Wir fuhren am 14. September 1816 früh am Morgen

Wir fuhren am 14. September 1816 früh am Morgen mit günstigem Winde aus dem Hafen von Unalaschka. Es wurde auf einen Walfisch geschossen, der uns in der Bucht zu nahe kam; ich lag noch in meiner Koje. Der Paß zwischen den Inseln Akun und Unimak war dem Kapitän als der sicherste gerühmt worden, um die Kette der Aleutischen Inseln von Norden nach Süden zu durchkreuzen. Er wählte demnach diese Straße, die auch er jedem Seefahrer empfiehlt. Das Wetter war klar, und der luftige Pik von Unimak, dessen Höhe Kotzebue auf 5 525 englische Fuß angibt, wolkenlos. Die Umstände, die hier unsere Fahrt verzögerten, waren zu der Aufnahme einer Karte günstig, auf die Herr von Kotzebue verweist, ohne sie mitzuteilen. Das Meer war zwischen diesen Inseln besonders lichtreich. Wir befanden uns am 16. morgens in offener See.

Unsre Hauptaufgabe war jetzt, dem nordischen Winter auszuweichen. Ich halte es nicht für das Ungeschickteste, was ich in meinem Leben getan, drei Winter auf dieser Reise unterschlagen zu haben. Drei Winter! Habe ich daheim wieder einmal den Winter ausgehalten, so glaube ich als ein mutiger Mann genug getan zu haben, aber ihn loben, ihn rühmen kann und will ich nicht. Wir Winterländer aber preisen noch die göttliche Weisheit, die bei solcher Einrichtung uns die Freude des Frühlings schenkt. Sollten wir nicht auch von unserer Obrigkeit verlangen, daß sie uns nach der Analogie den halben Tag durch Daumenschrauben anlegen lasse, damit wir uns auf die Stunde freuten, worin sie uns abgenommen würden? Diese Einrichtung – sie ist ja auf unserm Erdball eine Winkeleinrichtung, von welcher die Mehrheit der redenden Menschen nichts weiß. Vor vielen begünstiget von Gott mögen sich unsre Dichter rühmen, denen er zu ihren Frühlingsliedern den Stoff bereitet, aber unbegreiflich und lügengleich bleibt es für den, welcher einmal den Winterkreis überschritten hat, daß der Mensch, das gabelförmige, nackte Tier, sich in Winterlanden, unter dem zweiundfünfzigsten, ja unter dem zweiundsiebzigsten Grad nördlicher Breite anzusiedeln vermessen hat, wo er nur durch die Macht des Geistes sein kümmerliches Dasein zu fristen vermag. Denkt euch doch, wie euch Gott geschaffen hat, und geht an einem Wintertag hinaus und betrachtet euch die auf den halben Jahreskreis ausgestorbene Gegend unter dem Leichentuche von Schnee. Das ausgesetzte Leben schläft im Samen und im Ei, im Keime und in der Larve, tief unter der Erde, tief im Wasser unter dem Eise. Die Vögel sind fortgezogen; Amphibien und Säugetiere schlafen den Winterschlaf; nur wenige Arten der warmblütigen Tiere drängen sich parasitisch um eure Wohnungen; nur wenige der größeren unabhängigen Arten verbringen dürftig die harte Zeit. [Fußnote] Das alles und manches andere habe ich schon in einer Schrift gesagt: »Ansichten von der Pflanzenkunde und dem Pflanzenreiche«, die, einer Kompilation beigedruckt, Berlin, bei Dümmler, 1827 erschienen ist.


Aber der Mensch ist ein geistiges Tier, und mit dem Feuer, das er sich geraubt, erkennt er auf der Erde keine Schranken. Die unter dem sechzigsten Grad nördlicher Breite ansässigen ostjakischen Fischer, lehrt uns Adolf Erman (»Reise« I, Seite 721), wissen auch von einem verlorenen Paradiese; aber sie verlegen es gegen Norden und über den Polarkreis hinaus! Die Sage ist gar lesenswert.

Ich habe schon gelegentlich von einem Prediger in Lappland gesprochen. Sieben Jahre hatte der Mann in dieser Pfarre zugebracht, welche über die Region der Bäume hinaus lag; während der warmen Sommermonate ganz allein (seine Pfarrkinder zogen zu der Zeit mit ihren Rentierherden in die kühleren Gegenden am Meer). Während der Winternacht, als der Mond am Himmel war, zog er zu Schlitten umher, bivouakierte bei gefrorenem Quecksilber und suchte seine Lappen, die er liebhatte, auf, um seines Amtes zu walten. Zweimal in diesen sieben Jahren hatte er in seiner Einsamkeit den Zuspruch von Stamm- und Sprachverwandten genossen; ein Bruder von ihm hatte ihn besucht, und ein Botaniker hatte sich zu ihm verirrt. Wohl wußte er anerkennend die Freude zu preisen, die der Mensch dem Menschen bringt; aber nicht diese Freude und keine andere im Leben, so beteuerte er mir, ist der Wonne zu vergleichen, nach der langen Winternacht die Sonnenscheibe sich kreisend wieder über den Horizont erheben zu sehen.

