Abschnitt 3

Englische Fragmente


VII Die Schuld


21. Es ist also nicht nötig, sich sehr zu wundern, wenn man die Not derjenigen sieht, die solche Geschäfte übernehmen! Es ist zu verwundern, daß sich überhaupt jemand zu einer solchen Übernahme versteht, wenn ihm nicht anheimgestellt wird, nach Gutdünken eine radikale Umwandlung des ganzen Systems vorzunehmen.

22. Hier gibt’s keine Möglichkeit der Aushülfe, wenn man die jährliche Ausgabe der Staatsgläubigerschuld und der deadweight-Schuld herabzusetzen sucht; um solches Herabsetzen der Schuld, solche Reduktion dem Lande anzumuten, um zu verhindern, daß sie große Umwälzungen hervorbringe, um zu verhindern, daß nicht eine halbe Million Menschen in und um London dadurch vor Hunger sterben müssen, da ist nötig, daß man zuvor weit verhältnismäßigere Reduktionen anderswo vornehme, ehe man die Reduktion jener obigen zwei Schulden oder ihrer Interes sen versuchen wollte.

23. Wie wir bereits gesehen haben, die Siege wurden gekauft, in der Absicht, um Parlamentsreform in England zu verhindern und die aristokratischen Vorrechte und geistlichen Zehnten aufrechtzuerhalten; es wäre daher eine himmelschreiende Greueltat, entzögen wir ihre rechtmäßigen Zinsen jenen Leuten, die uns das Geld geborgt, oder entzögen wir gar ihre Bezahlung denjenigen Leuten, die uns die Hände vermietet, wodurch wir die Siege erlangt haben; es wäre eine Greueltat, die Gottes Rache auf uns laden würde, wenn wir dergleichen täten, während die einträglichen Ehrenämter der Aristokratie, ihre Pensionen, Sinekuren, königlichen Schenkungen, Militärbelohnungen und endlich gar die Zehnten des Klerus unangetastet blieben!

24. Hier, hier also liegt die Schwierigkeit: Wer Minister wird, wird Minister eines Landes, das eine große Passion für Siege gehabt, auch sich hinlänglich damit versehen und sich unerhört viel militärischen Ruhm verschafft – aber leider diese Herrlichkeiten noch nicht bezahlt hat und nun dem Minister überläßt, die Rechnung zu berichtigen, ohne daß dieser weiß, woher er das Geld nehmen soll.“

Das sind Dinge, die einen Minister ins Grab drücken, wenigstens des Verstandes berauben können. England ist mehr schuldig, als es bezahlen kann. Man rühme nur nicht, daß es Indien und reiche Kolonien besitzt. Wie sich aus den letzten Parlamentsdebatten ergibt, zieht der englische Staat keinen Heller eigentlicher Einkünfte aus seinem großen, unermeßlichen Indien, ja er muß dorthin noch einige Millionen Zuschuß bezahlen. Dieses Land nutzt England bloß dadurch, daß einzelne Briten, die sich dort bereichert, durch ihre Schätze die Industrie und den Geldumlauf des Mutterlandes befördern und tausend andere durch die Indische Kompanie Brot und Versorgung gewinnen. Die Kolonien ebenfalls liefern dem Staate keine Einkünfte, bedürfen des Zuschusses und dienen zur Beförderung des Handels und zur Bereicherung der Aristokratie, deren Nepoten als Gouverneure und Unterbeamte dahin geschickt werden. Die Bezahlung der Nationalschuld fällt daher ganz allein auf Großbritannien und Irland. Aber auch hier sind die Ressourcen nicht so beträglich wie die Schuld selbst. Wir wollen ebenfalls hier Cobbett sprechen lassen:

