2. Erster Abschnitt des Barockstils. Französische und holländische Einflüsse.

(Kurfürst Friedrich Wilhelm, König Friedrich I., König Friedrich Wilhelm I.) 1682-1740.
Französische und holländische Einflüsse.


In dem Potsdamer Barock lässt sich zunächst ein erster Zeitabschnitt von 1682 — 1740 feststellen und in ihm eine französische und holländische Strömung verfolgen, die sich gelegentlich kreuzen, für gewöhnlich nebeneinander hergehen. Der Grundriss des Stadtschlosses, das unter Friedrich dem Großen unter Erhöhung der Seitenflügel umgebaut wurde, rührt von Philipp de Chieze her. Unzweifelhaft geht seine Schlossanlage mit dem Hauptgebäude, den Flügeln, dem Hofabschluss nach der Stadt zu auf französische Schlossanlagen zurück. Die Schule Mansarts ist hier deutlich zu spüren. Aber noch eine zweite Richtung findet sich im Gesamtaufbau des Schlosses, die holländische Kunst. Der Mittelbau zeigte nach alten Bildern einen großen Aufsatzturm, dem an beiden Enden des Gebäudes kleinere Seitentürme die Wage hielten. Dieser Mittelturm erinnert lebhaft an das Huis ten Bosch beim Haag. Schon 1645 erschien darüber eine Kupferstichveröffentlichung. Auch direkte Einflüsse sind anzunehmen. Ließ sich doch die Schwiegermutter Friedrich Wilhelms, die Gemahlin des Prinzen Friedrich Heinrich von Oranien, eine geborene Gräfin Solms, jenes Schlösschen als Witwensitz erbauen. Noch heute hängt eine alte Abbildung davon im Stadtschloss. Auch die reiche Ausstattung des Mittelsaales als Ruhmeshalle kann an den Oraniensaal des Huis ten Bosch erinnern, der die Siege Friedrich Heinrichs verherrlicht. Allerdings war der Saal in Potsdam durch seine Decke von dem Aufsatzturm getrennt, während man im Haag in die Kuppel hineinsehen kann. Auch der Gesamtanblick des Äußeren, wie ihn uns alte Bilder zeigen, erinnert mehr an holländische Landhäuser, als an französische Schlösser.


Die bedeutendste Künstlerpersönlichkeit neben Schlüter am Hofe des Großen Kurfürsten war zweifellos Johann Arnold Nering (†1695). Wahrscheinlich kannte er Holland, England, Frankreich und Italien aus eigener Anschauung. Aus italienischer Kunst heraus erwuchs ihm die Ausführung des Flügels an der Wasserseite des Berliner Schlosses. Jacob Campens gewaltiger Rathaussaal zu Amsterdam lieh Motive für den eigenartigen Alabastersaal der Berliner Residenz. Aber auch die akademische Richtung Blondels des Älteren in Paris war ihm nicht fremd, das zeigt die Orangerie, der jetzige Marstall in Potsdam. Der Triglyphenfries, die Kämpferbogenfenster, der Dachumriss deuten auf Frankreich. Nach Nerings Tode arbeitete Schlüter im Potsdamer Stadtschloss und stellte die prunkvoll großartige Deckengestaltung des Hauptsaales (Abb. 1) her, echt deutsches Barock. Unter dem ersten König verschwand auch der Aufsatzturm, an die Stelle der früheren steilen traten echte Mansartdächer, so daß dem ganzen ein mehr französisches Aussehen verliehen wurde. Das Marktportal (Abb. 2) war das Meisterwerk de Bodts, eine einzigartige Erscheinung unter den Schlosstoren Europas. Die Klassizität des Details ist französische Schule, auch an einem anderen Werke de Bodts, dem Japanischen Palais in Dresden, verleugnet sich die französische Herkunft von Blondel nicht.

