Zeit der Hölle

Ein schweres Opfer hatte Gauguin seiner Kunst gebracht. Wie man auch bisweilen darüber gedacht haben mag, der Maler liebte seine Frau innig trotz des schrecklichen Missverständnisses, das seine Familie spaltete. Wenn er sie verlassen hat, so geschah es nicht infolge eines Streites, nicht in einem Wutanfall, sondern kaltblütig, und nachdem sie beide reiflich das Für und Wider dieser Trennung erwogen hatten.

Der offizielle Grund, der die Ehegatten zur Trennung zwang, war der Geldmangel. Aber hatte Gauguin unparteiisch sein Herz befragt, so hatte er sich vielleicht bei einem anderen Beweggrund ertappt. Unbewusst spürte er die Ahnung, dass die Gegenwart seiner Frau trotz der Liebe, die er weiterhin für sie hegte die freie Entfaltung seines Genies hemmen würde. Zweifellos war dieses Auseinanderreißen grausam; sein Herz blutete: diese Mette, von der er geträumt hatte, dass ihre Gedanken sich eines Tages so sehr in die seinen hineindenken würden, dass ihre Seelen zu einer ebenso vollkommenen Vereinigung gelangen wurden wie ihr Körper jetzt musste er erkennen, dass er sich seinerseits getäuscht hatte. Er hatte nicht einmal das Recht, ihr darüber böse zu sein. Was konnte er ihr vorwerfen? Sie war fest und gerade wie blanker Stahl, und wenn er sie für begeisterungsfähig und künstlerisch veranlagt gehalten hatte, so konnte er sich selbst nur die Schuld beimessen. Sie war bürgerlich, und sie hatte ihn nicht mehr über die innerste Natur ihres Wesens getäuscht als er selbst seinen Charakter geändert hatte. Trug er nicht die trügerische Maske eines ehrenwerten Bankbeamten, als sie vertrauensvoll und glücklich den Antrag angenommen hatte, sein Leben mit ihm zu teilen?


Was tut's! Wahre Liebe widersteht diesen Enttäuschungen, und Gauguin sollte, allem Anschein zum Trotz, bis zum Tode bei der Erinnerung an die Geliebte gerührt werden.

Doch in diesem Augenblick sind die Wunden, die seiner Eigenliebe geschlagen wurden, noch zu frisch; die Erinnerung an die hinterhältigen Gemeinheiten seiner Schwiegereltern plagt ihn. Ach, wie er diese schlaffen und faden Burger verabscheut! Ohne jeden Zweifel sind sie die Urheber seiner ehelichen Misshelligkeiten.

Und er brummt voller Wut: „Ach, wenn Mette eine Waise gewesen wäre, wenn sie keine Familie gehabt hätte, nichts von alledem wäre gekommen, und unser Gluck würde nicht in den letzten Zügen liegen!“

Gauguin ist ein wenig rau, ein wenig ungesittet. Er verabscheut, was man landläufig „die Gesellschaft“ nennt. Sein Geist zieht sich in Gegenwart Lästiger zurück wie der Igel beim Herannahen einer Gefahr. Er bleibt stundenlang schweigsam und still, und wenn er sich die Mühe gibt, sich liebenswürdig zu zeigen, so scheint es ihm, als ob seine Muskeln versagen, seinem Willen zu gehorchen. Es bedarf nur einer Kleinigkeit, ihn mürrisch zu machen!

Ihm ist am Morgen eine Sache geglückt, seine Seele neigt sich dem Optimismus zu. Doch da vernimmt er in dem Zimmer, in dem er seine Frau aufsuchen muss, mehrere Stimmen: eine seiner Schwägerinnen plaudert mit Mette. Vorbei! Er hatte ihr tausend Dinge zu erzählen, tausend Pläne seiner Frau anzuvertrauen, nicht ein Laut wird mehr aus seiner von Wut zusammengeschnürten Kehle kommen. Und die Schwägerin bleibt aus Dummheit oder Bosheit, geht und kommt wie eine zudringliche Fliege. Gauguin öffnet nicht die Lippen. Wozu denn? Sie versteht nicht oder will nicht verstehen, dass sie lästig ist.

Und so ist es andauernd! Immer wird zwischen ihm und seiner Frau jemand Fremdes stehen, der nach und nach jegliche Vertraulichkeit zerstören wird. Wie soll man da noch staunen, dass von dieser Zeit an der französische Künstler einen eigensinnigen Haft gegen seine dänische Familie hegte? Selbst fern von Kopenhagen, in Paris, in Fort-de-France oder in Tahiti, sollte er niemals die täglichen Plackereien vergessen, die ihm seine Schwiegereltern antaten.

Hat man ihn in den Augen seiner Frau hinreichend her abgewürdigt, genügend erniedrigt? Seine Kunst? Pah! Was taugt eine Malerei, die niemand kauft und die nicht einmal ausreicht, dass der Künstler davon leben kann?

Was tut's! Gauguin glaubt an sein Genie. Er wird ein Werk schaffen, er weiß es. Und der Tag, an dem seine von allen bewunderten Bilder gegen Geld aufgewogen werden, ach, der ist die schönste Rache! Die Geliebte wird ihre Ansicht ändern und wird höhnisch ihren Eltern entgegenschleudern:

„Nun, hatte er nicht recht?“

Er wird wieder das Familienoberhaupt werden, dem man zuhört, gehorcht, und das geachtet wird; er wird seinen Kindern ein Auskommen sichern, und die schönen Tage im Familienkreise werden wiederkommen, warm und golden wie das schöne Brot, das aus dem Ofen kommt.

Indessen landete er, von seinem kleinen Clovis begleitet, mit sehr leichten Taschen, in Paris. Er lässt sich in Vaugirard nieder und die Geldverlegenheit, die schreckliche Folter die recht oft dem Elend gleichkommt befällt ihn plötzlich und verfolgt ihn bis zum Tode.

Dieser Künstler, der uns oftmals wie ein unnatürlicher Vater erschienen war, vergöttert sein Kind. Es ist ein Zug der Zusammengehörigkeit, der ihn noch mit seiner Frau verbindet, eine lebendige Erinnerung an die ersten Jahre des Wohlstandes und Glückes. Welche Quelle der Sorgen ist aber auch dieses Bübchen für einen unbekümmerten und armen Künstler! Gauguin macht sich voller Eifer an die Arbeit. Er beraubt sich alles Überflüssigen, und oftmals des Notwendigen, damit sein kleiner Junge nicht zu sehr leidet. Denn es ist Winter geworden . . .

Er schreibt an seine Frau:

„Gegenwärtig schläft Clovis in seinem kleinen Bett, das ich gemietet habe, und ich auf einer Matratze mit einer Reisedecke. Nachts frieren wir sehr, und ich habe keinen Pfennig, um Decken zu kaufen*.“ [(i]

*) Kein einziger Brief Gauguins trägt ein Datum. Nur annähernd geben wir für die interessantesten Briefe das Datum an.

Die Not des Malers war derart, dass sie ihn zwang, jedwede Arbeit zu suchen.

So gekämpft zu haben, auf die einträgliche Stellung bei Bertin verzichtet zu haben, um jetzt bis zum äußersten getrieben zu werden!

[i]„Man hat mir eine Stellung als Inspektor des Reklamewesens angeboten mit 300 Franken monatlich. Seit einem Monat ist es wieder kalt. Es schneit. Ich schlafe auf einem Brett in einer Reisedecke eingewickelt. Es stimmt, dass die Plackereien des Tages die schlaflosen Nächte wieder wettmachen.“


Das Unglück ist ein Sumpfloch, in das man mit jedem Tage immer mehr versinkt. Die Versuche Gauguins, dem Elend zu entgehen, schlugen kläglich fehl.

