Sonntag, 19. Juni. bis Montag, 27. Juni. ...

Sonntag, 19. Juni. Gut geschlafen. Vielleicht eine Folge des vortrefflichen Bettes, das, weiß wie Schnee, das Darinliegen zu einem wirklichen Genuß machte. Um zehn Uhr zu vieren ausgegangen. Zuerst ins Museum. Ein Reichtum von vortrefflichen Sachen. Die Bekanntschaft eines Malers, wie mir wenigstens scheint, vom ersten Range gemacht. Kaspar de Crayer, von dem eine Masse ausgezeichneter Bilder hier sind. Rubens nicht besser als überall. Van Dyk sich selbst beinahe unähnlich. Sehr gute Jordaens. Ein merkwürdiger Ruysdael u. s. w., an vierhundert Stück, sehr gut erhalten. Meine Begleiter hatten weniger Geduld als ich, mußte daher die älteren Sachen ziemlich schnell abfertigen. Von ganz neuen ein nach meinem Urteil vortreffliches Stück, die Revolution von 1830 darstellend. Ich weiß kein Bild, neue Ereignisse darstellend, das ich diesem vorziehen, ja nur gleichstellen möchte, höchstens die Farbe gegen den Vordergrund zu etwas bleich, aber komponiert, gedacht, gefühlt, wie wenig. Der Meister ist wahrscheinlich in der Kunstwelt allbekannt, ich weiß ihn nicht.

Darauf in den Palast des Prinzen von Oranien. Mußten bei einer Stunde warten, bis man uns einführte, uns Pantoffel anziehen ließ und durch einige Prachtzimmer hetzte, so daß man einen Raphael, Paul Veronese, Perugino nur im Fluge sehen konnte. Der Führer vertröstete auf einen künftigen Tag, da heute der Zudrang zu groß war. Für mich gibt's hier leider keinen künftigen Tag, besonders da, wenn man auch noch einen zugeben wollte, der Montag ebenso tumultuarisch sein soll. Dann zerstreuten sich meine Begleiter, und ich besah allein das Hôtel de ville, ein imposantes Gebäude, und die Kirche St. Gudule mit den vortrefflichsten Fenstergemälden, besonders, wie mir schien, auf der rechten Seite des Presbyteriums. Meisterhaftes Schnitzwerk unter der Kanzel: Adam und Eva mit dem Apfel, Engel und Tod dabei, das schönste Laubwerk mit Vögeln und Tieren, Suchte auch eine Kirche der Notre Dame, die in Büchern gerühmt wird, konnte sie aber nicht finden, weil es drei Kirchen dieses Namens mit verschiedenen Beinamen in Brüssel gibt. Fragte mich sterbensmüde in den Gasthof zurück.


Die Stadt recht hübsch, nur unbequem wegen der Ungleichheit des Bodens. Ganz nach Pariser Sitte alle Buden am Sonntag offen.

Nach Tisch ein wenig die Stadt durchstrichen. Nahmen Abschied von unsern schwedischen Freunden, die ins Theater gingen. (Einer ist ein Graf Rosen, der andere ein Baron. Seinen Namen habe ich nicht behalten, obschon er der Liebenswürdigere war. Beide Offiziere.) Nahmen Thee. Um acht Uhr auf die Post und fort nach Lüttich. Fanden einen recht angenehmen Deutschen mit seiner Frau. Noch einen Deutschen, der besoffen war, von einem auf den andern fiel und stets zu speien drohte. Die kalte Nacht schlaflos vorübergegangen. Gegen acht Uhr Ankunft in Lüttich. Hübsche Stadt. Wenn Hoffnung gewesen wäre, jenes berühmte große Fabriksetablissement zu sehen, wären wir geblieben. Man sprach uns aber alle Hoffnung ab. Wir wollten die Sehenswürdigkeiten der Stadt betrachten, es regnete in Strömen. Da beschlossen wir, nach zwei Stunden wieder fortzufahren. Da wir nicht wußten, wo der Ort des Einsteigens war und im Thore des Posthauses stehen blieben, fuhr mit einemal der Wagen an uns vorüber, und kaum konnten wir ihn laufend einholen. Die Spitzbuben hatten, statt uns, eine ganze belgische Familie mit zwei ungerechneten Kindern aufgenommen, die nun im Wagen standen, saßen, wie es gehen wollte. Ein Engländer mit dem deutschen Namen Meyer und seine artige Frau fuhren mit. Ein Frankfurter Goldarbeiter, aufgeweckt und gescheit. Die Unterhaltung war ganz angenehm. Preußische Grenze; Paßabgabe. Endlich Aachen. Höfliche, nachahmenswürdige Behandlung auf dem Zollhause. Wir kehren im Gasthofe zur Kaiserkrone ein. Notmittagsmahl, durch eine große Flasche Rheinwein verbessert. Darauf ausgegangen. Das Rathaus besehen mit dem Krönungssaale, wo der König von Preußen in knapper Lieutenantsuniform an der ehrwürdigen Stelle hängt. Haben denn diese Diebe gar kein Schicklichkeitsgefühl. Es war zu spät, den Dom anders als von außen zu besehen. Gingen auf einen artig bepflanzten Hügel am Rande der Stadt, besahen im Abendgrauen die wunderschöne Gegend, nahmen Thee und gingen zu Bette.

