Abschnitt 3

Englische Fragmente


VIII Die Oppositionsparteien


Wenn er das erreicht hat, was man für den Gipfel der Beredsamkeit halten möchte, wenn er gleichsam umherblickt, um die Bewunderung, die er hervorgebracht, mit Hohnlächeln zu betrachten, dann sinkt seine Gestalt wieder zusammen, und auch seine Stimme fällt herab bis zum sonderbarsten Flüstern, das jemals aus der Brust eines Menschen hervorgekommen. Dieses seltsame Herabstimmen oder vielmehr Fallenlassen des Ausdrucks, der Gebärde und der Stimme, welches Brougham in einer Vollkommenheit besitzt, wie es bei gar keinem anderen Redner gefunden wird, bringt eine wunderbare Wirkung hervor; und jene tiefen, feierlichen, fast hingemurmelten Worte, die jedoch bis auf den Anhauch jeder einzelnen Silbe vollkommen vernehmbar sind, tragen in sich eine Zaubergewalt, der man nicht widerstehen kann, selbst wenn man sie zum ersten Male hört und ihre eigentliche Bedeutung und Wirkung noch nicht kennengelernt hat. Man glaube nur nicht etwa, der Redner oder die Rede sei erschöpft. Diese gemilderten Blicke, diese gedämpften Töne bedeuten nichts weniger als den Anfang einer Peroratio, womit der Redner, als ob er fühle, daß er etwas zu weit gegangen, seine Gegner wieder besänftigen will. Im Gegenteil, dieses Zusammenkrümmen des Leibes ist kein Zeichen von Schwäche, und dieses Fallenlassen der Stimme ist kein Vorspiel von Furcht und Unterwürfigkeit: es ist das lose, hängende Vorbeugen des Leibes bei einem Ringer, der die Gelegenheit erspäht, wo er seinen Gegner desto gewaltsamer umwinden kann, es ist das Zurückspringen des Tigers, der gleich darauf mit desto sicherern Krallen auf seine Beute losstürzt, es ist das Zeichen, daß Heinrich Brougham seine ganze Rüstung anlegt und seine mächtigste Waffe ergreift. In seinen Argumenten war er klar und überzeugend; in seiner Beschwörung der Leidenschaften war er zwar etwas hochmütig, doch auch mächtig und siegreich; jetzt aber legt er den letzten, ungeheuersten Pfeil auf seinen Bogen – er wird fürchterlich in seinen Invektiven. Wehe dem Manne, dem jenes Auge, das vorher so ruhig und blau war, jetzt entgegenflammt aus dem geheimnisvollen Dunkel dieser zusammengezognen Brauen! Wehe dem Wicht, dem diese halbgeflüsterten Worte ein Vorzeichen sind von dem Unheil, das über ihn heranschwebt!

Wer als ein Fremder vielleicht heute zum erstenmal die Galerie des Parlamentes besucht, weiß nicht, was jetzt kommen wird. Er sieht bloß einen Mann, der ihn mit seinen Argumenten überzeugt, mit seiner Leidenschaft erwärmt hat und jetzt mit jenem sonderbaren Flüstern einen sehr lahmen, schwächlichen Schluß anzubringen scheint. O Fremdling! wärest du bekannt mit den Erscheinungen dieses Hauses und auf einem Sitze, wo du alle Parlamentsglieder übersehen könntest, so würdest du bald merken, daß diese in betreff eines solchen lahmen, schwächlichen Schlusses durchaus nicht deiner Meinung sind. Du würdest manchen bemerken, den Parteisucht oder Anmaßung in dieses stürmische Meer, ohne gehörigen Ballast und das nötige Steuerruder, hineingetrieben hat und der nun so furchtsam und ängstlich umherblickt wie ein Schiffer auf dem chinesischen Meere, wenn er an einer Seite des Horizontes jene dunkle Ruhe entdeckt, die ein sicheres Vorzeichen ist, daß von der andern Seite, ehe eine Minute vergeht, der Typhoon heranweht mit seinem verderblichen Hauche; – du würdest irgendeinen kleinen Mann bemerken, der fast greinen möchte und an Leib und Seele schauert wie ein kleines Vögelchen, das in die Zaubernähe einer Klapperschlange geraten ist, seine Gefahr entsetzlich fühlt und sich doch nicht helfen kann und mit jämmerlich närrischer Miene dem Untergange sich darbietet; – du würdest einen langen Antagonisten bemerken, der sich mit schlotternden Beinen an der Bank festklammert, damit der heranziehende Sturm ihn nicht fortfegt; – oder du bemerkst sogar einen stattlichen, wohlbeleibten Repräsentanten irgendeiner fetten Grafschaft, der beide Fäuste in das Kissen seiner Bank hineingräbt, völlig entschlossen, im Fall ein Mann von seiner Wichtigkeit aus dem Hause geschleudert würde, dennoch seinen Sitz zu bewahren und unter sich von dannen zu führen.

