Einige Charakterzüge aus Peters Leben

Noch einige Züge aus Peters Leben haben wir nachzutragen.

Nichts war seinem edlen Charakter widerwärtiger, als Nichtswürdigkeit der Gesinnung.


So unter Anderem hatte Peter in seinen Diensten einen holländischen sehr geschickten Ankerschmied, den er aus Holland mitgebracht; dieser hatte einen jungen Russen angelernt, den er dem Zaren wegen seiner großen Geschicklichkeit zu einer Lohnzulage empfahl. Der junge Mensch aber war undankbar. In einer Vorstellung, die er selbst dem Zaren übergab, sagte er, daß er jetzt im Stande sei, dieselben Dienste zu leisten, wie der holländische Meister, und daß die Besoldung Desselben erspart werden konnte, wenn ihm selbst nur eine geeignete Zulage bewilligt würde.

„Schurke,“ rief Peter, und warf ihm die Bittschrift ins Gesicht; „ist dies der Dank, den Du Deinem ehrlichen Meister und Wohltäter gibst, der nicht nur Dich freundlich unterrichtet, sondern auch Dich mir so redlich zur Gehaltserhöhung empfohlen hat? Nimmermehr soll ihm, so lange er Lust hat in meinen Diensten zu bleiben, Etwas zum Nachtheil geschehen, Dir aber sollen die Früchte Deines Undankes nicht entgehen.“

Nun ließ der Zar dem undankbaren Menschen in Gegenwart der Meister, Gesellen und Lehrlinge die Bastonade auf die Fußsohlen geben, und schickte ihn dann in eine andere Ankerschmiede an einem entfernten Orte.

Um sich zu erklären, wie es möglich war, daß Peter der Große diese ungeheure Menge von Geschäften überwältigen und noch Zeit übrig behalten konnte zu seinen See- und Luftfahrten und rauschenden Vergnügungen, muß man wissen, daß er sich zum Schlafe nur vier Stunden Zeit gönnte. Um 9 Uhr legte er sich regelmäßig nieder. Fast in der Regel weckte er in der Nacht um ein oder zwei Uhr seinen Kammerdiener, ließ sich Licht bringen und eine Schiefertafel reichen, um aufzuschreiben, was er am folgenden Tage vorzunehmen gedachte. Diese Schreibtafel nahm er überall mit, damit ihm Nichts verloren gehe, was ihm bemerkenswert erschien. Gegen 3 Uhr stand er auf, und beschäftigte sich mit Bücherlesen. Während des Ankleidens ließ er sich die eingelaufenen Berichte vortragen, und notierte seine Beschlüsse darüber auf einzelne Blätter. Dann drechselte er einige Zeit — das war seine Lieblingsbeschäftigung — oder er besuchte die Tribunale, Unterrichts- und andere Anstalten, die Manufakturen, Fabriken, oder besah die öffentlichen Arbeiten. Überall pflegte er selbst Hand anzulegen, indem er zu sagen pflegte: „Seht, ich bin Euer Zar und habe Schwielen in meinen Händen. Um Euch zum Beispiel zu dienen, arbeite ich selbst.“

Um 11 Uhr Mittags ging es zur Tafel, die in der Regel nicht länger als eine halbe Stunde dauerte. Meistens nahm nur seine Gemahlin daran Teil, öfter aber auch Einige seines Gefolges. Die Tafel war sehr einfach besetzt. Luxus in dieser Hinsicht machte er bei anderen Fürsten lächerlich.

Nach Tische hielt der Zar, der Sitte seines Landes folgend, eine kurze Mittagsruhe. Er hatte dabei einen äußerst leisen Schlaf, und war nicht peinlich in der Wahl seines Lagers. Oft mußte ihm der Leib eines seiner Dentschiken als Kopfkissen dienen. Wehe Dem, der sich dabei rührte und den Monarchen dadurch im Schlafe störte. Der Unglückliche, der nicht still liegen konnte, erhielt dann sicher eine Tracht eigenhändiger Stockschläge vom Zaren.

Ein einziger Kammerdiener verrichtete die gewöhnliche Bedienung beim Zaren, und selbst später, als er die Kaiserwürde schon angenommen hatte. Die übrige Aufwartung und Bedienung lag den Dentschiken ob, von welchen allemal zwei den Dienst versahen. Sie hatten übrigens das Recht, dem Zaren Alles, was ihnen einfiel, im Ernst oder Scherz zu erzählen. Oft waren sie aus vornehmen Familien, oft aber aus den Garderegimentern genommen. Sie versahen die Dienste von Adjutanten, Kammerherren, Ordonnanzen, Kurieren, Heiducken usw. Nach mehrjährigen treuen Diensten bekamen sie Versorgungen im Zivil oder Militär. Ihre Verwendung für Supplikanten blieb selten ohne Einfluß, selbst wenn sie schon anderweit versorgt waren.

Eben so einfach war der Zar in Rücksicht aller anderen Bedürfnisse. Als er sich in Berlin befand, schickte ihm der König einen prächtigen Galawagen vor seine Wohnung, um ihn nach dem Schlosse abzuholen. Peter aber machte davon keinen Gebrauch, sondern begab sich zu Fuße, ohne viel Gefolge, zu seinem königlichen Wirte. Als der damalige König, der prachtliebende Friedrich I., sich darüber verwundert äußerte, entgegnete der Zar: „Ew. Majestät bin ich Dank schuldig für die mir erwiesene Aufmerksamkeit. Ich bin aber dergleichen nicht gewohnt, und will jedes Aufsehen in der Stadt vermeiden. Dagegen bin ich an Fußpartien gewöhnt und gehe wohl manchen Tag fünfzigmal weiter als heute.

