10. Kapitel - Dritte Fortsetzung

So lange wir an der Trondhjemsküste hinfuhren, hatten die Ufer wenig pittoreske Reize. Niedrige Felsen, bald in langen eintönigen Linien, bald in wilder Zerrissenheit, folgten sich unaufhörlich und stimmten zu den Inseln und Klippen, über welche die brandenden Wogen stürzten. Zuweilen sah man große Fjorde tief ins Land setzen, und in einem der tiefsten derselben, im Lyngenfjord, mündet der größte Fluss des nördlichen Norwegens, der Namsen, in welchem der reichste Lachsfang getrieben wird. Zahllose Buchten und Einschnitte besetzen diese Küste, und überall schlagen die Wellen an den nackten Fels, überall auch öffnen sich Schluchten und das Grün des Lebens dringt daraus hervor. Man erblickt weidendes Vieh, Fluchtfelder, die Wohnungen der Menschen, und söhnt sich mit den Gedanken aus, die einen Schauder über solche Heimat hervorrufen. — Der bloße Anblick entscheidet nichts. Auf dem dürrsten, ödesten Felsen kann das Glück wohnen; aber dennoch bleibt es wahr, was mir ein Freund auf dieser Fahrt sagte, der sein Vaterland genau kennt. Drontheim, sagte er, ist der letzte Ort im Norden, wo ein Mensch von Bildung wohnen und leben kann, ohne geistig zu verkümmern. Drüber hinaus können nur Kaufleute aushalten, die der Handel alles Andere vergessen lässt, Sorenskriver, der gut bezahlten Stellen wegen, und Pastoren aus derselben Ursache. Wer aber kann, macht sich bald fort und sucht nach dem Süden zu entkommen. Je weiter gen Norden, je fürchterlicher, je öder, je niederschlagender und schwermütiger wird das Land, bis endlich in den Wüsten Finnmarkens der Mensch von Gefühl, wie Leopold von Buch so schön und wahr sagt, schnell stirbt.

Aber diese grauenvolle Öde ist nicht erst unter dem siebenzigsten Grade zu suchen, sie beginnt weit früher; sie ist mit allen ihren Schrecken dem hohen Kern des Landes aufgedrückt; an dieser ganzen fürchterlichen Küste, deren Schweigen so selten unterbrochen wird, begleitet uns meist der Gedanke trostloser Verlassenheit.
Viele Stunden peitschen die schnellen Räder des Schiffes die Flut und keine Hütte zeigt sich am Ufer, kein Nachen schwankt auf den Wellen, dann windet es sich durch Klippenlabyrinthe, und plötzlich auf einem breiten Becken, oder in schmaler Meeresstraße, fährt eine Nordlandyacht mit schwarzumsäumtem weißem Segel. — Vor hundert Jahren starb in Helgeland ein Priester, der so beliebt war, dass das arme Seevolk zum Andenken seines toten Freundes die Segel der Barken schwarz umsäumte. Und diese Gedächtnisfeier hat sich nicht nur erhalten, sie wurde auch nachgeahmt; jetzt haben viele Jachten den schwarzen Saum und die meisten Nordländer wissen nichts von dem alten toten Pfarrer in Helgeland. So entstehen die Sitten und Gebräuche unter den Menschen!


Die Jacht mit ihrem ungeheuren Segel verschwindet bald. Sie gehört einem Kaufmann, der in den Klippen irgendwo sein Haus hat, und sie kommt von Drontheim oder Bergen mit Vorräten aller Art beladen, mit Kartoffeln, Mehl und allen Lebensbedürfnissen, oder mit Holz zum Hausbau, oder tiefer im Norden mit Brennholz, das sie aus den Fjorden geholt, wo Tanne und Fichte in geschützten Tälern wachsen. Das Dampfboot ist wieder allein, zwischen den seltsamen Felsenbecken, zwischen Brandungen und Wogengebraus, und oft schließen sich die Felsen so dicht zusammen, dass nirgend ein Ausweg möglich scheint. Das Steuer lenkt das Schiff gerade auf fürchterliche Felsenwände los, welche schwarz und glatt aus der Meerestiefe steigen, und schon glaubt man den Augenblick nahe, wo das Bugspriet daran zertrümmern wird, da zeigt sich eine schmale Meeresstraße, ein Pass, kaum breiter als das Fahrzeug. Und jenseits liegt ein neues Labyrinth, neue Klippen, neue finstere Seespalten, träumerische geheimnisvolle Pfade, von denen man meinen kann, keines Menschen Fuß habe sie je betreten. Plötzlich aber steht ein Leuchtturm mitten im brandenden Meere, und dort in tiefer Bucht liegt das Haus des Kaufmanns.

