Kapitel

Obwohl der Herbst mit seinen Regenstürmen begonnen hatte, entschloss ich mich doch eine Küstenreise bis Hammerfest zu machen und die letzte diesjährige Fahrt des Dampfschiffes "Prinz Gustav“ zu benutzen, um auf diesen äußersten Norden einen raschen Blick zu werfen.

Die Einrichtung einer Dampfschifffahrt um die Küsten von Nordland und Finnmarken ist die größte Wohltat für diese fernen Gegenden. Bis vor acht Jahren konnte man nur zu Lande durch einen Teil des Nordtrondhjemsamts, dann hörte die Kommunikation auf, oder sie wurde wenigstens so schwierig für die Reisenden, dass sie den Wasserweg vorziehen mussten. Aber dieser Wasserweg durch zahllose Klippen und Sunde zwischen den Inseln und Fjorden war unendlich langweilig und ermüdend. Er musste im offenen Boote von Station zu Station gemacht werden, oder in einer Nordlandsyacht, und man brauchte mindestens so viele Wochen zu dem Wege bis Tromsöe und Hammerfest, als jetzt Tage nötig sind. Man darf nur die Reise Leopolds von Buch lesen, der obendrein den größten Teil derselben an der Nordküste hinauf in Gesellschaft eines neu ernannten Oberbeamten machte, um von diesen Mühseligkeiten eine Anschauung zu erhalten. Jetzt geht Alles leicht und rasch. Ein Dampfboot von hundert Pferde Kraft, ein kleines, aber starkes Schiff, windet sich wie eine Schlange durch diese Felsen- und Wasserlabyrinthe. Ein trefflicher Offizier der norwegischen Marine befehligt es, ausgesuchte tüchtige Seeleute bilden seine Besatzung, zwei Lotsen, die jeden Zoll dieses gefährlichen Weges kennen, sind beständig am Bord und leiten die Bewegungen. Das Schiff selbst und seine Maschinen sind von der besten Art, und die Regierung hat durch Ausrüstung und Sicherheitsmaßregeln, Leuchttürme und Nothäfen Alles getan, um Unglück vorzubeugen. Der Prinz Gustav beginnt im März seine Fahrten, wo er zuerst bis Bodöe in Nordland, dann bis an die Gruppe der Lofodeninseln unter dem Polarkreis, endlich bis Tromsöe, dem Handelsplatz, unter dem 69. Grad und zuletzt bis Hammerfest 70° 40’ vordringt, dem letzten Emporium der Kultur Europas. Dahin werden die Reisen während der guten Jahreszeit fortgesetzt, und im September, wo die Winterstürme beginnen, geschlossen. Da nun während der Sommermonate in diesen hohen Breiten die Sonne nicht untergeht, doch auch wenn sie unter den Horizont tritt, eine starke Dämmerung bleibt, so kann das Dampfschiff bei Tag und bei Nacht fahren und braucht daher gewöhnlich zur Hin- und Rückfahrt mit allem Aufenthalt nur 14—15 Tage, in welcher Zeit es einen Weg von 372 Meilen macht. Die gerade Bahn würde nicht viel über 300 Meilen betragen, allein der Dampfer ist ein Post-, Fracht- und Reiseschiff; es führt die Briefe und Waren nach den bestimmten Stationen, wie weit diese auch von der geraden abliegen mögen, und von diesen Häusern auf den Klippen, Schären und Inseln werden sie dann den Eigentümern im Lande zugestellt. Daher entstehen bedeutende Umwege. Aber aller Verkehr, alles Leben der Menschen ist in diesen zahllos zersplitterten Buchten und Küsten zusammengedrängt. Auf den Inseln in der Tieft der Fjorde, und in den oft fruchtbaren Felsentälern, welche in diese münden, wohnen die Fischer und Ackerbauer; je weiter hinein ins Land, je geringer wird die Bevölkerung, und endlich hört sie ganz auf, endlich folgt die unermessliche braune kahle Wüste, wo Renntiermoos das Trümmergestein überwuchert, und die Moltebeere mit ihren rotgelben saftigen Früchten in meilenlangen Feldern die Sümpft bedeckt.


Norwegen wird je schmäler, je breiter die Halbinsel über den 67° in das nördlichste Europa verläuft, und zieht sich endlich wie ein Felsengürtel zwischen öden Klippen bis zur letzten derselben, dem Nordkap, an der Westküste hin. Den ganzen andern Teil dieser eisigen hohen Sumpfsteppen hat das unersättliche Russland an sich gezogen, das niemals aufhört, Völker- und Länderverschlingende Plane zu hegen, und von der Natur bestimmt zu sein scheint, einst eine neue Phase der Entwickelungen des Menschengeschlechts heraufzuführen, wenn in dem Bauche des Kolosses einst die Schwärme seiner Sklaven sich in freie Männer verwandeln.

