Castleton, den 30sten Juni.

Ehe ich Ihnen von meinem hiesigen Aufenthalt etwas sage, will ich in der Erzählung meiner Abenteuer fortfahren, und nur da wieder anfangen, wo ich es in meinem letzten Briefe gelassen habe.

Am Dienstage Nachmittage führte mich Herr Modd auf die Spaziergänge bei Oxford, und bemerkte denn ziemlich oft, dass sie nicht nur in England, sondern überhaupt in Europa nicht schöner sein könnten. Es waren wirklich auch recht hübsche Gänge und Alleen, insbesondre gefiel mir ein kleiner Spaziergang längst einem Fluss, hinter Christcorpscollege.


Wir setzten uns hier auf eine Bank nieder, und Herr Modd zog ein Journal aus der Tasche, worin unter andern auch ein deutsches Buch vom Professor Beckmann in Göttingen rezensiert, und gelobt war. Herr Modd schien bei dieser Gelegenheit einigen Respekt für die deutsche Literatur zu bezeugen. Endlich schieden wir von einander, er zur Besetzung der Küsterstelle in Dorchester, und ich in die Miter, um mich ebenfalls zu meiner Abreise aus Oxford anzuschicken, die denn auch den Mittwoch früh um drei Uhr mit der Postkutsche vor sich ging, nachdem ich vorher eine verhältnismäßig ziemlich billige Rechnung bezahlt hatte.

Inwendig in der Postkutsche saß nur noch ein junger Mensch, der zwar schwarz gekleidet, aber nach seiner Kokarde am Hute zu schließen, ein Offizier war. Hingegen war die Außenseite der Kutsche mit Weibern und Soldaten ganz besetzt. Die Weiber von geringem Stande tragen hier eine Art kurzer Mäntel von rotem Tuch, übrigens Hüte, wie die Vornehmen.

Die Tracht mit den Hüten, welche bei dem Englischen Frauenzimmer so gemein ist, dass sich die geringste Dienstmagd ihrer bedient, nimmt sich, wie mir deucht, weit besser aus, als die Hauben und Mützen unsers deutschen Frauenzimmers von bürgerlichem Stande. Es ist überhaupt in England kein so großer Unterschied in der Kleidung zwischen den Vornehmen und Geringen, als in Deutschland.

Ich hatte etwas Kopfweh, und machte daher bei meinem Reisegefährten in der Postkutsche ziemlich den Misanthropen, welches vielleicht ihm, als dem Engländer, eher zugekommen wäre. Allein hier war es umgekehrt, er redete mich einigemal sehr freundlich an, indes ich nicht die mindeste Lust bezeigte, mich in ein Gespräch mit ihm einzulassen. Indes gestand er mir nachher, dass eben diese anscheinende Zurückhaltung mir zuerst seine Gunst verschafft habe.

Er erzählte mir, dass er zwar Medizin studiert habe, nun aber nach Ostindien reisen, und da sein Glück als Offizier versuchen wolle. Jetzt reise er nach Birmingham, um von seinen drei Schwestern, die dort in Pension wären, Abschied zu nehmen.

Ich erwiderte sein Zutrauen dadurch, dass ich ihm von meiner Fußreise in England, und von meinen Abenteuern erzählte. Er glaubte, dies sei erstaunlich viel gewagt, ob er gleich meine Absicht, bei dieser Art zu reisen, billigte. Auf meine Frage, warum die Engländer denn nicht auch um derselben Vorteile willen manchmal zu Fuße reisten? war seine Antwort: they are too rich and too lazy! (sie sind zu reich und zu träge dazu).

Und wahr ist es, selbst der ärmste Mensch setzt sich lieber in Gefahr, auf der Outside einer Postkutsche den Hals zu brechen, als eine Strecke zu Fuße zu gehen. Es sah fürchterlich aus, wenn die Weiber, wo wir stille hielten, oben von der Kutsche herunterstiegen, und die eine war einmal wirklich in Gefahr zu stürzen, da sie eben im Herabsteigen begriffen war, und die Pferde unversehens fortgingen.

Von Oxford bis Birmingham sind zwei und sechzig Meilen: allein diese weite Strecke ging fast ganz für mich verloren, weil ich wieder in einer Postkutsche fuhr, wodurch ich zwar in großer Geschwindigkeit von einem Orte zum andern kam, aber nichts weniger tat, als reisen.