Das Stadtschloss der zweiten Residenz Preußens zeigt seinem Grundrisse nach die Anlage des französischen Adelshotels im Sinne Mansarts: Hauptgebäude nach der Gartenseite (sogenanntes corps de logis), Nebengebäude schließen sich im rechten Winkel an; nach der Stadtseite zu werden ihre Ecken durch eine Mauer mit Tor oder durch ein reichgeschmücktes Portal geschlossen. Schon der Entwurf zum Palais de Luxembourg in Paris (1611 v. S. de Brosse) zeigt einen solchen Eingang. Nach England wurde diese Art des Schlossbaus im 17. Jahrhundert verpflanzt. Das berühmteste Beispiel für einen Hofabschluss ist (1710) der „gateway“ des Queenskollege in Oxford, klassizistisch als Tempelhalle mit Kuppelwölbung gedacht. Schöpfer ist Nicholas Hawksmoor (1667—1735), ein Kunstgenosse des großen Vanbrugh (Blenheim und Howard Castle). Beide hat de Bodt ohne Zweifel gekannt. Ein Phantasieprospekt von J. B. Broebes, Lehrer an der Berliner Kunstschule, zeigt einen ähnlichen Gedanken für eine Hofanlage, wie er in Oxford verwirklicht ist. Auf seiner Zeichnung ist dem schon vorhandenen Potsdamer Schlosshofe ein zweiter Hof vorgelagert, der durch ein säulengetragenes Eingangstor geziert wird. Durchaus selbständig und eigenartig ist die Schöpfung de Bodts. Das Zwingerportal, die wichtigste deutsche Ausprägung des ,, gateway“Typs (nach 1711), und das Tor am Queenskollege (1710) sind späteren Datums; sein Werk ist eins der ersten und bedeutendsten außerhalb Frankreichs. Auf einem quadratischen rustiken Unterbau erheben sich vier mächtige pilastergeschmückte Pfeiler. Auf ihnen stehen wuchtige Trophäen; die zierliche Kuppel mit der Statue der Fortuna scheint dazwischen zu schweben. Die Tragbalken dieser Kuppel werden von Säulen gestützt, die neben den Pfeilern fast zurücktreten. Palladio hätte nie so gebaut, aber wir haben hier etwas recht eigentlich Bodtsches vor uns. Fein und der Schule entsprechend sind die Details des Obergeschosses, barock und überraschend ist die dazwischen gespannte Wölbung. Man vergleiche den Zwingereingang: die Einzelheiten sind in Mannigfaltigkeit unübertrefflich und fügen sich harmonisch zum Ganzen. Die Einfachheit an unserem Portal ist in gleicher Weise wirkungsvoll.

In Potsdam ist damit ein Jahrzehnt vor Dresden etwas durchaus Eigenes geschaffen worden, wie wir es in Deutschland nicht wiederfinden.

