Verkündigung des Urteils an Alexei

Peter der Große war schmerzlich überzeugt, daß die Wohlfahrt des ihm von Gott anvertrauten Staates geboten habe, dieses öffentliche Gericht über seinen unglücklichen, verirrten Sohn zu verhängen.

Noch aber war er nicht entschlossen, ob dieses strenge Urteil feierlich eröffnet und ob es vollstreckt werden sollte, oder ob er Gnade für Recht ergehen lassen könne.


Katharina, die während des ganzen Laufs dieses unglücklichen Prozesses bemüht gewesen war, die Gesinnungen ihres Gemahls gegen den Sohn zu mildern, hatte auch jetzt den Zaren zu bewegen gesucht, daß er das Urteil dem Prinzen nicht förmlich verkündigen lassen, sondern den Unglücklichen sofort in ein Kloster einsperren lassen möge.

„Die Schande,“ sagte die kluge Frau und Fürstin, „welche eine solche öffentliche Verurteilung nach sich ziehen muß, würde auch die Kinder des Verurteilten treffen, und eines dieser Kinder kann es doch möglicher Weise sein, welches einst den Ruhm des russischen Thrones erhalten muß, da die schwache Leibesbeschaffenheit unseres Sohnes, des zum Thronerben ernannten Prinzen Peter, Demselben ein langes Leben nicht verspricht.“

Diese merkwürdige Vorahnung einer um ihren Liebling besorgten Mutter — die nicht lange nachher in Erfüllung gehen sollte — hatte auf Peter einen tiefen Eindruck gemacht. Er selbst erzählte damals diese Äußerung seiner Gemahlin dem Herzoge von Holstein.*)

Noch einmal kämpfte Peter den schweren Kampf zwischen der Nachsicht, welche das Vatergefühl, und der Strenge, welche die Regentenpflicht forderte. Vor seinen geistigen Augen gingen alle die Verbesserungen, welche Rußland seinem Genius zu danken hatte, vorüber, gefolgt von dem Gedanken, wie alle diese Schöpfungen zerfallen würden, wenn Alexei, dieser Vernichter des Fortschritts, ihn überleben, und vielleicht von seiner Partei auf den Thron gehoben werden sollte. Er dachte an den großen Römer Brutus, der seine eigene Tochter geopfert hatte. Dennoch vermochte er es noch nicht, sich für den Tod seines Sohnes zu entscheiden, aber bis zu diesem letzten entscheidenden Augenblicke wollte er der Gerechtigkeit ihren freien Lauf lassen. Des Sohnes Tod zu befördern, mochte dabei nicht seine Absicht gewesen sein; aber er hatte die Überzeugung, daß, wenn er am Leben bliebe, die Schmach der öffentlichen Verkündigung eines von mehr als hundert der bedeutendsten Männer des Staats gesprochenen Todesurteils das einzige Mittel sein würde, es ihm unmöglich zu machen, dereinst auf den Zarenthron erhoben zu werden. In diesem Spruche lag ja der moralische Tod, und kein Russe — so meinte er — würde ehrlos genug sein, einen so Geächteten als seinen Oberherrn anzuerkennen.

*)Wie Passewitz mitteilt in seinen Éclaircissements Burching's Magazin, IX. S. 318.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.