- 10 - Eva ordnete die Speisen, sie hatte auch für sich ein Gedeck mitgebracht, wie der Oberst mit Befriedigung festtellte, ...

Eva ordnete die Speisen, sie hatte auch für sich ein Gedeck mitgebracht, wie der Oberst mit Befriedigung festtellte, dann stand sie am Tisch, schlug die Augen nicht auf und sagte mit leiser Stimme. „Der Herr Oberst versprach, dem Gefangenen die Freiheit zu geben.“
„Ja, ich versprach es und halte es auch,“ antwortete er höflich. „Der Schein ist schon fertig gestellt, der ihm die Entlassung verschafft, da liegt er, das Fräulein mag ihn ohne weiteres an sich nehmen und ihn dem Gefangenen selbst überbringen.“
Eva verneigte sich, der Oberst letzte seine Blicke an ihrer Zartheit und Anmut, sie fühlte es, aber ihre Zuversicht wuchs, als sie das Papier in der Hand hielt, das über das Leben des Geliebten entschied, sie sicherte es in einer Busenfalte.
„Es ist sehr heiß hier drinnen,“ bemerkte sie, „darf ich das Fenster öffnen?“
„Das Fräulein ist die Herrin in dem ganzen Zimmer und sicherlich überall, wo es verweilt,“ beeilte der Oberst sich zu sagen, „ich bin nichts weiter, als des Fräuleins eifriger Diener.“
Eva trat ans Fenster und öffnete es, von oben ging es wohl in dreifacher Menschenhöhe hinunter bis auf die Tüsche, dort stand der treue Hinnick nach ihrer letzten Weisung wartend, das Papier flatterte ihm heimlich zu, und er lief davon, das Mädchen aber zuckte zusammen, denn es hörte, daß der Oberst die Tür verschloß.
„Das allein muß ich mir als mein Eigentum sichern,“ sagte er, als sie sich scheu umwandte, zeigte ihr dann den abgezogenen Schlüssel und steckte ihn ein. „Und nun wollen wir uns des Lebens freuen, es läuft so schnell davon, wer weiß, ob wir über morgen noch gebieten können. Es lebe das Heute, es lebe der Augenblick.“ Während dieser Worte hatte er eingeschenkt, ergriff sein Glas und neigte es Eva zu, sie mußte mit ihm anstoßen und nippte, er trank kräftig. „Essen wir, trinken wir und lieben wir,“ sagte er und bot Eva höflich einen Stuhl, sie konnte nicht umhin sich zu setzen, beruhigt fühlte sie den Druck des Messers an ihrer Seite und lockerte heimlich den Griff.
,,Zeit gewinnen, nur Zeit gewinnen,“ weiter dachte sie nichts und griff mechanisch zu.
„Ja,“ fuhr der Oberst fort, indem er wieder einschenkte, „ich darf als Soldat wohl hinzufügen ?kämpfen wir und siegen wir?, das Fräulein weiß noch nichts vom Kampf, aber wir Soldaten müssen stets gefaßt sein alles zu verlieren, darum aber müssen wir auch stets wissen, daß wir alles gewinnen können.“
Der Oberst begann während des Mahles mit der Lebhaftigkeit und der Gewandtheit des Südfranzosen zu plaudern, er erzählte von dem geplanten Zuge nach Rußland und dem stolzen Streben des Kaisers, ganz Eurapa in seiner Gewalt zu sehen, von Schlachten und Siegen, vom Soldatenlos und von der Unruhe des Lagerlebens und von etlichem traulichen Quartier, das er gefunden. Eva war genötigt, ihm ihre Aufmerksamkeit zu widmen, auch wiederholt mit ihm anzustoßen, sie mußte sich zwingen zu antworten und, wenn er scherzte, sogar zu lächeln, um keine Ungeduld zu erregen. Zeit gewinnen, nur Zeit gewinnen! Jetzt mochte Hinnick den Schein abgegeben haben, der Geliebte war frei, und wenn er sich verborgen hatte -
„Ei, mein Fräulein, so in Gedanken?“ fragte der Oberst und rückte ihr ein wenig näher. „Die Schönheit ist als Siegerin in die Welt gestellt, sie braucht nicht zu planen, sie braucht nur zu lächeln, und ganze Heere liegen ihr zu Füßen. O welche Kraft in so lieblicher, zarter Gestalt. Ein süßes Wort beugt den stärksten Mann, solche kleine Hand macht ihn wehrlos.“ Er fuhr ihr über die Hand, sah sie dabei an und bemerkte mit Befriedigung, daß ihr das Blut heiß über das Gesicht wallte.
