1. Begrenzung des Potsdamer Barockstils.

Das Barock ist eigentlich ein römischer Stil. Seine Entwickelung aus der Hochrenaissance hat Wölfflin nachgewiesen. Bis auf die Zeiten Fugas und Juvaras, also bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, hat er in der italienischen Hauptstadt und im Norden wie im Süden Italiens seine Herrschaft geübt.

In Frankreich fand er seit Ludwig XIII. seine Stätte, aber daneben wirkte der Geist der Hochrenaissance fort. Hier hatte die Regelrichtigkeit einen Halt an der Königlichen Akademie für Architektur. Lebrun war der Vertreter einer mehr barocken Richtung und eines stark dekorativen Stils. Von 1660—1682 ist sein Einfluss wirksam. Neben ihm war der Akademiedirektor François Blondel der Ältere (1618 bis 1686) von Bedeutung, er verkörpert die echt französische, verstandesmäßig klare, regelrichtige Art: ,,la raison“. Genialer als dieser bildete Claude Perrault, der Übersetzer des Vitruv, der Schöpfer der Louvrekolonnade, eine klassizistische Gattung für sich. Jules Hardouin-Mansart (1690 — 1708 tätig) vereint barocke Motive mit solchen der Hochrenaissance. Sein Invalidendom, die Gartenfassade von Versailles, die Schlosskapelle daselbst, zeigen ein starkes Streben nach klassisch-harmonischer Wirkung und die Anwendung der Säule in glücklicher, der Hochrenaissance entsprechender Weise. Die Außenarchitektur des Doms wie der Kapelle dürfte dem Barock zuzuweisen sein, die Gestaltung des Innenraums wirkt klassisch bis zur Kühle. Die französische Kunst zeigt also neben starker Neigung zum Klassizismus doch nachdrückliche Züge des Barock, auch sie kann sich somit der Zeitströmung nicht entziehen.


Der englischen Baukunst von 1600 — 1750 hat man die barocken Züge abgesprochen. Die Engländer selber sprechen nicht vom englischen Barock, sondern von englischer Spätrenaissance. Nicht mit Unrecht. Viel stärker als in Frankreich ist hier der Klassizismus der Hochrenaissance zur Geltung gekommen. Inigo Jones und Christopher Wren sind von ihm beeinflusst. Bramante, Bernini und Ammanati haben Vorbilder abgegeben. Immerhin sind bei Wren gewisse Neigungen zum Barock festzustellen. Da ist vor allem die Gartenseite des Schlosses Hampton Court, da sind die malerischen Umrisse seiner Kirchen und die beiden nicht eigentlich klassisch wirkenden Kuppeltürme des Greenwicher Hospitals. Wrens Schüler Hawskmoor ist dem Meister auf diesen Wegen gefolgt. Der Architekt der Zeit Königin Annas war Vanbrugh. Seine Schlossbauten, Schloss Blenheim bei Woodstock für den Herzog von Marlborough, Castle Howard bei York tragen unverkennbar trotz einzelner Regelrichtigkeiten einen barocken Charakter. Seit dem Tode Vanbrughs (1726) und Hawksmoors trat dann wieder eine stärkere klassizistische Richtung hervor, ließ doch schon 1728 Robert Morris sein Werk: ,,Defense of ancient architecture“ erscheinen. Das Barock ist also in England nur Episode geblieben und selbst da, wo wir barocke Eindrücke empfangen, waren die Künstler darauf aus, klassisch zu wirken.

Auch in Holland herrschte eine Spätrenaissance mit barocker Wirkung nur bi zur Mitte des 17. Jahrhunderts, dann setzte mit Campen (Rathau zu Amsterdam) und J. Vingboons (Trippenhuis, Amsterdam) der klassizistische Stil ein, der an den Renaissancebauten Andrea Palladios orientiert war.

Süddeutschland entwickelte unter vornehmlich italienischen, dann auch französischen Barockeinflüssen einen eigenen Barockstil; gewisse klassizistische Details weisen nur Fischer von Erlachs Wiener Bauten auf.