„Die Versteigerung, mit der ich rechnete, versetzte mir einen Schlag. Ich habe eine kleine Wohnung gemietet, 10 rue Cail. Heute in einer Woche muss ich sie notdürftig eingerichtet haben, damit Clovis und ich darin schlafen können. Und ich habe kein Geld!“

Die Entbehrungen untergraben die Gesundheit des Knaben; blutarm infolge mangelnder Ernährung, zieht er sich, um das Unglück voll zumachen, die Wasserblattern zu. Und schon hat sich der Künstler zur Krankenpflegerin umgewandelt! Durch Wunder an Energie gelingt es ihm, die wenigen nötigen Mittel zu finden, um den Kranken zu pflegen, und bald kann er Mette beruhigen:

„Clovis geht es besser. Augenblicklich spielt er mit Zeitschriften, die er ausschneidet. Du hast unrecht, wenn Du glaubst, dass ich mutlos bin! Ich bin ohne Geld, das stimmt, aber ich hoffe eines Tages genug zu verdienen, um frei und vor allem ruhig zu sein. Betrübe Dich nicht, wenn Du mir nicht nützlich sein kannst. Ich verlange nichts von Dir.“

Der Künstler erzählt seiner Frau nichts von dem Kalvarienberg*, den er erklommen hatte! Gedenken wir stets, wenn wir über Gauguin urteilen, des Abgrundes der höchsten Not, in den er in diesem Jahre 1886 fiel.

*) Kalvarienberg bezeichnet zunächst die Hinrichtungsstätte Jesu Christi vor den Toren Jerusalems, im weiteren Sinne auch umfangreiche Nachbildungen der Kreuzigungsszene, die im Zuge der Gegenreformation entstanden und von Katholiken als sakrale Stätten genutzt werden.

Warum nicht diese unbezähmbare Energie an ihm bewundern? Das unerschrockenste Herz wäre zu entschuldigen gewesen, wenn es die Versuchung gefühlt hatte, den Kampf aufzugeben. Nichts dergleichen bei Gauguin. Geschwächt, zerschlagen, elend, durch das widerwärtige Missgeschick zermürbt, weigert er sich, sich geschlagen zu geben und denkt bereits an zukünftige Vergeltung.

Es ist von ihm ein herzzerreißender Brief vorhanden, der die Beziehungen zu seiner Frau eigenartig beleuchtet und das bedauernswerte Missverständnis betont, das ihre Ehe vergiftet. Man kann dieses Dokument nicht mit Stillschweigen übergehen:

„Not kennt kein Gebot: manchmal bringt sie es auch fertig, dass der Mensch die Grenzen überschreitet, die die Gesellschaft ihm gezogen hat. Als der Kleine an Wasserblattern erkrankte, hatte ich 20 Centimes in der Tasche, und wir aßen seit drei Tagen trockenes Brot auf Pump. In meiner Verzweiflung kam mir der Gedanke, mich als Plakatkleber einer Gesellschaft für Plakatwesen in Bahnhöfen vorzustellen. Der Direktor müsste über mein bürgerliches Aussehen lachen, aber ich sagte ihm sehr ernsthaft, dass ich ein krankes Kind hatte und arbeiten wolle. Für 5 Frcs. täglich habe ich dann Plakate geklebt. Während dieser Zeit lag Clovis fiebernd in seinem Bett, und abends, wenn ich heimkam, pflegte ich ihn. Dieses Handwerk hat drei Wochen gedauert, und heute hat der Direktor der Gesellschaft mich als Inspektor und Sekretär der Verwaltung mit 200 Frcs. monatlich engagiert. Offenbar hat man mich intelligent gefunden.“

Gauguin spricht auch von einem Vorschlag, der ihm gemacht worden ist, nach Spanien zu gehen. Dann fährt er mit jener bittren Ironie fort, die für immer die Ehegatten trennte:

„Deine Eigenliebe als Dänin wird verletzt sein, einen Mann zu haben, der Zettelankleber ist. Was willst Du, nicht jeder hat Talent. Beunruhige Dich nicht über den Kleinen; es geht ihm täglich besser, und ich denke nicht daran, ihn Dir zu schicken. Im Gegenteil, ich rechne sehr damit, je nachdem meine Verhältnisse sich bessern werden, von den anderen Kindern auch welche herzunehmen. Das ist mein Recht, das weißt Du.

. . . Mit großer Ruhe und Kaltblütigkeit studiere ich alle Deine Briefe, die mir übrigens vollauf bestätigen, dass ich Dich geliebt habe. Aber dass Du nur Mutter und nicht Gattin bist, usw. Dies sind für mich sehr angenehme Erinnerungen, aber sie haben den großen Nachteil, mir keinerlei Illusionen für die Zukunft zu lassen. Auch dürfte es Dich nicht erstaunen, dass, wenn meine Lage besser sein wird, ich eines Tages eine Frau finde, die auch etwas anderes als Mutter ist, usw. . . . Ich weiß wohl, dass Du mich jeden Reizes bar hältst, aber das ist für mich ein Ansporn, Dir das Gegenteil zu beweisen . . .

. . . Währenddessen fahre fort, wie Du es jetzt tust, jeden mit reinem Gewissen von oben herab zu betrachten, von Deinen Pflichten durchdrungen. Es gibt übrigens nur ein Verbrechen: den Ehebruch. Außer diesem ist alles rechtschaffen.“


Ach, wie sehr errat man aus diesen Zeilen die ganze kindische Bitterkeit des enttäuschten und ungerechten Liebenden!

Was tat Frau Gauguin in Kopenhagen? Da sie mit einem sehr regen Geist begabt war, hatte sie die glückliche Idee, die berühmtesten französischen Romane ins Dänische zu übersetzen. So machte sie ihre prüden Landsleute mit Zola bekannt; sie waren darüber entsetzt und entzückt. Diese gutlohnende Arbeit gestattete Frau Gauguin angenehm zu leben und ihre Kinder gut zu erziehen. Litt sie unter der Abwesenheit ihres Mannes? Mit ihrem kalten und vernünftigen Temperament ertrug sie die Trennung ziemlich ruhig. Und dann, was nützt es, sich gegen das Schicksal aufzulehnen? Es war notwendig, dass Paul in Paris lebte, um zu arbeiten, wie er wollte. So beugte sie sich! Wenn der Erfolg eines Tages die Bemühungen des Malers krönte, würde sie sicher mit Vergnügen das gemeinsame Leben wiederaufnehmen.