Und nun kommt es: – die Worte, welche so tief geflüstert und gemurmelt wurden, schwellen an, so laut, daß sie selbst den Jubelruf der eignen Partei übertönen, und nachdem irgendein unglückseliger Gegner bis auf die Knochen geschunden und seine verstümmelten Glieder durch alle Redefiguren durchgestampft worden, dann ist der Leib des Redners wie niedergebrochen und zerschlagen von der Kraft seines eignen Geistes, er sinkt auf seinen Sitz zurück, und der Beifallärm der Versammlung kann jetzt unaufhaltbar hervorbrechen.“

Ich habe es nie so glücklich getroffen, daß ich Brougham während einer solchen Rede im Parlamente ruhig betrachten konnte. Nur stückweis oder Unwichtiges hörte ich ihn sprechen, und nur selten kam er mir dabei selbst zu Gesicht. Immer aber – das merkte ich gleich –, sobald er das Wort nahm, erfolgte eine tiefe, fast ängstliche Stille. Das Bild, das oben von ihm entworfen worden, ist gewiß nicht übertrieben. Seine Gestalt, von gewöhnlicher Manneslänge, ist sehr dünn, ebenfalls sein Kopf, der mit kurzen, schwarzen Haaren, die sich der Schläfe glatt anlegen, spärlich bedeckt ist. Das blasse, längliche Gesicht erscheint dadurch noch dünner, die Muskeln desselben sind in krampfhafter, unheimlicher Bewegung, und wer sie beobachtet, sieht des Redners Gedanken, ehe sie gesprochen sind. Dieses schadet seinen witzigen Einfällen; denn für Witze und Geldborger ist es heilsam, wenn sie uns unangemeldet überraschen. Obgleich sein schwarzer Anzug, bis auf den Schnitt des Fracks, ganz gentlemännisch ist, so trägt solcher doch dazu bei, ihm ein geistliches Ansehen zu geben. Vielleicht bekommt er dieses noch mehr durch seine oft gekrümmte Rückenbewegung und die lauernde, ironische Geschmeidigkeit des ganzen Leibes. Einer meiner Freunde hat mich zuerst auf dieses „Klerikalische“ in Broughams Wesen aufmerksam gemacht, und durch die obige Schilderung wird diese feine Bemerkung bestätigt. Mir ist zuerst das „Advokatische“ im Wesen Broughams aufgefallen, besonders durch die Art, wie er beständig mit dem vorgestreckten Zeigefinger demonstriert und mit vorgebeugtem Haupte selbstgefällig dazu nickt.

Am bewunderungswürdigsten ist die rastlose Tätig keit dieses Mannes. Jene Parlamentsreden hält er, nachdem er vielleicht schon acht Stunden lang seine täglichen Berufsgeschäfte, nämlich das Advozieren in den Gerichtssälen, getrieben und vielleicht die halbe Nacht an Aufsätzen für das „Edinburgh Review“ oder an seinen Verbesserungen des Volksunterrichts und der Kriminalgesetze gearbeitet hat. Erstere Arbeiten, der Volksunterricht, werden gewiß einst schöne Früchte hervorbringen. Letztere, die Kriminalgesetzgebung, womit Brougham und Peel sich jetzt am meisten beschäftigen, sind vielleicht die nützlichsten, wenigstens die dringendsten; denn Englands Gesetze sind noch grausamer als seine Oligarchen. Der Prozeß der Königin begründete zuerst Broughams Zelebrität. Er kämpfte wie ein Ritter für diese hohe Dame, und wie sich von selbst versteht, wird Georg IV. niemals die Dienste vergessen, die er seiner lieben Frau geleistet hat. Deshalb, als vorigen April die Opposition siegte, kam Brougham dennoch nicht ins Ministerium, obgleich ihm, als leader of the opposition, in diesem Falle, nach altem Brauch, ein solcher Eintritt gebührte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reisebilder Vierter Teil