Mein Reisegefährte entschädigte mich indes einigermaßen für diesen Verlust. Er schien ein äußerst gutmütiger Mensch zu sein, und ich fasste in der kurzen Zeit eine Art von Zuneigung zu ihm, die man nicht leicht sobald gegen jemanden empfindet. Es schien dieses bei ihm eben der Fall zu sein, und es war beinahe, als wenn wir eine Art von Freundschaft stifteten.

Indem wir gerade zufälliger Weise uns eine Zeitlang von Schakespear unterhalten hatten, waren wir auf einmal, ohne dass einer von uns vorher daran dachte, in Stratford an der Avon, Schakespears Geburtsorte, wo unser Wagen still hielt, weil hier eine Poststation war. Dies war noch zwei und zwanzig Meilen von Birmingham, und vier und neunzig Meilen von London.

Unsre Empfindungen teilten sich hier einander sehr lebhaft mit.

Hier war es, wo das größte Genie, welches vielleicht die Natur je hervorbrachte, geboren ward. Hier bildete sich seine junge Seele, auf diesen Fluren spielte er als Knabe. Und hier in diesen niedrigen Hütten brachte er vergnügt mit einigen Freunden seine letzten Tage zu, nachdem er von dem großen Schauplatz der Welt abgetreten war, dessen Elend, Laster und Torheiten, er selbst so meisterhaft geschildert hatte.

Der Fluss Avon ist ziemlich breit, und eine Reihe niedriger Hütten, nur ein Stockwerk hoch, und mit Schindeln gedeckt, erstreckt sich längst dem Ufer desselben. Diese Reihe von Häusern trägt recht das Gepräge patriarchalischer Simplicität und Genügsamkeit.

Wir besahen Schakespears Haus, das unter allen Häusern in Stratford, eines der schlechtesten, niedrigsten und unansehnlichsten ist, und unter dessen niedrigem Dache er demohngeachtet die vergnügtesten Tage zubrachte. In diesem Hause wohnen jetzt ein Paar alte Leute, die es gegen eine Kleinigkeit Fremden zeigen, und von diesem Einkommen leben.

Schakespears Stuhl, worauf er vor der Tür gesessen, war schon so zerschnitten, dass er fast keinem Stuhle mehr ähnlich sah; denn jeder Durchreisende schneidet sich zum Andenken einen Span davon ab, welchen er als ein Heiligtum aufbewahrt. Ich schnitt mir auch einen ab, weil er aber zu klein war, habe ich ihn verloren, und Sie werden ihn also bei meiner Wiederkunft nicht zu sehen bekommen.

Als wir weiter fuhren, betrachtete ich jeden Fleck mit Aufmerksamkeit, wo wir vorbeikamen, wenn ich dachte: das ist nun die Gegend, wo ein solcher Geist, wie Schakespears, seine erste Bildung durch die ihn umgebende Natur erhielt! Denn die ersten Eindrücke der Kindheit bleiben doch immer äußerst wichtig, und sind gewissermaßen die Grundlage aller folgenden. Obgleich die Gegend hier zwar nicht vorzüglich schön ist, so hat sie doch ganz etwas Eignes, Romantisches.

Den Nachmittag um drei Uhr kamen wir schon in Birmingham an. Sechzehn Schillinge für meinen Platz in der Kutsche von Oxford bis Birmingham, hatte ich schon in Stratford bezahlt. In Oxford hatte man mir nichts abgefordert; man braucht also in England, nicht wie bei uns, die Post vorauszubezahlen.

Mein Reisegefährte und ich stiegen im Gasthofe ab, wo die Postkutsche hielt. Wir trennten uns ungern, und ich musste ihm versprechen, dass ich ihn nach meiner Rückkunft in London besuchen wollte, zu welchem Ende er mir seinen Namen und seine Wohnung aufschrieb. Sein Vater war der D. Wilson in London, der in seinem Fache ein berühmter Schriftsteller ist.

Ich erkundigte mich hierauf nach der Wohnung des Herrn Fothergill, an welchen ich empfohlen war; man bezeichnete mir dieselbe, mit dem Zusatz, dass eben dieser Herr Fothergill vor acht Tagen gestorben sei. Da mir also, unter diesen Umständen die Empfehlung an ihn nicht viel nützen konnte, so sah’ ich wohl, dass meines Bleibens in Birmingham nicht war.

Ohne mich also hier eine Minute länger aufzuhalten, erkundigte ich mich sogleich nach dem Wege nach Darby, und verließ Birmingham, da ich kaum darin angelangt war. Von dieser berühmten Stadt, und ihrem Fabrik- und Manufakturwesen, kann ich Ihnen also keine Zeile schreiben.

