Tod Schermetjews und des Thronfolgers Peter Petrowitsch

Unter diesen ernstlichen Anstalten der neuen, dem Zar abgedrungenen Rüstung gegen Schweden und England endete das Jahr 1719.

Dieses Jahr war aber auch in anderer Weise schmerzlich und verhängnisvoll für den Zaren geworden durch den Tod seines bedeutendsten und liebsten Feldherrn, Schermetjews, und seines jetzt erst fünfjährigen Sohnes und ernannten Thronerbens Peter Petrowitsch.


Schermetjew starb in Folge einer langwierigen und schweren Krankheit zu Moskau am 17. Februar 1719. Peter hatte ihm in einem Schreiben vom 9. Oktober des vorhergegangenen Jahres geraten, die Heilbäder von Olonetz zur Wiederherstellung seiner zerrütteten Gesundheit zu gebrauchen, und ihm dazu den erforderlichen Urlaub gewährt. „Falls Ihr wirklich krank seid,“ hatte Peter halb scherzhaft und halb in Folge eines kleinen Misstrauens hinzugesetzt, „und so Ihr Euch nicht einbildet, es zu sein.“ Dieses Misstrauen aber war dem alten Kriegshelden ans Herz gegangen. Nachdem er dem Zaren Dank abgestattet hatte für die ihm erwiesene Gnade, fügte er hinzu: „Ich werde, laut Ew. zarischen Majestät Befehl, sobald ich zu reisen vermögend sein werde, mich nach Olonetz führen lassen, und von da, ich mag nun durch den Gebrauch des Wassers eine Erleichterung erhalten oder nicht, geraden Weges nach St. Petersburg abgehen. Aber meine Krankheit hat noch einen Zusatz erhalten, wodurch sie sehr vermehrt wird; mich kränkt nämlich der Gedanke, daß Ew. Majestät vielleicht an meiner Krankheit zweifeln und glauben könnten, daß ich Ew. Majestät nicht die treue Wahrheit schreibe und mich etwa zu meinem eigenen Vergnügen hier aufhalte. Es ist Ew. Majestät bekannt, daß ich außer Gott und Ew. zarischen Majestät, meinem Allergnädigsten Herrn, Niemand habe, und durch Ew. Majestät Gnade geehrt worden bin; wie sollte ich denn wohl am Ende meines Lebens mich der Falschheit schuldig machen?“ — und das Ende seines Lebens zeigte dem Zaren, daß seine Krankheit leider weder Verstellung noch Einbildung gewesen war.

Dieser Todesfall seines vieljährigen treu ergebenen - Freundes und Kriegsgefährten hatte den Zaren tief betrübt; aber weit mehr erschüttert hatte ihn der Heimgang seines geliebten jungen Sohnes Peter Petrowitsch. Es waren ihm damit viele schöne Hoffnungen zu Grabe gegangen.

So groß die Freude des Vaters über die Geburt eines Sohnes von seiner geliebten Katharina, des Zaren über die Geburt eines Thronerben gewesen — eben so groß war nun sein Schmerz bei dem Verluste Desselben. Drei Tage und drei Nächte blieb Peter einsam mit seinem Schmerze. Selbst seine Katharina wollte er nicht sehen. Er nahm weder Speise noch Trank, und Niemand durste ihm selbst über die wichtigsten Staatsgeschäfte Vortrag halten. Selbst eingegangene Berichte und Bittschreiben ließ er unerbrochen liegen. Tag und Nacht saß er am hölzernen Tische, den Kopf auf den Arm gestützt, in tiefes Hinbrüten versunken. Er war dem Wahnsinn nahe und hatte keine Gedanken, als: „Gott will es nicht, daß Deine Schöpfung bestehe; denn den jüngern Sohn, der bestimmt war, sie zu erhalten und auf die Nachwelt zu bringen, hat Gott der Herr abberufen von dieser Welt.“

Die Dentschiks hielten Wache vor seiner Tür, und hatten die strengsten Befehle, Niemanden, wer es, auch sei, zu dem Zaren zu lassen.

In einem Reiche, wo der Wille des Herrschers die Seele des Ganzen bildet, ist Alles gelähmt, wenn diese Seele gemütskrank oder untätig ist. Das Übel war groß; um so größer und stärker mußte der Charakter des Mannes sein, der hier helfend eingreifen wollte.

Selbst Katharina hatte es vergebens versucht, zu ihrem Gemahl einzudringen, um ihn durch Liebe und Vernunft wieder aufzurichten. Da wendete sie sich an Dolghoruki, auf dessen Mut und Entschlossenheit sie vertrauen durfte. In Folge einer Unterredung mit der Zarin rief Dieser den Senat zusammen, legte der Versammlung die drohenden Gefahren einer Gemütskrankheit des Zaren vor, und bewog die sämmtlichen Senatsmitglieder, ihm zu dem Zaren zu folgen.

Wie vorauszusehen war, verweigerte man dem Senate den Eingang. Doch mit Gewalt drang Dolghoruki ein, und alle Übrigen folgten ihm.

Der Zar richtete sich rasch auf, und mit drohender Geberde rief er: „ Was wollt Ihr hier? Marsch — fort, bei Todesstrafe, bis ich Euch rufen lasse!“

Der edle Dolghoruki aber trat dennoch vor, und sprach mit dem schon bei einer frühern Gelegenheit bewiesenen Freimut: „Willst Du, daß die Russen sich einen andern Regenten wählen? Das Reich gerät in Verwirrung; alle Geschäfte stocken; die überwundenen Feinde erheben sich aufs Neue; kannst Du Dein Volk fallen sehen?“

Alle anwesenden Senatoren wurden bleich und zitterten über Dolghorukis Kühnheit, den sie schon dem Tode verfallen sahen; doch der Zar erhob sich, sah Dolghoruki lange mit einem Blicke an, in welchem tiefes Leiden sein Gepräge zurückgelassen hatte, und sagte darauf mit Milde. „Ich danke Dir, Du hast Recht. Mein Leben gehört nicht mir, sondern dem Staate. Ich werde es ihm aufs Neue weihen!“

Von diesen, Augenblicke an stürzte er sich gleichsam in die wogende Flut der Staatsgeschäfte, indem er ohne Rast und Ruhe Tag und Nacht mit seinen Ministern arbeitete.

Das erste Ergebnis dieser rastlosen Tätigkeit war, wie schon erzählt, die Aufhebung des Patriarchats und die Einsetzung der heiligen Synode, wobei er jedoch nicht säumte, auch seine politischen Händel zu Ende zu führen.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.