Alexeis Verteidigung

Einen höchst merkwürdigen Zug, der von psychologischer Selbsterkenntnis zeugte, war die Antwort, welche er ohne Zuziehung eines Rechtsbeistandes gab auf das weitere Andringen des Zaren, daß er die Beweggründe angeben solle, wodurch er zu so gefährlichen Entschließungen sich habe hinreißen lassen, anstatt bemüht zu sein, durch die Mittel, welche er, als sein Vater, ihm an die Hand gegeben habe, sich die Thronfolge zu sichern.

Diese Antwort war eine kurze und schlagende Verteidigung, welche alle Vorwürfe, die der Zar ihm gemacht hatte, auf Diesen zurückwarf. Es war der Vorwurf einer unverantwortlichen Vernachlässigung seiner Erziehung, hier, als einziger und tiefgreifender Verteidigungsgrund gegen seine Schuld, mit einfachen Worten vorgetragen. Diese lauteten also:


„Von meiner ersten Kindheit an sah ich nur meine Hofmeisterin und ein Kammermädchen um mich, von denen ich Nichts als Spiel und Zeitvertreib im Zimmer, Nichts als scheinheiliges Wesen erlernen konnte. Nicht viel Besseres lehrten mich die nachher mir zugegebenen Personen. Zwar sandte man mir nun auch Lehrer, die mir die deutsche Sprache und andere Wissenschaften beibringen sollten. Aber war es ein Wunder, daß mir bei solchen Umgebungen jede Anstrengung verhaßt ward? Nichts trieb ich mit Ernst, und so haftete Nichts. Mein Vater, der oft bei der Armee oder sonst abwesend war, hatte dem Fürsten Mentschikoff die Aufsicht über mich anbefohlen. Auch mußte ich mich anstrengen, so lange er zugegen war. Sobald er aber den Rücken wandte, schmeichelten die Narüschkin (Verwandte der Zarin Eudoria) und die Basenowskoi wieder meinem Hange zur Trägheit, und besuchten mit mir die Priester und Mönche, die sich mit uns dem Gesöffe hingaben.

„Was diese Leute taten, schien mir gut getan zu sein, denn von meiner Kindheit an war ich gewohnt gewesen ihnen zu folgen, sie zu fürchten und ihnen in Allem gefällig zu sein. Diese Leute waren es denn auch, die mich durch dergleichen Ausschweifungen je länger je mehr von meinem Vater abzogen. So bekam ich allmählich einen Abscheu vor allen Kriegsübungen. Alles, was mein Vater tat, ward mir ein Gräuel, und mit Abscheu sah ich endlich aus seine Person. Nichts war mir wünschenswerter, als immer nur fern von ihm zu sein. Meines Vaters gutgemeinte Maßregel, da er mir die Reichsstatthalterschaft zu Moskau auftrug, sah ich nur als ein Mittel an, um die Lüste, woran ich unter Priestern, Mönchen und anderem Gesindel gewöhnt war, besser zu befriedigen. Alexander Kikin trug, wenn er um mich war, das Seinige dazu bei, mich in diesem unordentlichen Leben zu bestärken. Der Aufenthalt im Auslande nützte mir wenig; ich war schon zu erwachsen, und die böse Gewohnheit hatte zu tiefe Wurzel bei mir geschlagen, als daß ich sie hätte ausreuten können. Da ich einmal vom rechten Pfade verirrt war, und mich entschlossen hatte, mich meinem Vater in Nichts nachzubilden, so war auch der Übergang zu dem Entschlusse leicht, eher auf jedem andern, als dem mir vorgezeichneten, gebührenden Wege zur Erbfolge zu gelangen, ja selbst des Kaisers bewaffneten Beistand zu dem Ende nicht abzulehnen.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Peter der Große. Seine Zeit und sein Hof. III.