Da Frau Gauguin von gewissenhafter moralischer Ehrenhaftigkeit war und ein einwandfreies Benehmen hatte, konnte sie zeitweilig nicht umhin, sich zu beklagen. Dann versucht sie ihren Mann zu bewegen, Mitleid mit ihr zu haben. Sie geht fehl. Man möge nur die Wirkung beurteilen, die diese unbestimmten Geständnisse ihrer belanglosen Enttäuschungen auf das Gemüt eines Mannes machen, das durch Entbehrungen und Sorgen für den nächsten Tag untergraben ist! Denn seine Not ist schlimmer, als man es sich jemals wird vorstellen können. In einem Brief, der in einem herzzerreißenden Ton gehalten ist, offenbart er ihr diese Einzelheiten, die er im Innern seines Herzens hatte bewahren wollen:

„Ich habe Deinen Brief erhalten, der Deine traurige Lage schildert; ich gebe mir Mühe, Deiner Ansicht zu sein, und ich gestehe, dass ich Deine Angelegenheiten nicht so traurig sehe, wie Du sagst. Du bist in Deinem Hause, das ziemlich anständig eingerichtet ist, umgeben von Deinen Kindern, verrichtest hartnäckig eine Arbeit, die Dir aber gefällt . . . Du siehst Menschen, und da Du die Gesellschaft von Frauen und Deinen Landsleuten liebst, kannst Du Dich manchmal zufrieden stellen. Du genießt die Annehmlichkeiten der Ehe, ohne die Unbequemlichkeiten des Gatten zu haben. Was willst Du mehr, wenn nicht ein wenig Geld?

Und ich dagegen? Ich bin aus meinem Hause gejagt und lebe irgendwo! Zwischen vier Wänden, einem Bett, einem Tisch, ohne Feuer, ohne jemand. Clovis ist heldenhaft, wenn wir uns abends an unserem Tisch vor einem Stück Brot und Schweinefleisch zusammenfinden. Er denkt nicht mehr an seine Gefräßigkeit von früher. Er schweigt, verlangt nichts, nicht einmal zu spielen, und geht schlafen. So ist für ihn das Leben alle Tage. Sein Herz und seine Vernunft sind jetzt wie bei einem Erwachsenen. Er wächst von Tag zu Tag, aber es geht ihm nicht sehr gut.“


Und weiter heißt es:

„Clovis ist sehr vernünftig. Er hat begriffen, das sein Vater arm ist. Auch verlangt er niemals Kuchen, den er so sehr liebte.“

Und Gauguin lässt sich was selten vorkommt sogar fortreißen, sein Verhalten Mette gegenüber zu erklären. Wie fern sind wir jener zynischen, herzlosen und ausschweifenden Persönlichkeit der Legende gerückt:

„Du hast unrecht zu glauben, dass ich zornig bin. Ich bin zu einer sehr großen Verhärtung gelangt und empfinde nur noch Ekel gegen alles, was vor sich gegangen ist. Mögen die Kinder mich vergessen, auch das ist mir heute gleichgültig geworden. Ich sehe übrigens niemals eine Möglichkeit, sie wiederzusehen, und Gott möge es gefallen, dass der Tod uns alle hinwegnimmt! Es wäre das schönste Geschenk, das er uns machen würde. Beunruhige Dich nicht wegen des Verzeihens Deiner Fehler, schon lange habe ich das alles vergessen; sogar Deine Schwester, die sich als die Böseste und Dümmste erwiesen hat in dem, was vor sich gegangen ist, erscheint mir heute als eine Frau wie die anderen. Ich habe stets unrecht gehabt, an die Tugend zu glauben. Alles ist vergessen.“

Hat Frau Gauguin nicht all' das, was an Überdruss und höchster Not im Herzen ihres Mannes war, zu erraten vermocht? Hat die bittre Ironie dieser Zeilen ihre Empfindlichkeit verletzt? Sie beantwortet diesen Brief gar nicht, was ganz gegen ihre Gewohnheit war. Dieses Stillschweigen brachte ihr eine scharfe Bemerkung ein:

„Meine liebe Mette, seit mehr als zwei Monaten hast Du mir kein Lebenszeichen gegeben, und ich bin der Verfasser des letzten Brief es. Du schmollst, um Deine Eigenliebe zu befriedigen. Was tut's! Eine Kleinlichkeit mehr oder weniger, und, mein Gott, wenn Du glaubst, recht zu tun, fahre fort. Das ist ein Weg, der Dir Ehre macht! . . “

Clovis ging es besser. Gauguin begreift, dass dem Burschchen ein geregeltes Leben, eine weniger phantastische Hygiene fehlt. Er gibt ihn in der Umgebung von Paris in Pension; die gute Luft wird ihn sicher wieder zu Kräften kommen lassen. Doch welche Entbehrungen soll sich der Künstler noch auferlegen! Ach, dieses schmutzige und schmierige Elend, in dem er klebt, diese trostlose Armut, die empfindlichen Herzen keinerlei Freude gestattet!

„Seit meiner Ankunft in Paris ist das Leben, das ich führe, so wenig freundlich. Ich habe, man weiß nicht wie, mit 350 Frcs. gelebt, die von dem Verkauf meines kleinen Jongkind stammen. Davon musste ich überdies die Pension für Clovis bezahlen, den ich bei mir habe, ohne Schuhe an den Füßen und ohne ein Spielzeug zum Geburtstag. Schließlich gewöhnt man sich an alles. Glücklicherweise habe ich 27 Tage im Krankenhaus zugebracht. Unglücklicherweise bin ich wieder entlassen. Ich glaubte, dieses Mai wäre es vorbei, aber bah! dieser satanische Körper aus Eisen gewinnt wieder die Oberhand. Wenn Du etwa glaubst, dass ich während der Nächte im Krankenhaus mit Vergnügen an die große Einsamkeit dachte, die mich umgab! Ich habe dort ein solches Maß an Bitterkeit angesammelt, dass, wenn Du in diesem Augenblick kommen würdest, ich tatsachlich glaube, ich würde Dich nicht empfangen und wenn, dann böse. Du hast ein Heim und so gut wie sicher Dein tägliches Brot. Erhalte es Dir sorgfältig! Es ist ein Paradies im Vergleich zu hier. Frage Schuffenecker, was die Maler von meiner Malerei halten. Und dennoch: nichts.

Der Mensch, der nichts hat, ist erledigt. Ich male Keramik. Schuffenecker und der Fabrikant sagen, dass es Meisterwerke seien, aber sie sind wohl zu künstlerisch, um verkauft zu werden."


Nichts ist so geeignet wie die Trennung, um verliebte Zwistigkeiten einzurenken. Seit der Abreise ihres Gatten hatte Frau Gauguin ihre Ruhe wiedergefunden, daher zweifellos das Geständnis ihrer Gewissensbisse.

Wie alle empfindlichen Gemüter, so verbirgt Gauguin seine innere Bewegung hinter der Maske der Ironie:

„Merkwürdig ist Dein letzter Brief mit Deinen Selbstmordideen und Deiner Liebe, die wie durch Hexerei hervorbricht. Übrigens in der Entfernung ist die Liebe nicht kostspielig. Es geht mir genau so; jetzt wo Du nicht mehr da bist, fühle ich, dass ich Dich lieben werde, und Du wirst sehen, dass, wenn wir in zehn Jahren gezwungen sein werden, uns wiederzusehen, wir zur Strafe auf der Stelle verbrennen. Jetzt braucht nicht eines Deiner Kinder Französisch zu sprechen. Deine Familie muss sehr stolz sein, auf der ganzen Linie zu siegen. So seid Ihr nun alle Dänen! Tausend Küsse an Euch alle, die ich anbete!“

Bedrängt von so vielen Sorgen, niedergedrückt von so viel Verdruss, ist es geradezu ein Wunder, das Gauguin noch arbeiten konnte.