Der Frühling ist für uns das Erwachen aus einer langen, verzögernden Krankheit, die, gemäßigter als der Winterschlaf anderer Tiere, demselben entspricht. Voller und schneller lebt der Mensch unter einer scheitelrechten Sonne, die, wie in Brasilien, Fülle des Lebens aus dem Schoße der Erde zeugt; unter einem Himmel ohne Glut, auf einer Erde ohne Fruchtbarkeit zählt er mehr der Tage, mehr der Jahre.

Wahrlich, ich möchte in der Region der Palmen wohnen und gewahren von da den alten Unhold auf die Zinnen des Gebürges gebannt. Gern auch wollte ich ihm in seinem Reiche mit Party oder Roß einen Staatsbesuch abstatten; aber hart finde ich es, ihn daheim die halbe Zeit des Jahres zu beherbergen. Wir haben während der drei Jahre in zwei nordischen Sommern nur etliche Nachtfröste erduldet, wie solche eben auch bei uns in dieser Jahreszeit nichts Unerhörtes sind.

Wir hatten stets günstige Nord- und Nordwestwinde; die Nachtgleichen und der Vollmond brachten uns nur einen starken Wind, der fast zum Sturme sich erhob und vor welchem wir mit vollen Segeln schnell vorwärts kamen.

Wir steuerten nach San Francisco in Neu-Kalifornien. Herr von Kotzebue, der über die Sandwich-Inseln, wohin er seinen Instruktionen gemäß von Unalaschka aus segeln sollte, von den Schiffskapitänen der Amerikanischen Kompanie sehr gut berichtet worden war, hatte diesen Inseln, wo die Frequenz der Schiffe den Preis aller Bedürfnisse gesteigert hat und wo nur mit spanischen Piastern oder mit Kupferplatten, Waffen und ähnlichem bezahlt werden kann, jenen Port als Rast- und Erholungsort für seine Mannschaft und zur Verproviantierung des »Rurik« vorgezogen.

Ich werde, da ich von der Fahrt selbst nichts zu berichten habe, einiges hier einschalten, das mir noch nicht in die Feder geflossen ist. Bei der Schiffsordnung, die ich früher beschrieben habe, zu welcher noch hinzukam, daß das Licht abends um zehn Uhr ausgelöscht wurde, und bei der einförmig ruhigen, aller anstrengenden Bewegung entbehrenden Lebensart konnte unsereiner nicht alle Stunden, worin er still zu liegen verdammt war, mit festem, bewußtlosem Schlafe ausfüllen, und eine Art Halbschlaf nahm einen großen Teil des Lebens mit Träumen ein, von denen ich euch unterhalten will. Ich träumte nie von der Gegenwart, nie von der Reise, nie von der Welt, der ich jetzt angehörte; die Wiege des Schiffes wiegte mich wieder zum Kinde, die Jahre wurden zurückgeschraubt, ich war wieder im Vaterhause, und meine Toten und verschollene Gestalten umringten mich, sich in alltäglicher Gewöhnlichkeit bewegend, als sei ich nie über die Jahre hinausgewachsen, als habe der Tod sie nicht gemäht. Ich träumte von dem Regimente, bei welchem ich gestanden, von dem Gamaschendienst; der Wirbel schlug, ich kam herbeigelaufen, und zwischen mich und meine Kompanie stellte sich mein alter Obrist und schrie: »Aber Herr Leutnant, in drei Teufels Namen!« – O dieser Obrist! Er hat mich, ein schreckender Popanz, durch die Meere aller fünf Weltteile, wann ich meine Kompanie nicht finden konnte, wann ich ohne Degen auf Parade kam, wann – was weiß ich, unablässig verfolgt; und immer der fürchterliche Ruf: »Aber Herr Leutnant; aber Herr Leutnant!« – Dieser mein Obrist war im Grunde genommen ein ehrlicher Degenknopf und ein guter Mann; nur glaubte er, als ein echter Zögling der ablaufenden Zeit, daß Grobsein notwendig zur Sache gehöre. Nachdem ich von der Reise zurückgekehrt, wollte ich den Mann wiedersehen, der so lange die Ruhe meiner Nächte gestört. Ich suchte ihn auf: ich fand einen achtzigjährigen, stockblinden Mann, fast riesigen Wuchses, viel größer als das Bild, das ich von ihm hatte, der in dem Hause eines ehemaligen Unteroffiziers seiner Kompanie ein Stübchen unten auf dem Hofe bewohnte und von einigen kleinen Gnadengehalten lebte, da er im unglücklichen Kriege, mehr aus Beschränktheit als aus Schuld, allen Anspruch auf eine Pension verwirkt hatte. – Fast verwundert, von einem Offizier des Regimentes, bei dem er nicht beliebt war, aufgesucht zu werden, und nicht maßzuhalten wissend, war er gegen mich von einer übertriebenen Höflichkeit, die mir in der Seele wehe tat. Wie er mir die Hand reichte, befühlte er mit zwei Fingern das Tuch meines Kleides, und was in diesem Griffe lag – ich weiß es nicht, aber ich werde ihn nie vergessen. – Ich schickte ihm etliche Flaschen Wein als ein freundliches Geschenk, und als er, ich glaube im folgenden Jahre, verschied, fand es sich, daß er mich zu seinem Leichenbegängnis einzuladen verordnet hatte. Ich folgte ihm allein mit einem alten Major des Regimentes und seinem Unteroffizier; – und Friede sei seiner Asche!