Man hatte mir die Reise nach Hammerfest vielfach widerraten. Ausbeute, sagte man mir, gewähre sie nicht viel; nichts sei hier, als eine Unermesslichkeit schwarzer Felsen und die wütende See, welche deren Sohlen in Schaum zerpeitscht. Und nun sei es spät im Jahre, das Dampfboot brauche zwanzig Tage, Stürme und Regengüsse würde n uns verfolgen und allen Genuss aufheben; endlich sei der Prinz Gustav selbst auf so lange Zeit kein empfehlender Aufenthalt, überdies die Reise teuer, denn mit Passagiergeld und Kost gingen hundert Thaler darauf.

Alle diese Einwände sind wahr, und doch bedaure ich keinen Augenblick, diesen Ausflug in den hohen Norden gemacht zu haben. Was mich lockte, hat vielleicht für Andere weniger Reiz. Aber ist es nicht genug, den Bau dieser merkwürdigen Küste zu bewundern, diese schwarzen charakteristischen Felsen, dies ewig brandende Meer zu durchfurchen, diese Unermesslichkeit von Klippen, von nackten seltsamen Fjellen mit erschrockenem Auge zu durchwandern, dies Grauen vor einer Schöpfung zu empfinden, welche nirgend so wild und fürchterlich erscheint, wie hier, und endlich dies vereinsamte Wüstenleben der Menschen zu betrachten, welche es gewagt haben, hier zu atmen, glücklich zu werden und zu sterben?!

Und wie viel Schönes und Erhabenes habe ich gesehen! Ja, diese Nordlandküsten, Salten und Lofoden sind so reich an wunderbarer Pracht und Herrlichkeit, dass man ihretwegen schon hinreisen müsste. Man hat kein vollständiges Bild von Norwegen, wenn man diesen Norden nicht besuchte, das Natur- und Menschenleben hier nicht kennen lernte, welche unvergessliche Erinnerungen zurücklassen.

Am 2. September an einem trüben Morgen, der einer wilden Sturmnacht folgte, lichtete der Prinz Gustav die Anker und lief den Fjord hinab. Ich befand mich krank an einer heftigen Erkältung, welche häufig den Fremden in Trondhjem befällt. Bei der Gastlichkeit, die ihn empfängt, muss er sehr vorsichtig in seinem Schutz sein. Milde Luft und Sonnenschein wird hier oft plötzlich von kaltem Regen und schneidendem Wind verdrängt, doch ist es auch ohne diesen gefährlich, nach einem guten Diner leichtgekleidet nach Haus zu gehen. Ich hatte jedoch mein Billet bis Hammerfest bereits genommen und mit ein und zwanzig Speziesthalern bezahlt, auch wäre ich nicht zurückgeblieben ohne die allerdringlichste Notwendigkeit. Auf der See verging mein Leiden bald. Der Fjord warf uns in seinem Wellenschlag tüchtig auf und nieder, aber der Wind war uns günstig und half uns vorwärts. Es wimmelte auf dem Schiff von Menschen aller Art. Im Vorderraum waren viele Land- und Seeleute, welche meist nach den nächsten Stationen wollten. Frauen und Kinder saßen dort auf den Bänken und suchten Schutz unter Segeln und Seitenkajüten: das Mittelschiff lag voll Ballen, Kisten und Kasten, welche in dem Raum aufgestaut werden sollten, das Hinterdeck war nicht minder besetzt von Passagieren der großen Kajüte. Damen und Herren waren so zahlreich vorhanden, dass viele während der Nacht kein Bett bekamen. In solchem Gewühl wurde der erste Tag verlebt, während dessen das Schiff nicht aus dem Fjord kam.

Von Trondhjem bis Valdersund sind zwölf Meilen; dort öffnet sich der Meerbusen und läuft in das Atlantische Meer aus, dessen hohe Wellen oft mit Ungestüm hereinbrechen. Wie oft schon haben Reisende in Norwegen es beklagt, dass ihnen der Anblick des offenen Meeres niemals gewährt worden, und in der Tat kann man dies auch nie erblicken, denn die Fjorde dringen bis zwanzig Meilen tief ein, und überall ist die Küste furchtbar zerrissen und mit Felsenreihen und Inseln so pallisadiert, dass man weite Reisen machen muss, um den freien Ozean zu entdecken. Auf der Reise bis ans Nordkap ist es wenig anders. Das Dampfboot entfernt sich nicht von der Küste, es läuft zwischen den mäandrischen Windungen der Schären, Inseln und Fjorde hin und nur drei Male durchschneidet es die offene See und kämpft mit den Wogen des Atlantischen und des nördlichen Eismeeres.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise durch Skandinavien. Band 2