Der Weg von Birmingham aus ist nicht zum besten, sondern ziemlich sandig. Ich langte denselben Abend noch in einem kleinen Orte, Namens Sutton, an, worin es mir aber auch zum Bleiben zu vornehm aussah, bis ich ganz am Ende einen kleinen Gasthof antraf, der einen Schwan im Schilde führte, worunter stand, Aulton Brickmaker.

Dieser Gasthof schien etwas Einladendes für mich zu haben, ich ging also hinein, und fragte nicht gleich zuerst, ob ich die Nacht da bleiben könne, sondern forderte mir vorher einen Krug Bier (a Point of Ale). Hier hieß ich nun gar nicht anders, als Master, und man wies mich in die Küche, wo die Wirtin an einem Tische saß, und sehr über Zahnschmerzen klagte. Mein Mitleid, das ich ihr als ein fremder Mensch darüber bezeigte, verschaffte mir bald ihre Gunst, und sie fragte mich selbst, ob ich nicht die Nacht hier bleiben wolle? welches ich bejahte, und so hatte ich denn auf diese Nacht wieder eine Herberge.

Die Gesellschaft, welche ich hier traf, war eine Schornsteinfegerin mit ihren Kindern, welche mir sogleich sehr freundschaftlich zutrank, und sich mit mir und der Wirtin unterhielt.

Sie erzählte mir ihre Geschichte, die interessant genug war. Sie hatte nämlich frühzeitig ihren Mann im Kriege verloren, und für tot gehalten, worauf sie sieben Jahr in Irland diente, ohne dass jemand drum wusste, dass sie verheiratet sei. Während der Zeit kommt ihr Mann, der ein Schornsteinfeger war, wieder nach England, und besetzt sich in Lichfield. Sobald er hier in wohlhabende Umstände kommt, erkundigt er sich allenthalben nach seiner Frau, erfährt endlich ihren Aufenthalt, und holt sie aus Irland ab. Mit Tränen in den Augen erzählte sie, wie feierlich er sie in Lichfield eingeholt, und ihr zu Ehren ein ordentliches Fest veranstaltet habe. Hier in Lichfield, das nur noch ein Paar Meilen von Sutton liegt, und wo ich Morgen durchreisen würde, lebe sie nun mit ihrem Manne, und helfe ihm fleißig arbeiten, sei auch bei allen vornehmen Herrschaften beliebt und angesehen.

Die Wirtin erzählte mir, während ihrer Abwesenheit als im Vertrauen, dass der Mann dieser Schornsteinfegerin, so schlecht sie aussähe, seine tausend Pfund im Vermögen hätte, Silberzeug, Zinn und Kupfer ungerechnet; dass er seine silberne Uhr trüge, und wenn er durch Satton käme, und hier logierte, wie ein Nobleman bezahle.

Ein Nobleman will aber erstaunlich viel sagen, denn in Rücksicht gegen Gentleman, das bloß einen feinen Mann bezeichnet, heißt es so viel, als ein Lord oder Graf.

Ferner bemerkte sie, die Frau sei etwas lowlived (von niedrigen Sitten) er aber sei der feinste und artigste Mann von der Welt. Nun bemerkte ich freilich bei der Schornsteinfegerin etwas sehr grobes in der Aussprache, sie sprach z. B. das Wort old, alt, welches ohld gelesen werden muss, wie auld aus. Sonst bemerkte ich in dieser Entfernung von London noch keine merkliche Abweichung in Ansehung der Aussprache.

Morgen, sagte die Schornsteinfegerin, sei sie und ihr Mann nicht zu Hause, aber wenn ich durch Lichfield wieder zurückkäme, wollte sie sich die Ehre meines Besuchs ausbitten, zu welchem Ende sie mir denn ihren Namen und Wohnung sagte.

Am Abend kam die übrige Familie, ein Sohn und Tochter der Wirtin zu Hause, welche für ihre kranke Mutter alle mögliche Sorgfalt bezeugten. Ich aß mit der Familie, und man ging hier mit mir um, als ob wir schon Jahre lang zusammen gelebt hätten.

Als ich sagte, dass ich ein Scholar oder Student wäre, erzählte mir der Sohn, hier sei auch eine Grammar School (lateinische Schule) wo sich der Schoolmaster auf zweihundert Pfund (zwölfhundert Taler) außer dem Schulgelde stünde. Und dies war nur in einem Flecken, ich dachte dabei an unsre Grammarschools in Berlin, und an die Besoldungen der dasigen Schoolmasters.

