Die einsitzige Baidare ist diesen Völkern, was dem Kosaken sein Pferd ist.

Die einsitzige Baidare ist diesen Völkern, was dem Kosaken sein Pferd ist. Dieses Werkzeug ist eine schmale, lange, nach vorn lang zugespitzte Schwimmblase von Robbenhäuten, die auf ein leichtes hölzernes Geripp gespannt sind. In der Mitte ist eine runde Öffnung; der Mann sitzt mit ausgestreckten Füßen darin und ragt mit dem Körper daraus hervor. Er ist mit dem Schwimmwerkzeuge durch einen Schlauch von Kamlaikastoff verbunden, der, von gleicher Weite als die Öffnung, dieselbe umsäumt und den er um den eigenen Leib unter den Armen festschnürt. Sein leichtes Ruder in der Hand, seine Waffen vor sich, das Gleichgewicht wie ein Reiter haltend, fliegt er pfeilschnell über die bewegliche Fläche dahin. – Dieses bei verschiedenen Völkerschaften nur wenig verschieden gestaltete Werkzeug ist aus Reisebeschreibungen und Abbildungen genug bekannt, und es haben sich uns in den Hauptstädten Europas Eskimos damit gezeigt. – Die große Baidare hingegen, das Frauenboot, ist dem schweren Fuhrwerk zu vergleichen, das dem Zuge der Nomaden folgt.

Als wir gegen Abend wieder an das Schiff fuhren, ruderten uns drei Baidaren der Eingebornen nach, jede mit zehn Mann bemannt. Sie banden mit dem einen Boote an, welches zurückgeblieben war und worauf der Kapitän, der Leutnant Schischmarew und nur vier Matrosen sich befanden. Die Eskimos, welche das Feuergewehr nicht zu kennen schienen, nahmen eine drohende Stellung an, enthielten sich jedoch der Feindseligkeiten und folgten dem Boote bis an das Schiff, auf welches zu kommen sie sich nicht bereden ließen.


Wir folgten der immer niedern Küste in unveränderter Richtung, bis wir am 1. August gegen Mittag uns am Eingang eines weiten Meerbusens befanden. Das Land, dem wir folgten, verlor sich im Osten, und ein hohes Vorgebürge zeigte sich fern im Norden. Der Wind verließ uns; wir warfen die Anker; der Strom setzte stark in die Öffnung hinein. Die Ansicht der Dinge war vielversprechend. Wir konnten am Eingang eines Kanales sein, der das Land im Norden als eine Insel von dem Kontinente trennte und die fragliche Durchfahrt darböte. Um wenigstens einen Hügel zu besteigen und das Land von einem höheren Standpunkte zu erkunden, ließ Herr von Kotzebue ans Land fahren. Hier, auf dem Kap Espenberg seiner Karte, besuchten uns die Eingebornen in großer Anzahl. Sie zeigten sich, wie es wackern Männern geziemt, zum Kriege gerüstet, aber zum Frieden bereit. Ich glaube, daß es hier war, wo, bevor wir ihrer ansichtig geworden, ich, allein und ohne Waffen auf meine eigene Hand botanisierend, unversehens auf einen Trupp von beiläufig zwanzig Mann stieß. Da sie keinen Grund hatten, gegen mich, den einzelnen, auf ihrer Hut zu sein, nahten wir uns gleich als Freunde. Ich hatte als hier gültige Münze dreikantige Nadeln mit, wie man sie in Kopenhagen, dem Bedürfnisse dieses selben Menschenstammes angemessen, für den Handel mit Grönland vorfindet. – Das Öhr ist eine unnütze Zugabe; zum Gebrauche wird es abgebrochen und der Faden von Tierflechse an den Stahl angeklebt. – Ich zog meine Nadelbüchse heraus und beschenkte die Fremden, die sich in einen Halbkreis stellten, vom rechten Flügel anfangend, der Reihe nach jeden mit zwei Nadeln. Eine wertvolle Gabe. Ich bemerkte stillschweigend, daß einer der ersten, nachdem er das ihm Zugedachte empfangen, weiter unten in das Glied trat, wo ihm die andern Platz machten. Wie ich an ihn zum zweiten Male kam und er mir zum zweiten Male die Hand entgegenstreckte, gab ich ihm darein anstatt der erwarteten Nadeln unerwartet und aus aller Kraft einen recht schallenden Klaps. Ich hatte mich nicht verrechnet: alles lachte mit mir auf das lärmendste; und wann man zusammen gelacht hat, kann man getrost Hand in Hand gehen.