In Nordland und Finnmarken ist der Kaufmann der Versorger und Erhalter, der helfende Engel und der Vampyr des Landes. — Der Normann, der Quäner und der Lappe sind ihm in gleicher Weise tributpflichtig. Wie an der tieferen Westküste der Fischer Schulden macht auf den Heringsfang, so schuldet der Nordländer, oder der Finne an den Sunden, dem Kaufmann Jahr aus Jahr ein und bringt ihm, was er fängt, auf Abschlag. Die große Abrechnung ist jedoch der Fischfang auf Lofoden, von dessen Eigentümlichkeiten wir bald reden werden. Der Kaufmann borgt und macht die Rechnung, so lange « die Aussicht hat, sein Geld mit reichlichen Prozenten wieder zu erhalten; er gibt Mehl und Fleisch, Kleidung und jedes Lebensbedürfnis aus seinem Magazin , vor allen Dingen Branntwein! So sorgt er dafür, dass der Fischer, träge und gedankenlos, wie er ist, nie auf einen grünen Zweig kommen kann. Ist jener endlich herabgekommen, dass er keine Aussicht auf die Zukunft mehr hat; kann er nicht mehr nach Lofoden fahren, ist er alt und entkräftet, dann fasst der Kaufmann zu, nimmt ihm die Hütte, das kleine Feld, die Kuh, das Boot, treibt ihn aus in das, nackte Elend und teilt mit dem Sorenskriver, der den Prozess gegen hohe Sporteln führt, und für den Pfarrer die Zehnten eintreibt. — Die Sorenskriver hier haben zuweilen drei bis vier tausend Species Einkommen, die Pfarrstellen sind die besten mit im Lande. Es gibt eine in Ostervaage auf Lofoden, welche durch den Fischzehnten auf 6.000 Spezies steigt, ja selbst die Pfarrer in Finnmarken unter den Lappen bringen 800 bis 1.000 Spezies, auch mehr noch ein. Die Kaufleute aber sind meist vermögend und manche selbst reich zu nennen; denn hier auf den öden Klippen, umrauscht von den Meereswogen, ohne allen Genuss ihres Geldes, haben sie zuweilen hunderttausend Spezies und mehr erworben. Sie sind die Einzigen ja auch, denen das bare Geld zugeht, und Sie behüten es, wie Faffners Drache den goldenen Hort. Der Fischer bekommt nichts in die Hand; im glücklichsten Falle tilgt er seine Schulden in des Kaufmanns Buch und empfängt den Rest in Waren, oder er wird ihm gut geschrieben, als neuer Kredit.

Ich habe schon früher angeführt, wie in Bergen in der guten alten Zeit es der dortige Kaufmann ganz eben so mit dem Nordländer machte, dem er nichts gab als Waren für seinen Fisch; wie aber nach und nach diese Nordländer Herrn klüger wurden, und jetzt regelmäßig für einen Teil ihrer Ware klingendes Silber mitnehmen. — Der Tauschwarenhandel hat sich daher teilweise in einen Tausch gegen bares Geld umgekehrt, und jetzt wird dies auch schon in Tromsöe und an anderen Orten nachgeahmt, wo einige Kaufleute den Tran und die Fische der Bauern bar bezahlen. Allein dies Beispiel ist ein geringes; noch sehr lange wird der Kaufmann in Nordland den armen Fischer zu seinem Heloten machen, ihm schlechte, teure Waren geben, ihn wechselseitig erhalten und aussaugen, und die Pest dieser wilden Küsten sein, ohne dass es doch geändert werden kann. Denn wie will der Lappe in den Finnmarken und der Normann, den die Norweger selbst hier entartet nennen, leben ohne jene gewinnsüchtigen Beschützer, welche allein die Mittel haben, ihm zu geben, was er braucht? Würde er Geld so bekommen, würde er nur Branntwein dafür kaufen; jetzt empfängt er doch die nötigen Lebensbedürfnisse, und in Finnmarken kommen die Russen von Archangel und Kola und bilden mit ihrem Fischkauf eine wichtige Konkurrenz gegen die Kaufleute, welche an Bedeutsamkeit mit jedem Jahre wächst.

