Das Liebeslied

Einst war Paul Gauguin das Muster eines Bankbeamten, dem ein Leben der Ruhe und Wohlhabenheit vorausbestimmt zu sein schien. Nachdem er seiner Militärpflicht bei der Marine genügt hatte, erhielt er am 28. April 1871, gleichzeitig mit einem Zeugnis über gute Führung, einen Urlaub von zehn Monaten, der noch weiter verlängert werden konnte.

Seine Mutter war gestorben. Er war Waise. Doch dank der warmen Empfehlung eines Freundes seiner Familie seines Vormundes Gustave Arosa trat er bei Bertin, einem Großbankier in der rue Lafitte, als Bankbeamter ein.


Jeder, der mit Gauguin in Berührung kam, erkannte seine außerordentliche Befähigung. Alle seine Unternehmungen führte er vorzüglich aus, und die Laufbahn als Finanzmann, wenn sie auch nicht seinem geheimen Sehnen entsprach, schien ihm wenigstens bedeutende Nebenverdienste zu verschaffen. Damals war er 25 Jahre alt, und er versah bei Bertin das Amt eines Liquidators. In dieser soliden Stellung, die ihm schöne Monatsgelder sicherte, dachte er daran, sich ein eigenes Heim zu gründen.

Der Zufall fügte es, dass er gerade in diesem Augenblick Sophie-Mette Gad begegnete. Dieses große junge Mädchen mit dem regelmäßigen Gesicht, einem blendend weißen Teint, hellblondem Haar, das wie durchglühtes Metall leuchtete, führte als Gesellschafterin eine junge, sehr reiche Dänin, Fräulein Heegard, in Paris umher.

Eines Morgens nahm Paul Gauguin wie gewöhnlich, schnell zwischen zwei Finanzoperationen, sein Frühstück in einem Restaurant in der Nähe des „Tempels“ ein, der der großen Gottheit von heute der Börse geweiht ist. Er erbebte: die Tür öffnete sich vor zwei jungen Mädchen. Vor allem lenkte die eine die Aufmerksamkeit des jungen Mannes auf sich: schlank, in einem dunklen Jackett von gutem und geradem Schnitt, erschien sie tatsächlich frischer und berauschender als ein Fliederzweig im Frühling.

Das ungestüme Herz in seiner Brust begann die Schamade zu schlagen; es durchfuhr ihn wie ein Blitz.

Der Zufall fügte es auch, dass die jungen Ausländerinnen an seinem Tische Platz nahmen. Schüchtern und linkisch erwies er ihnen jene kleinen Dienste, die gestatten, das Eis zwischen den Gästen zu brechen.

Sein glühendes Herz ließ keine Hindernisse zu: bald nach dieser ersten Begegnung hielt er um die Hand Mette-Sophie Gads an, und sein Antrag wurde angenommen.

In einem Brief e, den er am 9. Februar 1878 an Frau Heegard, die reiche Beschützerin seiner zukünftigen Frau, schrieb, teilt er seine Absichten mit und verbirgt keineswegs seine Freude:

„Der liebenswürdige Brief, den Sie die Güte hatten, mir zu schreiben, um mich zu der getroffenen Wahl zu beglückwünschen, dass ich um die Hand von Fräulein Mette angehalten habe, beweist mir, dass auch Sie sie lieben. Die guten Freunde sind selten, und ich würde glücklich sein, Ihnen diese Bezeichnung zu geben, der ich viel Wichtigkeit beimesse.

Gewiss sollte Fräulein Mette viele Bewunderer in Frankreich finden: die Ursprünglichkeit ihres Wesens, sowie die Lauterkeit ihrer Empfindungen tragen ihr die Wertschätzung aller ein. Deshalb muss ich mich sehr glücklich schätzen über ihre Wahl. Seien Sie versichert, wenn ich aus Dänemark eine kostbare Perle wegnehme, dass ich mein Mögliches und selbst das Unmögliche tun werde, damit sie alle ihre Freunde, die sie trotz alledem wie in der Vergangenheit lieben wird, nicht entbehrt.“


Selten hot ein Verlobter bessere Voraussetzungen. Die Familie von Fräulein Gad war in Kopenhagen als eine sehr ehrenwerte bekannt. Ihr gehörten würdige Staatsbeamte, in achtungsvollen Lebensverhältnissen und in gesicherter Vermögenslage an. Die Laufbahn, die Paul Gauguin eingeschlagen hatte, stellte sie vollkommen zufrieden. Und Fräulein Gad freute sich sehr, einen jungen, berechnenden, prosaischen Mann zu heiraten, der den Wert des Geldes kennt mit einem Wort: einen angehenden Bankier, der nicht lange auf sich warten lassen wird, um einer der mächtigsten der Welt zu werden.

