Abschnitt 2

Englische Fragmente


VII Die Schuld


7. Nachdem wir diese große Aufgabe glücklich vollbracht und auch dadurch jede Parlamentsreform in England hintertrieben hatten, erhob unsere Regierung ein brüllendes Siegesgeschrei, wobei sie ihre Lunge nicht wenig anstrengte und auch lautmöglichst unterstützt wurde von jeder Kreatur in diesem Lande, die auf eine oder die andere Art von den öffentlichen Taxen lebte.

8. Beinahe ganze zwei Jahre dauerte der überschwengliche Freudenrausch bei dieser damals so glücklichen Nation; zur Feier jener Siege drängten sich Jubelfeste, Volksspiele, Triumphbogen, Lustkämpfe und dergleichen Vergnügungen, die mehr als eine Viertelmillion Pfund Sterlinge kosteten, und das Haus der Gemeinen bewilligte einstimmig eine ungeheure Summe (ich glaube drei Million Pfund Sterling), um Triumphbögen, Denksäulen und andere Monumente zu errichten und damit die glorreichen Ereignisse des Krieges zu verewigen.

9. Beständig, seit dieser Zeit, hatten wir das Glück, unter der Regierung ebenderselben Personen zu leben, die unsere Angelegenheiten in besagtem glorreichen Kriege geführt hatten.

10. Beständig, seit dieser Zeit, lebten wir in einem tiefen Frieden mit der ganzen Welt; man kann annehmen, daß dieses noch jetzt der Fall ist, ungeachtet unserer kleinen zwischenspieligen Rauferei mit den Türken; und daher sollte man denken, es könne keine Ursache in der Welt geben, weshalb wir jetzt nicht glücklich sein sollten: wir haben ja Frieden, unser Boden bringt reichlich seine Früchte, und, wie die Weltweisen und Gesetzgeber unserer Zeit eingestehen, wir sind die allererleuchtetste Nation auf der ganzen Erde. Wir haben wirklich überall Schulen, um die heranwachsende Generation zu unterrichten; wir haben nicht allein einen Rektor oder Vikar oder Kuraten in jedem Kirchsprengel des Königreichs, sondern wir haben in jedem dieser Kirchsprengel vielleicht noch sechs Religionslehrer, wovon jeder von einer andern Sorte ist als seine vier Kollegen, dergestalt, daß unser Land hinlänglich mit Unterricht jeder Art versorgt ist, kein Mensch dieses glücklichen Landes im Zustande der Unwissenheit leben wird – und daher unser Erstaunen um so größer sein muß, wie irgend jemand, der ein Premierminister dieses glücklichen Landes werden soll, dieses Amt als eine so schwere und schwierige Last ansieht.

11. Ach, wir haben ein einziges Unglück, und das ist ein wahres Unglück: wir haben nämlich einige Siege gekauft – sie waren herrlich – es war ein gutes Geschäft – sie waren drei- oder viermal soviel wert, als wir dafür gaben, wie Frau Tweazle ihrem Manne zu sagen pflegt, wenn sie vom Markte nach Hause kommt – es war große Nachfrage und viel Begehr nach Siegen – kurz, wir konnten nichts Vernünftigeres tun, als uns zu so billigem Preise mit einer so großen Portion Ruhm zu versehen.

12. Aber, ich gestehe es bekümmerten Herzens, wir haben, wie manche andere Leute, das Geld geborgt, womit wir diese Siege gekauft, als wir dieser Siege bedurften, deren wir jetzt auf keine Weise wieder loswerden können, ebensowenig wie ein Mann seines Weibes los wird, wenn er einmal das Glück gehabt hat, sich die holde Bescherung aufzuladen.

13. Daher geschieht’s, daß jeder Minister, der unsere Angelegenheiten übernimmt, auch sorgen muß für die Bezahlung unserer Siege, worauf eigentlich noch kein Pfennig abbezahlt worden.

14. Er braucht zwar nicht dafür zu sorgen, daß das ganze Geld, welches wir borgten, um Siege dafür zu kaufen, ganz auf einmal, Kapital und Zinsen, bezahlt werde; aber für die regelmäßige Auszahlung der Zinsen muß er, leider Gottes! ganz bestimmt sorgen; und diese Zinsen, zusammengerechnet mit dem Solde der Armee und anderen Ausgaben, die von unseren Siegen herrühren, sind so bedeutend, daß ein Mensch ziemlich starke Nerven haben muß, wenn er das Geschäftchen übernehmen will, für die Bezahlung dieser Summen zu sorgen.

