Tideswell

Tideswell bestand aus ein Paar Reihen niedriger Häuser, von unbearbeiteten grauen Steinen erbauet. Mein Begleiter machte mich gleich beim Eingang auf die Kirche des Orts aufmerksam, welche ziemlich ansehnlich, und ohngeachtet ihres Altertums sehr im modernen Geschmack erbaut war.

Er fragte mich darauf, ob er mich in einen ansehnlichen oder wohlfeilen Gasthof führen solle? Weil ich das letztere verlangte, ging er selbst mit mir in einen kleinen Gasthof, und empfahl mich dem Wirt, als seinen Reisegefährten, zu einer guten Aufnahme.


Man suchte mich denn hier auch recht prächtig zu bewirten, und machte mir zu dem Ende einen Käse toast; dies war am Feuer gebratener und halbgeschmolzner Chesterkäse, der wohl ein recht delikates Gericht sein mag, wovon ich aber zum Unglück keinen Bissen essen konnte, und den Wirt darauf zu Gaste bat, der ihn sich köstlich schmecken ließ. Als ich nun weder Branntwein noch Ale trank, sagte er mir, ich lebte viel zu schlecht für einen Fußgänger, als dass ich Kräfte genug zum Gehen behalten könnte.

Bei dieser Gelegenheit bemerke ich, dass es die Englischen Gastwirte am Aletrinken wohl nicht fehlen lassen, und daher alle von sehr starker Leibeskonstitution, und insbesondere erstaunlich dick und fett im Gesicht sind, das ihnen von dem vielen Ale und Branntweintrinken ganz aufgedunsen ist.

Am folgenden Morgen gab mir meine Wirtin die Ehre, mit mir Kaffee zu trinken, teilte mir aber bei dieser Gelegenheit Milch und Zucker sehr kärglich mit. Es war Sonntag, und ich ging mit meinem Wirt zu einem Barbier, an dessen Bude stand, Shaving for a Penny (allhier balbiert man für einen Penny). Es waren hier viele Einwohner aus dem Ort versammelt, diese hielten mich für einen Gentleman wegen meines feinen Huts, den ich mir in London für eine Guinee gekauft hatte; und den sie alle nach der Reihe bewunderten. Ein Zeichen, dass der Luxus noch nicht bis hieher gedrungen ist.

Man findet in England ebenfalls bei gemeinen Leuten solche gedruckte Bogen mit allerlei Sittenlehren in den Stuben an den Türen angeschlagen, wie bei uns. Nur findet man hier zuweilen auf solchen schlechten Bogen die vortrefflichsten und feinsten Sentiments, die dem besten moralischen Schriftsteller Ehre machen würden.

So las ich z. B. hier auf einem solchen gedruckten Blatt an der Stubentür unter andern die goldne Regel: Make no Comparisons! (macht keine Vergleichungen!) Und wenn man bedenkt, wie viel Zänkereien und Unheil in der Welt eben durch solche verhasste Vergleichungen der Verdienste oder der Person des einen, mit den Verdiensten oder der Person des andern, u. s. w., entstehen; so ist in den kurzen Worten der obigen Regel die herrlichste Sittenlehre zusammengedrängt.

Ein Mann, dem ich einen Sixpence gab, brachte mich nun aus der Stadt auf den rechten Weg nach Castleton, der neben einer solchen Mauer von unordentlich aufgeworfenen Steinen, wie ich schon beschrieben habe, hinging. Die ganze Gegend war hier bergig und rau, und das Erdreich mit braunen Heidekraut bewachsen. Hin und wieder weideten Schafe.

Ich machte eine kleine Digression auf einen Hügel zur Linken, wo ich eine fürchterlich schöne Aussicht auf lauter nackte Gebirge in der Nähe und in der Ferne hatte, wovon insbesondre diejenigen, welche ganz mit schwarzen Heidekraut bewachsen waren, einen schaudervollen Anblick gaben.