Die Ehe wurde am 22. November 1878 auf dem Standesamt des 9. Bezirks und in der Kirche in der rue Chauchat vollzogen; denn Fräulein Mette, die im lutherischen Glauben erzogen worden war, blieb der Religion ihrer Väter treu.

Die ersten Zeiten ihrer Verbindung waren höchst wunderbare Flitterwochen. Das leuchtende Haar der jungen Frau, ihre perlmutterschimmernde, weiße Haut, alles, sogar ihre leichte Kalte, trug dazu bei, das Blut dieses Südländers mit den glühenden peruanischen Atavismen zu entfachen.

Abb. Porträt von Frau Mette-Sophie Gauguin

Paul Gauguin schaute Mette nur durch den verklärenden, zauberhaften Schleier des Verlangens. Und so vergingen die Tage munter und von Glück erfüllt.

Gauguin hatte spielend den geheimnisvollen Mechanismus der Börsenoperationen gelernt. Alles glückte ihm. Die Spekulationen, die er unternahm, sicherten ihm bedeutende Gewinne. Wenn man darin Paul Schuffenecker glauben darf, einem seiner Gefährten im Büro, der sich später auch der Malerei widmen sollte, so gewann Gauguin in einem einzigen Jahre die unverhoffte Summe von 40.000 Frcs.

Es war besser als die aurea mediocritas, es war das Glück. Die praktische und utilitaristische Frau Gauguin segnete den Herrn, der ihr Leben mit dem eines Ehemannes verknüpft hatte, der so geschickt in seinem Beruf war. Und er, der unbewusste business man, hatte sich eine imaginäre Welt ersonnen, in der wie ein unantastbares Idol, wie ein losgelöster Engel, seine Geliebte mit den hellen Haaren sich entfaltete, deren innerste Persönlichkeit ihm ebenso fremd war wie die einer Hottentottin oder einer Chinesin mit den kleinen Füßen.

Eine tragische Trennung der Seelen! Jede sprüht von sich ihr verklärendes Licht aus, wie der geheimnisvolle Polyp die irisierende Flüssigkeit, in der er sich bewegt. Doch wie schmerzlich wird das Erwachen der Liebenden sein, wie schmerzlich der Tag, an dem die Wahrheit die von Liebe erfüllte Illusion vernichten wird!

Unterdessen segnete der Himmel großmütig die Verbindung der jungen Gatten, und der Vater teilt sehr glücklich am 12. September 1874 die Geburt seines ersten Sohnes Frau Heegard mit, mit der er in ständigem Briefwechsel stand:

„Mette wäre so glücklich gewesen, Ihnen ihr Baby zu zeigen. Wissen Sie, dass es hübsch ist? Nicht unser Elternherz beurteilt es so, sondern jedermann. Weiß wie ein Schwan, stark wie Herkules. Ich weiß zum Beispiel nicht, ob es liebenswürdig ist. Es hat Aussicht, es nicht zu werden. Sein Vater ist so unfreundlich!“

Gauguin hatte in einem von anderen Häusern freistehenden Gartenhäuschen in Vaugirard in der rue Carcel den Hausstand eingerichtet. Die beiden Gatten würden zweifellos ihr friedliches, „mit Seide und Gold durchwirktes“ Dasein fortgesetzt haben, wenn der Dämon Kunst nicht in der Wohnung des Liquidators bei Berlin aufgetaucht wäre.

