Strafgericht gegen viele russische Große

Längst schon hatte der Zar mit Missfallen die Unterschleife und Volksbedrückungen bemerkt, in welche viele der von ihm begünstigtsten Großen seines Reichs verwickelt waren. Doch hatten die seinem Herzen noch viel näher liegenden Zerwürfnisse mit seinem Sohne Alexei und das strenge Richteramt, wozu er sich in dieser Hinsicht berufen fühlte, seine Aufmerksamkeit davon abgelenkt. Erst nach dessen Tode hatte er die Zeit und die rechte Stimmung dazu, auch in dieser wichtigen Angelegenheit Strenge zu üben. Ein früheres Strafexempel, das wir oben erzählt haben, war ohne Wirkung geblieben.

In der Absicht, jetzt mit Rachdruck zu verfahren, trat er eines Tages am Ende des Jahres 1718 in den Senat, und redete die versammelten Senatoren so an:


„Ihr habt gesehen, daß ich nicht nur meine Untertanen gegen auswärtige Feinde zu schützen vermag, sondern auch, daß ich die große Regentenpflicht, die Handhabung der Gerechtigkeit, ohne Ansehen der Person zu üben wußte. Die Verbrechen eines undankbaren, in Verkehrtheit dahingegebenen Sohnes, sind bestraft. Mein Werk, dem der Umsturz drohte, ist befestigt und Rußlands Größe gesichert. Um das innere Glück meiner Untertanen weiter zu fördern, ist es jetzt meine Pflicht, den Übermut der Großen zu beugen, welche die ihnen anvertraute Gewalt missbrauchen, um das Volk zu unterdrücken und sich mit dessen Schweiß und Blut zu bereichern. Dieses bin ich dem Volke um so mehr schuldig, da es sich während des achtzehnjährigen Krieges, den ich für meine gerechte Sache habe führen müssen, um mich verdient gemacht hat. Ich will den Unterdrückten gegen jene Blutigel zu Hilfe kommen. Ein Tribunal will ich niedersetzen, das über sie richten soll. Mein General der Infanterie, Adam Adamowitsch Weide, den ich nie einer Pflichtwidrigen Handlung zeihen konnte, soll den Vorsitz führen. Ihm geselle ich die Generallieutenants Bathurin und Schlippenbach, die General-Majore Ghälizin und Jaghuschinski und die Brigadiers Walkow und Uschakow zu. Dieses Gericht soll die Amtsverwaltung Derer, die ich nennen werde, aufs Schärfste untersuchen und gegen die Strafbaren nach der Gerechtigkeit den Ausspruch tun, damit sich ein Jeder daran spiegele und in den Schranken der Pflicht bleibe.“

Diese Rede Peters überraschte den Senat und versetzte ihn in das höchste Erstaunen; dieses aber stieg noch mehr, als Peter eine lange Liste verlas, welche unter vielen Anderen die bis dahin hochgestellten, geachteten und geehrten Namen nannte, von denen man gewohnt war anzunehmen, daß sie sich unerschütterlich fest in der Gunst des Zaren befanden.

Der Erste, der genannt wurde, um zur Verantwortung gezogen zu werden, war der in dieser Versammlung gegenwärtige Präsident des Senats, Fürst Dolghoruki, der Zweite der Groß-Admiral Aprarin; nächst Diesen traf der Ruf des Zaren, zum Entsetzen Aller, den bisherigen allmächtigen Günstling Desselben, Fürst Mentschikoff.

Mentschikoff stand zuerst vor diesem strengen Gericht. Er wurde mehrerer und bedeutender Veruntreuungen überwiesen. Da er die Gesinnungen seines Herrn, des Zaren, kannte, und wohl wußte, daß Dieser nur durch offenes Bekenntnis der Wahrheit zu versöhnen war, so bekannte er noch mehr Veruntreuungen und Erpressungen, als die Anklage besagte. Seine einzige, seltsame Verteidigung war die, daß er einen unwiderstehlichen Hang habe, sich zu bereichern, wozu ihn die Besorgnis, daß, wenn er einst in Ungnade fallen sollte, oder der Zar vor ihm mit Tode abgehen würde, er in Not geraten könnte, verleitet habe. Er mußte seinen Degen abgeben und bis zum Urteil als Arrestant in seinem Palast bleiben.

Ein Gleiches widerfuhr dem Großadmiral Apraxin. Auch er legte ein offenes Bekenntnis ab.

Dagegen verteidigte sich Dolghoruki mit so viel Wahrheit als Kraft, daß sich das Gericht genötigt sah, deshalb besonders an den Zaren zu berichten.

Peter war sowohl gegen Mentschikoff, als gegen Apraxin durch deren offenes Bekenntnis milder gestimmt. Katharina erinnerte ihn nicht vergebens an die großen Verdienste, die Beide um seine Lieblingsschöpfungen, die Marine und den Bau von Petersburg, und um die großen Eroberungen in Finnland gehabt hatten. Auch Dolghorukis Verteidigungsrede hatte ihm die Überzeugung von dessen minderer Schuld gegeben. Er verzieh daher allen Dreien wegen ihrer großen Verdienste um den Staat. Sie wurden sämtlich mit einer bedeutenden Geldstrafe für die Staatskasse begnadigt.

Ein eigentümlicher Charakterzug Peters war es wieder, daß Derselbe gerührt von Mentschikoffs Dank und Reue, ihm unaufgefordert die Versicherung gab, ihn nie am Leben strafen zu wollen. Also mußte er doch erwarten, daß der eben Begnadigte sich neue, todeswürdige Verbrechen zu Schulden kommen lassen könne, und er wollte sich selbst dafür sichern, daß er nicht im Zorn darüber einst sich hinreißen lassen werde, sein Todesurteil auszustechen.

Aber einen andern Denkzettel gab er ihm doch, vielleicht härter, als eine mehrjährige Festungsstrafe gewesen wäre. Damit Mentschikoff stets eingedenkt bliebe, sich vor ähnlichen Vergehungen zu hüten, mußte der Brigadier Uschakow ihm von Zeit zu Zeit, wenn er beim Zaren zur Tafel war, die Liste seiner Verschuldungen laut vorlesen. Wir glauben gern, daß ihm dadurch der Appetit für die Mahlzeit ziemlich verdorben wurde; der Zar aber fand eine Art von Genugtuung darin, das Armen-Sündergesicht seines in solchen Momenten wahrhaft zerknirschten, sonst so stolzen Günstlings zu sehen.

Andere Angeklagte wurden zum Tode verurteilt und ihre Güter für den Fiskus eingezogen. Die Geschichte liefert eine lange Liste der Verurteilten, darunter Namen von hochgestellten, angesehen gewesenen Staatsdienern, deren abgeschlagene Köpfe die Umgebungen des öffentlichen Platzes zierten, worauf Gagarins Leiche am hohen Galgen ausgestellt war.

Der erschöpfte Staatsschatz erhielt dadurch mehrere Millionen an Strafgeldern und konfiszierten Gütern, wodurch den geleerten Kassen trefflich aufgeholfen wurde.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.