London, den 9ten Juni 1782.

Heute habe ich in der deutschen Kirche in Ludgatehill für Herrn Pastor Wendeborn gepredigt. Er ist der Verfasser der statistischen Beiträge zur nähern Kenntnis Großbritanniens. Dieses schätzbare Buch hat mir schon außerordentliche Dienste geleistet, und ich möchte einem jeden raten, der nach England reist, sich dieses Buch anzuschaffen, das um desto brauchbarer wird, weil man es bequem in der Tasche tragen, und sich allenthalben daraus Rats erholen kann. Natürlicher Weise hat Herr Wendeborn, der nun schon eine geraume Zeit in England lebt, mehr und besser beobachten können, als alle diejenigen, welche durchreisen oder sich nur eine kurze Zeit dort aufhalten können. Wer dieses Buch beständig bei der Hand hat, dem wird schwerlich etwas Bemerkenswertes in und um London und überhaupt in der Verfassung des Landes, entwischen.

Herr Wendeborn lebt in New-Inn bei Templebar, in einer philosophischen aber nicht untätigen Ruhe. Er ist beinahe nationalisiert, und seine Bibliothek besteht größtenteils aus Englischen Büchern. Beiläufig muss ich erwähnen, dass er in dem großen Gebäude, welches New-Inn heißt, seine Wohnung nicht gemietet, sondern gekauft hat: so ist es auch mit allen übrigen Wohnungen dieses Hauses, und ein solcher Käufer von einigen Stuben und Kammern, wird wie ein Eigentümer betrachtet, der Haus und Hof hat, und besitzt das Recht, bei Parlamentswahlen seine Stimme zu geben, wenn er kein Ausländer ist, welches bei Herrn Wendeborn der Fall war, der demohngeachtet auch vom Herrn Fox besucht wurde, als dieser zum Parlamentsgliede für Westminster gewählt werden wollte.


Eine sehr nützliche Maschine, welche in Deutschland noch nicht sehr bekannt ist, wenigstens nicht viel gebraucht wird, habe ich zuerst bei Herrn Wendeborn gesehen. Es ist dieses eine Presse, wodurch, vermöge sehr starker Stahlfedern, ein beschriebenes Blatt Papier auf ein andres unbeschriebenes abgedruckt werden kann, und man sich also die Mühe des Abschreibens erspart, und zugleich seine eigentümliche Hand vervielfältigen kann. Herr Wendeborn bedient sich derselben, so oft er Manuscript verschickt, wovon er eine Abschrift zurückbehalten will. Die Maschine war von Mahagoniholz und kommt ziemlich teuer zu stehen.

Vermutlich wegen des späten Aufstehens der Einwohner von London, nimmt der Gottesdienst erst um halb elf seinen Anfang. Ich hatte heute Morgen Herrn Wendeborn verfehlt, und musste mich bei dem Türsteher vor der Paulskirche nach der deutschen Kirche erkundigen, worin ich predigen sollte; dieser wusste es nicht, ich erkundigte mich also in einer andern Kirche nicht weit davon, wo ich endlich zurechtgewiesen wurde, und nachdem ich durch eine Tür mit eisernen Stangen und einen langen Gang hinten hinaus gegangen war, endlich noch gerade zu rechter Zeit in die Kirche kam, wo ich nach der Predigt eine Danksagung für die glückliche Ankunft unseres Schiffes in London ablesen musste. Die deutschen Prediger gehen hier völlig wie die Englischen gekleidet, in großen Priesterröcken mit weiten Ärmeln, worein ich mich ebenfalls einhüllen musste. Herr Wendeborn trägt sein eigenes von Natur krauses Haar, nach englischer Weise das Toupe vorn heruntergekämmt. Die andern deutschen Prediger, die ich gesehen habe, tragen Perücken, so wie auch viele Englische Geistliche.

Gestern habe ich unserm Gesandten dem Grafen Lucy meine Aufwartung gemacht, und die Simplicität in seiner Lebensart setzte mich in eine angenehme Verwunderung. Er wohnt in einem ganz gewöhnlichen schmalen Hause. Sein Sekretär wohnt oben, bei welchem ich auch den Preußischen Konsul sprach, der ihn gerade besuchte. Unten an der Erde rechter Hand ward ich unmittelbar in das Zimmer seiner Exzellenz geführt, ohne dass ich durch eine Antichambre gehen durfte. Er trug ein blaues Kleid mit rotem Aufschlag und Kragen. Bei einer Tasse Kaffee unterredete er sich mit mir über allerlei wissenschaftliche Gegenstände, und da ich ihm von dem großen Streit über den ?tacismus und Itacismus erzählte, erklärte er sich, als ein geborener Grieche für den Itacismus. Verlangte darauf von mir, ihn ohne Umstände, wenn ich wollte, zu besuchen, ich würde ihm willkommen sein.

Herr Leonhardi, der einige bekannte Stücke, als die Lästerschule und andre aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt hat, lebt hier, als Privatmann, und gibt Deutschen im Englischen und Engländern im Deutschen mit vieler Geschicklichkeit Unterricht, auch verfertigt er gegen ein jährliches Gehalt, den Artikel von England, in der Hamburgischen neuen Zeitung, und ist Logenmeister einer deutschen Loge in London, und Repräsentant aller deutschen Logen in England, welches Geschäft ihm mehr Mühe verursacht, als es ihm einträglich ist: denn alles wendet sich an ihn. Auch ich ward von Hamburg aus an ihn empfohlen. Er ist ein sehr dienstfertiger Mann, und hat mir schon manche Gefälligkeit erzeigt. Er weiß sehr gut Englische Verse zu deklamieren, und redet die Sprache beinahe wie seine Muttersprache, auch ist er mit einer liebenswürdigen Engländerin verheiratet. Ich wünschte ihm das beste Schicksal von der Welt!
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782