Hundert und siebzig Meilen von London hatte ich nun zurückgelegt, als ich eine der höchsten Anhöhen, die vor mir lagen, erstiegen hatte, und nun auf einmal unter mir ein reizendes Tal erblickte, das mit Flüssen und Bächen durchschnitten, und rund umher von Bergen eingeschlossen war. In diesem Tale nun lag Castleton, ein kleines Städtchen mit niedrigen Häusern, welches von einem alten Schlosse, dessen Ruinen hier noch zu sehen sind, seinen Namen hat, der eigentlich aus Castle Town zusammengezogen ist.

Ein schmaler Weg, der sich von der Seite des Berges hinunterschlängelte, führte mich in das Tal hinab, bis in eine Straße von Castleton, wo ich eine Herberge fand, in welcher ich geschwind mein Mittagsmahl hielt, und unmittelbar darauf meinen Weg nach der Höhle fortsetzte.

Ein kleiner Bach, der mitten durch die Stadt fließt, führte mich an ihren Eingang.

Hier stand ich eine Weile voller Bewunderung und Erstaunen über die entsetzliche Höhe des steilen Felsen, den ich vor mir erblickte, an beiden Seiten mit grünem Gebüsch bewachsen, oben die zerfallenen Mauern und Türme eines alten Schlosses, das ehemals auf diesem Felsen stand, und unten an seinem Fuße die ungeheure Öffnung zum Eingang in die Höhle, wo alles stockfinster ist, wenn man auf einmal von der hellen Mittagssonne hinunter blickt.

Indem ich so voll Verwunderung da stand, bemerkte ich im dunkeln Eingang der Höhle einen Mann von wildem und rauherem Ansehen, der mich fragte, ob ich die Höhle sehen wollte, wobei seine harte Stimme in der Höhle einen starken Widerschall gab.

Als ich dies bejahte, fragte er mich weiter, ob ich auch über die Flüsse gesetzt sein wollte? und bestimmte zugleich eine Kleinigkeit an Gelde, die ich dafür bezahlen müsste.

Dieser Mann hatte mit seinem schwarzen struppigen Haar, und schmutzigem zerrissenen Anzug, ein so wildes Charonsmäßiges Ansehen, welches seine Stimme und seine Fragen noch vermehrten, dass die sonderbare Täuschung, worein man beim Anblick dieser Höhle versetzt wird, schon hier ihren Anfang nahm.

Da ich mich zu seiner Forderung verstanden hatte, sagte er, ich sollte ihm nur dreist folgen, und wir traten zusammen in die Höhle.

Zur linken Seite im Eingange der Höhle, lag ein abgehauener Stamm eines Baumes, bei welchem die Knaben des Orts spielten. –

Der Weg ging etwas abschüssig hinunter, so dass sich der Tag, welcher durch die Öffnung beim Eingang hineinfiel, allmählich in Dämmerung verlor.

Und als wir nun einige Schritte vorwärts gegangen waren, welch ein Anblick war es für mich, als ich auf einmal zu meiner rechten Seite unter dem ungeheuren Gewölbe der Höhle ein ganzes unterirdisches Dorf erblickte, wo die Einwohner, weil es Sonntag war, von ihrer Arbeit feierten, und vergnügt und fröhlich mit ihren Kindern vor den Türen ihrer niedrigen Hütten saßen.

Kaum hatten wir diese kleinen Häuser hinter uns zurückgelassen, so erblickte ich hin und her zerstreut eine Menge großer Räder, worauf diese unterirdischen Bewohner der Höhle am Werkeltage Seile verfertigen.

Ich glaubte hier das Rad des Ixion und die unaufhörliche Arbeit der Danaiden zu sehen.

So wie wir tiefer hinabgingen, schien die Öffnung, wodurch das Tageslicht hineinfiel, immer kleiner zu werden, und die Dunkelheit nahm fast mit jedem Schritte zu, bis endlich nur noch einige Strahlen, wie durch eine kleine Spalte hineinfielen, welche die dünnen Rauchwolken färbten, die sich durch die Dämmerung an das Gewölbe der Höhle emporwälzten.

