Eine Parlamentswahl.

Die Städte London und Westminster schicken jede zwei Mitglieder ins Parlament. Fox ist eins von den beiden Mitgliedern für Westminster; die erledigte Stelle des zweiten sollte besetzt werden. Und eben der Cäcil Wray, welchen Fox, statt des Admiral Hood, dem er entgegen war, vorgeschlagen hatte, wurde nun öffentlich gewählt. Zuweilen soll es bei solchen Wahlen, wenn eine Oppositionspartei da ist, blutige Köpfe setzen; hier war aber die Wahl schon so gut wie geschehen, weil diejenigen, die sich für den Admiral Hood beworben hatten, schon von freien Stücken zurückgetreten waren, da sie sahen, daß ihr Vorhaben nicht durchging.

Die Wahl geschahe in Koventgarden, einem großen Marktplatze, unter freiem Himmel. Es war nehmlich vor dem Eingange einer Kirche, die auch die Paulskirche heißt, aber nicht mit der Kathedrale zu verwechseln ist, ein Gerüst für die Wählenden gebauet, die in roten Mänteln und mit weißen Stäben auf übereinander errichteten Bänken saßen: ganz oben war ein Stuhl für den Präses: alles aber war nur von Holz und Brettern zusammengeschlagen. Vorn auf dem Gerüste, wo die Bänke aufhörten, waren Matten gelegt, und hier standen diejenigen, welche zu dem Volke redeten. Auf dem Platze vor dem Gerüste hatte sich eine Menge Volks und größtenteils der niedrigste Pöbel versammlet. Die Redner bückten sich tief vor diesem Haufen, und redeten ihn allezeit mit dem Titel Gentlemen (edle Bürger!) an. Herr Cäcil Wray mußte vortreten und diesen Gentlemen mit Hand und Mund versprechen, seine Pflichten, als ihr Repräsentant im Parlament auf das getreuste zu erfüllen. Auch entschuldigte er sich mit seiner Reise und Kränklichkeit, daß er nicht einem jeden unter ihnen, wie es sich gebühre, seine Aufwartung gemacht habe. Sobald er anfing zu reden, war die ganze Menge so still wie das tobende Meer, wenn der Sturm sich gelegt hat, und alles rief, wie im Parlamente, hear him! hear him! und sobald er aufgehört hatte zu reden, erschallte ein allgemeines Hurrah aus jedem Munde, und jeder schwenkte seinen Hut, und der schmutzigste Kohlenträger seine Mütze um den Kopf.


Er ward nun von den Deputierten auf der Bühne förmlich gewählt, und dem Volke in seiner neuen Würde von einem Manne vorgestellt, der in einer wohlgesetzten Rede ihm und dem Volke Glück wünschte. Dieser Mann hatte eine gute Ausrede: he speaks very well! sagte ein Kartenschieber der neben mir stand.

Kleine Knaben hingen sich an Geländer und Laternenpfähle, und als ob sie überzeugt wären, daß auch sie schon mit angeredet würden, hörten sie aufmerksam dem Redner zu, und bezeugten am Ende auf gleiche Weise durch ein freudiges Hurrah ihren Beifall, indem sie, wie die Erwachsenen, ihre Hüte um den Kopf schwenkten.

Hier wachten alle Bilder von Rom, Koriolan, Julius Cäsar und Antonius in meiner Seele auf. Und mag dies immer nur ein Gaukelspiel sein, so kann doch selbst eine solche Chimäre das Herz und den Geist erheben.

O lieber Freund, wenn man hier siehet, wie der geringste Karrenschieber an dem was vorgeht seine Teilnehmung bezeigt, wie die kleinsten Kinder schon in den Geist des Volks mit einstimmen, kurz, wie ein jeder sein Gefühl zu erkennen gibt, daß er auch ein Mensch und ein Engländer sei, so gut wie sein König und sein Minister, dabei wird einem doch ganz anders zu Mute, als wenn wir bei uns in Berlin die Soldaten exercieren sehen.

Als Fox, der mit unter den Wählenden war, gleich anfänglich in seinem Wagen angefahren kam, ward er mit einem allgemeinen Freudengeschrei empfangen; zuletzt nachdem der Aktus beinah vorbei war, fiel es dem Volke ein, ihn reden zu hören, und alles schrie: Fox! Fox! ich rief selber mit, und er mußte auftreten und reden, weil wir ihn hören wollten. Er trat denn auf und bekräftigte nochmals vor dem Volke, daß er schlechterdings nicht als Staatsminister, sondern nur als Privatmann bei dieser Wahl Einfluß gehabt habe.

Nachdem nun alles vorbei war, so zeigte sich der Mutwille des Englischen Pöbels im höchsten Grade. Binnen wenigen Minuten war das ganze bretterne Gerüste mit Bänken und Stühlen abgebrochen, und die Matten, womit es bedeckt war, in tausend lange Streifen zerrissen, womit der Pöbel einen Cirkel schloß, in welchem Vornehme und Geringe gefangen wurden, was nur in den Weg kam, und so zog das Volk im Triumph durch die Straßen.

Hier führt doch ein jeder, bis auf den Geringsten, den Namen Vaterland im Munde, den man bei uns nur von Dichtern nennen hört. For my country I'll shed every Drop of my Blood! sagt der kleine Jacky in unserm Hause, ein Knabe, der kaum zwölf Jahr alt ist. Vaterlandsliebe und kriegrische Tapferkeit ist gemeiniglich der Inhalt der Balladen und Volkslieder, welche auf den Straßen von Weibern abgesungen und für wenige Pfennige verkauft werden. Noch kürzlich brachte unser Jacky eins mit zu Hause, worin die Geschichte eines Admirals erzählt wurde, der noch tapfer kommandierte, als ihm schon beide Beine abgeschossen waren, und er sich mußte emporhalten lassen. Die Verachtung des Volks gegen den König geht erstaunlich weit. Our King is a Blockhead! hab' ich wer weiß wie oft sagen hören; indem man zu gleicher Zeit den König von Preußen mit Lobsprüchen bis an den Himmel erhob. Dieser habe einen kleinen Kopf, hieß es, aber hundertmal so viel Verstand darin, [als] der König von England in seinem ziemlich dicken Kopfe. Ja bei einigen ging die Verehrung gegen unsern Monarchen so weit, daß sie sich ihn im Ernst zum Könige wünschten. Nur wunderten sie sich über die große Menge Soldaten, die er hält, und daß allein in Berlin eine so große Anzahl davon einquartiert sind, da sich in London, oder der eigentlichen City, nicht einmal ein Trupp Soldaten von des Königs Garde darf blicken lassen.

Vor einigen Tagen habe ich auch den Zug des Lordmayors in London, in einem ungeheuer großen, vergoldeten Wagen gesehen, welchem eine erstaunliche Menge von Kutschen folgten, in denen die übrigen Magistratspersonen oder sogenannten Aldermänner von London sitzen. Doch genug für diesesmal!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782