An einem Sonntagnachmittag begann Paul Gauguin, offenbar von Langeweile getrieben, zu malen. Man hat tausend Hypothesen erwogen, um diesen ersten Kontakt mit den Pinseln zu erklären. Man hat gesagt, dass Gauguin diese Liebe zur Malerei von seinem Vormund Gustave Arosa empfangen habe, diesem Kunstliebhaber mit dem Kennerblick, der in seinem Heim mehrere Gemälde großer Meister gesammelt hatte. Kann sein, vielleicht. Aber es ist sicherlich viel natürlicher, die Prädestination dazwischentreten zu lassen, oder, wenn man das vorzieht, den natürlichen Hang, der jeden zu dem bringt, was ihm gefällt. Zum Maler geschaffen, hatten die Lebensnotwendigkeiten aus Gauguin einen Bankbeamten gemacht, aber die unterdrückte natürliche Veranlagung brach schließlich mit um so größerer Heftigkeit durch, je länger sie zurückgehalten war. Sicher ist, dass er seit jenem Sonntag, als er, um einen trüben Nachmittag totzuschlagen, sich damit belustigte, eine Leinwand grob anzustreichen, jeden Augenblick der Muße, den Gott ihm gewährte, dazu benutzte, um mit Liebe und Raserei zu malen. Wenn er es abends ermöglichen konnte, lief er in die Malschule Colarossi. Sonntag nachmittags ging er, den Malkasten unter dem Arm, fort, und eine schnell hingeworfene Skizze folgte auf die andere.

Frau Gauguin verfolgte leicht beunruhigt die Fortschritte dieser Malmanie. Anfangs war sie kaum berührt davon. Schließlich, ein Mann muss sich zerstreuen, nicht wahr . . . Die einen spielen Kegel, andere Bridge. Sonntag nachmittags Leinwand beschmieren, ist kaum gefährlicher, und diese Manie lässt sich dadurch mäßigen, dass man in der Woche arbeitet und an der Börse schöne Erfolge erzielt.

Aber Gauguin begeisterte sich immer leidenschaftlicher für die Malerei. Eifrigst besuchte er Ausstellungen und Versteigerungen. Seine ersten Versuche bezeigen übrigens ein Temperament von einer seltenen Originalität und trugen ihm die Achtung junger Künstler ein, die wie er unabhängig waren. Pissaro, ein Landsmann von Frau Gauguin, gab ihm nützliche Ratschläge und vermittelte die Bekanntschaft mit Cezanne, Guillaumin und anderen Malern. Von nun an verließ der pünktliche Bankbeamte bei Bertin jeden Abend seine friedliche Wohnung in Vaugirard und traf seine Gefährten in einem rauchigen Café, wo er bis zur vorgeschrittenen Nachtzeit tausend neue Theorien über die Technik und die Bestrebungen der Malerei entwarf.

Doch damit begnügte sich seine Leidenschaft keineswegs. Wie ehemals sein Vormund Gustave Arosa, so kaufte auch er mehrere bemerkenswerte Gemälde moderner Meister. De Rotonchamp führt in seinem Buch unter den Juwelen der Sammlung Gauguins ein Bild von Manet an, mehrere Gemälde von Renoir, Claude Monet, Cezanne, Pissaro, Guillaumin, Sisley, Jongkind usw.

Als der Künstler Gauguin später dem Elend ausgesetzt war, hatte er die Wahl des Bilderliebhabers Gauguin nicht zu bereuen, da ihm, ach, der so grausame Verkauf mehrerer geliebter Bilder für mehrere Monate den Lebensunterhalt für sich wie für einen Teil seiner Familie verschaffte. . . .

Frau Gauguins Unruhe steigerte sich von Tag zu Tag vor diesem Wunder: dem Erwachen einer Künstlerseele.

Später schrieb sie darüber:

„Niemand gab Paul den Gedanken ein, Bilder zu malen. Er hat gemalt, weil er nicht anders konnte, und als wir uns heirateten, wusste ich überhaupt nicht, dass er künstlerische Anlagen hatte.“

Arme Frau Gauguin! Sie befand sich einer unvermuteten Veranlagung ihres Mannes gegenüber wie eine Henne, die Enteneier ausgebrütet hatte und nun bestürzt zusieht, wie sich ihre Jungen auf den Teich stürzen!

Erschüttert erschlich sie die Spuren des inneren Kampfes, der sich im Geist ihres Mannes abspielte. Ihr angeborener Optimismus, ihre Heiterkeit wurden für gewöhnlich mit ihren Besorgnissen fertig. Aber sie hatte begriffen, dass die Krisis, die sie vorausahnte, sich ihrer Entscheidung näherte. Gauguin wurde von Tag zu Tag anders. Er hatte mehrere Gemälde ausgestellt. Ein lobpreisender Aufsatz Huysmans hatte ihn zum Maler gestempelt. Deshalb zwang er sich auch nicht mehr mit einem schlecht verhehlten Widerwillen zu den täglichen Pflichten seines Angestelltendaseins.