Mehrere Baidaren folgten uns an das Schiff, und da ward gehandelt und gescherzt. Den Handel scheinen sie wohl zu verstehen. Sie erhielten von uns Tabak und minder geschätzte Kleinigkeiten, Messer, Spiegel usw.; aber lange Messer, welche sie für ihre kostbaren Pelzwerke haben wollten, hatten wir ihnen nicht anzubieten. Wir erhandelten von ihnen elfenbeinerne Arbeiten, Tier- und Menschengestalten, verschiedene Werkzeuge, Zieraten usw.

Der Wind erhob sich gegen Abend aus Süden, und wir segelten nach Osten in die Straße hinein. Am Morgen des 2. hatten wir noch im Norden hohes Land, im Süden eine niedrige Küste und vor uns im Osten ein offenes Meer. Erst am Abend stiegen einzelne Landpunkte am Horizont herauf und vereinigten sich und zogen eine Kette zwischen beiden Küsten. Nur eine Stelle schien der Hoffnung noch Raum zu geben. Das Wetter ward uns ungünstig; wir fuhren erst am 3. August durch einen Kanal zwischen einem schmalen Vorgebürge des Landes im Norden und einer Insel und warfen an gesicherter Stelle die Anker. Die Ufer um uns waren Urgebürge; die Aussicht nur im Norden noch frei. Diese Stelle zu untersuchen, ward am 4. eine Exkursion mit Barkasse und Baidare unternommen, und bald schloß sich um uns eine Bucht, die nach Norden und Osten in angeschlemmtes Land eindringt; die Ufer abstürzig von beiläufig achtzig Fuß Höhe, die Rücken sanft wellenfaltig zu einer unabsehbaren nackten, torfbenarbten Ebene sich dehnend. Wir bivouakierten die Nacht unter der Baidare und kehrten am 5. bei ungünstigem Wetter zu dem Schiffe zurück. Die Hoffnung blieb noch, die Mündung eines Flusses zu entdecken. Am 7. ward eine zweite Exkursion nach der Bucht im Norden unternommen; am 8. schlug uns ein Sturm nach unserm Bivouak wieder zurück. An diesem Tage entdeckte Eschscholtz, der, während wir anderen weiterzudringen versuchten, westwärts längs des Ufers dem Urgebürge und dem Ankerplatze zu zurückging, die sogenannten Eisberge, denen die mit dem Norden und dem Reisen im Norden nicht Vertrauten fast zuviel Aufmerksamkeit geschenkt zu haben scheinen. Ich habe Beechey über dieses Eisufer sorgfältig gelesen und geprüft und kann doch nicht anders, als einfach bei der Ansicht beharren, die ich in meinen »Bemerkungen und Ansichten« ausgesprochen habe. Entweder war in den Jahren von 1816 bis 1826 die Zerstörung des Eisklintes schnell fortgeschritten und hatte die Grenze von der Eisformation und dem Sande erreicht, oder ihre Wirkung hatte die Verhältnisse, die uns noch deutlich waren, bemäntelt. Die ruhige Lagerung in waagerechten Schichten, die an der Eiswand deutlich zu erkennen war, läßt meines Erachtens die Vorstellung von Beechey nicht aufkommen. – Die Zeugnisse scheinen mir darüber übereinstimmend, [Fußnote] Ich bitte hier zu vergleichen, was ich in der »Linnaea«, 1829, T. IV, p. 58 und folgende, gesagt habe, und die p. 61 angeführten Auctoritäten. daß in Asien und Amerika unter hohen Breiten das angeschlemmte Land nirgends im Sommer auftaut; daß, wo es untersucht worden, dasselbe bis zu einer großen Tiefe fest gefroren befunden worden ist und daß stellenweise das Eis, oft Überreste urweltlicher Tiere führend, als Gebirgsart und als ein Glied der angeschlemmten Formation vorkommt, mit vegetabilischer Erde überdeckt und gleich anderem Grunde begrünt. (Ausfluß der Lena und des Mackenzie River, Kotzebue-Sund.) Wo aber die Erde den alten Kern zutage zeigt, da mögen andere Temperaturverhältnisse stattfinden und unter gleichen Breiten mit der Eisformation Quellen anzutreffen sein.

