Die St. Paulskirche.

Endlich hat mein Entschluß, aufs Land zu gehen, gesiegt; noch heute Nachmittag soll’s mit der Stage coach fortgehen, und diesen Morgen schreibe ich Ihnen den letzten Brief aus London, versteht sich, bis ich von meinen Wanderungen wieder zurückkomme; denn, sobald ich nur aus den unsichern Gegenden um London bin, werde ich mich gewiß nicht länger in eine Postkutsche einpacken lassen, sondern meinen Stab ergreifen, und meinen Weg zu Fuße fortsetzen. Jetzt aber will ich erst nachholen, was ich Ihnen noch zu schreiben vergessen, oder seit ein paar Tagen noch Merkwürdiges in London gesehen habe; und das ist denn vor allen andern

Die St. Paulskirche.


Ich muß gestehen, daß beim ersten Eintritt in dies Gebäude, die außerordentliche Leere, welche darin herrscht, die Majestät des Eindrucks bei mir etwas hemmte, statt sie zu vermehren. Um mich nichts als ungeheure leere Wände und Pfeiler, in erstaunlicher Höhe über mir das gemauerte Gewölbe, unter mir der mit Marmor gepflasterte ebne flache Boden, kein Altar, oder sonst irgend ein Zeichen, daß man sich hier versammle, um das höchste Wesen zu verehren; denn das eigentliche Chor oder Kirche, wo der Gottesdienst gehalten wird, ist nur wie angebaut, und durch ein Gitter von dem großen runden Hauptgebäude abgesondert. Will man sagen, daß ein solcher Tempel der Verehrung des höchsten Wesens am angemessensten sei, so lobe ich mir doch den großen Tempel der Natur, das blaue Gewölbe des Himmels, und den grünen Teppich, der den Fußboden bekleidet, hier ist ein größter Tempel, und hier ist nichts Leeres, alles ist hier voll von Spuren der göttlichen Gegenwart; wollen aber Menschenhände diesen Tempel nachahmen, so muß notwendig etwas darin angebracht sein, das mich für das Volle und Lebendige in der Natur schadlos hält, und mich den erhabnen Endzweck eines solchen Gebäudes einigermaßen sehen und empfinden läßt. Betrachte ich hingegen die Paulskirche bloß als ein Werk der Kunst, das gleichsam da ist, um zu zeigen, was menschliche Kräfte hervorbringen können, so flößt sie mir freilich Ehrfurcht und Bewunderung ein. Es läßt sich über dergleichen freilich nicht disputieren, doch kann es zuweilen gut sein, wenn einer sagt, wie es ihm vorgekommen ist.

Ich ward denn für eine Kleinigkeit an Gelde von einem Manne in der Kirche herumgeführt, der seine Lektion, wie viel Fuß die Kirche hoch, lang und breit, und in wie viel Jahren sie erbaut sei, u. s. w. ganz mechanisch auswendig hersagte, das ich ihm gerne geschenkt hätte. In dem durch ein Gitter von dem Hauptgebäude abgesonderten Chore, war denn die eigentliche Kirche, mit Bänken und Stühlen, Kanzel und Altar versehen; an beiden Seiten waren die Sitze für die Chorherren, wie in unsern Domkirchen. Diese Kapelle schien recht dazu gebaut zu sein, daß ein Bischof oder Dechant ja beim Predigen seine Stimme nicht zu sehr anstrengen dürfe.

Ich wurde nun auch auf die sogenannte Whispering-Galerie geführt, welche unten am Ende der Kuppel in einem erstaunlichen Umkreise herum läuft. Ich mußte mich meinem Führer ganz auf der andern Seite der Galerie gerade gegenüberstellen, so daß die ganze Breite der Kirche, oder der ganze Durchmesser dieses ungeheuren Cirkels zwischen uns war, und indem ich hier stand, schlug er die Türe zu, welches vor meinen Ohren einen Knall, wie ein Donnerschlag, verursachte. Darauf mußte ich mein Ohr an die Wand legen, und ich hörte die Worte meines Führers: can you hear me? die er, in einer so weiten Entfernung von mir, leise gegen die Wand sprach, mit einem starken Getöse in meine Ohren schallen. Diese Verstärkung des Schalles in einer solchen Entfernung ist wirklich bewundernswürdig. Ich habe einmal etwas Ähnliches von Vergrößerung des Schalles in dem Ratskeller in Bremen bemerkt, welches aber hiergegen gar nicht in Betrachtung kömmt.

