Peters des Großen Krankheit

Die letzten Tage seines Lebens wurden dem Kaiser durch eine schmerzliche Krankheit (Gonorrhoe) verbittert. Schon im Winter des Jahres 1723 hatte er daran gelitten, ohne das Übel sehr zu beachten, wodurch dasselbe nur noch schlimmer wurde. Im Sommer 1724 hatte es bereits einen bösartigen Charakter angenommen, und wich den Anstrengungen seiner Leibärzte erst im Winter 1724. Doch war keine radikale Heilung eingetreten. Seine gute Laune war verloren. Er gab sich häufig einer trüben Stimmung hin; doch besorgte er mit Eifer seine Geschäfte. Aber das geschah oft mit Widerwillen. Seine Lieblingsbeschäftigungen hatten keinen Reiz mehr für ihn. Mit Missmut und trüber Ahnung sah er seine Schöpfungen an der Newa an. Es drückte ihn der Gedanke, daß sie mit seinem Leben untergehen würden.

Nur noch für die Schiffsbauten in Kronstadt und die Kanalbauten am Ladogasee zeigte er einiges Interesse. Im Herbst 1724 reiste er nach Schlüsselburg, um dort, wie alljährlich, das Erinnerungsfest an die Eroberung dieses wichtigen Platzes zu feiern. Er besah dort die Bauten der Schleusen am Ladogasee, machte einige andere Ausfahrten in die Umgegend, und kehrte nach Petersburg zurück, um von hier nach Lachta am finnischen Meerbusen zu steuern und in Systerbeck die dortigen großartigen Anlagen von Eisenhämmern und Gewehrfabriken in Augenschein zu nehmen.


Auf dieser Reise aber holte er sich den Keim des Todes.

Es war gegen Abend, als er in Lachta ausstieg. Da bemerkte er ein mit Soldaten und Matrosen besetztes Boot, welches von Kronstadt kam. Dieses war ein Spiel der Wellen geworden und strandete auf einer Untiefe in der Nähe von Lachta. Sofort ließ er seine Leute in eine Schaluppe steigen, und sandte sie dem mit den Wellen kämpfenden Boote zu Hilfe. Aber auch Diese vermochten nicht, das gestrandete Fahrzeug zu lösen. Sie selbst kämpften mit Wogen und Untiefen. Peter hatte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit diese furchtbare Szene beobachtet. Die einbrechende Nacht erhöhte noch die Gefahr. Da erwachte wieder das alte Feuer in seiner Seele, und ohne, seine noch nicht völlig geheilte Krankheit zu bedenken, ließ er sich in einem kleinen Boote nach dem Orte der Gefahr hinrudern. Doch die Untiefe verhinderte ihn dicht heranzufahren. Da hielt ihn Nichts mehr zurück; ohne sich zu besinnen sprang er ins Meer, watete, bis über den Unterleib im Wasser gehend, heran zu den gestrandeten Booten, und half Lösen und Anordnen, wodurch es ihm in der Tat gelang, beide Fahrzeuge von der drohenden Gefahr des Scheiterns zu befreien.

In der Freude über diese Tat vergaß er die notwendige Fürsorge für seine Gesundheit. Er versäumte es, sich augenblicklich trocken anzukleiden. Doch gab er die weitere Reise auf, und eilte sogleich nach Petersburg. Noch naß am ganzen Leibe kam er dort an. Eine tüchtige Erkältung, die bei seinem bedenklichen Krankheitszustande lebensgefährlich werden konnte, hatte er sich durch seinen Feuereifer für das Seewesen zugezogen. Seine Krankheit verschlimmerte sich bedeutend. Die heftigen Schmerzen verbitterten ihm jede Freude. Mit einer Art von Desperation stürzte er sich in wilde Lustbarkeiten, um sein Leiden zu vergessen. Aber die Natur war stärker als sein Wille; die Schmerzen nahmen zu mit jeder Stunde. Da griff er zum letzten Mittel, wie er meinte, sich durch Berauschung in Wein zu betäuben.

Aber das hieß nur Öl ins Feuer gießen.. Es war gerade so schlimm, als wenn er Gift genommen hätte. Das Übel spottete von jetzt an allen Bemühungen der Ärzte.

In der Mitte des Januar 1725 war es, als sein Leiden begann lebensgefährlich zu werden. Sein Leibarzt Dr. Blumentrost ließ durch Eilboten die berühmtesten Ärzte jener Zeit, die Doktoren Stahl von Berlin und Boerhave von Leiden nach Petersburg berufen. Aber es war zu spät. Der Kaiser hatte sich einer chirurgischen Operation unterworfen, die jedoch nur vorübergehend einige Linderung gewährte.

Bald wurden wieder seine Schmerzen so furchtbar, daß er die Besinnung verlor und ihm nur einige lichte Zwischenräume blieben. In solchen Augenblicken nahm er den geistlichen Zuspruch des von ihm sehr verehrten Erzbischofs Theophanes von Pleskow und des Archimandriten des Klosters Tschudow entgegen. Als diese Geistlichen ihn auf den Erlöser, als den einzigen großen Trost aller Leiden, hinwiesen, richtete sich der fromme Monarch in die Höhe, und sprach heiter, wenn auch mit gebrochener Stimme: „Ja, dieses ist das Einzige, was meinen Durst stillt, das Einzige, was mich erquickt.“

Er versuchte nun zu schreiben, aber er vermochte nur einige unleserliche Züge auf das Papier zu bringen. Dann verlangte er nach seiner Lieblingstochter Anna. Als sie erschien, und bleich, mit tränengefüllten Augen am Bette ihres geliebten Vaters kniete, war Dieser schon sprachlos geworden. Anna bedeckte seine Hand mit Tränen und Küssen. Kein Auge blieb trocken in seiner Umgebung. Man hörte im weiten Gemache keinen Ton, als leises Weinen und Schluchzen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.