Dies allmähliche Zunehmen der Dunkelheit erweckt eine süße Melancholie, indem man den sanften Abhang der Höhle hinunter geht, als wäre ohne Schmerz und ohne Gram der Lebensfaden abgeschnitten, und wandelte man nun so ruhig dem stillen Lande zu, wo keine Qual mehr ist. –

Endlich schloss sich das hohe Gewölbe des Felsen, wie sich der Himmel an die Erde zu schließen scheint, als wir an eine kleine Pforte kamen, wo uns eine alte Frau aus einer der Hütten zwei Lichter brachte, wovon jeder von uns beiden eins in die Hand nahm.

Mein Führer eröffnete nun die Pforte, welche die schwache Dämmerung vollends ausschloss, die vorher noch übrig war, und uns in das Innerste dieses nächtlichen Tempels führte, dessen Vorhof wir bis jetzt nur betreten hatten.
Hier war der Felsen so niedrig, dass wir uns einige Schritte tief bücken mussten, um hindurch zu kommen; aber wie groß war mein Erstaunen, da wir uns nach diesem beklemmenden Durchgange wieder in die Höhe richteten, und ich nun auf einmal, so weit es bei dem dunkeln Schein unsrer Lichter möglich war, die entsetzliche Länge, Höhe und Breite des Gewölbes übersehen konnte, wogegen die erste ungeheure Öffnung, durch welche wir nun schon gekommen waren, gar nicht mehr in Betrachtung kam.

Nachdem wir hier eine ganze Stunde, wie unter einem schwarzen mitternächtlichen Himmel, auf einem ebnen sandigen Erdreich gewandert hatten, senkte sich endlich der Felsen allmählich wieder nieder, und wir befanden uns auf einmal an einem ziemlich breiten Fluss, welcher, bei dem Flimmern unsrer Lichter, mitten in der Dunkelheit einen wunderbaren Widerschein gab.

Am Ufer war ein kleiner Kahn befestigt, in welchem Stroh lag.

Mein Führer sagte mir, dass ich hineinsteigen, und mich ganz ausgestreckt darin niederlegen sollte, weil in der Mitte des Flusses der Felsen beinahe das Wasser berühren würde.

Als ich mich niedergelegt hatte, stieg er selbst bis über den halben Leib ins Wasser, und zog das Boot nach sich.

Rund umher herrschte eine feierliche Totenstille, und so wie das Boot fortrückte, senkte sich der Felsen, wie eine dunkelgraue Wolke immer tiefer nieder, bis er endlich beinahe mein Gesicht berührte, und ich im Liegen kaum noch das Licht vor meiner Brust in die Höhe halten konnte, so dass ich in meinem Boote, wie in einem beklommenen Sarge lag, bis wir durch diese fürchterliche Enge kamen, und sich der Felsen auf der andern Seite in die Höhe zog, wo mich mein Führer am gegenseitigem Ufer wieder aussetzte.

Unser Weg wurde nun bald auf einmal weit und hoch, und dann wieder plötzlich niedrig und enge.

An beiden Seiten sahen wir im Vorbeigehen eine Menge großer und kleiner versteinerter Pflanzen und Tiere, bei denen wir uns aber nicht aufhalten durften, wenn wir nicht mehrere Tage in der Höhle zubringen wollten.

Und so kamen wir an den zweiten Fluss, der aber nicht so breit war, wie der erste, und wo man gleich das gegenseitige Ufer sehen konnte: über diesen trug mich mein Führer auf seinen Schultern hinüber, weil kein Boot zum Überfahren da war.

Von da aus gingen wir wenige Schritte, als wir wieder an ein schmales Wässerchen kamen, das sich in der Länge vor uns hin erstreckte, und uns zuletzt bis ganz ans Ende der Höhle führte.

Der Weg, den wir längst dem Ufer dieses kleinen Gewässers hingingen, war nass und schlüpferig, und wurde zuweilen so schmal, dass man kaum einen Fuß vor dem andern fortsetzen konnte.