Wie sehr hat er Ruhe, frische Luft nötig! Es glückt ihm mit großer Mühe einige Gemälde zu verkaufen. Da hat er also ein wenig Geld in der Tasche. Aber das Leben in Paris ist so teuer, dass seine bescheidenen Geldmittel schnell verbraucht sein werden. Man hat ihm Pont-Aven in der Bretagne empfohlen, als ein für Maler gesegnetes Stuck Erde. Nichts hält ihn in Paris. Er nimmt also den Zug nach dem malerischen, bretonischen Stadtchen, das der Mittelpunkt einer trefflichen, künstlerischen Bewegung werden sollte. Wir wollen bei dem Aufenthalt des Künstlers in Pont-Aven nicht weiter verweilen. Diese Periode seines Lebens ist Gegenstand ernsthaft beurkundeter Studien gewesen. Es scheint in jedem Fall, dass die heilsame Luft der Bretagne ein wenig die düsteren Gedanken Paul Gauguins verscheucht hat; er kommt wieder mit dem Leben in Berührung, seine Briefe werden optimistischer.

„Ich erhielt neulich von Clovis Nachricht. Er scheint sich sehr wohl zu befinden. Er fehlt mir sehr und hatte ich Geld gehabt, hatte ich ihn hierher gebracht. Nun wird der arme Kleine keine Ferien haben, doch man tut eben nur was man kann . . . Eigenartig wie ich mich in all dem Wirrwarr wohl befinde, niemals bin ich so tätig gewesen. Wenn ich fallen soll, wird es zweifellos mit einem Schlage sein.“

Je ruhiger er wird, desto zärtlicher wird er.

Seiner Frau, die fürchtet, dass sie den Krebs hat und gezwungen ist, sich einer Operation zu unterziehen, antwortet er:

„Wenn ich statt Deiner operiert werden konnte, ich würde es sehr gern tun, und trotz all des Bösen, das Ihr mir angetan habt und das ich niemals vergessen werde, möchte ich dies lieber für Dich ertragen.“

In Pont-Aven wird sich Gauguin endgültig seines Genies bewusst. Er ist stolz auf den Einfluss, den er, ungewollt, auf seine Gefährten ausübt.

„Ich arbeite hier viel und mit Erfolg. Man schätzt mich hier als den bedeutendsten Maler von Pont-Aven; es ist wahr, dass mir das keinen Pfennig mehr einbringt. Aber es bereitet vielleicht die Zukunft vor. In jedem Fall verschafft es mir einen achtbaren Ruf und alle Welt (Amerikaner, Engländer, Schweden, Franzosen) diskutieren meine Ratschläge, die ich dumm genug bin zu geben, weil man uns schließlich braucht, auch ohne den berechtigten Dank.“

Manchmal schneidet ihn seine Armut bis tief in das Herz, aber die Hoffnung auf bessere Tage leuchtet am Horizont:

„Die Geldsorgen entmutigen mich vollständig, und ich möchte wirklich ein Ende darin sehen. Schließlich schicken wir uns hinein und es komme, was wolle. Und vielleicht eines Tages, wenn meine Kunst jedem in die Augen springt, dann wird mich eine begeisterte Seele in der Gasse auflesen . . . Meine Malerei ruft viele Diskussionen hervor, wirbelt viele Fragen auf, und ich muss sagen, sie findet bei den Amerikanern eine günstige Aufnahme. Eine Hoffnung für die Zukunft. Es stimmt, ich habe viele Fortschritte gemacht, und Du wirst meine Malerei kaum wiedererkennen.

Hoffen wir, dass der nächste Winter besser sein wird; in jedem Fall werde ich weniger unschlüssig sein. Eher werde ich mich töten als wie ein Bettler zu leben, wie ich es im letzten Winter getan habe.“


Gauguin kehrt im Winter nach Paris zurück. Eine Ausstellung seiner Werke hat einen gewissen Erfolg:

„Meine Ausstellung hat die ganze Frage des Expressionismus wieder aufs Tapet gebracht“ . . .

Der Kupferstecher Bracquemond, der sich außerordentlich für seine Gemälde begeisterte, stellt ihm einen Vasenfabrikanten vor, mit dem Gauguin hofft, Kunstgefäße anzufertigen. Und zum erstenmal steht in seinen Briefen der Name Tahiti, der in seinem Leben eine so wichtige Rolle spielen sollte:

„Man bietet mir in Ozeanien eine Stelle als Landarbeiter in den Pflanzungen an. Aber das heißt, die ganze Zukunft aufgeben, und ich wage nicht, mich damit zu bescheiden. Ich fühle, dass mit Geduld und ein wenig Hilfe, die Kunst mir noch einige schöne Tage vorbehalten kann.“

Der Samen war ausgestreut, er sollte keimen. Gauguin sollte von nun an, müde vom Kampf ums tägliche Brot, angeekelt durch tausend Schändlichkeiten, von jenen fruchtbaren und gnädigen Inseln träumen, bis zu jenem Tage, da er sich einschiffen wird . . .

Die Schwierigkeiten um das Leben beginnen wieder. Es schneit, und er hat keine Kohlen. Was sollte aus dem Künstler, trotz seiner Tapferkeit, werden, während eines ganzen Winters ohne Geldmittel? Mit jedem Tage mehr beherrscht das Bild der exotischen Länder seinen Geist. Das Blut, das er von seinen peruanischen Vorfahren geerbt hat, begehrt auf; voller Sehnsucht denkt er an die Hafen, die unter der Tropensonne eingeschläfert sind, und die er während seiner Reisen als Steuermannsaspirant flüchtig gesehen hatte. Ach, wie gut würde es tun, im prunkenden Schatten der Mangobäume zu leben und unbeweglich unter den Liebkosungen des Passatwindes zu träumen! Welches Werk konnte er schaffen, losgelost von den Gemeinheiten der nordischen Länder! Dann würde ihm der Ruhm zulächeln, und Mette würde, endlich überzeugt, wieder zu ihm kommen, sanft und darauf bedacht, ihm zu gefallen.

Man kann es nicht genug wiederholen: die eheliche Liebe bildet das Fundament seines Innenlebens. Seien wir dessen gewiss das Bild seiner Frau begleitet ihn auf seinen Reisen. Er weiß, dass die bis ans Ende der Welt Verbannten von einem geheimnisvollen Zauber wie von einem Heiligenschein umgeben sind, und wenn er auf den Ruhm rechnet, so geschieht es in der sicheren und rührenden Hoffnung, dass eines Tages die skeptische und spöttische Mette seine glühendste Bewunderin werden wird.

Welch schmerzliches Geständnis liegt in diesem Brief vom März 1887, in dem er seine Abreise ankündigt:

„Nächsten Monat werde ich mich mit dem Postdampfer nach Amerika einschiffen. Hier kann ich nur von Schulden weiterleben, ein unerträgliches und verweichlichendes Dasein, und ich werde alles versuchen, um darüber ein reines Gewissen zu haben.

Warum so lange warten, ohne mir zu schreiben? Es scheint, dass ich wohl das Recht habe, von Zeit zu Zeit von Euch Nachrichten zu bekommen. Meine Briefe sind nicht sehr heiter, aber was willst Du, ich habe so sehr zu leiden gehabt, dass es beinahe die menschliche Grenze überschritten hat. Ehe ich ins Unbekannte hinausreise, hatte ich gern Nachricht von Dir, in Ermanglung eines Kusses, da ich Dich nicht umarmen und küssen kann.“


Folgenderweise setzt er die Gründe seiner Abreise auseinander:

„Ich reise mit gerade so viel Geld, wie ich für die Fahrt brauche, und ich werde ohne Geld in Amerika ankommen. Was ich dort zu tun gedenke, weiß ich noch nicht, aber was ich vor allem will, ist, Paris entfliehen, das für arme Menschen eine Wüste ist.“

Er erklärt, dass wenn auch sein Name als Künstler von Tag zu Tag an Bedeutung gewinnt, er doch noch Hungers sterben wird. Wenn er nach Panama geht, so ist es, um seine durch Elend und Demütigungen vernichtete Energie wiederzugewinnen. Der Traum von einer verlassenen Insel, der in so vielen Künstlern spukt, bezaubert ihn einen Augenblick. Er nennt eine kleine Insel, Tabogas, verloren im Stillen Ozean, und er hat die Absicht, sich nach ihr einzuschiffen.