„Es gibt Leute, die, um eine Art Aushülfe anzugeben, von den Ressourcen des Landes sprechen. Dies sind die Schüler des seligen Colquhoun, eines Diebesfängers, der ein großes Buch geschrieben, um zu beweisen, daß unsere Schuld uns nicht im mindesten besorgt machen darf, indem sie so klein sei in Verhältnis zu den Ressourcen der Nation; und damit seine klugen Leser eine bestimmte Idee von der Uner meßlichkeit dieser Ressourcen bekommen mögen, machte er eine Abschätzung von allem, was im Lande vorhanden ist, bis herab auf die Kaninchen, und schien sogar zu bedauern, daß er nicht füglich die Ratten und Mäuse mitrechnen konnte. Den Wert der Pferde, Kühe, Schafe, Ferkelchen, Federvieh, Wildbret, Kaninchen, Fische, den Wert der Hausgeräte, Kleider, Feuerung, Zucker, Gewürze, kurz, von allem im Lande macht er ein Ästimatum; und dann, nachdem er das Ganze assummiert und den Wert der Ländereien, Bäume, Häuser, Minen, den Ertrag des Grases, des Korns, die Rüben und das Flachs hinzugerechnet und eine Summe von Gott weiß wie vielen tausend Millionen herausgebracht hat, grinst er in pfiffig prahlerisch schottischer Manier, ungefähr wie ein Truthahn, und hohnlachend fragt er Leute meinesgleichen: ‚Mit Ressourcen wie diese, fürchtet ihr da noch einen Nationalbankrott?‘

Dieser Mann bedachte nicht, daß man Häuser nötig hat, um darin zu leben, die Ländereien, damit sie Futter liefern, die Kleider, damit man seine Blöße bedecke, die Kühe, damit sie Milch geben, den Durst zu löschen, das Hornvieh, Schafe, Schweine, Geflügel und Kaninchen, damit man sie esse, ja, der Teufel hole diesen widersinnigen Schotten! diese Dinge sind nicht dafür da, daß sie verkauft und die Nationalschulden damit bezahlt werden. Wahrhaftig, er hat noch den Taglohn der Arbeitsleute zu den Ressourcen der Nation gerechnet! Dieser dumme Teufel von Diebesfänger, den seine Brüder in Schottland zum Doktor geschlagen, weil er ein so vorzügliches Buch geschrieben, er scheint ganz vergessen zu haben, daß Arbeitsleute ihren Taglohn selbst bedürfen, um sich dafür etwas Essen und Trinken zu schaffen. Er konnte ebensogut den Wert des Blutes in unseren Adern abschätzen, als ein Stoff, wovon man allenfalls Blutwürste machen könnte!“

Soweit Cobbett. Während ich seine Worte in deutscher Sprache niederschreibe, bricht er leibhaftig selbst wieder hervor in meinem Gedächtnisse, und wie vorig Jahr bei dem lärmigen Mittagsessen in Crown and Anchor Tavern, sehe ich ihn wieder mit seinem scheltend roten Gesichte und seinem radikalen Lächeln, worin der giftigste Todeshaß gar schauerlich zusammenschmilzt mit der höhnischen Freude, die den Untergang der Feinde ganz sicher voraussieht.

Tadle mich niemand, daß ich Cobbett zitiere! Man mag ihn immerhin der Unredlichkeit, der Scheltsucht und eines allzu ordinären Wesens beschuldigen; aber man kann nicht leugnen, daß er viel beredsamen Geist besitzt und daß er sehr oft, und in obiger Darstellung ganz und gar, recht hat. Er ist ein Kettenhund, der jeden, den er nicht kennt, gleich wütend anfällt, oft den besten Freund des Hauses in die Waden beißt, immer bellt und eben wegen jenes unaufhörlichen Bellens nicht gehört wird, wenn er einmal einem wirklichen Diebe entgegenbellt. Deshalb halten es jene vornehmen Diebe, die England plündern, nicht einmal für nötig, dem knurrenden Cobbett einen Brocken zuzuwerfen und ihm damit das Maul zu stopfen. Dieses wurmt den Hund am bittersten, und er fletscht die hungrigen Zähne.

Alter Cobbett! Hund von England! ich liebe dich nicht, denn fatal ist mir jede gemeine Natur; aber du dauerst mich bis in tiefster Seele, wenn ich sehe, wie du dich von deiner Kette nicht losreißen und jene Diebe nicht erreichen kannst, die lachend vor deinen Augen ihre Beute fortschleppen und deine vergeblichen Sprünge und dein ohnmächtiges Geheul verspotten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Vierter Teil