Als ich am folgenden Morgen meine Rechnung bezahlte, merkte ich den außerordentlichen Abfall gegen Windsor, Nettlebed und Oxford. In Oxford musste ich für Abendessen, Bette, und Frühstück wenigstens drei Schillinge bezahlen, und dem Aufwärter einen Schilling geben. Hier bezahlte ich für Abendessen, Bette und Frühstück nur einen Schilling, und als ich der Tochter im Hause, welche ich hier als Chambermaid betrachten musste, Four pence (ohngefähr zwei Groschen) gab, bedankte sie sich gar höflich, und gab mir noch überdem eine schriftliche Empfehlung an einen Wirt in Lichfield mit, bei dem ich gut würde logieren können, weil sonst die Leute in Lichfield sehr stolz wären. Diese schriftliche Empfehlung war denn ein Meisterstück von orthographischer Schreibart im neuesten Geschmack, wo man nichts schreibt, als was man hört und ausspricht, welches sich denn vorzüglich im Englischen gar sonderbar ausnimmt.

Ich nahm aus diesem Hause Abschied, wie man von guten Freunden Abschied nimmt, und mit dem gewissen Versprechen, bei meiner Rückreise wieder da einzukehren.

Den Mittag kam ich nach Lichfield, einer ziemlich altfränkischen Stadt, mit engen und unsaubern Gassen, und wo ich zuerst wieder runde Fensterscheiben bemerkte, die sonst in England nicht gewöhnlich sind. Der Ort schien mir etwas unfreundliches zu haben, ich machte also von meiner Empfehlung keinen Gebrauch, sondern ging gerade durch, und kaufte mir nur in einem Bäckerhause Brot, welches ich mit mir nahm.

Den Abend kam ich nach Burton, wo das berühmte Burton Ale gebraut wird. Schon ehe ich an diese Stadt kam, war ich ziemlich müde, und nahm mir also vor, die Nacht hier zu bleiben. Allein wie bald ließ ich diesen Entschluss fahren, da ich nun in die Stadt kam, und alles wieder ein so vornehmes Ansehn hatte, als wenn ich nahe bei London wäre. Und doch war es hier so kleinstädtisch, dass man auf mich, als einen Fremden, der zu Fuße ging, fast mit Fingern wies. Und nun kam ich dazu durch eine lange Straße, wo es an beiden Seiten vor allen Türen voller Menschen stand, die mich ordentlich durch ihre neugierigen Blicke Spießruten gehen ließen, und immer hinter mir her zischelten.

Alle meine Beruhigungsgründe, dass ich doch ja diese Leute nie wieder sehen würde, eben so wenig, wie sie mich, und dergleichen, halfen nichts; dieser Zustand ward mir beinahe unerträglich, und die Straße ward mir so lang, als ob ich eine Meile gegangen wäre, und ermüdete mich auch eben so sehr. Ich habe auch eine solche verhasste Aufmerksamkeit auf einen Durchreisenden noch nirgends als hier in Burton gefunden.

Wie froh war ich, als ich mich wieder außer der Stadt im Freien befand, ob ich gleich nun noch nicht wusste, wo ich die Nacht eine Herberge finden würde, und dazu äußerst ermüdet war.

Ich ging indes immer auf der Straße nach Darby fort, wohin mich ein Fußweg von Burton aus, über eine sehr angenehme Wiese führte, die durch Verschläge abgeteilt war, wo man sehr oft übersteigen musste.

Als ich nun eine ganze Strecke gegangen war, ohne an der Heerstraße einen Gasthof anzutreffen, und es auch schon dunkel zu werden anfing, so setzte ich mich endlich bei einem kleinen Zollhause, wo ein Schlagbaum, und für Fußgänger eine kleine Treppe zum Übersteigen war, auf diese Treppe nieder, um mich auszuruhen, und allenfalls zu versuchen, ob mich der Zöllner beherbergen würde.

Nachdem ich eine ziemliche Weile hier gesessen hatte, kam ein Bauer geritten, und fragte mich, wo ich hinwolle? ich sagte ihm, ich sei so müde, dass ich nicht weiter gehen könne, und den Augenblick erbot sich dieser gutmütige edle Bauer, von freien Stücken, ohne das geringste Misstrauen, mich hinter sich auf sein Pferd zu nehmen, und mich bis an den nächsten Gasthof zu bringen, wo ich die Nacht bleiben könne.