Demohngeachtet aber wanderte ich mit Vergnügen an diesem unterirdischen Ufer hin, und ergötzte mich an der wunderbaren Gestalt aller Gegenstände um mich her in diesem Reiche der Dunkelheit und der Schatten, als es auf einmal wie eine Musik von fern in meine Ohren tönte.

Ich blieb voller Verwunderung stehen, und fragte meinen Führer, was dies bedeute? worauf er mir antwortete: dass ich es bald sehen würde.

Allein so wie wir fortgingen, verloren sich die harmonischen Töne, das Geräusch wurde schwächer, und löste sich in ein sanftes Rieseln, wie von herabfallenden Regentropfen, auf.

Und wie groß war meine Verwunderung, da ich auf einmal wirklich einen Regen, oben aus einem Felsen, wie aus einer dicken Wolke herabströmen sah, dessen Tropfen, die jetzt im Schein unsrer Lichter flimmerten, eben jenes melodische Geräusch in der Ferne verursacht hatten.

Dies war nämlich ein Staubbach, der sich von oben durch die Adern des Felsen in dies Gewölbe hinunter ergoß.

Wir durften mit unsern Lichtern nicht zu nahe herangehen, weil sie leicht von den herabfallenden Tropfen konnten ausgelöscht werden, und wir alsdann den Rückweg vielleicht vergeblich würden gesucht haben.

Wir setzten also unsern Weg längst dem Ufer des schmalen Gewässers fort, und sahen oft an den Seiten solche weite Öffnungen in die Felsenwand, welche wiederum neuen Höhlen ähnlich waren, die wir aber alle vorbeigingen, bis mich mein Führer zu einer der prächtigsten Erscheinungen vorbereitete, die wir jetzt haben würden.

Und kaum waren wir auch einige Schritte gegangen, so traten wir in einen majestätischen Tempel mit prächtigen Bogen, die auf schönen Pfeilern ruhten, welche die Hand des künstlichsten Baumeisters gebildet zu haben schien.

Dieser unterirdische Tempel, woran keine Menschenhand gelegt war, schien mir in dem Augenblick an Regelmäßigkeit, Pracht und Schönheit, die herrlichsten Gebäude zu übertreffen.

Voll Ehrfurcht und Erstaunen sah ich hier in den inneren Tiefen der Natur die Majestät des Schöpfers enthüllt, die ich in dieser feierlichen Stille, und in diesem heiligen Dunkel anbetete, ehe ich die Halle dieses Tempels verließ.

Wir näherten uns nun dem Ziele unsrer Reise.

Unser getreues Gewässer leitete uns durch den übrigen Teil der Höhle hin, wo sich der Felsen noch zum letztenmale wölbt, und dann wieder niedersteigt, bis er mit der Flut zusammen stößt, die hier einen kleinen halben Zirkel macht, und so die Höhle schließt, dass kein Sterblicher einen Fuß weiter setzen kann.

Mein Führer sprang hier hinein, schwamm einige Schritte unter dem Wasser und dem Felsen hin, und kam ganz benetzt zurück, um mir zu zeigen, dass es unmöglich sei, weiter zu kommen, wenn dieser Felsen nicht etwa einmal mit Pulver gesprengt, und vielleicht eine zweite Höhle hier eröffnet wird.

Jetzt glaubte ich, würden wir den nächsten Weg wieder zurücknehmen, allein ich sollte noch mehr Beschwerlichkeiten erdulden, und noch schönere Auftritte sehen, als die bisherigen.

Mein Führer wandte sich auf dem Rückwege zur linken Hand, wo ich ihm durch die Öffnung einer hohen Felsenwand folgte.

Hier fragte er mich erst, ob ich mich entschließen wollte, eine ziemliche Strecke unter einem Felsen durchzukriechen, der beinahe die Erde berührte, und als ich dies bejahte, sagte er mir, ich solle ihm nur folgen, mit der Warnung, mein Licht wohl in Acht zu nehmen.

