Peters Gesinnungen in Beziehung auf Religion und Kirche

„Entflieh' dem Streit, der sich am Glauben nährt,
Der für's Gesetz sich dem Gesetz empört,
Der viel vermißt, um gar Nichts auszuüben.
Vertraue fest, daß ein wahrhafter Mann,
Den Ordnung führt, nur selten irren kann;
Wer Frieden liebt, wird nie verkehrt getrieben.“

Withof.


Es gibt eine Partei, und das ist meistens die hierarchische, welche Religion und Kirche für Eins gehalten Hissen will, und jeden Angriff selbst auf die entschiedensten Missbrauche der Kirche für eine Verletzung der Religion erklärt; diese Partei mag denn auch, nach den mitgeteilten Zügen einer Verspottung klerikaler Missbräuche, Peter den Großen für einen Atheisten und Erzketzer ausgeschrieen haben.

Das war aber nicht der Fall. Peter der Große hatte bei aller Verfolgung hierarchischer Missbrauche ein tief religiöses Gemüt. Er besaß wahre Verehrung für das höchste Wesen, zeigte jederzeit eine entschiedene Frömmigkeit, und fing jedes Geschäft mit Gott an, dessen Gnade er denn auch alle seine großen Erfolge zuschrieb.

Die Bibel betrachtete er als das Buch aller Bücher, und glaubte dann Alles zu finden, was das moralische Gesetz als Pflicht des Menschen gegen Gott und unsere Mitmenschen anerkennt. Nie konnte er sich befreunden mit den Verrätern dieses Gotteswortes, die, mit Beseitigung aller Glaubenswahrheiten, allein die menschliche Vernunft zu ihrem Leitstern machten.

„In Amsterdam,“ äußerte er einst, „kamen mir in Gesellschaften mehrere solche Leute vor; ich hörte sie an, fand aber ihre Weisheit so seicht, daß ich mehr Ursache hatte, sie zu verachten, als sie zu bewundern. Diese sich klug dünkenden Leute begreifen nicht, daß sie durch ihre stechen Reden blos ihre Ruchlosigkeit, ihre Unwissenheit und ihren Stolz zur Schau tragen; ihre Ruchlosigkeit, indem sie sich eine öffentliche Herabwürdigung des in der heiligen Schrift geoffenbarten göttlichen Wortes, der Grundlage der Religion, zu Schulden kommen lassen; ihre Unwissenheit, indem sie nicht so viel Verstand verraten, als zur Erkenntnis der Wahrheiten der christlichen Religion nöthig ist; endlich ihren Stolz und ihre eitle Einbildung, indem sie sich klüger dünken als ihre Nebenmenschen und selbst als diejenigen gelehrten Männer, welche die Wahrheit der christlichen Religion in ihren Schriften gründlich nachgewiesen haben, und als die zahlreichen Versammlungen von Kirchenvätern, von welchen Letzteren gewiß der geringste mehr Einsicht und Verdienste besaß, als ein ganzer Hausen jener unbedachtsamen und unberufenen Apostel der Lüge, deren Lehrsätze zum Verderben der Staaten gereichen.“

So war Peter der Große nicht blos im innersten Wesen religiös, er beobachtete auch die kirchliche Form der Gottesverehrung.

Begegnete ihm unterwegs ein Geistlicher mit der Hostie, so bezeigte er ihm, wie jeder Andere, seine Verehrung, begleitete auch wohl den Priester zu dem Kranken, und tröstete Diesen. Die ärmere Klasse hielt einen solchen Besuch in hohen Ehren, und betrachtete ihn als ein glückliches Zeichen, daß der Kranke nicht sterben werde.

Dabei aber war er, wie jede echte Religiosität, tolerant. Die Beispiele von Gewissensfreiheit, die er in England und Holland beobachtet hatte, waren ihm nicht verloren gegangen. Er besuchte dort die Bethäuser der verschiedenen Sekten, und machte sich mit ihren Glaubenslehren bekannt. Überhaupt hörte er gern theologische Gespräche, und war in der Bibel, besonders in der Apostelgeschichte, sehr bewandert. Er kannte auch die Lehrsatze der verschiedenen Konfessionen. Er freute sich, wenn er diese verschiedenen Sekten ruhig, betriebsam und friedlich neben einander wohnen sah. Dieselbe Duldung sollten sie auch in seinen Staaten genießen und üben. Er gestattete deshalb allen Religionsparteien volle Freiheit des Kultus, und erlaubte, daß sie sich in Petersburg Kirchen bauten, daß sie ihre Ehe- und Kirchensachen unter sich schlichteten, und sich einen eigenen Kirchenrat wählten, welcher vorkommende Streitigkeiten nach ihren eigenen kirchlichen Gesetzen entschied.

