- 09 - Aber er war schon da, seine helle Stimme, die sich in der Wut überschlug, ließ sich draußen hören, die Tür ...

Aber er war schon da, seine helle Stimme, die sich in der Wut überschlug, ließ sich draußen hören, die Tür wurde aufgestoßen, eine tobende Schar Franzosen brach ein und fiel sofort über die Eheleute her. Beide waren durch die Erfahrung der letzten Jahre auf Überraschungen vorbereitet, Frau Gellert hatte alsbald den Bicker in der Hand und Gellert sein Beil, beide standen in der Ecke und schlugen die Angriffe tapfer und mit Erfolg ab, und unvermutet kam von der Rückseite Hilfe.
Matthies, zu dem das Gerücht über das Schicksal der Vietlübber gedrungen war, hatte sich beunruhigt aufgemacht, um nach Eva zu fragen. Nun kam er zur rechten Zeit, besann sich nicht lange, schlug einem Soldaten ins Genick und entriß ihm sein Gewehr und arbeitete sich zu den Bedrohten durch, neue Angriffe, neues Abschlagen, neues Toben, Plündern, ein wirrer Knäul, aus dem sich die Angegriffenen immer wieder vermöge ihrer überlegenen Körperkraft aufrichteten. Plötzlich ein lauter Kommandoruf, der alles überhallte: „Silence! À bas les armes – à vos rangs!“
Die Franzosen kannten die Stimme ihres Obersten, sie fuhren zur Seite und standen wie angenagelt. Wenn es so klang, dann war kein Säumen, er hatte einmal einen Zögernden sofort niedergestochen.
„Qu’est-ce qui se passe ici? raportez!“ Er wandte sich kurzweg an den Nächststehenden, der eine Stichwunde in der Schulter hatte, einer lehnte daneben schwer an die Wand, und das Blut schoß ihm über das Gesicht.
Ein kurzer Bericht, ein kürzerer Befehl. „Arretez les scélérats-là!“
Die Angegriffenen sahen ein, daß ein fernerer Widerstand unmöglich war, und ließen sich die Hände fesseln. Da kam aus dem Hintergrunde des Hauses ein gellender Schrei. Eva hatte oben aus ihrer Kammer den Tumult gehört und sich in ihrer Angst nicht länger zurückhalten können, nun hing sie Matthies am Halse und weinte laut, und er konnte sie nicht einmal stützen.
„Mettez-les en prison, on les fusillera!“ befahl der Oberst.
Eva verstand ihn, sie fuhr herum, erkannte ihn und warf sich zu seinen Füßen. „Meine Eltern, Herr Oberst, mein Bräutigam, ich flehe Sie an, es ist sicher nicht ihre Schuld.“
Bei ihrem ersten Erscheinen war der Oberst unsicher gewesen, da sie ihm den Rücken zugedreht hatte und außerdem im Hausgewande erschien. Nun erkannte er sie, und das Blut schoß ihm ins Gesicht. Wie ein lauerndes Raubtier sah er auf sie nieder, und die Leidenschaft stierte ihm aus den Augen.
„Ihr Bräutigam?“ sagte er heiser vor Erregung. „Es tut mir leid, er wird morgen in der Frühe erschossen.“
„Erbarmen, Gnade, Herr Oberst, ich beschwöre Sie -“
„Er wird erschossen - wenn - wenn das Fräulein mir nicht heute abend beim Essen Gesellschaft leistet; ich werde mein Quartier in diesem Hause nehmen. Laßt die Eltern los, führt den Jungen ins Gefängnis.“
Matthies versuchte vergebens, sich den Fäusten der Soldaten zu entringen. „Du Schurke, du verdammter Schurke!“ schrie er. „Laßt mich los, ich muß ihn erwürgen. O du elender, erbärmlicher Hund! Du bist nicht einmal wert, daß dich ihr Atem berührt. Zurück, Eva, zurück! Ich will es nicht, daß du ihn anrührst!“ - Ein Faustschlag fuhr ihm auf den Mund, ein Kolben in den Rücken. Er stieß einige verzweifelt mit Fußtritten zurück und stand an die Wand gedrängt. „Eva, wirf dich nicht weg, sonst sind wir geschieden,“ schrie er noch, dann wurde er überwältigt, man zerrte den Wütenden auf die Straße und schleppte ihn fort.