Und so krochen wir nun auf Händen und Füßen im nassen Sande durch die Öffnung zwischen dem Felsen fort, die oft kaum groß genug war, sich mit dem Körper hindurchzuwinden.

Als wir diesen beschwerlichen Durchmarsch vollendet hatten, sah ich in der Höhle einen steilen Hügel, der so hoch war, dass er sich oben in den höchsten Felsen wie in einer Wolke zu verlieren schien.

Dieser Hügel war so nass und schlüpfrig, dass ich sogleich hinstürzte, als ich nur den ersten Schritt hinauf tun wollte. Mein Führer aber fasste mich bei der Hand, und sagte, ich sollte ihm nur folgen, weil er schon wüsste festen Fuß zu fassen.

Wir stiegen nun eine solche Höhe hinauf, und an beiden Seiten waren solche Abgründe, dass mir noch schwindelt, wenn ich daran denke.

Als wir endlich auf dem Gipfel waren, wo sich der Hügel in dem Felsen verliert, stellte mich mein Führer auf einen Platz, wo ich festen Fuß fassen konnte, und sagte mir: ich sollte da nur ganz ruhig stehen bleiben. Indes ging er selbst mit seinem Lichte den Hügel hinunter, und ließ mich ganz allein.

Ich verlor ihn eine Zeitlang aus dem Gesichte, bis ich endlich nicht ihn, sondern sein Licht tief im Abgrunde wieder erblickte, woraus es wie ein schöner Stern emporzusteigen schien.

Nachdem ich mich eine Weile an diesem unbeschreiblich schönen Anblick ergötzt hatte, kam mein Führer, und brachte mich den steilen schlüpfrigen Hügel auf seinen Schultern glücklich wieder hinunter. Und als ich nun im Abgrunde stand, stieg er hinauf, und ließ sein Licht oben durch eine kleine Öffnung in dem Felsen hinunterschimmern, indes ich das meinige mit der Hand verdeckte, und nun war es, als ob in dunkler Mitternacht, durch dicke Wolken ein Stern hinunter glänzte: ein Anblick, der alles an Schönheit übertraf, was ich gesehen hatte.

Nun war unsre Reise ganz vollendet, und wir kehrten mit vieler Mühe und Beschwerlichkeit durch unsern engen Weg wieder zurück.

Wir betraten aufs neue den Tempel, den wir vor kurzem verlassen hatten; hörten aufs neue den Regenguss, sanft rieselnd in der Nähe, und melodisch tönend in der Ferne, und kehrten über die stillen Flüsse, und durch den weiten Raum der Höhle, wieder zu dem engen Pförtchen zurück, wo wir vorher vom Tageslichte Abschied nahmen, das wir nun nach einer langen Dunkelheit wieder begrüßten.

Und ehe noch mein Führer das Pförtchen eröffnete, sagte er, jetzt würde ich einen Anblick haben, der alle die vorigen an Schönheit weit übertreffen würde. Ich fand, dass er Recht hatte; denn indem er die Pforte erst halb eröffnete, war es mir wirklich, als täte ich einen Blick in Elysium, in einem solchen wunderbaren erquickenden Dämmerlichte zeigten sich alle Gegenstände.

Der Tag schien allmählich anzubrechen, und Nacht und Dunkel schwanden. In der Ferne sah man zuerst wieder den Rauch der Hütten, und dann die Hütten selber; und wie wir höher hinaufstiegen, sahen wir noch die Knaben bei dem abgehauenen Stamme spielen, bis endlich die rötlichen Purpurstreifen des Himmels durch die Öffnung der Höhle schimmerten, und gerade indem wir hinausstiegen, die Sonne im Westen untersank.

Ich hatte also beinahe den ganzen Nachmittag bis an den Abend in der Höhle zugebracht, und als ich mich nun betrachtete, sah ich in meinem ganzen Aufzuge meinem Führer ziemlich ähnlich, und meine Schuh hingen kaum noch an den Füßen, so sehr waren sie durch das lange Gehen im feuchten Sande und auf den harten spitzigen Steinen erweicht und zerrissen.