Dienstag, 21. Um fünf Uhr aufgestanden, da die Post nach Köln um halb sieben Uhr abgeht. Finden auf dem Posthause unsern Engländer mit seiner Frau wieder, auch das deutsche Ehepaar, mit dem wir die Fahrt nach Lüttich gemacht. Ein nicht übles Frauenzimmer aus Köln, wozu endlich ein zierlich in eine Blouse mit Perlenschnüren und Puffärmeln gekleideter junger Mensch kam, der eine erbärmliche Geschichte erzählte, wie er, längere Zeit in Rußland abwesend, als Konskriptionsflüchtiger citiert, eingesperrt, bedroht, und was weiß ich alles, worden sei. Er gehe jetzt nach Köln, in ein Regiment eingereiht zu werden. Das Mitleid mit ihm ward durch seine unverkennbare Geckerei geschwächt. Die Engländerin ist offenbar ungehalten, daß Schultze, der ein hübscher Bursche ist, mit der Kölnerin spricht, statt mit ihr. Eine Meile vor Köln wird noch zu Mittag gegessen, obgleich es erst zwölf Uhr ist.

Köln. Wir kommen mit Regen an, und es regnet noch jetzt in Strömen, wo ich, den alten Rhein mit der Schiffbrücke unter mir, auf der Stube sitze und dieses niederschreibe. Beim Rheinberg eingekehrt. Hübsche Stuben, herrliche Aussicht. Gleich nach der Ankunft gehe ich mit dem Engländer und seiner Frau, den Dom zu besehen. Herrlich. Ich weiß nicht, ist ein Teil der Vorhalle nicht ausgebaut oder zerstört. Das Schiff von einer erstaunlichen Höhe. Die Säulen schön. Die Fenstergemälde des Presbyteriums vortrefflich, doch meiner Meinung nach unter denen in den niederländischen Kirchen. Leider überall durch Baugerüste der Eindruck gestört oder genommen. Von Bildern ein einziges altes merkwürdiges, dessen Meister mir entfallen ist. Besehen für zwei Thaler die Schätze. Unendlich reich, sehenswert, damit man sie gesehen habe. War wegen der Regengüsse und der einbrechenden Dunkelheit unmöglich, jenes berühmte Rubenssche Bild in einer der hiesigen Kirchen zu besehen. Habe ihrer genug gesehen.