„Es ist in der Tat heiß hier,“ rief er und stand auf, Eva fuhr empor, starrte ihm nach und drückte ihre Faust auf den harten Griff an ihrer Seite, und dann, als er sich abwandte, warf sie einen wilden verzweifelten Blick um sich.
„Ich bitte um Verzeihung, wenn ich meinen Rock ablege. Was die Sonne im Schlachtfelde nicht erreichte, das schafft ein Blick der Liebesgötiin. Und nun“ - er wandte sich zurück - da war Evas Platz leer.
Fröhlich lachte er, denn nun war er seines leichten Sieges gewiß, das Mädchen begann zu schäkern und zu locken, indem es sich vor ihm versteckte. Er ging darauf ein und suchte scherzend, als ob er ein Kind suchte, laut schwatzend und der Reihe nach die Verstecke musternd. Aber er fand es nicht. Nun wurde er erregter und rief, stürzte sich auf das Bett und warf die Kissen suchend durcheinander, er schalt, er bat. Plötzlich sprang er an das offene Fenster und sah hinaus. O Torheit, da hinunter gelangte man nur mit zerschmetterten Gliedern. Wieder fuhr er herum und suchte, und endlich stieß er einen wilden Fluch aus, es war kein Zweifel, einen andern Ausweg gab es nicht als das Fenster.
Wütend schoß er zur Tür, die war verschlossen, er selbst hatte den Schlüssel abgezogen, wo hatte er den gelassen? Sie mußte heran und sollte er das Haus und den ganzen Ort umkehren! Her mit dem Schlüssel! Da nicht - dort nicht - auf dem Tisch? hinuntergefallen? Er leuchtete ringsum, dabei fuhr ihm der Gedanke durch den Sinn, daß, wenn er nun noch Lärm schlug und das Mädchen suchte, er sich zum Gespött des ganzen Regiments machte. Er knirschte mit den Zähnen und ballte die Faust in tobender Leidenschaft, und doch mußte er, um sich nicht dauernd lächerlich zu machen, seine Beute, die er so sicher zu besitzen geglaubt, aufgeben. Jetzt fühlte er den Schlüssel, er hatte ihn in seiner Brusttasche versteckt, was sollte ihm der noch nützen?
Ha, eins konnte er doch! Er stürzte hinaus und befahl einem Posten, sofort zum Arrestlokal zu laufen und den Befehl zu überbringen, selbst auf schriftliche Anweisung hin unter keinen Umständen den Gefangenen freizugeben. Aber der Soldat kam mit der Nachricht zurück, daß dem schriftlichen Befehle gemäß der Gefangene sofort entlassen und der Posten eingezogen wäre. Man würde aber versuchen, seiner wieder habhaft zu werden.
Wieder rannte der Oberst an das Fenster und in der Stube herum, und so verbrachte er die halbe Nacht in Wut um das Entschlüpfen seiner so klug gesicherten Beute. Wenn er die Augen schloß, dann sah er sie tanzend auf dem Tisch, sah er sie leicht durch die Luft hinabfliegen, und dann tobte er über seine Tölpelhaftigkeit und verzehrte sich in Verlangen nach dem Mädchen, das er, wie er bekannte, nie schöner, nie zarter und seiner in seinem bunten Leben gesehen hatte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Pascholl!