Ich bezahlte für das Herumführen nicht mehr als eine halbe Krone, und meinem Führer ein Trinkgeld: denn die halbe Krone bekommt er nicht, sondern muss sie seinem Herrn geben, der von den Revenüen dieser Höhle sehr stattlich lebt, und sich einen Kerl hält, der die Leute darin herumführt.

Als ich zu Hause kam, schickte ich sogleich nach einem Schuster. Dieser wohnte gerade gegenüber, und kam, um meine Schuh in Augenschein zu nehmen, wobei er sich nicht genug über die schlechte Arbeit daran verwundern konnte; denn ich hatte diese Schuh noch aus Deutschland mitgebracht. Demohngeachtet aber, weil er gerade keine neuen fertig hatte, unternahm er es, sie so gut wie möglich auszubessern.

Ich machte darauf mit diesem Schuster eine gar angenehme Bekanntschaft: denn als ich ihm meine Verwunderung über die Höhle bezeigte, freute er sich darüber, dass doch in diesem kleinen Orte etwas sei, welches Leuten, die aus so weit entfernten Ländern herkämen, Bewunderung einflößte. Und darauf erbot er sich selbst, noch einen kleinen Spaziergang mit mir zu machen, um mir in der Nähe den berühmten Berg zu zeigen, welcher Mam Tor genannt, und unter die Naturmerkwürdigkeiten in Darbyschire gezählt wird.

Dieser Berg ist auf seinem Rücken und Seiten grün bewachsen, allein an dem einen Ende hat er auf einmal einen jähen Absturz. Nun besteht aber das Innere dieses Berges, nicht so wie der übrigen, aus Felsen, sondern aus einer lockern Erde, die sich immer von selber ablöst, und beständig von der Spitze dieses jähen Absturzes bald in kleinen Stücken herunterrieselt, bald sich in großen Massen mit einem donnernden Getöse losreißt, und auf die Weise neben diesem Berge einen Hügel bildet, der immer höher anwächst.

Daher kommt auch wahrscheinlich der Name Mamtor, welcher ohngefähr so viel sagen will, als Mutterberg. Denn tor ist eine Abkürzung von tower, und bedeutet jede Anhöhe. Mam aber ist eine gewöhnliche Abkürzung von Mother, Mutter; nun aber gebiert dieser Berg gleichsam wie eine Mutter wieder kleine Berge.

Ein Aberglaube ist es wohl, wenn die Einwohner sagen, daß dieser Berg ohngeachtet seines täglichen Verlustes nie abnehme, noch sich zurückziehe, sondern immer so bleibe, wie vorher.

Eine fürchterliche Geschichte erzählte mir mein Begleiter, von einem Einwohner von Castleton, der eine Wette einging, diesen jähen Absturz hinaufzusteigen.

Weil der Absturz unten nicht so ganz steil ist, sondern etwas schräg in die Höhe geht, so konnte er in dem weichen losen Erdreiche gut festen Fuß fassen, und kletterte immer hinan, ohne sich umzusehen. Endlich war er weit über die Hälfte hinaufgestiegen, und kam dahin, wo sich der Absturz hinüberneigt, und seine eigne Basis übersieht. Von dieser entsetzlichen Höhe warf der Unglückliche seine Augen hinunter, indes die drohende Spitze des Absturzes mit wankenden Erdmassen über seinem Haupte hing.

Er fing am ganzen Körper an zu zittern, Hände und Füße waren schon im Begriffe loßzulassen, und er wagte es, weder vorwärts noch rückwärts zu steigen: so schwebte er eine Weile mit Verzweiflung umgeben, zwischen Himmel und Erde. Indes da seine Sehnen nicht mehr halten wollten, raffte er noch einmal alle seine Kräfte zusammen, und ergriff einen losen Stein nach dem andern, wovon jeder ihn fallen zu lassen drohte, wenn er nicht schnell einen andern ergriff, auf welche Weise er denn zu seiner und aller Zuschauer Verwunderung, dem beinahe gewissen Tode entging, glücklich die Spitze des Berges erreichte, und seine Wette gewann.

