder in Sizilien! Wieder in Gegenden, die mich einst als Räuber sahen! – Und hier sollte ich unerkannt bleiben können? – – Die Mutter kann ich nicht verlassen! Es komme über mich, was beschlossen ist!“

Er konnte nicht zu Schiffe gehen. Der Kapitän mußte nach zwei Tag ohne ihn wieder in die See stechen.

Isotta wurde kränker. Sinagra lag zu nahe an der Küste; die Kranke mußte tiefer ins Land gebracht werden.

„Ach!“ – seufzte Rinaldo. – „Dieses sind die mir so wohlbekannten Berge von Remata.“

Er mietete sich in einem kleinen Landhause ein und nahm eine Wärterin für seine kranke Mutter an.

Täglich schweifte er umher und konnte es sich nicht verwehren, auf bekannten Plätzen zu verweilen. – Zitternd bestieg er die bekannten Berge und blickte nach dem Schlosse, aus welchem sein Bekenntnis einst ihn trieb, als Dianora glücklich sich an seiner Seite wähnte.

„Dort liegt das Schloß!“ – seufzte er. – „Ich erblicke die bekannten Mauern, die Brücke, den Turm – und, ach! sehe mich dem allen gegenüber in Angst, Verlegenheit und Besorgnis!“

Langsam ging er weiter und nahte sich schon dem Berge, auf dessen Scheitel das Schloß sich erhob. Die goldenen Fähnchen auf den Türmen blitzten ihm entgegen. – Am Fuße des Berges warf er unter einem Baume sich nieder und wagte es nicht, weiterzugehen. In tiefe Betrachtungen verloren, schlummerte er endlich ein. Ängstliche Träume quälten ihn. Er sah Dianoren, sah seinen Sohn, und dieser zückte gegen ihn den Dolch. Er schrie:

„Halt ein! Ich bin dein Vater. Laß mich leben! Für meine Mutter laß mich leben!“

Er erwachte, trocknete den Schweiß sich von der Stirn, erhob seine Augen – sprang erschrocken auf und schrie:

„Was ist das? – Heiliger Gott! – Dich, – dich sehe ich hier?“

Vor ihm stand der Alte von Fronteja in ländlicher Landestracht. Er nahte sich ihm.

„Ich kenne diese Stimme!“

„O ja! Du kennst auch mich, wie ich dich kenne!“

„Jetzt weiß ich, wer du bist.“

„Ich weiß es, leider! auch.“

„Sehr unkenntlich hast du dich gemacht. Nur ich konnte dich erkennen.“

„Und du bist in Sizilien?“

„So frage ich dich.“

„Sturm und Unglück trieben mich hierher.“

„Ich hoffe – in den Hafen. Wenigstens in Freundes Arme führe dich das ewig über uns waltende Geschick. – Kaum zwanzig Schritte weit von hier liegt meine kleine Wohnung. Dorthin folge mir.“

„Mein Sohn!“ – begann der Alte, als sie in seiner Wohnung angekommen waren. – „In diesem kleinen Hause heiße ich auch jetzt dich willkommen! ebenso herzlich, als ich in Palästen dich sonst willkommen hieß. Wie hat mein Herz sich nach dir gesehnt! Deinetwegen habe ich viele Tränen vergossen, die aber alle nun vertrocknen, da ich dich wieder in meine Arme schließen kann. – Wir sehen uns wieder!“

„O! daß wir uns glücklich nennen könnten!“ – seufzte Rinaldo.

„Sind wir es nicht?“

„Ach! wer weiß, welch ein neues Unglück uns beweist, daß wir es nicht sind!“

„Was man nicht wünscht, muß man nicht denken. Ich lebe etwas länger schon als du und weiß, was der Mensch zu tun hat, um ruhig zu leben. – Du siehst mich hier als Landmann; was mich umgibt, ist ländlich. Hier denke ich, oder wenigstens doch in diesem Zustande, wenn auch anderswo, zu sterben, ob ich gleich seit meiner Geburt mehr auf seidenen Polstern als auf dem einfachen Lager eines Landsmanns lag.“

„Bist du ein Prinz, wie man sagt?“

„Höre meine Geschichte, und erfahre, wer ich bin; erfahre, was du jetzt erfahren kannst, und nimm mein Wort, daß du die reinste Wahrheit hörst. Ich will dir nichts verhehlen; du sollst alles wissen. – Höre!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Rinaldo Rinaldini der Räuberhauptmann.