Peters Religiosität war echt

Er duldete weder Aberglauben, noch Scheinhelligkeit, noch Betrug in Sachen der Religion und Kirche.
Männer und Weiber gab es, wie wir im Anfange dieses Werkes gesehen haben, genug, die unter dem Vorgeben, vom Teufel besessen zu sein, Gaukeleien mancherlei Art trieben, und beim abergläubigen Volke für Propheten und Heilige galten, um sich beschenken und ernähren zu lassen. Wie Dieselben sich erkaufen ließen, Rebellion zu befördern, bewiesen die Aufstände der Strelitzen während seiner Jugendzeit. Sobald Peter zur selbstständigen Regierung gekommen war, ließ er diese sogenannten Besessenen aufgreifen und durch die Knute zum Geständnis ihrer Betrügerei bringen; dann schickte er sie nach Sibirien.

Zweimal machte er den leider noch in unseren Tagen vorkommenden geistlichen Betrügereien mit wundertätigen Marienbildern ein Ende. Als er einst vernahm, daß ein Priester mit einem wundertätigen Marienbilde Gaukelei treibe, ließ er den Popen, der die Wunder verkündet hatte, mit dem Bilde holen, und sagte zu ihm: „Jetzt laß Deine Wunder schauen, wenn Du es vermagst!“ Da fiel der Priester ihm zu Füßen und bekannte den Betrug. Peter entsetzte ihn seines Amtes, und ließ ihn mit Gefängnis bestrafen.


Während der Monarch im Jahre 1720 die Arbeit am Ladogakanale besichtigte, entstand vor einer Kirche in Petersburg ein großer Volksauflauf. Es verbreitete sich das Gerücht, daß ein heiliges Marienbild Tränen geweint habe. Viele hatten es mit eigenen Augen gesehen. Die Popen gaben diesen Tränen die Auslegung, daß die Mutter Gottes mit dem Orte ihres Aufenthalts nicht zufrieden sei, und daß der Stadt oder gar dem Lande ein großes Unglück bevorstehe. Diese Auslegung hatte der mit der Verlegung des Sitzes der Regierung von Moskau unzufriedene Adel und die eben so unzufriedene Geistlichkeit darauf bezogen, und es drohte deshalb in der Tat ein Aufstand. — Der Großkanzler Gholowkin begab sich sogleich nach der Kirche, um die immer mehr anschwellende Volksmenge durch vernünftige Vorstellungen zu bewegen, aus einander zu gehen.

Er sah selbst bei dem Schein von hundert geweihten Kerzen, die vor dem Bilde angezündet waren, dicke Tropfen aus dem Augenwinkel des Bildes der heiligen Maria fließen. Seine Vorstellungen waren vergebens. Er hatte Mühe, aus dem Gedränge zu kommen. Sofort entsendete er einen Courier an den Zaren, und schon am nächsten Vormittage traf Dieser in Petersburg, vom Ladogakanal zurückkehrend, ein. Sofort begab er sich in die Kirche, und ließ sich von dem Geistlichen, welcher das Wunder verkündet hatte, zu dem Marienbilde führen. Es war aber an diesem Tage nicht mit Lichtern umstellt und vergoß keine Tränen. Die Priester und alle Anwesenden bestätigten indes die Tatsache der Tränenvergießung. Peter ahnte sogleich eine Betrügerei, ließ sich aber Nichts merken, sondern befahl das Bild von seinem Platze wegzunehmen und es in den Palast zu bringen. Die Popen mußten ebenfalls dort erscheinen. Nun untersuchte er in Gegenwart des Großkanzlers, mehrerer Großen und Geistlichen die Beschaffenheit des Bildes, entdeckte in den Augenwinkeln feine Löcher, ließ die hintere Bekleidung abnehmen, und fand nun dahinter die kleinen Ölbehälter, aus welchen, sobald das Öl durch die zahlreichen Kerzen erhitzt und dann flüssig gemacht wurde, dasselbe in Tropfen durch das Auge drang und dann wie Tränen über die Wangen der heiligen Jungfrau lief. Er machte sofort den Versuch mit einigen Lichtern, und die Erscheinung wiederholte sich. „Ihr seht nun,“ sprach er, „welche Vewandtnis es mit den angeblichen Tränen hat. Ich hoffe, daß Ihr das Gesehene weiter verbreiten und überall erzählen werdet. Er wollte indes kein Aufsehen machen mit der Bestrafung der Urheber des Wunders, indem er sich das Ansehen gab, die geistlichen Betrüger zu verachten. Aber um desto eifriger forschte er ganz im Stillen danach, und schickte sie bei Nacht und Nebel nach Sibirien.

So war Peters Regierung ein fortwährender Kampf mit Barbarei, Indolenz, Aberglauben und mit der Priestergewalt gewesen. Noch sein letzter Befehl bezog sich darauf, indem er eine Verordnung erließ, nach welcher die zu häufig an den Straßen befindlichen Kapellen niedergerissen und die Heiligenbilder weggeschafft werden mußten.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.