Das Pferd war ein ziemlich hoher Gaul, und als ich nicht sogleich hinaufsteigen konnte, kam der Zöllner, ein steinalter Mann heraus, dem ich kaum Kräfte genug zutraute, sich selbst emporzuhalten, und eben dieser Mann fasste mich mit einem Arm, und hob mich mit einem einzigen Schwung aufs Pferd, dass ich nicht wusste, wie mir geschahe.

Und so trabte ich denn mit meinem vortrefflichen Bauer fort, der auch keine einzige neugierige Frage an mich tat, sondern mich vor dem Gasthofe absetzte, und darauf links nach seinem Dorfe zuritte.

Dieser Gasthof hieß der Bär, und der Wirt ging umher, und brummte wie ein Bär mit seinen Leuten, so dass ich mir anfangs keine gute Aufnahme versprach, allein ich suchte ihn milde zu machen, indem ich mir einen Krug Ale geben ließ, und ihm ein paarmal zutrank. Dies Mittel half, und er wurde bald so höflich und gesprächig, dass ich mich recht angenehm mit ihm unterhalten konnte. Ich hatte mir dies vom Vikar von Wakefield abgemerkt, der auch seine Wirte immer dadurch gesprächig macht, dass er sie mit sich trinken lässt. Und überdem gewann ich dabei, weil ich selber das starke Ale nicht gut vertragen kann.

Dieser Wirt nannte mich nun wieder Sir, und man musste mir mit ihm allein einen Tisch decken, denn, sagte er, er sähe wohl, dass ich ein Gentleman wäre.

Wir sprachen darauf sehr viel von Georg dem Zweiten, der sein Favoritkönig war, so wenig Georg der Dritte seine Gunst hatte: unter andern kamen wir auf die Schlacht bei Dettingen, wovon er viel Specialia wusste. Auch musste ich ihm vom Könige von Preußen und seinen vielen Soldaten, und was bei uns die Schafe kosteten, erzählen. Und als wir darauf noch eine Weile von politischen Sachen gesprochen hatten, fragte er mich auf einmal: ob ich das Waldhorn blasen könne? – dies vermutete er deswegen, weil ich aus Deutschland sei, denn er erinnere sich, als er noch ein Knabe gewesen wäre, hätte auch einmal bei seinen Eltern in eben diesem Gasthofe ein Deutscher logiert, und dieser habe das Waldhorn sehr vortrefflich blasen können. Er glaubte also, dass dies eine vorzügliche Eigenschaft der Deutschen sei.

Ich benahm ihm denn diesen Irrtum, und wir kamen wieder auf die politischen Angelegenheiten, indes seine Kinder und Gesinde in einiger Entfernung mit vieler Ehrfurcht unserm Gespräche zuhörten.

So brachte ich hier wieder einen sehr angenehmen Abend zu, und am Morgen, da ich gefrühstückt hatte, betrug meine Rechnung nicht mehr, als in Sutton.

Nun kam ich endlich am Freitage Morgen in die Heide vor Darby. Es wehte eine milde Luft, und ich war ganz außerordentlich heiter und vergnügt.

Gegen Mittag begann die herrliche romantische Gegend. Ich kam auf eine große Anhöhe, und sah auf einmal eine ganze Perspektive von Bergen vor mir, wo immer ein Paar nähere noch ein Paar entferntere, und diese wieder noch entferntere, zwischen dem Raume, der sie trennte, durchschimmern ließen.

Und nun hob sich das Land immer wie eine Welle auf und nieder, auf deren Rücken ich bald emporstieg, und weit um mich her schaute, bald wieder in den tiefen Abgrund mit ihr hinuntersank.

Den Nachmittag sah ich Darby vor mir im Tale: Und nun war ich hundert sechs und zwanzig Meilen von London entfernt. Darby ist eine kleine unansehnliche Stadt. Es war hier gerade Markt, und ich musste auch durch viele Menschen gehen, aber hier herrschte keine solche verhasste Neugierde, und beleidigendes Anstaunen, wie in Burton. Auch wurde ich von nun an, wenn ich durch ein Dorf kam, von den Bauerkindern immer sehr höflich gegrüßt.

Von Darby bis nach den Bädern zu Matlock, wo eine der romantischsten Gegenden ist, waren noch fünfzehn Meilen. Auf diesem Wege kam ich durch ein langes breites Dorf, welches, glaub’ ich, Duffield hieß. Man wies mich hier doch nicht in die Küche, sondern in ein Zimmer, und ich aß hier eine kalte Schale zu Mittage.