Und er schließt:

„Ich werde immer unter der Abwesenheit meiner Familie zu leiden haben, aber ich werde nicht mehr diese Bettelarmut haben, die mich anekelt.“

Dann geht er noch einmal im Augenblick seiner Abreise die Bilanz seines Gefühlslebens durch.

Sieht so der egoistische und grobe Ehemann aus, der aus Herzenslust in die Kolonien reist? Hat er nicht im Gegenteil das stechende Gefühl des düsteren und verborgenen Dramas, das sein Dasein verwüstet? Nachdem er alle Qualen aufgezählt hat, unter denen er leidet, ruft er aus:

„Und mit allen diesen Elendigkeiten, dem Verlust der Liebe, einem zerbrochenen Leben, das ohne jede Hoffnung ist. Denn Du sagst, dass Du mich geliebt hast: erinnere Dich Deines Umganges mit mir. Heute glaubst Du, dass Du Dich zu Deinem Vorteil verändert hast, ich gefalle mir darin, es zu hoffen.“

Und das lässt ihn sich in Hoffnung wiegen:

„Wenn eines Tages nach so viel Jahren der Prüfungen, ich Gluck habe (es müsste uns vereinigen), wirst Du dann in mein Heim wieder die Hölle zurückbringen, die alltäglichen Misshelligkeiten? Versprichst Du mir Liebe oder Hass, die ganze Bitterkeit dieser paar Jahre, die im Sturm dahingegangen sind? Ich weiß, dass Du im Grunde gut bist und ein wenig edelmütig, auch hoffe ich auf Deine Vernunft.“

Und er schließt:

„Ich konnte Clovis nicht besuchen, da ich seine Pension nicht bezahlen konnte, aber heute habe ich Herz wie Magen gegen alle Leiden verschlossen. Einen Kuss an alle. Paul (der Dich noch liebt). Es ist dumm, aber es ist so!“

Nachdem Gauguin große Mühe gehabt hatte, eine Summe für seine Reise zusammenzubekommen, schiffte er sich, begleitet von einem jungen Maler Charles Laval, nicht nach den Antillen sondern nach Panama ein. Sobald er in Amerika angekommen war, schrieb er seiner Frau einen Reisebericht. Er bereut, nicht Guadeloupe oder Martinique „wunderbare Länder, wo es für einen Künstler zu tun gibt“, als Reiseziel gewählt zu haben.

„Diese Schafsköpfe von Kolumbier überlassen einen nicht einen Zoll Erde unter sechs Franken den Meter. Als ich meine Notdurft in einem fauligen Loch verrichtete, das mit zerbrochenen Flaschen und Unrat angefüllt war, hat man mich, von Gendarmen eskortiert, durch ganz Panama geführt und mich schließlich einen Piaster zahlen lassen. Ich hatte Lust, diesen Gendarmen etwas anzutun, aber hier ist die Polizei schnell, sie folgt einem auf fünf Schritt Entfernung, und wenn man sich rührt, bekommt man schon eine Kugel in den Kopf hineingejagt.

Morgen gehe ich fort, um auf der Insel die Hacke für den Durchbruch des Kanals für 150 Piaster monatlich zu rühren. Wenn ich 150 beiseite gelegt haben werde, d. h. 600 Frcs. (eine Sache von zwei Monaten), werde ich nach Martinique abreisen. Von 5 1/2 Uhr morgens bis 6 Uhr abends muss ich bei Tropensonne und Regen Erde schaufeln. Nachts werde ich von Moskitos zerfleischt.“


Gauguin war schon bereit, die Fehler, die seine Frau haben konnte, zu verzeihen. Er legt sich tatsächlich Rechenschaft darüber ab, dass Mette nicht glücklich ist. Sie beklagt sich zwischen den Zeilen über ihre Familie:

„Dein Brief lässt mich viele Dinge ahnen, die Du nicht gestehst, nämlich, dass die Liebe Deiner Nächsten vorteilhafterweise nicht die Deines Mannes ersetzt hat. Und wie würde es werden, wenn ich böse wäre und Dich für immer verlassen hätte? Viele an meiner Stelle wurden es ohne Gewissensbisse getan haben, weil Deine Familie die Trennung begünstigte. Du hast die unbescholtene Ehre mit nach Dänemark genommen. Du arbeitest mehr als die anderen, und man begegnet Dir unfreundlich. Ich habe heute keinerlei Groll gegen Dich, jetzt wo Du Freundschaft und Schutz verdienst, und Du wirst eines Tages vor jedwedem Deinen Kopf heben können. Ich hoffe, dass wir uns bald wiedervereinigen, aber ich versichere Dir, dass nicht einer der Deinen zwischen uns stehen wird, sonst wird aus mir, dem Liebenden und Guten, ein wildes Tier werden.“

Das Missgeschick verfolgte Gauguin bis in die neue Welt. Auf Befehl aus Paris entlässt man eine Anzahl Arbeiter. Gauguin befindet sich unter den Feiernden. Darauf begibt er sich nach Martinique. Dieses Land erscheint ihm nach den ungesunden und Fieber verursachenden Gegenden der Insel wie ein Paradies:

„Ich konnte Dir meine Begeisterung über das Leben in den französischen Kolonien nicht beschreiben. Für wenig Geld gibt es alles, um glücklich zu sein . . . Ich verspreche Dir, dass ein Weiser hier seine Not hat, um sein Gewand rein zu halten; denn an Damen Potiphar fehlt es hier nicht, sie gehen so weit, dass sie ihre Reize ausüben, um einen einzufangen. Vorgestern kommt eine junge Negerin von 16 Jahren und bietet mir eine gespaltene und an die Brust gepresste Guajavenbirne an. Ich wollte sie essen, als ein gelblich aussehender Advokat, der sich gerade dort befand, mir die Frucht aus den Händen nimmt, sie fortwirft und sagt: „Sie sind Europäer und kennen das Land nicht. Sie müssen keine Früchte essen, ohne ihre Herkunft zu kennen. So birgt diese Frucht ein Schicksal. Die Negerin hat sie auf ihrer Brust zerdrückt, und Sie würden sicherlich hernach ihrer Willkür preisgegeben sein.“ Ich glaubte, es sei ein Scherz. Keineswegs. Dieser unglückliche Mulatte (der jedoch seine Studien gemacht hat) glaubte an das, was er sagte. Jetzt bin ich gewarnt, ich werde nicht hineinfallen, und Du kannst ganz beruhigt über meine Tugend schlafen.“

Diese glückliche Zeit der Ruhe in Gauguins Leben dauert nicht lange. Er erkrankt an Dysenterie und Sumpffieber. Die düsteren, traurigen Gedanken kommen ungezahlt wieder und quälen ihn beständig. Mehr als unter der Geldverlegenheit leidet er unter der Einsamkeit:

„Meine arme Mette, ich bedaure, nicht gestorben zu sein. Es scheint, dass, seitdem ich Kopenhagen verlassen habe, alles über uns hereinbricht. Übrigens ist es richtig, dass nichts gut geht, wenn die Familie getrennt ist.“