Mit dem Mansartdach und dem zurückhaltenden Schmuckwerk der Fassaden Mansartscher Richtung wurden in der Stadt beim Bürgerhausbau selbständige Wirkungen erzielt. Alle vornehmen Bürgerwohnungen zeigen unter Friedrich Wilhelm I. diese Form, besonders am Stadtkanal finden sich zum Teil in Umbauten versteckt bemerkenswerte Beispiele. Philipp Gerlachs große Stadtschule (Abb. 3) beweist, bis zu welcher Eigenart die übernommenen Anregungen in musterhafter Verarbeitung gesteigert werden konnten. Die einfacheren Gebäude zeigen alle das eigentliche Potsdamer Gepräge, es sind zweistöckige Fünffenster-, in wenigen Fällen Siebenfensterhäuser mit dem herausgebauten Giebelzimmer in der Mitte des Daches. Holländische Einflüsse treten seit 1732, seit dem Eintritt Boumanna in preußische Dienste zutage. Im Kommandantenhaus, dem jetzigen Amtsgericht (Abb. 4) in der Lindenstraße, kreuzen sich Mansarts Einwirkungen mit dem neuen Ziegelbau in eigenartig reizvoller Weise. Das holländische Viertel für die Kolonisten, die kleine Gloriette im Bassin mit ihrer chinesisch-niederländischen Dachkonstruktion zeigen den engen Anschluss an das Lieblingsland des Soldatenkönigs. Auf Holland deuten auch die Kirchtürme und die Innenräume der Kirchen. Gerlachs Garnisonkirche mit ihrem typischen Querhause wie Gayettes Heiligegeistkirche, die auch als solches mit der Kanzel an der Langseite angelegt war, weisen auf die Beschäftigung mit der Kirchenbautheorie hin. Holland war darin schlechtweg vorbildlich. Der Mathematikprofessor Leonhard Sturm in Frankfurt a. O. hatte die Grundbedingungen im Anschluss an Professor Goldmann in Leyden abgeleitet. Goldmann vertrat im Turmbau eine strengere klassizistische Richtung als etwa der geniale Hendryk de Keyzer, sein Vorgänger. Diese Richtung ist dem Garnisonturm (1735) wohl anzumerken (Abb. 5). Eine mehr barocke Form dagegen trägt de Grahls Heiliggeistturm zur Schau (Abb. 6). Die Stadttore mit der Akzisemauer bezeichnen die Stadterweiterung Friedrich Wilhelms I. von 1733. Das einzig noch stehende aus dieser Zeit, das Jägertor, verrät in den toskanischen Pilasterbündeln an den Pfeilern leise französisch akademische Züge, ist aber sonst Potsdamer Barock. Innerhalb dieser Mauer war die neue Stadt von Friedrich Wilhelm als Soldatenlager geschaffen und bis auf einige Teile des holländischen Quartiers vollkommen ausgebaut. Es muss schließlich noch ein Wort über das Verhältnis der drei ersten in Potsdam ansässigen Herrscher zu der Havellandschaft um Potsdam gesagt werden. Seit den Tagen des Großen Kurfürsten ist Potsdam Lieblingsaufenthalt der Hohenzollern. Die mannigfachen Reize der Natur haben stets lebhaft die für alles Schöne empfängliche Seele der preußischen Herrscher berührt. Keiner von ihnen hat der freien und feinen Eigenart dieser Wasser-, Wald- und Hügellandschaft empfindungslos gegenüber gestanden, jeder sich in dieser Umgebung, auch wenn er in kein aktives Verhältnis zu ihr trat, herzlich wohl gefühlt. Hier war die Heimat, die schöne Heimat unserer Fürsten und die kindliche Naivität des kleinen Prinzen Friedrich, des nachmaligen ersten Königs, fand in einem Übungssatze, den er selbst zu bilden hatte, das treffende Wort: ,,Mein Herr Vater hat Potsdam sehr lieb. Es ist auch ein lustiger Ort. Ich bin gerne da und mein Bruder auch.“ Dieser ,,Herr Vater“ war der Große Kurfürst, der Erbauer des Potsdamer Stadtschlosses. Er hatte bei seinem Aufenthalt in Holland wohl seine Vorliebe für die weite Flächennatur jenes Landes gewonnen und fand sie hier in Potsdam wieder. So berührte sich sein Empfinden mit dem seiner Gattin Luise Henriette. Diese hatte ja in weiter, wasserdurchschnittener Ebene ihren Lieblingssitz Oranienburg. Auf dem Stadtschlosse zu Potsdam befand sich ein Aufsatzturm über dem großen Mittelsaale, eine Art Belvedere. Von ihm aus genoss man einen Blick auf das gesamte umliegende Gebiet, wie er schöner kaum sich bietet: die ganze hügelumsäumte Havellandschaft mit ihren breiten Wasserflächen. So brachte sich Friedrich Wilhelm ein großes, schönes Naturbild nach holländischem Muster nahe. Derartige Türme sind in jenem Lande nichts Ungewöhnliches; auch das Haus im Busch beim Haag, der Witwensitz der Schwiegermutter des Kurfürsten, wies ihn auf. Nur aus diesen Gründen ist der seltsame Aufbau an dem mittleren Schlossteil erklärlich; denn zu dem echt französischen Grundgedanken Chiezes für das gesamte Gebäude steht er in einem gewissen Widerspruch. Noch ein anderer Punkt in der Landschaft Potsdam gibt uns einen Anhalt für das Naturempfinden des Fürsten: der Garten des kleinen, jetzt verschwundenen Lustschlosses zu Bornim. Um das bescheidene Landhaus von der Hand Chiezes mit dem holländischen Frontgiebel erstreckte sich ein mäßig großer Obstgarten. Seine Ausdehnung ist gegenwärtig noch deutlich erkennbar. Seine Lage in der Ebene, umschlossen von zwei Hügeln, ruft ein Gefühl von ländlicher Freiheit und Traulichkeit wach. Das muss auch das Herz des Herrschers bewegt haben, wenn er hier, fern vom Treiben der großen Welt, ja, selbst dem der kleinen Stadt, seiner Liebhaberei für Obst-, Gemüseund Weinbau, sowie für die Fischzucht huldigen konnte. Nicht allzu ferne winkten die Wasserflächen der Havel und bildeten die leuchtende Grenze dieser stillen Schönheit des Landes. Auch Schloss Kaputh, das Chieze auf ein Geheiß Friedrich Wilhelms im französischen Landhausstil schuf, erweist noch heute ein feines Verständnis für die Ausnutzung des Fernblickes auf den breiten, seenartigen Lauf des Flusses. Wenn wir den Worten des Prinzen Moritz von Oranien Glauben schenken dürfen, so war es die Absicht des Kurfürsten, die ganze Insel Potsdam in eine geschmückte Landschaft, in ein Paradies zu verwandeln. Der Sohn des Herrschers, König Friedrich I., hat die Empfindungen des Vaters geteilt, das beweist jenes kindliche Wort, aber auch sein häufiger Aufenthalt in Bornim, auf dessen Dach nunmehr die goldene Königskrone glänzte. Friedrich Wilhelm I., mehr nüchtern und praktisch veranlagt, hatte doch als Liebhaber der Jagd seine Freude an den schönen Forsten um Potsdam; seit dem Beginn seiner Regierung weilte er oft und gern in der großen Pirschheide, im kleinen, bescheidenen holländischen Jagdhaus Stern (1731/32), das ihm seine Entstehung verdankt. Ländliche Stille genoss er in seinem Küchengarten Marly, in der Nähe jenes Hügels, der die schönste Aussicht auf die Umgegend gewährte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Potsdamer Baukunst