Ach, malen, vollkommen frei malen! Dieser niederdrückenden und trockenen Sphäre der Bank entfliehen, für immer den Finanzgeschäften entsagen . . . Das Geld? Er verachtete es, brauchte es nicht mehr. Aber hatte er das Recht, einen ehrenwerten und einträglichen Broterwerb zu verwerfen, der seine Familie im Wohlstand leben ließ?

Eine grausame Gewissensfrage lastete auf seinem Gemüt; er fühlte sich unwiderstehlich zur Malerei hingezogen; eine tyrannische innere Berufung trieb ihn dahin, alles der Kunst zu opfern.

Doch welche Verantwortung! Einem leichten Leben, einem verschwenderischen Vermögen entsagen um eine ganz ungewisse Laufbahn einzuschlagen! Wäre er ganz allein in der Welt gewesen, dann hatte der Zweifel ihn nicht so lange gequält. Doch er musste mit seiner Frau und mit seinen Kindern rechnen denn mittlerweile war seine Familie auf vier kleine Kinder angewachsen.

Es ist uns kein Brief überkommen, der uns über diese außerordentlich dramatische Periode seines Lebens aufklärt, und er selbst ist später niemals in der Unterhaltung mit seinen Freunden auf diese Wendung in seiner Laufbahn zurückgekommen.

Die romantische Auffassung über die Vorausbestimmung zum Künstler erweist sich als etwas Lächerliches. Erkennen wir indessen an: Paul Gauguin verlor niemals, selbst nicht in den schlimmsten Tagen der Not, den Glauben an seine künstlerische Mission; er fühlte sich dazu ausersehen, große Dinge zu vollbringen. Das Bewusstsein seines Genies erschien ihm stets unzweideutig. Also freiwillig und ohne Bedauern entschied er nach zehn Jahren bürgerlichen Glückes, im Januar 1883, sich ganz der Kunst zu widmen.

Ein erschütternder Entschluss! Hüten wir uns vor leichtfertigen Vergleichen! Trotzdem, kann man bei diesem Menschen, der den stillen Wohlstand eines gemütlichen Heimes verlässt, um nach seinem Belieben zu malen, nicht an einen frommen Menschen denken, der das väterliche Haus verlässt, um in den Mauern eines Klosters durch Fasten und Kasteiungen seine Tage dem Herrn zu weihen? Wie dem auch sei, Gauguin verlässt im Januar 1883 den Bankier, bei dem er zehn Jahre gearbeitet hatte. Er atmet auf! . . . Schluss! Diese Tage sind vorüber, in denen er Buchhalter war, zu Ende diese widerwärtigen, verlorenen Stunden in dem trüben Dunstkreis der Börse!

Plötzlich stellt er seine Frau vor die vollendete Tatsache. Es scheint, als ob gewaltsam ein Schleier von den Augen Frau Gauguins weggerissen wird, und eine ungekannte Helle nun die Augen schmerzend trifft. Dieser jungen Frau, hervorgegangen aus einer Beamtenfamilie, die die Ordnung liebt, die ein instinktiver Feind alles Bohêmehaften ist, erscheint die Handlungsweise des Malers wie eine Tollheit fast wie ein Verbrechen. Von diesem Augenblick an mag ihr dieser Mensch, der ihr Ehemann ist und den sie zu kennen wähnte, fremder erschienen sein als ein Bewohner des Sirius. Sie wird über die Handlungsweise Gauguins nicht erzürnt sein, sie wird seine Gründe in keiner Weise tadeln, sie wird sie nicht mehr begreifen. Sie werden nicht mehr die gleiche Sprache sprechen: sie wird dänisch sprechen, er wird französisch antworten. Sie wird auf ein friedliches bürgerliches Leben bedacht sein, er wird nur noch von der Kunst träumen.

Wenn ihre Söhne am Ende ihres Lebens nach ihrem Vater fragen werden, wird sie nicht ein bittres Wort, nicht ein Wort des Vorwurfes haben. Sie wird ganz einfach sagen: „Ich selbst verstehe nichts von Kunst, ich kann also nicht sehr gut die Beweggründe Eures Vaters erfassen. Aber er war so klug, dass ich nicht glaube, dass er jemals etwas Schlechtes hätte tun können.“