Die Kupferstiche und Bilder, welche man gewöhnlich in den Englischen Gasthöfen findet, sind eine Abbildung der ganzen Königlichen Familie, in einer Gruppe, wo der König sie als ein Vater um sich her versammelt, oder ein Grundriss von London, und auch das Bildnis des Königs von Preußen, welches ich hier verschiednemal gesehen habe. Auch findet man zuweilen eine Hogartsche Scene. Weil es eine große Hitze war, musste ich in diesem Dorfe einigemal wieder das bemitleidende God Almigth! hören, wodurch man mich als einen armen Fußgänger bedauerte.

Am Abend kehrte ich wieder in einem Gasthof an der Heerstraße ein, von welchem es nur noch vier Meilen bis Matlock war. Ich hätte es leicht noch erreichen können, aber ich wollte den ersten Anblick dieser Gegend lieber auf den folgenden Morgen versparen, als in der Dämmerung hinkommen.

Allein in diesem Gasthof war ich nicht so glücklich, als in den beiden vorigen. Die Küche saß voller Bauern, unter welchen ich den Wirt nicht unterscheiden konnte, dem ich sonst gleich zugetrunken hätte. Nun hörte ich wohl, dass ein Bauermädchen, die auch mit in der Küche war, so oft sie trank, sagte: your Health, gentlemen all! (Eure Gesundheit, ihr Herrn insgesamt!) allein ich weiß nicht, wie es kam, dass ich vergaß, diese Gesundheit zu trinken, welches mir denn sehr übel aufgenommen ward. Der Wirt trank ein paarmal auf eine spöttische Art meine Gesundheit, gleichsam, um mir meine Unhöflichkeit zu verweisen, und dann fing er an, mich mit den übrigen auszulachen, die fast mit Fingern auf mich zeigten. So musste ich nun eine Zeitlang den Bauern zum Gespötte dienen, bis endlich doch einer unter ihnen mitleidig sagte: we must do him no Harm, for he is a Stranger! (Wir sollten ihn nicht beleidigen, denn er ist doch ein Fremder!) it is no Harm! sagte der Wirt um sich zu entschuldigen, schien aber doch nun in sich zu gehen, und hörte mit seinen Spöttereien auf, als ich ihm aber nun zutrinken wollte, schlug er es ab, und sagte wieder auf eine spöttische Art zu mir: ich solle mich nur ans Kamin setzen, und mich wärmen, und mich um die Welt nicht bekümmern. Die Wirtin schien Mitleiden mit mir zu haben, und führte mich aus der Küche in ein andres Zimmer, wo ich allein sein konnte, indem sie sagte: das ist gottloses Volk!

Ich verließ dies unfreundliche Haus den folgenden Morgen früh, und nun ging es auf Matlock zu.

Das Ziel meiner Reise, was ich mir nun gesetzt hatte, war die große Höhle bei Kastleton, in dem hohen Peak, von Darbyschire. Bis da hin hatte ich von Matlock noch ohngefähr zwanzig Meilen.

Die Erde bekam hier eine ganz andre Gestalt, als bei Windsor und Richmond. Statt jener grünen Wiesen und sanften Hügel, türmten sich hier nackte Berge, und himmelhohe Felsen; statt jener angenehmen grünen Hecken, waren hier die hin und her zerstreuten Äcker und Viehweiden mit einem Wall von grauen Steinen eingeschlossen: und von eben diesem grauen Stein, der hier allenthalben gebrochen wird, sind auch die Häuser auf eine sehr einfache patriarchalische Art errichtet, indem die rohen Steine fast ohne alle Zubereitung aufeinandergepackt sind, und vier Wände ausmachen, so dass man sich allenfalls selber mit leichter Mühe ein solches Haus erbauen könnte. In Darby schienen die Häuser von eben diesem Stein erbaut zu sein.

Die Gegend bei Matlock selbst, übertraf alles, was ich mir davon vorgestellt hatte. Zur rechten Seite waren einige elegante Häuser für die Badegäste, und kleinere Hütten hingen wie Nester an dem hohen Felsen. Zur Linken ergoß sich tief im Grunde ein Fluss, der durch ein majestätisches Gewölbe hoch hinüberragender Bäume beinahe dem Auge verdeckt war. Längst diesem Fluss erstreckte sich über eine Meile weit eine ungeheure Felsenwand, an welcher sich oft versteckte Gänge in dunklem Gebüsch hinaufschlängelten.

Oben war der jähe Felsen mit grünem Gesträuch umkränzt, zuweilen kam ein Schaf oder eine Kuh von der weidenden Herde an den steilen Abhang, und blickte durch das Gesträuch hinunter.