Ich zweifle nicht, daß die Mammutzähne, die wir hier sammelten, aus dem Eise herrühren; die Wahrheit ist aber, daß die, welche uns in die Hände fielen, bereits von den Eingeborenen, auf deren Landungs- und Bivouakplatze wir selber bivouakierten, aufgelesen, geprüft und verworfen worden waren. Ist es aber das Eis, welches die Überbleibsel urzeitlicher Tiere führt, so möchte es älteren Ursprungs sein als der Sand, in dem ich nur Rentiergeweihe und häufiges Treibholz angetroffen habe, dem völlig gleich, das noch jetzt an den Strand ausgeworfen wird. Daß dieses Eisufer sich zwischen dem Urgebürge und dem Sande erstreckt, ist auch nicht zu übersehen.

Ich hatte mehrere Bruchstücke fossilen Elfenbeines gesammelt und sorgfältig beiseite gelegt: – damit wurde in der Nacht das Bivouakfeuer unterhalten. Ich mußte froh sein, nachträglich noch den Hauer, den Molarzahn und das Bruchstück zu finden, die ich dem Berliner Mineralogischen Museum verehrt habe. Schildwacht habe ich dabei stehen und selber die Last bis in das Boot tragen müssen. Jede Hülfe und selbst ein schützendes Wort wurde mir verweigert. Der Hauzahn, der mir einerseits zu dick und andererseits zu wenig gekrümmt schien, um dem Mammut anzugehören, ist doch von Cuvier in seinem großen Werke auf meine Zeichnung und Beschreibung hin dieser Art zugeschrieben worden.

Die Bucht, worin wir waren, erhielt den Namen Eschscholtz; die Insel, in deren Schutz der »Rurik« vor Anker lag, den meinen. (Sie ist in meinen »Bemerkungen und Ansichten« ungenannt.) Sowohl auf der sandigen Landzunge, auf welcher wir bivouakierten, als auf der urfelsigen Insel war die Variation der Magnetnadel durchaus unregelmäßig.

Auf Exkursionen wie diese hatte meine Sekundenuhr von Schunigk zu Berlin die Ehre, Chronometerdienst zu tun; selbst ihrer nicht bedürftig, hatte ich sie dem Kapitän zum Gebrauch ganz überlassen. Nach zweitägigem Bivouak, wobei uns das englische Patentfleisch (frisches Fleisch und Brühe in Blechkasten eingefüllt, die ohne leeren Raum zugelötet sind) sehr guten Dienst geleistet hatte, kehrten wir am dritten Tage, am 9. August morgens, zu dem Schiffe zurück. Während unserer Abwesenheit hatten uns die Eingeborenen auf zwei Baidaren einen Besuch zugedacht, der aber nach dem Befehl des Kapitäns nicht angenommen worden war. Der Hintergrund von Kotzebues-Sund ist unbewohnt, und man findet an dessen Ufern nur Landungs- und Bivouakplätze der Eingeborenen. Ein solcher findet sich zum Beispiel auf der Chamissos-Insel und ein anderer bei den Eisbergen der Eschscholtz-Bucht; diesen besuchen sie vielleicht hauptsächlich nur, um Elfenbein zu sammeln.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise um die Welt