Das Dampfschiff läuft auf seiner Reise bis Hammerfest an drei und dreißig Stationen an, wo es Waren und Briefe ausliefert und neue empfängt; dafür ist ein besonderer Beamter am Bord, der die Listen führt und das Geschäft besorgt. An diesen Stationen versammeln sich auch die Reisenden, sie werden aus- und eingeschifft in den Booten, welche vom Ufer kommen, aber nirgend ist der Aufenthalt länger, als dazu nötig, und nur an einigen Punkten, oder von Notwendigkeit, von Sturm usw. gezwungen, wird Rast gemacht. — Bei manchen anderen Kaufmannshäusern in den Sunden fährt das Schiff vorüber, wer aber von dort mit will, muss sich nach den Stationsplätzen begeben, und die Leute haben wohl öfter ziemlich weite Reisen zu machen. — Zuweilen liegen jene kleinen Handelsplätze malerisch in den Tiefen der Buchten, in einem Halbkreis von nackten Felsen und roten Klippen zwischen dem Grün der Wiesengründe und Ackerstücke, oder auch unter dem Schutz hoher Wände, wo Birkengebüsch lieblich und dicht aufsteigt. — Die Packhäuser stehen auf Pfählen an der Bucht, damit Schiffe und Boote bequem laden und ausladen können, und vor ihnen wiegt sich wohl eine Jacht, oder mehrere, oder sie liegen am Ufer auf der Seite, um ausgebessert zu werden.

Solche Kaufmannsstelle ist von Wichtigkeit, denn es gehört ein Privilegium dazu, besonders was den Kleinhandel an die Fischer betrifft. Es sollen nichtmehr im Lande sein, als nötig, damit jede den gehörigen Kreis ihrer Wirksamkeit habe. Der Voigt hat das zu untersuchen und der Amtmann die Bestätigung oder Verweigerung zu erteilen. Aber so wild und vereinsamt diese Natur ist, so fehlt es ihr doch nicht ganz an ihren freundlichsten, buntesten Kindern, den Blumen, und an der tief der Menschenbrust eingeimpften Liebe, sie zu pflegen. Es hat mich oft gerührt und erfreut, wenn das Schiff neue Gäste erhielt und diese an Bord stiegen, große Blumensträuße in der Hand, welche sie fernen Verwandten und Freunden zum Geschenk überbrachten. Mit Stolz wies man mir Nelken, Reseda, Astern, Goldlack und Rittersporn, die hier im Freien gewachsen, und in der Tat schien dies wunderbar genug, je weiter wir über den Polarkreis hinaus kamen und je öder und fürchterlicher der Anblick des Landes war.

Oft habe ich mit Erstaunen nicht nur diese Kontraste der Natur, welche sich dicht berührten, sondern auch die Kontraste der Menschen, welche jene bewohnen, betrachtet. Dies Schiff mit seinem engen Raume bot Stoff zu manchen Vergleichen. Menschen von Bildung und Kenntnis, gleichsam höher geartete Wesen, deren Sitten und Anstand sie vertraut mit der Welt zeigten und deren Kleider drei oder vierhundert Meilen südlicher gemacht waren, bewegten sich hier zwischen den Lederröcken nord- und finnländischer Pastoren und Voigte, oder zwischen der derben Einfachheit tabakkauender Händler aus den Inseln und Fjorden. Damen mit Hüten und Schleiern, welche aus dem Süden des Landes, aus Christiania und Bergen ihren Männern in diese Einöden folgten, saßen neben den rüstigen starkknochigen Töchtern und Frauen nordländischer Notabilitäten, welche den modischen Putz der gebildeten Welt möglichst gut nachahmten. Und wenn nun auch auf dem Hinterdecke sich die Unterschiede mehr ausglichen, durch das Band gleicher Abstammung und den Schimmer derselben Zivilisation, so traten auf dem überfüllten Vorderdeck die verschiedenen Nationalitäten um so greller auf. Nordländische stämmige Fischer in ihren Kappen und weiten Jacken standen neben den höheren, kräftigeren Seeleuten, welche zwölf Grad südlicher geboren waren; der Quäner mit seinem oft riefenhaften Wuchs und harten bösblickenden Augen sah trotzig auf den armen Lappen im braunen gegürteten Hemd, der, der Verachtung sich bewusst, die ihm gezollt wird, ängstlich und schweigsam sich in eine Ecke des Bollwerks drückte. Denkt man zwischen diesen Gruppen nun hübsche Dirnen aus Helgeland in weiten Röcken und langen blonden Flechten, dienstsuchend, nach den Lofoden, oder Tromsöe, übers Meer fahrend, Fischerweiber in schmutzigen Pelzen, an den verschrumpften Halsseiten die braunen Spuren der Lepra, Kinder, größer und kleiner, schreiend auf den Armen ihrer Mütter, endlich dänische Schauspieler und italienische Juden mit Leierkasten, welche über Nordland nach Archangel zogen, so hat man ein schwaches Bild von den mannigfachen Kontrasten und dem Getümmel dieses Reiseschiffs, das so viel verschieden gestaltetes Leben herbergt.

Auf der Rückfahrt besonders war es überfüllt. Ein großer Teil fand keinen Platz unten im Raume; so lagen sie auf dem Deck reihenweis hingestreckt, in der Nähe des Schornsteins, und wie sie es aushalten konnten in den langen Sturm- und Regennächten, mag der Himmel wissen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Reise durch Skandinavien. Band 2