Und von nun an wird die Kluft immer tiefer. Ihre Gedanken, die wie Schienen parallel liefen, sollten nach und nach abweichen, ohne dass sich die Beiden anfangs dieser schrecklichen Divergenz ihrer Geschicke bewusst wurden. Der Schlag war für Frau Gauguin hart. Doch sie hatte eine glückliche und würdevolle Natur. Diese große schlanke junge Frau, mit dem energischen und entschlossenen Gang, die oftmals Vergnügen daran fand, Männerkleidung anzulegen, ertrug keine Traurigkeit. Mit einem unbesiegbarem Optimismus ausgestattet, glich sie jenen mutigen Walküren, die sich durch das Leben nicht einschüchtern lassen. Ihr starkes Selbstvertrauen ließ sie jeden Augenblick sagen: „Bah, nicht mutlos werden, wir werden dies schon in Ordnung bringen, es ist nicht schwer!“

Sie widersetzte sich also dem Entschlusse ihres Mannes nicht; sie wusste übrigens, dass ihre Versuche nutzlos gewesen wären. Dies wurde zum großen Unglück! Kein Bild wurde verkauft; die Kunstliebhaber und Händler fanden den Weg zum Atelier des Malers nicht, und die Geldmittel für den Haushalt versiegten. Über die Teuerung des Pariser Lebens entsetzt, dachte Gauguin, dass das Leben in der Provinz billiger sein würde. Er zog also mit seiner Familie nach Rouen, wo er hartnäckig voller Leidenschaft arbeitete.

Indessen waren die mageren Ersparnisse dreiviertel verbraucht. Die Zukunft erschien Gauguin in den düstersten Farben. Dennoch musste man leben. Der Künstler dachte an Dänemark; ein unheilvoller Einfall. Dort lebte die Familie seiner Frau, allgemein angesehen. Frau Gauguin, die auf die Beziehungen ihrer Familie rechnete, um ihrem Manne zu helfen, ermutigte ihn darin, Frankreich zu verlassen.

Der Maler erhielt die Vertretung für eine Planenfabrik. Dann schiffte er sich voller Hoffnung nach Kopenhagen ein.

Ein trauriges Abenteuer, das er zerschlagen und für immer erbittert hinter sich lassen sollte! Das ewige und abgedroschene Missverständnis, das den Schwiegersohn und die Schwiegermutter miteinander kämpfen lässt, den Künstler mit dem Bürger, brach die Familie Gauguin für immer auseinander.

Er hat selbst in „Avant et Après“ erzählt, wie sein freies und offnes Benehmen bei der puritanischen Bevölkerung Kopenhagens Anstoß erregte. Übrigens weit davon entfernt die Sympathie seiner Wirte zu gewinnen, schien er ein Vergnügen daran zu haben, ihre Vorurteile schonungslos anzugreifen woraus anfangs ein Gefühl des Misstrauens, dann eine wirkliche Feindseligkeit gegen ihn erwuchs. Seine Schwiegermutter, seine Schwager, korrekte Staatsbeamte, sparten nicht mit scharfen und unartigen Anspielungen auf den Künstler-Pechvogel. Denn er hatte kein Gluck; sein Vertreter-Geschäft schlug jämmerlich fehl. Es konnte nicht anders sein: wie hatte ein Mann wie Gauguin, barsch, heftig, selbstbewusst, sich den undankbaren Verpflichtungen eines Handelsreisenden fügen können? Eines Tages befand er sich bei einem Großkaufmann in Kopenhagen, dem er erfolglos eine ansehnliche Lieferung von Leinen und Planen zu verkaufen versuchte. Unwillig geworden durch die höfliche, aber hartnackige Weigerung des Mannes, nahm er ein Glas Wasser, das sich auf dem Tische befand und warf es wütend seinem widerspenstigen Kunden an den Kopf.

Ähnliche Wutausbrüche waren nicht geeignet, ihn in seiner Laufbahn vorwärts zubringen. Mit seinem Familienleben ging es kaum besser als mit seinen Geschäften. Mette hatte ihren Kreis wiedergefunden, während Gauguin dieses Exil schlecht ertragen konnte. So entdeckten sie voller Schmerz die nie wieder gutzumachende Verschiedenheit ihrer Abstammung.

Gauguin lebte mehr und mehr in sich selbst zurückgezogen. Da er gern schweigsam war, fiel es ihm leicht, tagelang keine Silbe zu sprechen. Je einsamer und trauriger er war, um so umgänglicher, optimistischer und fröhlicher war Mette. Die gesellschaftlichen Rücksichten erschienen ihm jeglichen Interesses bar, so dass er niemals Wert darauf gelegt hatte, sich ihnen anzupassen.