Mittwoch, 22. Morgens um halb sieben Uhr besteigen wir das Dampfschiff Concordia bei drohendem Wetter. Die Einrichtung des Schiffes hübsch, die Kajüte offenbar zu klein für so viele Passagiere. Der behagliche Engländer mit seiner ganzen Familie und seinem Bedienten, in dem ich bald einen Oestreicher erkenne, ist da, meine neue englische Bekanntschaft. Ein junger Indier, der – etwas deutsch spricht. Ein Berliner Kaufmann und ein Mecklenburger Arzt, letzterer ein liebenswürdiger Mensch, mit welch beiden ich bald in nähere Berührung komme. Die Ufer von Köln aus unbedeutend, das Wetter immer schlechter, endlich in einen Platzregen übergehend, der der Schirme und Mäntel spottet und uns in die Kajüte zurückjagt. Unterhalte mich mit meinem Lütticher Engländer und seiner Frau. Er ist, wie ich erfahre, ein Musiker, Harfenspieler, den ein Armbruch zwingt, sich zurückzuziehen. Man ist froh, die Langeweile durch das Mittagmahl unterbrochen zu sehen. Endlich Bonn erreicht. Wunderschöne Lage. Der Engländer mit seiner Frau verläßt uns. Oder war das vor dem Mittagsessen. Von Bonn an verschönern sich die Ufer. Das Wetter wird etwas leidlicher, man kann mit dem Regenschirm auf dem Verdecke aufhalten. Doch ist an der Gegend eben nicht so viel Besonderes. Rolandseck. Das große Schloß Rheineck, das ein Prinz von Preußen herstellen ließ und bewohnt. Schöne Lage von Andernach. Endlich Koblenz mit der Festung Ehrenbreitstein. Schlechte Zimmer im Gasthause. Das Wetter hatte sich aufgeklärt. Wir bestiegen den Ehrenbreitstein, ohne aber ins Innerste der Festung zu gelangen, da nach sieben Uhr keine Erlaubnis mehr gegeben wird. Abendessen. Schlechte Nacht, durch die dumpfe Feuchtigkeit des Zimmers veranlaßt.

Donnerstag, 23. Früh morgens auf das Dampfschiff gestiegen. Der herrlichste Tag. Schultze nimmt Abschied, er geht von Koblenz nach Ems. Mein erster Blick trifft auf jenen wunderlichen Schnurrbart, den ich in Antwerpen an der Wirtstafel für einen Oestreicher erkannt hatte. Er nähert sich uns. Nach den ersten Späßen zeigte sich gar bald, daß das ein völlig gescheiter Mensch ist, voll guter Einfälle und nichts weniger als kenntnislos. Er machte uns die ganze Fahrt zu einer eigentlichen Lustpartie, fast mehr, als mir lieb war. Der Eindruck des Tages wird mir nie verlöschen. In orientalischer Behaglichkeit etabliert, die wunderschöne Gegend an sich vorübergleiten zu lassen. Endlich auf dem Verdeck getafelt, ohne durch die Rheinweingläser an irgend einer Aussicht gehindert zu sein. Das Außerordentliche der Lage ist auch die Hauptwürze, denn die Gegenden, so schön sie sind, haben doch ihresgleichen gar viel in der Welt, mit Ausnahme der Ruinen, die nirgends so schön und so häufig anzutreffen sind. Die Brüder, Katze und Maus, Rheinfels, St. Goar, vornehmlich Bacharach. Bei Bingen verliert sich die Schönheit, und man ist, vom Sehen müde, endlich froh, Mainz zu erreichen, das wunderschön daliegt. In Mainz noch herumgeschlendert. Die Rheinbrücke besehen. Zu Tische. Vortrefflichen Hochheimer getrunken. Unser Wiener, ein Sohn des vormaligen Stabsarztes Zang, erheitert fortwährend die Gesellschaft und söhnt unsern Berliner Kaufmann mit den Oestreichern aus.

Freitag, 24. Juni. Morgens die Domkirche besehen. Wunderliches Gebäude, schon durch seinen Turm von allen ähnlichen verschieden. Von innen nur ein Teil alt, der übrige unbedeutend. Grabmal Frauenlobs. Nach den sogenannten Anlagen, gegenüber dem Einflusse des Mains in den Rhein. Schöne Aussicht. Um eilf Uhr in den Wagen und nach Wiesbaden. Große Hitze. Wiesbaden schöner Badeort. Hazardspiele im herrlichen Kursaale. Nach Tische fort nach Frankfurt, drohende Gewitter. Die Gesellschaft ist höchst aufgeräumt. In Frankfurt beim Schwan eingekehrt.