Mich schauderte, da ich diese Erzählung hörte, und den Berg und den ungeheuren Absturz, wovon die Rede war, selbst so nahe vor mir, und den Kerl in Gedanken hinanklettern sahe.

Nicht weit von hier ist Eldenhole, ein fürchterliches Loch in der Erde, von so ungeheurer Tiefe, dass wenn man einen Kieselstein hineinwirft, und das Ohr an den Rand legt, man denselben lange Zeit fallen hört.

Sobald der Stein hinunterkommt, ist es, als ob man einen seufzenden Laut hörte, bis der erste Schlag das Ohr wie ein unterirdischer Donner rührt. Dieses donnernde Getöse nimmt ab und zu, nachdem der Stein an die harten Felsenwände schlägt, und endlich nachdem er lange gefallen ist, hört plötzlich das Getöse mit einem Gezisch auf.

Das Volk trägt sich auch hiervon mit allerlei abergläubischen Erzählungen; dass nämlich einer eine Gans hineingeworfen habe, die zwei Meilen davon, in der großen Höhle, die ich beschrieben habe, ganz nackt und von Federn entblößt wieder hervorgekommen sei, und mehr dergleichen Märchen.

Eigentlich zählt man in Darbyschire sieben Wunder der Natur, wozu denn dies Eldenhole, der Berg Mamtor, und die große Höhle, worin ich gewesen bin, gehören. Diese Höhle wird hier mit einem ziemlich schmutzigen Namen, the Devils Arse, benannt.

Die übrigen vier Wunder der Natur sind die Poolshöhle, welche mit der meinigen einige Ähnlichkeit hat, die ich aber nicht gesehen habe: ferner St.  Anna’swell, oder der St. Annenbrunnen, wo dicht nebeneinander zwei Quellen, die eine siedend heiß und die andre eiskalt, entspringen; alsdann noch Tideswell, nicht weit von der Stadt, durch welche ich gekommen bin, eine Quelle, die sich die mehreste Zeit fast ganz unmerklich ergießt, und dann auf einmal mit einem starken unterirdischen Getöse, das auch etwas musikalisches haben soll, hervorbricht, und ihre Ufer überschwemmt; endlich Chatsworth, ein Palast am Fuß eines Berges, der oben mit Schnee bedeckt ist, und den traurigsten Winter darstellt, indes zu seinen Füßen der angenehmste Frühling blüht. Von diesen letztern Wundern kann ich Ihnen nichts mehr sagen, weil ich sie alle nur aus Erzählungen kenne, womit mich teils auch mein Begleiter der Schuster, während unsers Spazierganges unterhielt.

Indem mich dieser Mann hier herumführte, und erwägte, wie weit ich nun schon in der Welt gekommen sei, und was für wunderbare Dinge ich weit und breit zu sehen bekomme, erregte dies bei ihm eine so lebhafte Begierde zum Reisen, dass ich genug zu tun hatte, sie ihm wieder auszureden: denn er konnte den ganzen Abend nicht davon aufhören, und beteuerte, wenn er nicht Weib und Kind hätte, er reiste Morgen am Tage fort; denn hier in Castleton sei so nicht viel zu verdienen, und sehr schlechte Nahrung, und er sei noch nicht dreißig Jahr alt.

Auf dem Rückwege wollte er mir noch die Bleiminen zeigen, allein es war schon zu spät. Er stellte mir den Abend noch meine Schuh auf eine meisterhafte Art wieder her.

Ich aber habe aus der Höhle einen Husten mitgebracht, der mir gar nicht gefällt, und mir viel Beschwerlichkeit verursacht, welche mich vermuten lässt, dass man doch in dieser Höhle wohl ungesunde Dämpfe einatmen müsse, aber denn begreife ich nur nicht, wie der Charon es so lange aushalten kann.

Heute Morgen bin ich schon früh aufgestanden, um die Ruinen zu besehen, und einen danebenliegenden sehr hohen Berg zu besteigen.

