Es regnete am 10. August; nachmittags klärte sich das Wetter auf, und wir gingen unter Segel.

Es regnete am 10. August; nachmittags klärte sich das Wetter auf, und wir gingen unter Segel. Es blieb uns ein Teil der südlichen Küste zu untersuchen. Wir warfen die Anker, als es dunkelte, und wurden von Eingeborenen besucht. Wir nahten uns am 11. einem hohen Vorgebürge – das Kap »Betrug« der Karte –; von welchem aus etliche Baidaren an uns ruderten. Zwischen diesem Vorgebürge und dem nördlich von ihm liegenden Kap Espenberg fand sich die niedrige Küste von einer weiten Bucht ausgerandet. Die Tiefe des Wassers nahm ab; wir warfen die Anker und trafen sogleich Anstalten, ans Land zu fahren. Dort ließ sich die Mündung eines Flusses erwarten. – Es war schon spät am Nachmittag; ein dichter Nebel überfiel uns und zwang uns, an das Schiff zurückzukehren. Wir bewerkstelligten am 12. früh die beabsichtigte Landung, aber die stark abnehmende Tiefe des Wassers erlaubte uns nur, auf einem sehr entfernten Punkte, beiläufig sechs Meilen vom Schiffe, anzufahren. Ein Kanal, der sich durch die Niederung schlängelt, ins Meer mündet und in welchen der Strom landeinwärts hineinzusetzen scheint, beschäftigte den Kapitän. Ich fand ihn, wie ich von einer botanischen Exkursion zurückkehrte, mit einem Eingeborenen, von dem er einige Auskunft über die Richtung und Beschaffenheit jenes Stromes zu erhalten sich bemühte. Dieser Mann, der mit seiner Familie allein sein Zelt hier aufgeschlagen hatte, war mit seinem Knaben, kampffertig, den Pfeil auf dem Bogen, dem Kapitän entgegengetreten, als sich dieser mit vier Mann Begleitung gezeigt. Er hatte sich entschlossen, mutig und klug benommen, wie einem tapfern Mann gegen Fremde geziemt, die ihm an Kraft überlegen sind und deren Gesinnung er verdächtigen muß. Der Kapitän, indem er seine Begleiter entfernte und allein und ohne Waffen auf ihn zuging, hatte den Mann beschwichtigt, und Geschenke hatten den Frieden besiegelt. Der Eskimo hatte ihn gastlich unter seinem Zelte aufgenommen, wo er sein Weib und zwei Kinder hatte; doch schien ihm nicht heimlich bei den zudringlichen Fremden zu werden. Ich maßte mir auch hier mein altes Dolmetscheramt an; ich stellte mich pantomimisch, als ruderte ich den Strom landeinwärts, und fragte den Freund mit Blick und Hand: wohin? und wann? Er faßte sogleich die Frage und beantwortete sie sehr verständig: »Während neun Sonnen rudern, während neun Nächte schlafen, Land zur Rechten, Land zur Linken; – dann freier Horizont, freies Meer, kein Land in Sicht.« – Ein Blick auf die Karte berechtigt zu der Vermutung, daß dieser Kanal, mit dem sich der Strom der Schischmarew-Bucht vereinigen mag, nach dem Norton-Sound führen kann.

Sobald es unserm Freunde gelang, von uns abzukommen, brach er sein Zelt ab und zog mit seiner Familie an das entgegengesetzte Ufer. Wir aber richteten uns für die Nacht ein, am Fuß eines Hügels zu bivouakieren, der mit Grabmälern der Eingeborenen gekrönt war. Die Toten liegen über der Erde, mit Treibholz überdeckt und vor den Raubtieren geschätzt; etliche Pfosten ragen umher, an denen Ruder und andere Zeichen hangen. Unsere habsüchtige Neugierde hat diese Grabmäler durchwühlt; die Schädel sind daraus entwendet worden. Was der Naturforscher sammelte, wollte der Maler, wollte jeder auch für sich sammeln. Alle Gerätschaften, welche die Hinterbliebenen ihren Toten mitgegeben, sind gesucht und aufgelesen worden; endlich sind unsere Matrosen, um das Feuer unseres Bivouak zu unterhalten, dahin nach Holz gegangen und haben die Monumente zerstört. – Es wurde zu spät bemerkt, was besser unterblieben wäre. Ich klage uns darob nicht an; wahrlich, wir waren alle des menschenfreundlichsten Sinnes, und ich glaube nicht, daß Europäer sich gegen fremde Völker, gegen »Wilde« (Herr von Kotzebue nennt auch die Eskimos »Wilde«) musterhafter betragen können, als wir allerorten getan; namentlich unsere Matrosen verdienen in vollem Maße das Lob, das ihnen der Kapitän auch gibt. – Aber hätte dieses Volk um die geschändeten Gräber seiner Toten zu den Waffen gegriffen: wer mochte da die Schuld des vergossenen Blutes tragen?


Die Ankunft einer zahlreichen Schar Amerikaner, die von der Gegend des Kap Betruges auf acht Baidaren anlangten und ihr Bivouak uns gegenüber aufschlugen, beunruhigte uns während der Nacht. Ihre Übermacht gebot Vorsicht; wir hatten Wachen ausgestellt und die Gewehre geladen. Wir nahmen gegen sie die Stellung an, in der sich kurz zuvor einer von ihnen gegen uns gezeigt hatte. Einem lästigen Besuch auszuweichen, ließ der Kapitän noch bei Nacht das Bivouak abbrechen und zu den Rudern greifen. Aber es war die Zeit der Ebbe, und das Meer brandete über Untiefen, die wir bei hoher Flut nicht bemerkt hatten. Der Kapitän scheint unsere Lage für sehr mißlich gehalten zu haben. »Ich sah keinen Ausweg, dem Tode zu entrinnen«, das sind seine Worte. Ich war freilich auf der Baidare, die nur geringerer Gefahr ausgesetzt gewesen sein mag. Indes setzte der anbrechende Tag unserer Verlegenheit ein Ziel, und wir erreichten, nicht ohne große Anstrengung von seiten der Matrosen, wohlbehalten das Schiff.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise um die Welt