Samstag, den 25. Frankfurt besehen. Den Römer mit seiner ehrwürdigen Halle und abgeschmackten Sälen. Die Erinnerung ausgenommen. Danneckers Ariadne. Schönes Werk. Der Kopf ohne Ausdruck. Der Leib höchst lobenswert, nur, wie mir scheint, ohne jene feinen Nuancen des Lebendigen, das die Antiken so sehr auszeichnet. Die Bildergalerie verschlossen. In Goethes Haus Eintritt zu erhalten, war nicht möglich, begnügte mich, das Aeußere anzustarren. Mittagsessen. Die Gesellschaft trennt sich. Ich nehme einen Platz nach Stuttgart. Zang und der Arzt nach Würzburg. Rosenberg, der Berliner, bleibt, geht aber Geschäften nach. Herzlicher Abschied. Ich durchstreife allein die Stadt, immer mit Bezug auf Goethe. Von wo der Mensch ausgeht, dahin kömmt er endlich zurück. Goethe fing mit den Ritterburgen und Naturschönheiten seines Jugendgesichtskreises an, kam bald in das bereits Förmliche der Nachahmung der Antike und hörte mit den Schnörkeln und der Steifheit seines Geburtsortes auf. Ehre und Bewunderung ihm, wo er das Rechte im Mittel traf, wo er abirrte und selbst, wo er's irgendwo verfehlte. Um acht Uhr nach Stuttgart.

Sonntag, 26. Die Nacht hindurch erlaubte der Mond, die Schönheit der Bergstraße zu genießen. Merkwürdige Gleichförmigkeit der links fortlaufenden Berge. Gegen Morgen etwas Schlaf. Um vier Uhr in Heidelberg angekommen. Ging sogleich, das Schloß zu besehen. Es zu besteigen, verbot die Zeit. Schöne Lage, doch weniger grandios, als die Abbildungen versprechen. Um fünf Uhr fort mit einem dicken Irländer und einem recht angenehmen Belgier. Lästiger Reisetag, obgleich die Gegend schön genug. Mittagmahl zu Heilbronn, ohne Käthchen. Um sechs Uhr in Stuttgart angekommen, wo einer meiner Reisegefährten mich verleitet, im Schwan einzukehren, das ein ziemlich schlechter Gasthof scheint. Allein die Stadt durchstrichen. Altes königliches Schloß, merkwürdig nur seine Altertümlichkeit. Das neue schön genug. Die Anlagen unendlich lieblich. Blühende Orangenbäume, alles nach Wunsch. Um neun Uhr zu Tische. Nicht ganz gut gestimmt, wegen der Besuche, die es morgen zu machen gibt.

Montag, 27. Juni. War um zehn Uhr morgens bei Uhland, den ich der Kammersitzung wegen nicht zu Hause antraf. Ging in die Sitzung. Der Anblick des Saales würdig. Auch Uhland sprach, nicht ganz geläufig. Man sah, daß er es selbst fühlte und nicht mit sich zufrieden war Ueberhaupt die ganz kurzen Reden nicht bündig. Die Partei der Regierung und die Beamten sprachen am besten. Nach Tische wieder zu Uhland. Fand ihn mit seiner liebenswürdigen Frau. Er so einfach und gutmütig, als man sich ihn vorstellt. Anfangs etwas gepreßt, dann immer gemütlicher und freier. Gingen beide mitsammen in den Museumgarten und blieben bei einer Flasche Wein bis viertel auf zehn Uhr. Vorher besuchten wir Schwab, der aber nicht zu Hause war. Unsere Gespräche drehten sich um Literatur, besonders alte deutsche und die neueste lyrische, die ihm nicht ganz so abschmeckend zu sein scheint, als mir, so daß ich geradezu Uhland für den einzigen echt lyrischen Dichter unserer Epoche halte. Abends nach Hause, von Uhland begleitet. Fand eine Karte von Schwab, der den Besuch bereits erwidert hatte, mich aber nicht zu Hause fand.

In München angekommen, fand ich Briefe mit der Nachricht, daß mein Bruder Karl Weib, Kinder und Amt verlassen, und die Amtskasse sich leer befunden habe. In Wien angekommen, klagte er sich eines Mordes an und gab alle Zeichen des Wahnsinnes. Es schließt sich somit mein Tagebuch.