Die Ruinen stehen gerade über dem Eingang der Höhle auf dem Hügel, der sich noch weit hinter den Ruinen über die Höhle hin erstreckt, und immer breiter wird, hier vorn aber so schmal ist, dass das Gemäuer den ganzen vorderen Teil desselben einnimmt.

Von den Ruinen herab ist rund umher nichts als steiler Felsen, so dass kein Zugang zu demselben ist, als nach der Stadt zu, wo ein krummer Weg, vom Fuße des Berges an, in den Felsen gehauen ist, der auch sehr steil hinaufgeht.

Der Platz, wo die Rudera stehen, ist mit sehr hohen Nesseln und Disteln bewachsen. Ehemals soll eine Brücke von einem Felsen zu den gegenüberstehenden gegangen sein, wovon man noch Spuren entdeckt, indem man in dem Tale, das die beiden Felsenspitzen trennt, die Überbleibsel von Bogen findet, auf welchen diese Brücke geruht haben soll.

Dieses Tal welches hinter den Ruinen befindlich ist, und wahrscheinlich oben über der Höhle weggeht, heißt the Caves Way (der Höhlenweg), und ist eine der stärksten Passagen zu der Stadt; und wo es in der Ferne anfängt, sich erst zwischen diesen beiden Bergen, die es von einander trennt, zu senken, lässt es sich so sanft heruntersteigen, dass der Weg nicht im mindesten ermüdet. Verfehlt man aber diesen Weg zwischen den beiden Bergen, und geht oben in der Höhe fort, so ist man in großer Gefahr von dem immer steiler werdenden Felsen hinunter zu stürzen.

Der Berg, worauf die Ruinen stehen, ist allenthalben felsig, der andre aber linker Hand daneben, welcher durch das Tal abgesondert wird, ist überall grün, und oben auf dem Gipfel desselben sind die Viehweiden, durch nach Art einer Mauer aufgeworfene Steine, abgeteilt. Der grüne Berg aber ist wenigstens dreimal so hoch, wie der, auf dem die Ruinen stehen.

Ich fing an, den grünen Berg hinauf zu klettern, der doch auch ziemlich steil ist, und als ich nun weit über die Hälfte gekommen war, ohne mich umzusehen, ging es mir beinahe wie dem Wagehalse, der den Mamtorberg hinaufkletterte: denn als ich mich umsah, war mein Auge nicht an die entsetzliche Höhe gewöhnt; Castleton lag mit der ganzen umliegenden Gegend, wie eine Landcharte unter mir, die Dächer der Häuser schienen beinahe dicht auf der Erde, und der Ruinenberg selber zu meinen Füßen zu liegen.

Mir schwindelte vor diesem Anblick, und ich hatte alle mögliche Vernunftgründe nötig, um mich zu überzeugen, dass ich ohne Gefahr sei, denn ich konnte ja auf alle Fälle, den grünen Rasen, welchen ich hinaufgeklettert war, nur wieder hinunterrutschen. Endlich gewöhnte ich mich an diesen Anblick, bis er mir wirklich Vergnügen machte. Ich kletterte nun ganz bis auf den Gipfel des Berges, wo ich über die Wiesen hinging, und endlich an den Weg kam, der sich zwischen den beiden Bergen allmählich hinuntersenkt.

Oben auf dem Gipfel des grünen Berges melkten die Hirtinnen ihre Kühe, und kamen dann mit den Milcheimern auf den Köpfen eben diesen Weg herunter.

Eine schöne Gruppe war es, da sich einige dieser Mädchen, indem es an zu regnen fing, mit ihren Milcheimern unter ein überhangendes Felsenstück am Wege geflüchtet hatten, worunter sie auf natürlichen steinernen Bänken saßen, und vertraulich mit einander schwatzten.

Mein Weg führte mich wieder in die Stadt, woraus ich Ihnen schreibe, und die ich nun im Begriff bin zu verlassen, um meine Rückreise nach London anzutreten, wozu ich aber wohl nicht ganz denselben Weg wieder nehmen werde.




Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782