Ich war in Miltons verlornem Paradies, das ich nach der Reihe durchlese, gerade bis an die Beschreibung des Paradieses gekommen, als ich in diese Gegend kam, und folgende Stelle, die ich nun im Grunde am Ufer des Flusses las, tat eine sonderbare Wirkung auf mich, da sie auf die Naturszene, die ich hier vor mir sah, so sehr passte, als ob sie der Dichter selbst davon genommen hätte:

– – delicious Paradise,
Now nearer crowns with her Enclosure green.
As with a rural Mound, the Champain Head
Of a steep Wilderness, Whose hairy sides
With Thicket overgrown, grottesque and wild.
Access denied. – –

Von Matlockbade kommt man über die Matlockbrücke, erst nach dem Städtchen Matlock selbst, das eigentlich kaum ein Dorf heißen könnte, weil es aus äußerst wenigen schlechten Häusern besteht. In dieser Gegend ist wegen der Bäder beständig viel Reitens und Fahrens, und eine starke Passage.

Von hier kam ich durch einige Dörfer wieder nach einem kleinen Städtchen, Namens Bakewell. Die ganze Gegend ist hier gebirgig und romantisch. Oft führte mich mein Weg auf schmalen Steigen, über erstaunliche Anhöhen, wo ich tief im Abgrunde einige kleine Hütten unter mir liegen sah. Die Einzäunungen der Felder von den aufgeworfenen grauen Steinen, gaben überdem der ganzen Gegend ein wildes Ansehen. Die Berge waren größtenteils nicht mit Bäumen bewachsen, sondern nackt, und man sah in der Ferne die Herden auf ihren Gipfeln weiden.

Als ich durch eines der Dörfer kam, hörte ich einen großen Bauerjungen mit vieler Neugierde einen andern fragen: ob ich denn nun ein Frenchman sei? gleichsam, als ob er schon lange darauf gewartet habe, einmal ein solches Wundertier zu sehen, und dieser Wunsch ihm nun gewährt sei.

Als ich durch Bakewell, einen noch unansehnlicheren Ort, wie Darby, gekommen war, führte mich mein Weg vor einem ziemlich breiten Fluss vorbei, eine kleine Anhöhe hinauf, wo ein bebautes Feld vor mir lag, das einen unbeschreiblich angenehmen Eindruck auf mich machte, ohne dass ich mir erst die Ursache davon angeben konnte, bis ich mich erinnerte, in meinen Kinderjahren, bei dem Dorfe, wo ich erzogen war, eine fast ganz ähnliche Gegend gesehen zu haben, die ich nun hier mitten in England wieder fand.

Das Feld war nämlich auf deutsche Art nicht mit Hecken eingezäunt, sondern die Saatfelder wechselten mit allerlei grünlichten und gelblichten Farben ununterbrochen ab, welches ein angenehmes Kolorit gab. Übrigens aber brachte mir diese ganze Gegend, und tausend Kleinigkeiten, deren ich mich nicht deutlich bewusst war, die Jahre meiner ersten Kindheit ins Gedächtnis zurück.

Ich ruhte mich hier eine Weile aus, und da ich nun wieder fortging, dachte ich an den Ort meines Aufenthalts, an alle meine Bekannte, und auch an Sie, liebster Freund, und dachte, wenn die mich hier so wandern sähen! – und in dem Augenblick fühlte ich erst eigentlich den Gedanken der Entfernung, und dass ich nun in England war, welches eine ganz sonderbare Empfindung bei mir hervorbrachte, die ich nur einigemale in meinem Leben gehabt habe.

Ich kam nun durch noch einen kleinen Ort, Namens Ashford, und wollte den Abend noch ein kleines Dorf, Namens Wardlow, das nur drei Meilen davon lag, erreichen, als in der Ferne zwei Männer hinter mir herkamen, die ich schon in Matlock gesehen hatte, und welche mich anriefen, daß ich auf sie warten sollte. Dies waren also seit dem Herrn Modd, die ersten Fußgänger, die sich mit mir zu gehen erboten.

Der eine war ein Sattler, und trug eine kurze braune Jacke, eine Handwerksschürze und einen runden Hut, der andre war ordentlich bürgerlich gekleidet, und ein sehr stiller Mann, da hingegen der Sattler äußerst gesprächig war.