Ist diese Feststellung nicht das Ergebnis einer bittren Qual? Frau Gauguin schrieb in einem Augenblick moralischer Depression, die bei ihr selten vorkommen sollte, an ihren Mann einen trostlosen Brief. Er antwortete ihr in einer herzzerreißenden Melancholie:

„Wenn wir uns wenigstens verabscheuten! (vor allem hassten), aber Du beginnst das nötige Vorhandensein des Gatten gerade in dem Augenblick zu fühlen, wo es unmöglich ist ... Auf Wiedersehen, liebe Frau, ich umarme Dich, und ich liebe Dich (ich müsste Dich hassen, wenn ich zurückschaue und sehe, wie die bösen Leidenschaften uns trennen. Seit jenem Tage ist alles viel schlimmer geworden).“

Gauguin bleibt längere Zeit ohne Nachrichten aus Kopenhagen. Mehr noch als unter der Krankheit leidet er unter diesem Schweigen:

„Von allen Schlechtigkeiten, die Du mir angetan hast, ist das Schweigen das Schmerzlichste, und ich werde in Frankreich ankommen, von Fieber und Unruhe verzehrt.“

Und als post scriptum fügt er hinzu:

„Es ist unnütz, Dir alle Elendigkeiten des Hungerns zu erzahlen, die ich erdulde ...“

Er entschließt sich also dazu, sich in sein Vaterland zuruckschicken zu lassen. Er kommt dort im Monat Mai an, krank, mutlos und natürlich ohne einen Pfennig. Doch ein ehemaliger Gefährte bei Berlin, Emile Schuffenecker, der ebenfalls Maler geworden ist, gewährt ihm Gastfreundschaft.

So ist er im Atelier seines Freundes in Montrouge untergebracht, wo er den Wein seines Wirtes trinkt und dessen Zigarren raucht . . . Warum sollte er sich einen Zwang auferlegen? Wäre er selbst reich, würde er da nicht auch sein Haus, seinen Weinkeller und seine Börse einem weniger begüterten Freunde offnen? Doch Gauguin war in einem Grade aufbrausend und unhöflich, dass er manchmal seine besten Freunde von sich stieß Schuffenecker spricht eines Tages, in der Meinung Gauguin gefällig zu sein, voller Begeisterung von ihm zu einem reichen Kunstliebhaber. Während sein Gast einmal abwesend ist, führt er den Mäcen in sein Atelier und zeigt ihm die Gemälde Gauguins. Dieser bewundert die Bilder und spricht davon, eines zu kaufen . . . Inzwischen kommt Gauguin: Wie! Man hat gewagt, seine Abwesenheit zu benutzen und sein Werk zu zeigen! Das ist ein Vertrauensbruch, und ohne weitere Umstände zu machen, setzt Gauguin den verblüfften Kunstliebhaber vor die Tür und lässt den bestürzten Schuffenecker zurück. Der Zorn des Malers hat sich noch keineswegs besänftigt. Er vertraut auf sein Genie und denkt keinen Augenblick daran, dass er dieses Atelier mit einem anderen Maler teilt mit seinem Wirt. Er schließt sich zweimal darin ein, und der rechtmäßige Besitzer kann vergebens an die Tür pochen, er öffnet nicht. Erst am nächsten Tage, nachdem sich Gauguin ein wenig beruhigt hat, willigt er ein, den armen Schuffenecker einzulassen.

Gauguin arbeitet mit einer wahrhaften Raserei, die manchmal mit einem Gefühl der Bitterkeit durchsetzt ist:

„Die Pflicht eines Künstlers ist, zu arbeiten, um stark zu werden. Ich habe diese Pflicht erfüllt, und alles was ich von da unten mitgebracht habe, findet nur Bewunderer. Dennoch führt es zu nichts . . .“

Jedoch verlässt ihn niemals gänzlich die Hoffnung:

„Obgleich es sehr schwer hält, so ist es doch eines Tages möglich, dass ich den Platz einnehme, den ich verdiene. Zu wem wirst Du dann zurückkehren, und Deine Berater, werden sie Dir dann auch noch sagen, dass Dein Leben nicht an der Seite Deines Mannes ist?“ . . .

Ach, wenn Mette nicht von der Familie umgeben wäre, die ihr ständig wiederholt, dass ihr Mann „es niemals zu etwas bringen werde“. Gauguin weiß wohl, dass dann der Ton ihrer Briefe sich andern, dass sie Vertrauen haben würde, und dass sie mit einem Worte seinen manchmal erlöschenden Mut stützen würde. Aber es ist sein Schicksal, allein diesen öden Weg vorwärts zugehen, der zum posthumen Ruhm führt. Manchmal empört sich der Künstler gegen diesen harten Beschluss:

„Was man auch erfinden mag, man wird doch nichts Besseres machen als die Vereinigung in der Familie . . . Meine arme Mette, ich habe große Angst, dass wir an demselben Punkt sind wie am Anfang ...“

Trotz seines Geldmangels hat sich Gauguin tatsächlich einige Monate zuvor nach Kopenhagen begeben. Mit welcher liebenden Glut eilte er seiner viele Jahre verlorenen Geliebten entgegen, die er endlich finden sollte!

Eine herzzerreißende Zusammenkunft . . . Alles verletzte die Empfindlichkeit des Künstlers. Mette bereitete ihm einen frostigen Empfang. Aber war diese junge Frau nicht entschuldbar, die der Tyrannei einer bürgerlichen und puritanischen Familie preisgegeben war! Vor der Ankunft ihres Mannes hatte die Mutter ihr so lange die Leviten gelesen; sie war durch ihre Ermahnungen, die jeglicher Romantik entbehrten, so angeekelt, dass die Ankunft ihres Mannes sie marterte, und sie in keiner Weise darüber erfreut war. Man wagte nicht, sie mit diesem Manne unter vier Augen allein zu lassen, der ohne jedes Gewissen war. „Oder aber ließ ihre Mutter in ihre Rede einfließen, ehe sie fortging was würde aus dir werden, liebes Kind, wenn Gott zufällig noch einmal deine Ehe segnete?“ Gauguin fand seine Frau wie ein Idol bewacht von der Schar seiner Schwägerinnen und Schwäger.

Ach, bis zu seinem Tode sollte er sich dieser Reise nach Kopenhagen erinnern, die er so leichten Herzens unternommen hatte!

Er ist arm, schlecht gekleidet. Seine Kinder, die ihn kaum erkennen, schämen sich etwas, mit diesem so einfach gekleideten Fremden auszugehen. Nur seine Tochter Aline, sein Liebling, sieht ihn mit den Augen eines sehnsüchtigen und träumerischen Kindes an, die die Wirklichkeit in einen lieben und poetischen Trug verwandeln. Wie rührend müsste für Gauguin der Blick dieser kleinen Tochter voll Inbrunst und Bewunderung gewesen sein!