Als er sich zum ersten Male in Holland befand und mit der großen Gesandtschaft zur Audienz nach dem Haag reiste, wo er in einem Gasthofe abstieg, schien ihm das für ihn bestimmte Bett zu prächtig, ein anderes aber ebenfalls nicht tauglich. Da ließ er wieder anspannen, und fuhr nach dem russischen Gesandtschaftshotel, Dort bemerkte er in einem Winkel eines Vorgemachs einen Diener, der auf einer Bärenhaut schlief. Diese Lagerstelle gefiel dem Zaren. „Auf! auf!“ rief er, „hier will ich schlafen.“ Er legte sich nieder, und schlief darauf fest und ruhig, bis zu seinem gewohnten frühzeitigem Erwachen.

Neben den gewöhnlichen Dienern hielt sich der Zar einige Lustigmacher — Hofnarren. Zu dieser Ehre konnte man kommen, wenn man eine ausgezeichnete Dummheit beging, die den Zar so belustigte, daß er wohl lachend ausrief: „Dieser Mensch ist wirklich und wahrhaftig ein echter Narr!“

So machte einst durch eine kolossale Dummheit ein gewisser Uschakow sein Glück. Er war als Soldat von seinem General mit höchst wichtigen und Eile erfordernden Depeschen von Smolensk an den Kommandanten nach Kiew entsendet worden. Er hatte sich so beeilt, daß er den Weg von 50 bis 60 Meilen in unglaublich kurzer Zeit zurücklegte. Morgens früh vor Eröffnung der Tore kam er vor Kiew an, und begehrte bei der Wache, augenblicklich eingelassen zu werden. Doch wegen der notwendigen höhern Meldung und Anfrage ging ihm die Sache nicht schnell genug. Voll Diensteifer glaubte er in seinem vollen Rechte zu sein. Er schalt den wachhabenden Offizier, und kehrte augenblicklich wieder um, ohne die mitgebrachten eiligen Depeschen abzugeben, in der Absicht, den Offizier beim General zu verklagen und den bestimmten Befehl von Smolensk zu holen, daß er augenblicklich eingelassen werde. Der General war wütend. Er ließ ihn vor ein Kriegsgericht stellen, welches ihn denn auch wegen seiner aus ungeheurer Dummheit begangenen Pflichtverletzung zum Tode verurteilte.

Als Peter dieses Todesurteil zur Bestätigung erhielt, lachte er laut auf. Er fand das Benehmen des Narren nicht eigentlich strafbar, wohl aber im höchsten Grade töricht, und ernannte ihn zu seinem Hofnarren. Uschakow bekleidete dieses Amt lebenslänglich, und wußte sich dadurch, daß er dem Zaren oft derbe Wahrheiten sagte, in eine gewisse Achtung zu setzen.

Diese Züge mögen genügen, um uns ein Bild von Peters höchst origineller Persönlichkeit zu geben; nur eines Charakterzuges geschehe noch Erwähnung, welcher beweist, was wir früher behauptet haben, daß der Zar nicht aus Grausamkeit, sondern aus Pflichtgefühl so unerbittlich streng war.

Gern verzieh Peter jene kleinen Sünden, die aus sinnlichen Neigungen entstanden waren, denn er kannte in dieser Hinsicht seine eigenen Schwächen. Nur durfte damit nicht ein wirkliches Verbrechen, z. B. ein Kindermord, verbunden sein; denn in solchem Falle war er unerbittlich streng.

So war einst ein Hoffräulein, Namens Hamilton, angeklagt und überführt, heimlich geboren und das Kind ihrer Verirrung ermordet zu haben, um ihre Schande vor der Welt zu verbergen. Sie wurde zum Tode verurteilt. Ihre angesehene Familie verwendete sich beim Zaren für die Unglückliche um Gnade. Mehr noch, als die Fürsprache viel geltender Personen, sprach ihre leidende Schönheit und persönlich! Liebenswürdigkeit für sie. Der Zar besuchte sie im Gefängnisse. Schön wie eine büßende Magdalene, sank sie vor ihm nieder und sichte mit Tränen und aufgelöstem Haar, das ihr wie goldene Wellen über den schneeweißen Nacken wallte, um Gnade. Der Zar war tief bewegt. Aber das Pflichtgefühl gestattete ihm nicht, dem Zuge seines Herzens zu folgen. Er sagte zu ihr mit Milde: „Ich darf Dich nicht begnadigen. Meine Pflicht gestattet es nicht; aber um Dir einen Beweis meiner Teilnahme zu geben, will ich Dich auf Deinem letzten Gange begleiten.“ — Und er führte die Büßende selbst auf das Schaffot. „Ich kann Dich nicht retten,“ sprach er nochmals, und ermahnte sie, die Strafe, die sie einmal verwirkt habe, standhaft zu erdulden. Das sei das einzige Mittel, Gott zu versöhnen und ihr die ewige Gnade zu verschaffen, die ihr auf Erden nicht zu Teil werden könne. — Ein Wort von ihm würde sie gerettet haben. Peter empfand darüber einen schweren Kampf in seinem Innern; aber das Pflichtgefühl siegte. Er küsste sie auf die Stirn und nahm von ihr Abschied. Dann wendete er sich ab, um nicht zu sehen, wie das schöne Haupt unter dem Henkerbeil fiel. — Kein anderer Monarch hegte in seinem Charakter einen solchen Verein von Gemütlichkeit und an Grausamkeit grenzender Strenge.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.