Ich will noch einiges von den Tieren nachholen, die zur Zeit Haus- und Gastrecht auf dem »Rurik« genossen. Unser kleiner Hund aus Concepción, unser Valet, war uns treu geblieben. Er gehörte in die Kajüte de Campagne und war zur See mit Lust und Kunst von einer wahrhaft musterhaften Trägheit. Er sah uns alle bittend an, und winkte ihm einer Gewährung, so war er mit einem Satze in dessen Koje, wo er bis zu der nächsten Mahlzeit schlief An jedem Landungsplatz hingegen mußte er zuerst an das Land, und wenn man ihn im Boote nicht mitnehmen wollte, so schwamm er hin. Er suchte, wie wir, seine Gattung, kam aber meist, wenn er sie gefunden, übel zugerichtet und zerfetzt wieder heim. Unser Valet hatte an einem jungen Hunde von der unter den Eskimos dienenden Rasse, welchen der Kapitän von seiner Nordfahrt mitgebracht, einen Nebenbuhler gefunden. Dieser neue Gast hieß auf dem »Rurik« »der große Valet«. Wir hatten drittens noch Schaffecha, die Sau, die übermütig ihrem schon verkündeten Schicksal entgegenging.

Als wir von Kamtschatka nach Norden fuhren, hatten wir einen letzten Hahn am Bord, der, aus dem Hühnerkasten entlassen, als ein stolzer Gesell frei auf dem Verdeck spazierenging. Ich war neugierig zu beobachten, wie er sich hinsichtlich des Schlafes verhalten würde, wenn die Sonne für uns nicht mehr unterginge. Die Beobachtung unterblieb indes aus zwei Gründen: denn wir kamen erstlich nicht so weit nach Norden, und zweitens flog über Bord, fiel ins Meer und ertrank der Hahn, bevor wir noch die Sankt-Laurenz-Insel erreicht hatten.

Aber ich kehre zu unserer Fahrt zurück. Wir segeln am 2. Oktober 1816 nachmittags um vier Uhr in den Hafen von San Francisco hinein. Große Bewegung zeigt sich auf dem Fort am südlichen Eingange des Kanals; sie ziehen ihre Flagge auf, wir zeigen die unsere, die hier nicht bekannt zu sein scheint, und salutieren die spanische mit sieben Schüssen, welche nach dem spanischen Reglement mit zwei weniger erwidert werden. Wir lassen die Anker vor dem Presidio fallen, und kein Boot stößt vom Ufer, zu uns zu kommen, weil Spanien auf diesem herrlichen Wasserbecken kein einziges Boot besitzt.

Ich ward sogleich beordert, den Leutnant Schischmarew nach dem Presidio zu begleiten. Der Leutnant Don Luis de Arguello, nach dem Tode des Rittmeisters Kommandant ad interim, empfing uns ausnehmend freundschaftlich, sorgte augenblicklich für die nächsten Bedürfnisse des »Ruriks«, indem er Obst und Gemüse an Bord schickte, und ließ noch am selben Abende einen Eilboten an den Gouverneur von Neu-Kalifornien nach Monterey abgehen, um demselben unsre Ankunft zu melden.