Ich horchte hoch auf, da derselbe von Homer, Horaz und Virgil zu sprechen anfing, und Stellen aus dem Gedächtnis daraus anführte, und überhaupt seine Worte so vortrefflich zu setzen wusste, als ich es vielleicht nur irgend von einem Doktor oder Magister in Oxford hätte erwarten können. Er riet mir, nicht nach Wardlow, wo ich schlechte Herberge finden würde, sondern lieber mit ihm noch ein Paar Meilen weiter nach Tideswell, zu gehen, wo er wohnte. Dieser Name Tideswell wird durch eine sonderbare Verkürzung wie Tidsel ausgesprochen, eben so, wie man anstatt Birmingham im gemeinen Leben beständig Brumidschäm ausspricht.

Wir kehrten in einem kleinen Alehause an der Heerstraße ein, wo der Sattler nicht abließ, bis ich ihm verstattete, meine Zeche zu bezahlen, weil er mich diesen Weg mit hergenommen habe.

Nicht weit von diesem Hause kamen wir auf eine Anhöhe, wo mich mein philosophischer Sattler auf eine Aussicht aufmerksam machte, die freilich wohl die einzige in ihrer Art sein mochte. Wir sahen nämlich unter uns einen tiefen Abgrund, der wie ein Kessel aus der umgebenden Erdmasse herausgeschnitten war, und auf dem Boden desselben ein kleines Tal, wo der grüne Teppich der Wiese von einem kleinen Flüsschen in schlängelnden Krümmungen durchschnitten wurde, und die reizendsten Spaziergänge waren. Hinter einer kleinen Krümmung blickte ein Haus hervor, wo der Bewohner dieses glücklichen Tales ein großer Naturforscher, ganz sich selbst und seiner Lieblingswissenschaft leben soll. Er hat schon eine große Anzahl fremder Gewächse auf diesen Boden verpflanzt. Mein Begleiter geriet beinahe in poetische Begeisterung, da er mich auf die Schönheiten dieses Tales aufmerksam machte, indes unser dritter Mann, dem dies zu lange dauerte, über den Verzug beinahe etwas unwillig wurde.

Uns führte ein ziemlich steiler Weg in das Tal hinunter, durch welches wir gingen, und auf der andern Seite zwischen den Bergen wieder herauskamen.

Nicht weit von Tideswell verließ uns unser dritter Reisegefährte, der in einem benachbarten Orte wohnte. Als wir nun endlich Tideswell vor uns im Tale liegen sahen, erzählte mir der Sattler von seiner Familie, und dass er sich nie mit seiner Frau gezankt, noch ihr mit der geballten Faust gedroht, und gesagt habe: thou liest! (du lügst.)

Hierbei muss ich bemerken, dass es in England für die größte Beleidigung gehalten wird, wenn man zu jemanden sagt: du lügst! thou art a Liar, (du bist ein Lügner) ist noch stärker, und thou art a dammned Liar (du bist ein verdammter Lügner) ist das allerstärkste was man jemanden sagen kann.

So wie man also in Deutschland sagt, einer lässt keinen Hundsfott oder Schurken auf sich sitzen, oder so wie dies bei den Zänkereien die Losung zum Schlagen ist, eben so verhasst ist auch in England das Wort Lügner, und gleichsam ein Herausforderungszeichen, wodurch der beleidigte Teil zur tätigen Rache gereizt wird.

Unser Jacky in London sah mich einmal mit großen Augen an, da ich im Scherz zu ihm sagte: thou art a Liar, und ich hatte viel zu tun, ehe ich es wieder bei ihm gut machte.

Wenn man aus dergleichen Kleinigkeiten auf den Charakter einer Nation schließen kann, so scheint mir dieser allgemein eingewurzelte Hass gegen das Wort Lügner keinen schlechten Zug bei der Englischen zu verraten.

Doch, ich komme wieder auf meinen Reisegefährten, der mir ferner erzählte, wie er sich sein Brot auswärts verdienen müsse, und jetzt nach zwei Monaten zum erstenmal zu seiner Familie wieder zurückkäme.

Er zeigte mir nahe an der Stadt eine Reihe Bäume, die sein Vater gepflanzt habe, und die er nie ohne Rührung ansehe, so oft er von seinen kleinen Reisen wieder in seinen Ort zurück käme. Sein Vater sei ein reicher Mann gewesen, habe aber fast alle sein Vermögen angewandt, um einen Sohn in Amerika zu unterstützen, und seine übrigen Kinder arm hinterlassen, demohngeachtet sei ihm sein Andenken wert, und sein Herz gerührt, so oft er diese Bäume erblicke.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisen eines Deutschen in England im Jahre 1782