Nur gegen die Roskolniks behielt der Zar eine Abneigung. Wir haben gesehen, wie er sie mit eigener Lebensgefahr als gefährliche Fanatiker hatte kennen gelernt. Darum verfolgte er sie, nicht wegen ihres Glaubens, sondern als eine Sekte, die dem Gemeinwohl, gleichwie der Aufklärung gefährlich waren.

Eben so streng, oft humoristisch, war er in der Abstellung veralteter kirchlicher Missbräuche. Dahin gehörte unter anderen die Aufhebung der die Zarenwürde verletzenden Prozessionen am Palmsonntage, welche noch sein Bruder Iwan gefeiert hatte. Ein einspänniges Fuhrwerk trug einen grüngeschmückten Baum. Unter dem Baume saßen vier Knaben in weißen Chorhemden, und sangen das „Hosianna in der Höhe!“ Dann erschien die Geistlichkeit mit Kirchenfahnen, Marien- und Heiligenbildern, Krügen und Rauchfässern, Alle in prächtigen Messgewändern. Ihnen folgten die Großen des Reichs, die Hofleute und andere angesehene Personen, Paar um Paar, mit grünen Palmenzweigen in den Händen. Darauf die beiden jungen Zaren Iwan und Peter, geführt von vier Bojaren, sämtlich zu Fuß. Sie gingen dem Patriarchen voran, der auf einem Quersattel ein Pferd ritt, welches man, um es dem Esel, den Christus geritten, ähnlich zu machen, lange Ohren künstlich angebracht hatte. Dieser ganze Pseudo-Esel war bis an die Füße mit einer Decke von schwarzem Tuch behangen. Das Pontifikalgewand des Patriarchen bestand aus Silberstoff, und war wie besäet von Goldstickerei, Perlen und Diamanten. Er hielt ein Kreuz in den Händen, und spendete den Segen dem sich vor ihm niederwerfenden Volke. Die Zaren hatten die demütige Rolle zu spielen, dem Patriarchen das Roß am Zügel zu führen, und ihm beim Aufsteigen den Steigbügel zu halten.

Dem Patriarchen und den Zaren folgte dann die gesamte hohe und niedere Geistlichkeit, die Chorsänger mit Büchern, geweihten brennenden Wachskerzen und Rauchfässern, die Kaufleute, die Bürger und das Volk. Alle Glocken im Kreml, wie von allen Kirchen in Moskau, ertönten während dieser Prozession.

Peter sah in diesem Feste keine Erhöhung des Glaubens, sondern nur einen Triumph des geistlichen Hochmut der Kirchenfürsten und ihrer Klerisei, eine Demütigung der Zarenwürde und eitle Überhebung der Kirche, über den Staat. Er verwandelte deshalb das Fest in eine Fastnachtsposse, bei welcher der Patriarch eine demütigende, lächerliche Rolle spielen mußte. Belege dazu gaben die geschilderten Feste der Hochzeit des Knes-Papstes und seines Säuferkollegiums, der Kardinäle.

Große Missbräuche hatten sich unter der Klostergeistlichkeit eingeschlichen. Peter warf sein Auge darauf, und mit seiner gewohnten Energie ging er an die Reform derselben.

In Rußland gab es eine schwarze und eine weiße Geistlichkeit. Das schwarze Habit trugen die Mönche in den Klöstern, das weiße die Weltgeistlichen. Jene behaupteten den Vorrang. Aus den Klostergeistlichen wurden die Priore (Igumene, Führer, Vorsteher), die Äbte (Archimandriten, Oberhirten) und die Häupter des geistlichen Standes (Archinenje), d. h. Bischöfe, Erzbischöfe und Metropoliten gewählt.





Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.