Von dieser Reise bringt er nur Verwirrung und Mutlosigkeit mit. Er schreibt:

„Mit Vergnügen habe ich Dich im Monat April gesehen, doch ich habe in Deinem Charakter die gleichen Züge bemerkt, die für ein Leben zu zweien schwierig sind. Immer die gleiche Empörung, doch heftiger denn je, und immer der Schmeichelei zugänglicher als der Wahrheit.“

Und dennoch, trotzalledem, bewährt Gauguin die Hoffnung, eines Tages das gemeinsame Leben wiederaufzunehmen. Er ahnt den Tag voraus, wo sie endgültig ihre Familie verlassen haben wird. Mette wird wieder die liebende und sanfte Frau werden, die sie während der ersten Jahre ihrer Ehe gewesen ist. Manchesmal hat Frau Gauguin wiederholt, dass sie nur dann nach Frankreich zurückkehren würde, wenn die Stellung ihres Mannes ihr wie ihren Kindern eine angemessene Existenz sicherte. Wie ein Stachel wirkte diese Erklärung auf den Maler. Um bequemer zu arbeiten, will er in die Bretagne zurückkehren. Das Ziel erscheint ihm nicht mehr unerreichbar:

„Jetzt, wo ich soweit bin, eine Rolle zu spielen, muss ich für meine Malerei noch eine höchste Anstrengung machen, und ich werde für sechs Monate in die Bretagne nach Pont-Aven gehen und Bilder malen.

Ich bitte Dich daher, nicht die Flinte ins Korn zu werfen und alles aufzubieten, um noch ein Jahr zu warten . . . Ich weiß wohl, dass Ihr nur an mich glaubt, wenn ich fortlaufend verkaufen werde, aber das ist eine Ansicht, die man dem Publikum gegenüber geheim halten muss. Ich weiß sehr wohl, dass diese verfluchte Malerei Dir eine Qual ist, aber da nun einmal das Übel geschehen ist, muss man sich damit abfinden und aus ihr für die Zukunft Vorteil ziehen.“


Wer konnte jemals sagen, dass die Dramen durch „das Übel, zu zweit zu sein“, verursacht werden? Es ist selten, dass ein Missverständnis nicht die Ehen verdirbt, die am solidesten erscheinen. Die Menschenseelen sind für einander unerforschlich. Und der Rist, der sie trennt, ist um so tiefer, wenn er sich zwischen der Seele eines Mannes und der einer Frau befindet. Es kommt vor, dass die Liebe diese zarte Zauberin den Liebenden einen Augenblick die Illusion gibt, dass sie gleich denken, aber sobald das Feuer der Leidenschaft erloschen ist, fallt die Binde von den Augen, und die geöffneten Augen schauen den Abgrund. Ein falsch ausgelegtes Wort genügt, um das Drama auszulosen.

Wenn man heute gelassen den Briefwechsel des großen Malers liest, begreift man das Missverständnis, das sein Gemütsleben peinigte. Sie lieben einander, und dennoch bildeten sich beide ein, dass sie nicht geliebt wurden. Die zwei nachstehenden Briefe bestätigen diese Meinung:

„Deine letzten Briefe sind so wenig liebevoll gewesen, dass ich wirklich nicht mehr glauben kann. Du tust nichts, um mir etwas Mut zu geben, und es scheint mir, dass das dennoch nicht allzu schwer sein würde. Schließlich führen die Gegenbeschuldigungen zu nichts. Der Zweck dieses Briefes ist, Dir zu sagen, dass ich weit entfernt bin, Dich zu vergessen, was Dir vielleicht recht gleichgültig ist. Schreibe mir bald, ich quäle mich so um Dich. Deine Frau Mette.“

Fühlt man nicht aus diesen Zeilen den Schrei einer verletzten Geliebten oder wenigstens, dass sie sich verletzt glaubt? Denn die Briefe Gauguins scheinen in keiner Weise diese Klagen zu rechtfertigen. In jedem Fall wurde es scheinen, dass ein solches Sendschreiben nur ein empfindliches Herz wie das des Künstlers rühren konnte. Im Gegenteil, Gauguin zeigt sich darüber gekränkt:

„Deine Briefe sind alles andere wie früher in unserem gemeinsamen Leben ein Austausch von Gedanken und Empfindungen, und ich fange an müde zu werden, zu schreiben, ohne jemals auf das, was es auch sei, eine Antwort zu bekommen. Dir hat es auf launische Art gefallen, mich im April 1887 wiederzusehen, und nach meiner Abreise hast Du mir einen feurigen Brief geschrieben. Ich will niemals glauben, dass dieser Brief etwas Besonderes bezweckte. Als ich einmal in Panama der Versuchung widerstanden habe, sind Deine Briefe eisig geworden. Du verlangst von mir, Dir Mut einzuflößen? Wozu hast Du das nötig, wenn nicht für den Kampf um das materielle Leben? Nach eingehender Überlegung sage ich, wenn Du Renten hättest, würdest Du die glücklichste Frau sein. Niemand ist da, der Deinen Launen widerspricht; Du bist sorglich umgeben, verhätschelt, umschmeichelt . . .

Ich habe hier und da einige Briefe von anerkannt klugen Menschen erhalten, die voll Sympathie und Bewunderung für mich waren usw. Ich bin vierzig Jahre alt. Ich habe noch niemals den zehnten Teil dieser Art von Seiten meiner Familie erhalten. Wenn Dein Sohn großjährig sein wird, wirst Du es wagen, ihm den Rat zu geben, sich mit einer anderen Frau als mit einer Köchin zu verheiraten? Ist sie eine gut erzogene Frau, so wird sie ihm keine Antwort auf alles das geben, was nicht mit der Küche zu tun hat. Keine Unterhaltung außer über Butterbrote, Kleidung und Klatscherei über den Nachbarn. Wenn Dein Sohn klüger ist als seine Frau, wird er von Widerwillen gegen sie erfüllt sein. Nur die Köchin wird stolz auf ihren Mann sein, ihn achten und es natürlich finden, dass der Ehemann das Ruder führt.“


Wie viel Bitterkeit verbirgt diese Ironie!

Das Jahr 1889 wird durch ein großes Bemühen gekennzeichnet. Die Monate hartnäckiger Arbeit beginnen ihre Früchte zu tragen. Der Name Gauguin verbreitet sich in den künstlerischen Kreisen, und die hervorragendsten Geister betrachten den Künstler als einen der Ersten ihrer Generation. Er veranstaltet eine Versteigerung, die, ohne sehr einträglich zu sein, dennoch als ein Erfolg betrachtet werden kann.

„Der Tag meiner Versteigerung naht. Die Zeitungen machen viel Lärm und es herrscht in der Kunstwelt eine große Aufregung.“

Ein begeisterter Aufsatz von Mirbeau hat die Bewegung ausgelöst, und der Maler ist für die Huldigung des Schriftstellers besonders empfänglich gewesen. Wenn Gauguin in seinen Briefen besonderes Gewicht auf die Huldigungen legt, die ihm zuteil werden, so geschieht es nicht aus Stolz, sondern er sucht seine Frau zu überzeugen, dass er nicht der Künstler ist, der seinen Beruf verfehlt hat, nicht der mittelmäßige Farbenkleckser, den die Leute „in Kopenhagen“ mit Vorliebe in ihm sehen.

„Du sagst Schuffenecker beweihräuchere mich sicherlich viel zu sehr, und dabei wieder holt er ungefähr, was viele sagen, sogar Degas. Er sagt: ,Das ist ein Freibeuter, aber ein geheiligter . . . das ist die Kunst selbst!' Wahrlich, diese Menschen finden in mir etwas anderes als das was Ihr Dänen versteht.“

Überdies scheint er sich übertriebene Gedanken darüber zu machen, seinen Kindern einen Namen zu hinterlassen, auf den sie stolz sein können:

„Es wird schon ein Tag kommen, an dem sich die Kinder vor jedem beliebigen Menschen, an jedem beliebigen Orte mit dem Namen ihres Vaters um Gunst und Ehrenbezeugungen werden bewerben können. Mit zwanzig Jahren werden sich die Kinder eine Stellung zu schaffen haben. Glaubst Du, dass die hochgestellten Freunde, die ich mir erworben haben werde, dann nicht bereit sind, sie unterzubringen? Und ich denke nicht, dass ich als Kaufmann ein ähnliches Ergebnis erreicht haben würde.“

Der Künstler ist kein schlechter Prophet gewesen.

