Ranelagh.

So oft ich von Ranelagh gehört hatte, machte ich mir doch keine deutliche Vorstellung davon. Ich dachte mir darunter einen Garten, etwa von andrer Einrichtung wie Vauxhall, und wer weiß was. Gestern Abend ging ich zu Fuße hinaus, um diesen Ort des Vergnügens zu besuchen, verirrte mich aber nach Chelsea, wo ich einen Karrenschieber traf, der mich nicht nur sehr höflich zurechtwies, sondern mich auch die Strecke, die wir miteinander gingen, unterhielt, und sich von mir sehr viel von unserm King of Prussia erzählen ließ, nach welchem er sich sehr eifrig erkundigte, sobald er auf Befragen, was für ein Landsmann ich wäre, von mir hörte, daß ich ein Königlich Preußischer Untertan sei.

Ich langte also in Ranelagh an, und nachdem ich beim Eingange meine halbe Krone erlegt hatte, fragte ich nach der Tür zum Garten, man zeigte mir diese, und zu meiner großen Verwunderung trat ich in einen ziemlich unansehnlichen, schwach erleuchteten Garten, wo ich nur wenige Personen antraf. Es währte auch nicht lange, so wurde ich von einer jungen Lady, die da spazieren ging, und mir ohne Umstände ihren Arm bot, gefragt: warum ich hier so einsam ginge? Ich schloß nun, dies könne unmöglich das prächtige, gepriesne Ranelagh sein, als ich nicht weit von mir verschiedne Leute in eine Türe gehen sahe, denen ich folgte, um etwa dadurch wieder ins Freie zu kommen, oder die Scene zu verändern.


Aber welch ein Anblick, als ich auf einmal aus der Dunkelheit des Gartens in ein von vielen hundert Lampen erleuchtetes rundes Gebäude trat, das an Pracht und Schönheit alles übertraf, was ich noch dergleichen gesehen hatte! Alles war hier Cirkelförmig: oben eine Galerie mit abgeteilten Logen, und auf einem Teil derselben eine Orgel mit einem schöngebauten Chore, von welchem Instrumental- und Vokalmusik herunterschallte; unter dieser Galerie rund umher schön ausgemalte Nischen für diejenigen, welche Erfrischungen zu sich nehmen wollen; der Fußboden mit Teppichen belegt, in der Mitte desselben vier hohe schwarze Pfeiler, innerhalb welcher zierliche Kamine zur Zubereitung von Kaffee, Tee und Punsch angebracht sind, und um welche in der Rundung mit allerlei Erfrischungen besetzte Tische stehen. Um diese vier Pfeiler drehet sich nun die ganze schöne Welt von London, im dicksten Gedränge spazieren gehend, wie eine bunte Spindel herum.

In dies Gedränge mischte ich mich zuerst. Und ich muß gestehen, daß die mannigfaltig abwechselnden Gesichter, wovon wirklich bei weitem die größte Anzahl von blendender Schönheit ist, nebst der Erleuchtung, und der Größe, Majestät und Pracht des Orts, und der beständig dabei forttönenden Musik, einen unbeschreiblich angenehmen Eindruck auf die Phantasie macht, und daß einem, der dies zum erstenmal siehet, ohngefähr so dabei zu Mute ist, wie bei den Feenmärchen, die er in seiner Kindheit gelesen hat.

Als ich des Gedränges und Herumgehens im Cirkel müde war, setzte ich mich in eine der Nischen, um einige Erfrischungen zu nehmen, und sahe aus dieser nun mit Muße, diesem Spiele und Gedränge der fröhlichen sorgenfreien Welt zu, als ein Aufwärter mich sehr höflich fragte, was ich für Erfrischungen verlangte, und mir das Verlangte in wenig Minuten brachte. Zu meiner Verwunderung wollte dieser für die Erfrischungen kein Geld von mir annehmen, welches ich mir nicht erklären konnte, bis er mir sagte, daß alles schon mit der halben Krone beim Eingange bezahlt sei, und daß ich nur befehlen dürfte, wenn ich noch etwas genießen wollte, ihm aber, wenn es mir gefiele, ein kleines Trinkgeld geben möchte. Dies gab ich ihm sehr gerne, weil ich für meine halbe Krone nicht so viel Höflichkeit und gute Bewirtung erwartet hatte.

Ich ging nun auf die Galerie, und setzte mich in eine der Logen, wo ich, wie ein ernster Weltbeschauer, auf das beständig im Cirkel sich umher drehende Gewühl hinunterblickte, und Sterne, und Ordensbänder, französische Frisuren, und ehrwürdige Perücken, das Alter, und die Jugend, die Hoheit und den simpeln Mittelstand im bunten Gewimmel sich einander durchkreuzen sahe. Ein Engländer, welcher sich zu mir gesellte, zeigte mir da auf mein Befragen, Prinzen und Lords mit ungeheuren Sternen, womit sie die übrige unansehnlichere Menge verdunkelten.

Hier drehten sich andre im ewigen Cirkel herum, um zu sehen und gesehen zu werden; dort versammlete sich ein Trupp eifriger Dilettanten in der Tonkunst vor dem Orchester und schmauste mit den Ohren, indes andre bei den wohlbedienten Tischen auf eine reellere Art ihren lechzenden Gaumen erfrischten, und noch andre, so wie ich, einsam auf der Galerie in dem Winkel einer Loge saßen, um über dies alles ihre Betrachtungen anzustellen.

Nun machte ich mir noch einigemal das Vergnügen, allen diesen Glanz und Pracht auf wenige Augenblicke mit der Dunkelheit des Gartens zu vertauschen, und mir die angenehme Überraschung zu erneuern, die mir mein erster Eintritt in das Gebäude verursachte. So brachte ich hier unter beständiger Abwechselung von Vergnügen einige Stunden in die Nacht zu, wo das Gedränge allmählich sich verminderte, und ich dann auch eine Kutsche nahm und nach Hause fuhr.

In Ranelagh schien mir die Gesellschaft ausgesuchter und feiner als in Vauxhall zu sein; denn von geringem Stande geht niemand hin, der nicht seinen besten Schmuck anlegt, und es dadurch der feinen Welt gleich zu tun sucht, wenigstens sah ich unter der ganzen Menge keinen, der nicht seidene Strümpfe getragen hätte. Die ärmsten Familien machen wenigstens jährlich einmal den Aufwand, sich nach Ranelagh fahren zu lassen, wie meine Wirtin versicherte, daß sie selbst einen Tag im Jahre festzusetzen pflegte, an dem sie ohnfehlbar nach Ranelagh führe. Übrigens ist der Aufwand in Ranelagh nicht so groß, wie in Vauxhall, wenn man auf die Erfrischungen siehet, denn wer im Vauxhall zu Abend essen will, wie es die meisten tun, dem kann leicht eine sehr spärliche Mahlzeit eine halbe Guinee kosten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782