Der Oberst schickte einen Soldaten aus, ein passendes Quartier zu suchen, der meldete bald, daß oben im Hause eine große geräumige Giebelstube sei, die schnell hergerichtet werden könne. So erfolgten noch einige kurze Anordnungen, dann ging der Oberst davon, und die Betroffenen blieben wie betäubt vom furchtbaren Schlage in dem verwüsteten Laden zurück.
Gewohnheitsmäßig begannen die Eheleute aufzuräumen, keines sprach ein Wort, nur hin und wieder warfen sie einen Blick auf das arme Mädchen, das still auf seine gefalteten Hände niedersah. Das konnte die Mutter nicht lange ertragen, sie zog alsbald die Tochter in ihre Arme, führte sie in die Stiche, nahm sie auf ihren Schoß und streichelte sie leise. Gellert schloß den Laden, folgte und setzte sich in eine Ecke und lange war es in der Stube ganz still.
Dann wurde es auf dem Hofe lebendig, man führte Pferde herein und zog sie in einen Stall, Burschen schleppten Gepäck durch die Küche nach oben, man hörte, wie sie es niederwarfen und zu kramen begannen.
„Es hilft nichts,“ sagte Frau Gellert, „soll es nicht noch schlimmer werden, muß ich hinauf. Gellert, räume du hier weiter auf, Eva hilft. Wir müssen tragen, was Gott über uns verhängt hat. Lassen wir uns unterkriegen, dann stehen wir nie mehr vom Boden auf.“
Der Schlachter trat auf seine Tochter zu, die vom ersten Augenblick an, daß sie sein Haus betreten hatte, ihm Licht und Leben gewesen war, und streicheite leise ihr Haar, sie warf sich an seine Brust und weinte herzzerbrechend. So fand Frau Gellert sie noch, als sie nach tüchtigem Schaffen wieder die Treppe herunterkam. Sie schluckte tapfer an ihren Tränen und vermochte nur mit gedämpfter Stimme zu sagen: „Setzt euch, etwas muß geschehen, wir müssen’s beraten.“
Sie rückte eng an Mann und Kind, aber so sehr die starke Frau sich zermarterte in Gedanken, sie sah keinen Ausweg aus der bitteren Not. Eva verstand sie und flüsterte leise. „Nein, er soll nicht sterben.“
„Gott mag ihm beistehen,“ rief Frau Gellert, aber dann biß sie sich die Lippen wund, um nicht laut im Schmerz zu schreien. Der Mann sah sie an, und da durchbebte ihn von neuem der Grimm: „Ich will den Hund durchstechen, wo ich ihn treffe.“
„Was nützt das Matthies?“ „Er soll nicht sterben.“
Weiter gingen die Gedanken des Mädchens nicht. Ratlos saßen sie wieder da und vermochten nichts, als sich zuweilen die Hände zu drücken. Endlich sagte Eva: „Ich will hingehen und sehen, ob ich ihn nicht sprechen kann. Vielleicht läßt man mich zu ihm.“
„Ich gehe mit,“ rief Gellert, „sonst -“
„Ja,“ sagte die Mutter, „geht nur, ich packe einen Korb mit Essen, den sollt ihr ihm von mir geben.“
Die Arrestzelle war bald gefunden, ein Posten stand vor der Tür, und da die Wände dünn waren und das Fenster schlecht versichert, so hatte man noch einen Posten in die Zelle gestellt. Eva durfte nur allein eintreten, der innere Posten duldete keine Annäherung, wollte auch nichts von längerem Gespräch wissen, aus Sorge, es möchte irgend ein Anschlag darin versteckt sein.