Nun stieg ich noch verschiedne Treppen hinauf auf die große Galerie, welche auswendig um den großen Dom läuft, und hier hielt ich mich beinahe an zwei Stunden auf, weil man sich an dem Anblick der mannigfaltigen Gegenstände fast nicht satt sehen kann.

Ich wandte mich von einer Seite, von einer Weltgegend zur andern, und studierte recht die Aussicht, um meiner Einbildungskraft ein immerwährendes Bild davon einzuprägen. Unter mir lagen in der Tiefe, Türme, Häuser und Paläste, im dicksten Gedränge, und die Squares, mit ihren grünen Plätzen in der Mitte, machten dazwischen ein angenehmes Kolorit.

An dem einen Ende der Themse ragte der Tower, wie eine Stadt, mit einem Wald von Masten hinter ihm, und an dem andern die Westminsterabtei, mit ihren Türmen, empor. Dort lächelten die grünen Hügel längst der Gegend von Paddington und Islington; hier lag Southwark am jenseitigen Ufer der Themse. Die Stadt war beinahe unübersehbar, denn wenn sie schon an sich aufhört, erstreckt sie sich doch fast immer noch in einzelnen Häusern an den Seiten der Heerstraße bis zu den benachbarten Plätzen fort.

Wie groß kam mir Berlin vor, als ich es zum erstenmal vom Marienturm, und vom Tempelhoffschen Berge übersah: wie verschwindet es jetzt in meiner Vorstellung gegen London! Doch, es ist vergeblich, eine solche Aussicht mit Worten auch nur im mindesten zu beschreiben, und nur einen Schatten dieses Eindrucks dadurch zu geben; wer eine Welt im Kleinen mit einem Blick überschauen will, der komme hieher und sehe!

Das Dach der Paulskirche selbst, mit ihren beiden kleinern Türmen, liegt unter mir, wie der Rücken eines niedrigen Gebirgs, wenn man den Gipfel eines höhern erstiegen hat. Gern hätte ich noch länger hier verweilt, aber ein Sturmwind, der hier oben so stark wurde, daß man sich kaum dagegen erhalten konnte, trieb mich hinunter.

Obgleich die Paulskirche an sich sehr hoch ist, so trägt doch die Höhe des Platzes, worauf sie erbauet ist, zu ihrem hervorragen auch sehr viel bei.

Die Petrikirche in Berlin scheint ungeachtet der gänzlichen Verschiedenheit in der Bauart mit der Paulskirche in London einige Ähnlichkeit zu haben. Wenigstens ragt sie auch so mit ihrem großen schwarzen Dache unter den übrigen Gebäuden hervor.

Was ich sonst noch in der Paulskirche gesehen habe, ist ein hölzernes Modell von der Paulskirche, das vor ihrer Erbauung verfertigt sein soll, und sich mit Vergnügen eine Weile betrachten läßt, wenn man das ungeheure Gebäude damit vergleicht.

Um den Hof der St. Paulskirche geht ein eisernes Geländer, und es deucht einem eine ziemliche Strecke zu sein, wenn man es umgehen will. Der Platz umher ist aber nicht geräumig, und diese prächtige Kirche ist fast dicht umher mit Häusern umbaut.

Eine marmorne Bildsäule der Königin Anna dient dem eingeschloßnen Platze vor der Kirche zur Zierde.

Auch ist die große Glocke in der St. Paulskirche eine Merkwürdigkeit, weil man sie unter die größesten in Europa mitzählt, und sie ihren Rang, wie ich glaube, nach der Wiener haben soll.

Alles, was ich in der Paulskirche gesehen habe, hat mir nicht mehr, als etwas über einen Schilling gekostet, den ich nach und nach in Pennys auch Halfpennys, nach einer bestimmten Taxe, für die Sehenswürdigkeiten bezahlen mußte

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782