15. Früherhin, ehe wir uns damit abgaben, Siege einzuhandeln und uns allzu reichlich mit Ruhm zu versorgen, trugen wir schon eine Schuld von wenig mehr als zweihundert Millionen, während alle Armengelder in England und Wales zusammen nicht mehr als zwei Millionen jährlich betrugen und während wir noch nichts von jener Last hatten, die unter dem Namen dead weight uns jetzt aufgebürdet ist und ganz aus unserm Durst nach Ruhm hervorgegangen.

16. Außer diesem Gelde, das von Kreditoren geborgt worden, die es freiwillig hergaben, hat unsere Regierung, aus Durst nach Siegen, auch indirekt bei den Armen eine große Anleihe gemacht, d.h. sie steigerte die gewöhnlichen Taxen bis auf eine solche Höhe, daß die Armen weit mehr als jemals niedergedrückt wurden und daß sich die Anzahl der Armen und Armengelder erstaunlich vergrößerte.

17. Die Armengelder stiegen von zwei Millionen jährlich auf acht Millionen; die Armen haben nun gleichsam ein Pfandrecht, eine Hypothek auf das Land; und hier ergibt sich also wieder eine Schuld von sechs Millionen, welche man hinzurechnen muß zu jenen anderen Schulden, die unsere Passion für Ruhm und der Einkauf unserer Siege verursacht hat.

18. The dead weight besteht aus Leibrenten, die wir unter dem Namen Pensionen einer Menge von Männern, Weibern und Kindern verabreichen, als eine Belohnung für die Dienste, welche jene Männer beim Erlangen unserer Siege geleistet haben oder geleistet haben sollen.

19. Das Kapital der Schuld, welche diese Regierung kontrahiert hat, um sich Siege zu verschaffen, besteht ungefähr in folgenden Summen:

Hinzugekommene Summe

zu der Nationalschuld:

800.000.000

Hinzugekommene Summe

zur eigentlichen Armengelderschuld:

150.000.000

Dead weight als Kapital

einer Schuld berechnet

175.000.000


Pf. St. 1.125.000.000

d.h. elfhundertundfünfundzwanzig Millionen zu fünf Prozent ist der Betrag jener jährlichen sechsundfunfzig Millionen; ja, dieses ist ungefähr der jetzige Betrag, nur daß die Armengelderschuld nicht in den Rechnungen, die dem Parlamente vorgelegt werden, aufgeführt ist, indem sie das Land gleich direkt in den verschiedenen Kirchspielen bezahlt. Will man daher jene sechs Millionen von den sechsundvierzig Millionen abziehen, so ergibt sich, daß die Staatsschuldgläubiger und das dead-weight-Volk wirklich alles übrige verschlingen.

20. Indessen, die Armengelder sind ebensogut eine Schuld wie die Schuld der Staatsschuldgläubiger und augenscheinlich aus derselben Quelle entsprungen. Von der schrecklichen Last der Taxen werden die Armen zu Boden gedrückt; jeder andere wird zwar auch davon gedrückt, aber jeder, außer den Armen, wußte diese Last mehr oder weniger von seinen Schultern abzuwälzen, und sie fiel endlich mit fürchterlichem Gewichte ganz auf die Armen, und diese verloren ihre Bierfässer, ihre kupfernen Kessel, ihre zinnernen Teller, ihre Wanduhr, ihre Betten und bis auf ihr Handwerksgeräte, sie verloren ihre Kleider und mußten sich in Lumpen hüllen, sie verloren das Fleisch von ihren Knochen – Sie konnten nicht weiter aufs Äußerste getrieben werden, und von dem, was man ihnen genommen, gab man ihnen wieder etwas zurück unter dem Namen von vermehrten Armengeldern. Diese sind daher eine wahre Schuld, ein wahres Pfandrecht auf das Land. Die Interessen dieser Schuld können zwar zurückgehalten werden, aber wenn dieses geschieht, würden die Personen, die solche zu fordern haben, in Masse herbeikommen und sich für den Betrag, gleichviel in welcher Währung, bezahlt machen. Dieses ist also eine wahre Schuld und eine Schuld, die man bei Heller und Pfennig bezahlen wird, und zwar, ich bemerke es ausdrücklich, wird man ihr ein Vorrecht vor allen anderen Schulden gestatten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Vierter Teil