„Morgen früh,“ sagte Matthies ruckweise, „dann werden wir uns noch einmal umarmen dürfen. Glaube nicht, daß ich mich fürchte. Ich bin nicht der erste und werde nicht der letzte sein, aber einmal - einmal muß es doch aufhören. - Dann, hörst du, dann, wenn es losgeht, dann sag ihnen von mir. Da wird mein Tod doch noch nützen. Nun geh!“
Eva konnte sich nicht von der Stelle bewegen und hatte die Hände an die Brust gedrückt und sah zu ihm hinüber.
Da schrie er auffahrend: „Du denkst doch nicht daran mich zu retten?“
„Ja, ich denke daran, ich denke an nichts anderes,“ lautete die Antwort.
„Eva!“ schrie er schrecklich. „Willst du mich kaufen mit -“
Der Posten, der von dem allen sonst nichts verstand, begriff nur das letzte Wort. „Nix kaufen,“ sagte er kurz und rauh. „Allons, mademoiselle. Nit vor die Geld. Ihr weiß die Verbot, monsieur sprecken sleckt.“ Er drängte rauh das Mädchen fort, als fürchte er sich vor sich selbst und der Bestechung.
Unterwegs trafen sie Hinnick, der auch darauf aus war, das Haus zu umlauern, Eva bat ihn, ihr zuweilen Nachricht zu bringen, und ging mit dem Vater heim.
Je mehr der Abend nahte, um so unruhiger wurden alle. Der Oberst hatte die Giebelstube bezogen, sein Bursche lief ab und zu und bestellte endlich das Abendessen.
„Mademoiselle will servir à table? N’est-ce pas?“ fragte er mit verschmitztem Lächeln. „Le colonel lattend, warrastick, avec impatience.“ Dann ging er trällernd davon.
Eva stand auf, die Mutter fuhr auf sie zu: „Was willst du tun?“ schrie sie im Entsetzen.
„Was ich muß,“ sagte Eva mit tonloser Stimme.
„Nein, nein, du kannst nicht gehen, Kind, das kannst du uns nicht antun!“
„Soll Matthies sterben?“ fragte Eva leise.
Sie ging hinaus und sah aus der Tür, dort fand sie Hinnick und wechselte mit ihm ein paar Worte, dann kam sie zurück. Die beiden Eheleute hatten drinnen auch hastig ihre Gedanken ausgetauscht. „Sterben darf Matthies nicht ohne einen Versuch zur Rettung,“ sagte der Schlachter, der herumsuchte. „Da, Kind, das steck zu dir. Wird er zudringlich, so wehr dich. Rufst du, dann komme ich dir zu Hilfe, mag dann alles zugrunde gehen.“
„Um uns sorge dich nicht,“ fügte Frau Gellert hinzu und streichelte Eva und zog sie an sich. „Auf uns kommt’s nicht an. Geschieht dir aber etwas -“ hier versagte ihre Stimme.
„Ja, gib es mir,“ rief Eva, richtete sich auf und nahm das scharfe spitze Messer, das in der Scheide steckte, und verbarg es am Kleide. „Mutter, mir geschieht nichts, vielleicht -“ sie holte einige Male tief Atem, „vielleicht aber - - seht ihr mich nicht wieder.“ Da lag sie vor den beiden und flehte: „Vater, Mutter, segnet mich, ich bin ja euer Kind, betet, und Gott wird euch hören.“
„Ja,“ sagte Frau Gellert, sie hatte eine Hand an ihres Mannes Arm gelegt und hob ihn auf, und so legten die Eltern ihre Hände auf das Haupt der Bedrängten.
Still richtete Eva sich dann auf, sammelte und rückte noch allerlei auf der bereitstehenden Platte und ging dann die Treppe hinauf, der Bursche riß mit gemeinem Lächeln die Tür auf, schloß sie hinter ihr und rief dann, wie Gellert mit Grimm feststellte, die beiden Posten vor der Haustüre fort, damit sie sich unten an der Treppe aufstellten.
Es lag in dem ganzen Auftreten des Mädchens etwas, das dem Oberst ein rasches Zufahren wehrte; er hielt sich für einen genauen Kenner der Frauenherzen, hier schien ihm ein Warten und vertrauliches Werben ohne Aufdringlichkeit geraten, auf daß ihm dann von selbst um so schönerer Lohn zufiele.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!