Eines Abends empfing seine Frau einige Freundinnen bei sich in ihrem Zimmer. Sie tranken bei ihr Tee und plauderten. Da öffnet sich die Tür, und ein Mann, mit einem Hemd bekleidet, mit nackten Beinen, die Füße in Pantoffeln, betritt das Zimmer, grüßt harmlos die Gesellschaft, nimmt ein Buch vom Tisch und zieht sich still wieder zurück. Was für ein Skandal! Gauguin war, ohne sich um seine Ausstaffierung zu kümmern, ruhig aus seinem Bett aufgestanden, um ein Buch zu suchen, das er brauchte.

Derartige tolle Streiche gingen nicht vorüber, ohne Frau Gauguin tief zu verletzen, und sie verschonte ihren Mann nicht mit Vorwürfen. . . . Ach, wie drückend war für einen Künstler diese Atmosphäre der feindseligen Gesinnung, die ihn in den engen Kreis der Familie seiner Frau hineinpresste! Wie viel wussten sie über ihn zu sagen; die stummen Blicke seiner Schwäger jedesmal, wenn sie ihn müßig in der Wohnung sitzend antrafen! Es war offensichtlich! Wozu taugte er? Er konnte sich nicht einmal allein ernähren. Er musste sich von Leuten beherbergen lassen, die er verabscheute und deren beschränkte Einsicht er verachtete. Gauguins stolze Seele litt grausam unter diesem Zustand. Angstvoll verfolgte er im Herzen seiner Frau die Fortschritte dieses Übels, das ihre gegenseitige Liebe niemals wieder heilen sollte.

Es stimmt: ihre Familie unterhielt ihn. Aber was tat es? Konnte man denn nicht diesem Genie, das er lebendig und stark in sich fühlte, Kredit geben?

Alle behandelten ihn schlecht. Selbst seine Frau glaubte nicht an seine künstlerischen Fähigkeiten.

Er fühlte sich herabgesetzt, geschmälert. Er war der Arme, der keinen Erfolg hat. Man schämte sich seiner alten Kleider; niemand hatte Vertrauen zu ihm. In den Augen dieser unversöhnlichen Bourgeoisie verkörperte er, was die Gesellschaft niemals verzeiht: die Niederlage.

Und seine vielgeliebte Mette strahlte in vollem Glanze ihrer hellen, blonden Schönheit; sie war wie die duftende Rose, die die Bienen und Schmetterlinge anzieht . . . Um für die Bedürfnisse des Hausstandes zu sorgen, hatte sie sich tapfer an die Arbeit begeben: sie erteilte eleganten und geckenhaften jungen Diplomaten französischen Unterricht. Welche Frau fühlt sich über Huldigungen beleidigt, die ihr dargebracht werden? Und welcher Mann, der sich in der herzzerreißenden Lage befand wie der Künstler, hatte nicht Wut und tiefen Kummer im Herzen gehabt, als er das grausame Spiel erriet, dem sich seine lachende und innerlich gefestigte Frau ohne Gewissensbisse hingab?

Er stieß ein bitteres Wort hervor, seine Frau antwortete in der gleichen Weise, und die hinzukommende Schwiegermutter verschlimmerte noch eine so peinliche Unterhaltung.

Es war im Monat Juni 1885. Gauguin hatte jede Hoffnung verloren, sich in Kopenhagen eine unabhängige Stellung zu verschaffen. Es blieb nur eine Lösung: die Rückkehr nach Paris. Er entschloss sich schnell dazu. Aber wie? Er befand sich vollkommen ohne Geldmittel. Er konnte also keinen Augenblick daran denken, seine Familie mit sich zu nehmen.

Er fügt sich darein, sich von seiner Frau zu trennen so gebieterisch ist die Stimme seiner künstlerischen Berufung. An einem schönen Sommerabend besteigt er mit seinem Sohn Clovis den Zug nach Paris, während Frau Gauguin mit ihren vier Kindern: Emil, Jean, Paul und Aline bei ihrer Familie bleibt . . .

Die Zeit für Liebeslieder ist endgültig vorbei. Leiden jeglicher Art brechen über den Künstler herein.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Paul Gauguins Lebenskampf 1848-1903
Paul Gauguin

Paul Gauguin

Paul Gauguin 1893

Paul Gauguin 1893

Paul Gauguin, 1875

Paul Gauguin, 1875

Paul Gauguin, 1875

Paul Gauguin, 1875

Paul Gauguin

Paul Gauguin

Paul Gauguin 1891

Paul Gauguin 1891

alle Kapitel sehen