Norddeutschland, vor allem Preußen, unterlag der Einwirkung Nordwest-Europas. Daher sind in Potsdam genau wie in den westlichen Nachbarstaaten im allgemeinen Rahmen der Barockentwickelung klassizistische Details stark vertreten. Unter dem großen Friedrich Wilhelm wie unter Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. wirken Schüler Fr. Mansarts. Er ist der Hauptvertreter einer spezifisch französische n Barockrichtung. Somit wäre die Epoche vor Friedrich II. wesentlich als barock bestimmt. Unter dem dritten König wird zwar durch persönliche Liebhaberei des Herrschers sogar eine starke Anleihe bei der italienischen Hochrenaissance gemacht. Immerhin, die allgemeinen Züge sind auch hier die des Barockstils. Die Bevorzugung des Kraftvoll-Wirksamen in der Raumbildung wie im Schmuckwerk, die Betonung der malerischen Augenwirkung, sie sind das beherrschende Moment in der ganzen Epoche von den Tagen des Großen Kurfürsten bis zum Tode des Großen Königs.

Dazu kommt seit 1740 die Parallelströmung des ursprünglich französischen Rokoko.

Es ist in Deutschland eine Begleiterscheinung des Barocks. Soweit es Innenarchitektur ist, zeigt es in Potsdam ganz eigenartige deutsche Züge, die es sehr wesentlich von dem französischen Rokoko unterscheiden. Besonders das dekorative Gebiet wird von den Deutschen in stark charakteristischer, z. T. überladener und naturalistischer Weise erweitert. Die eigentlich architektonische Raumbildung zeigt sich hier in hoher Vollendung. Eine Wirkung auf die Außenarchitektur hat das Rokoko nur in seltenen Fällen gehabt, aber ganz fehlen sie auch in Potsdam nicht. Als Begleiterscheinung des Barocks tritt das Rokoko in Deutschland bis in die 70 er Jahre des 18. Jahrhunderts auf; auch Friedrich der Große lässt es noch beim Bau der Neuen Kammern 1774 durch Gontard anwenden. Damals war es in Frankreich längst von dem klassizistischen Stile überwunden, schon 1750 war seine Macht gebrochen.

Am 2. Mai 1757 bereits überreichte Soufflot dem Könige Ludwig XV. den folgerichtig klassischen Entwurf zur Kirche der heiligen Genovefa, dem späteren Pantheon. Das System dieser Kirche wandte Gontard in seiner Weise auf die Türme des Gendarmenmarktes zu Berlin an. An ihnen können wir erkennen, daß der Meister trotz aller klassischen Details doch noch dem Barock angehört. Nur im Barockstil war es möglich, das Innere eines Gebäudes zugunsten seiner malerischen Außenwirkung so zu vernachlässigen, wie es hier geschah. Die beiden ,,Dome“, wie man sie nannte, haben gar keinen Zweck als Raumgebilde, ihr Inneres ist nach allen Richtungen für Wohnungen verbaut. Sie sollen nur den Platz schmücken; es sind reine Kulissen, die nur der schönen Wirkung wegen da sind. Hinter ihnen stehen die kleinen, unscheinbaren Kirchengebäude. Außen sehen wir zwar das System des Pariser Panthéon ziemlich genau befolgt. Messen wir es aber an der gleichschwebenden Harmonie von Soufflots Werk, so finden wir alle Verhältnisse kraftvoll in die Höhe gesteigert. Aus der Tempelform des Kuppelbaues ist ein gewaltig steigender Turm geworden. Nicht Harmonie ist das Ziel des Barock, sein Wahlspruch lautet: ,,Schönheit ist Kraft.“ Das tritt nirgends so deutlich hervor, wie bei den Gendarmentürmen. Nicht ohne Berechtigung dürfen wir daher die Epoche des Barockstils bis zum Jahre 1786 ausdehnen. Somit steht Potsdams Baukunst vom Großen Kurfürsten bis zum Großen König im Zeichen des Barockstils. Etwa ein Jahrhundert lang (von 1682 — 1786) hat er die Herrschaft behauptet.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Potsdamer Baukunst