Am andern Morgen (den 3.) traf ich den Artillerieofflzier Don Miguel de la Luz Gomez und einen Pater der hiesigen Mission, die eben an das Schiff kamen, als ich selbst im Auftrage des Kapitäns nach dem Presidio gehen wollte. Ich geleitete sie an Bord; sie waren die Überbringer der freundlichsten Hülfsverheißungen von seiten des Kommandanten und der viel vermögenderen Mission. Der geistliche Herr lud uns außerdem auf den folgenden Tag, der das Fest des Heiligen war, auf die Mission von San Francisco ein, wohin zu reiten wir Pferde bereit finden würden. Auf den ausgesprochenen Wunsch des Kapitäns wurden wir sofort mit Schlachtvieh und Vegetabilien auf das reichlichste versorgt. Nachmittags wurden die Zelte am Lande aufgerichtet, das Observatorium und das russische Bad. Am Abend statteten wir dem Kommandanten einen Besuch ab. Acht Kanonenschüsse wurden zum Empfang des Kapitäns von dem Presidio abgefeuert.

Nicht aber nach diesen überflüssigen Höflichkeitsschüssen, sondern nach den zweien der russischen Flagge schuldig gebliebenen begehrte der Kapitän, und er bestand mit Beharrlichkeit auf deren Erstattung. Darüber ward lange unterhandelt, und nur unwillig und gezwungen (ich weiß nicht, ob nicht erst auf Befehl des Gouverneurs) bequemte sich endlich Don Luis de Arguello, die zwei vermißten Schüsse nachträglich zu liefern. Es mußte noch einer unserer Matrosen nach dem Fort kommandiert werden, um die Leine zum Aufziehen der Flagge wieder in Ordnung zu bringen; denn sie war bei dem letzten Gebrauch zerrissen, und es war unter den Einheimischen niemand, der vermocht hätte, an dem Mast hinaufzuklettern.

Das Fest des heiligen Franziskus gab uns Gelegenheit, die Missionare in ihrer Wirksamkeit und die Völker, an die sie gesandt waren, in gezähmtem Zustande zu beobachten. Ich werde dem, was ich in den »Bemerkungen und Ansichten« gesagt habe, nichts hinzuzufügen haben. Man kann über die Stämme der Eingeborenen Choris nachlesen, der in seinem »Voyage pittoresque« eine schätzbare Reihe guter Porträts gegeben hat; nur sind die nachträglich in Paris gezeichneten Blätter X und XII auszuschließen; daß man so, wie dort dargestellt, den Bogen nicht braucht, weiß jeder. Choris liefert sogar in seinem Texte kalifornische Musik. Ich weiß nicht, wer es übernommen haben mag, hier und noch einigemal im Verlaufe des Werkes Noten nach Choris' Gesang zu Papiere zu bringen. Ich pflegte zwar dem Freunde einzuräumen, daß er besser sänge als ich, doch durfte er nicht den großen Vorzug bestreiten, den mein Gesang vor dem seinen habe, sich nämlich fast nie hören zu lassen.

Der Kapitän hatte hier wie in Chile den Kommandanten und seine Offiziere an unsern Tisch zu gewöhnen gewußt. Wir speisten auf dem Lande unter dem Zelte, und unsere Freunde vom Presidio pflegten nicht auf sich warten zu lassen. Das Verhältnis ergab sich fast von selbst. Das Elend, worin sie seit sechs bis sieben Jahren, von Mexiko, dem Mutterlande, vergessen und verlassen, schmachteten, erlaubte ihnen nicht, Wirte zu sein, und das Bedürfnis, redend ihr Herz auszuschütten, trieb sie, sich uns zu nähern, mit denen es sich leicht und gemütlich leben ließ. Sie sprachen nur mit Erbitterung von den Missionaren, die bei mangelnder Zufuhr doch im Überflusse der Erzeugnisse der Erde lebten und ihnen, seitdem das Geld ausgegangen, nichts mehr verabfolgen ließen, wenn nicht gegen Verschreibung, und auch so nur, was zum notdürftigsten Lebensunterhalt unentbehrlich, worunter nicht Brot, nicht Mehl einbegriffen – seit Jahren hatten sie, ohne Brot zu sehen, von Mais gelebt. Selbst die Kommandos, die zum Schutze der Missionen in jeglicher derselben stehen, wurden von ihnen nur gegen Verschreibung notdürftig verpflegt. »Die Herren sind zu gut!« rief Don Miguel aus, den Kommandanten meinend, »sie sollten requirieren, liefern lassen!« Ein Soldat ging noch weiter und beschwerte sich gegen uns, daß der Kommandant ihnen nicht erlauben wollte, sich dort drüben Menschen einzufangen, um sie wie in den Missionen für sich arbeiten zu lassen. Mißvergnügen erregte auch, daß der neue Gouverneur von Monterey, Don Paolo Vicente de Sola, seit er sein Amt angetreten, sich dem Schleichhandel widersetzen wollte, der sie doch allein mit den unentbehrlichsten Bedürfnissen versorgt habe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise um die Welt