Er kommt noch einmal wieder darauf zurück, die Wahl seiner Laufbahn zu rechtfertigen:

„Du kennst mich: entweder rechne ich (und ich rechne gut) oder ich rechne nicht. Das Herz in der Hand, die Menschen mir gegenüber, kämpfe ich mit offener Brust. Wohlan denn! Ich nehme die Rolle an, die man mir gegeben hat. Und dann muss ich rechnen. Nicht die Beute für den Schatten fallen lassen, und der Schatten ist die Rolle des Bankangestellten. Ich würde mit 2000 oder 4000 Frcs. angestellt werden, der Lohn Deiner Brüder. Was hatte ich mir vorzuwerfen? Nichts. Trotz der Überzeugung, die mir mein Gewissen eingab, habe ich die anderen befragen wollen Menschen, die auch zahlen um zu wissen, ob ich meine Pflicht erfülle. Alle sind gleicher Ansicht: Die Kunst ist mein Geschäft, mein Kapital, die Zukunft meiner Kinder, die Ehre meines Namens, den ich ihnen gegeben habe. Deshalb arbeite ich für meine Kunst, die gegenwärtig in Geld nichts ist, die Zeiten sind schwer aber ich hoffe auf die Zukunft. Ihr werdet sagen, das dauere lange, aber was wollt Ihr, dass ich denn tun soll? Ich vor allem habe darunter zu leiden. Ich kann Dir versichern, dass wenn die Leute, die sich darin auskennen, sagten, dass ich kein Talent habe und faul sei, ich längst alles im Stich gelassen haben würde. Kann man sagen, das Millet seine Aufgabe nicht erfüllt, und dass er seine Kinder einer unglücklichen Zukunft preisgegeben habe?“

Denn es ist ein großer Schmerz für Gauguin, von seinen Kindern getrennt zu sein:

„Ich habe Dir gesagt, dass ich die Absicht gehabt habe, die Kinder zu besuchen, aber ich würde nicht wagen, mit ihnen auszugehen, da ich denkbar schlecht gekleidet bin.“

Die Tage vergehen, und Gauguin beklagt sich bitter, dass er ohne Nachricht bleibt:

„Zum Teufel, es gibt manchmal im Leben andere Briefe zu schreiben, als solche, wo es sich um Geld handelt!“

Und in einer Anwandlung von Mutlosigkeit ruft er aus:

„Unser beider Leben ist zerbrochen. Darüber braucht man nicht zu weinen. Die Vergangenheit lässt sich niemals auslöschen, manchmal vergisst man sie.“

Lässt er sein Leben vor sich vorüberziehen, so stellt er fest, dass er alle Befriedigungen der Eigenliebe genießt, aber die Einsamkeit verursacht ihm grausames Leiden:

„Ohne Mutter, ohne Frau, ohne Kinder! Von all den Meinen verflucht! Dein Schweigen hat mich mehr erdulden lassen, mich unglücklicher gemacht als meine pekuniären Niederlagen.“

Und von neuem, gebieterischer, drangt sich seinem Geist das Verlangen nach den sonnenbeschienenen Ländern auf . Der Zufall ließ ihn eines Tages einen Prospekt über Tahiti in die Hände fallen, und seit der Zeit wird Tahiti das Paradies seiner Träume:

„Möge der Tag kommen und zwar bald, an dem ich mich in die Wälder auf einer Insel im Ozean flüchten kann, dort im Zauber, in Ruhe und der Kunst leben! Umgeben von einer Familie, fern von diesem europäischen Kampf um das Geld. Dort, in Tahiti, im Schweigen der schönen, tropischen Nachte, der sanften, murmelnden Musik der Regungen meines Herzens lauschen, in liebevoller Harmonie mit den geheimnisreichen Wesen meiner Umgebung. Endlich frei, ohne Geldsorgen konnte ich lieben, singen und sterben.

. . . Unser beider Leben sei zerbrochen, sagst Du zu unrecht. Deines ist frei von jeder Fessel. Deine Tage fließen dahin, umgeben von Deiner Familie und von Deinen Kindern, wenn auch nicht ohne mühevolle Arbeit, aber doch frei von der Ehe, umschmeichelt, geachtet und geliebt. Deine geistige Arbeit wird belohnt.“


Im allgemeinen besänftigt die Zeit die Meinungsverschiedenheiten, aber sie verschärft sie nur, wenn diese Meinungsverschiedenheiten einem Missverständnis entspringen. Frau Gauguin war Dänin; man hatte glauben können, dass ein so von jedem Vorurteil freier Geist, wie Gauguin, sich recht wenig um eine so geringfügige Zufälligkeit beunruhigt haben würde. Dies anzunehmen wäre irrig gewesen. Obwohl er sich dagegen verwahrte, blieb der Künstler mit den französischen Überlieferungen verknüpft und der Gedanke, dass seine Kinder auf fremdem Boden aufwuchsen in der Unkenntnis der französischen Sprache, brachte ihn aus der Fassung.

Trotz der wachsenden Wertschätzung, deren er sich in der Welt erfreute, führte der Künstler immer noch ein ebenso hartes materielles Leben. Das Gefühl seiner Minderwertigkeit seiner Frau gegenüber legte ihm oftmals ungerechte Worte in den Mund. Nachdem er sich das friedliche Leben, das sie in Kopenhagen führt, vergegenwärtigt, fügt er hinzu:

„Was konnte ich Dir jemals in diesem schmutzigen Lande (Frankreich) im Vergleich bieten? Einen Anteil am Elend und an der Arbeit. Das alles sind Dinge, die sich nicht teilen lassen wie das Vermögen.“

Und in der Erinnerung an sein schmerzensreiches Dasein, schließt er voller Verzweiflung:

„Es ist merkwürdig, wozu die Ehe führt, entweder zum Untergang oder zum Selbstmord. Auch wirtschaftlicher Wohlstand bedeutet nur eine Versüßung der Wahrheit.“

Ist Paul Gauguins Liebesleben vernichtet? Bei jedem anderen als bei ihm hatten die Hindernisse, die er zu überwinden hatte, für immer die Quelle der Liebe versiegen lassen. Aber die Vitalitat des großen Malers war ungeheuer. In den schlimmsten Stunden der Trostlosigkeit hielt das Bewusstsein seines Genies stand, wie in der Nacht eine Flamme leuchtet, die der Orkan auszulöschen bestrebt ist.

In gleicher Weise widerstand in seinem großen, stürmischen Herzen die Liebe zu der Geliebten den Bitternissen der Enttäuschung.

Man muss den Satz festhalten, den er seiner Frau gegen Ende des Jahres 1890 geschrieben hat:

[i]„Niemals lässt sich die Vergangenheit auslöschen, aber man kann sie durch die Zukunft verdecken.“ [/]

Gauguin wandte der Vergangenheit den Rücken und richtete die Augen fest auf die Zukunft.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Paul Gauguins Lebenskampf 1848-1903
Paul Gauguin, Selbstporträt

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Paul Gauguin, 1891

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Paul Gauguin 1901

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Paul Gauguin

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