1. Kapitel Old Wabble -7-



Er kehrte zum Feuer zurück und setzte sich dort nieder; er hatte mich durchschaut und wollte mein Incognito nicht verraten. Die andern begriffen sein Verhalten und seine Worte nicht und sahen ihn verwundert und fragend an. Als er ihnen aber ein gleichgültiges Gesicht zeigte und keine Antwort gab, nahmen sie, ohne sich über mich irgendwelche Gedanken zu machen, das unterbrochene Gespräch wieder auf. Ich aber erhob mich aus dem Grase und ging an ihnen vorüber, um den Lagerplatz zu verlassen, und zwar mit einer Miene, als ob ich gar keinen besondern Grund dazu hätte. Ich wollte ihre Aufmerksamkeit nicht erregen.


Es gab gar wohl einen Grund, einen sehr triftigen, für mich, einmal fortzugehen. Old Surehand und Old Wabble waren überfallen worden; der letztere hatte die Flucht ergriffen, und sie war ihm geglückt. Er war einer der tüchtigsten, der erfahrensten und der schlausten Westmänner; darum wunderte ich mich darüber, daß er sich so sicher fühlte. Es stand bei mir fest, daß er von den Comantschen verfolgt worden war. Sie mußten sich doch sagen, daß er Hilfe für Old Surehand holen werde, und mußten ihn einholen, um ihn unschädlich zu machen. Er war zwar sehr schnell geritten, aber ich nahm an, daß man zu seiner Verfolgung die bestberittenen Krieger ausgewählt habe, und so konnte der Abstand zwischen ihnen, also der Vorsprung, den er vor ihnen hatte, kein allzu großer sein. Vielleicht hatten sie beim Einbruche des Abends Lager gemacht; da sie aber vermuten mußten, daß er in dem leicht gangbaren Thale noch weiter geritten sei, so war es sehr leicht möglich, daß sie dasselbe gethan hatten. In diesem Falle konnten sie jetzt nicht sehr fern von uns sein. Mochte meine Vermutung das Richtige treffen oder nicht, ich wollte einmal suchen gehen.

Als ich über den Bach gesprungen war, wendete ich mich abwärts. Meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen machten es mir leicht, mich zu orientieren. Ich wählte zum Gehen solche Stellen, die ein Reiter vermeiden mußte, und fühlte mich also ziemlich sicher. Dennoch hatte ich das Bowiemesser in der Hand und hielt mich zur schnellsten Verteidigung bereit, denn die Roten konnten das Feuer gerochen haben und zu Fuße herangeschlichen kommen.

So ging ich unhörbar weiter und weiter, keinen Schritt eher wagend, als bis ich mich überzeugt hatte, keinen Feind unmittelbar vor mir zu haben. Als dann das Feuer kaum mehr zu riechen war, blieb ich stehen. Das war der kritische Punkt, die entscheidende Stelle, und ich setzte mich nieder, um zu warten. Hatten die Verfolger sich gelagert, so kamen sie nicht, und wir mußten morgen früh auf sie treffen; waren sie trotz der Dunkelheit weitergeritten, so mußte hier der Rauch ihre Nasen berühren, und sie blieben wahrscheinlich halten, um sich zu besprechen. In diesem Falle wollte ich versuchen, ihre Worte zu belauschen.

Als ich wohl über eine Stunde gewartet hatte, sagte ich mir, daß mein Weg ein vergeblicher gewesen sei und die Begegnung erst morgen erfolgen werde. Ich stand auf, um zurückzukehren. Da war es mir, als ob ich von unten her ein Geräusch gehört hätte; ich blieb stehen und horchte. Ja, es kam jemand. Sofort kauerte ich mich hinter einen Busch nieder.

Das Geräusch näherte sich; ich vernahm den dumpfen Huftritt von Pferden im weichen Grasboden; es konnten nur drei sein. Jetzt sah ich die Reiter; es waren nur zwei; und zwar Indianer. Da sie hoch im Sattel saßen, konnte ich gegen den Himmel ihre Gestalten deutlich erkennen. Sie ritten, ohne anzuhalten, an mir vorüber; ich huschte seitwärts hinter Sträuchern neben ihnen her. Wenn ich dabei ja ein leises Geräusch verursachte, so wurde es von den Schritten der Pferde übertönt. Uebrigens hatte ich ihnen nicht weit zu folgen, denn der eine hielt plötzlich an, sog die Luft laut hörbar ein und sagte in der mir geläufigen Sprache der Comantschen, welche derjenigen der Schoschonen ähnlich ist:

„Uff! Riecht das nicht wie Rauch?“

Der andere schnuffelte auch und antwortete dann:

„Ja, das ist Rauch.“

„Der weiße Hund ist so unvorsichtig gewesen, ein Feuer anzubrennen.“

„Da er das gethan hat, kann er kein berühmter Krieger sein, denn ein solcher würde diese große Unvorsichtigkeit nicht begangen haben.“

„Ja, er ist ein ganz gewöhnlicher und unerfahrener Krieger, und es wird mir und meinem Bruder nicht schwer fallen, ihm den Skalp zu nehmen.“

„So hat es also genügt, daß nur wir beide ihm folgten. Mein Bruder wollte lagern, als es dunkel wurde. Wie gut, daß er mir folgte, als ich weiterritt! Wir holen den Skalp und kehren dann sogleich nach dem Saskuan-kui 10) zurück, wohin unsre Krieger vorangezogen sind. Wir müssen aber hier absteigen.“

„Das braucht mein Bruder mir nicht zu sagen; ich weiß, daß man sich nicht zu Pferde anschleicht, um einen Feind zu überraschen.“

Sie schwangen sich von ihren Tieren und pflockten diese an; dann schlichen sie weiter, ich hinter ihnen her. Sie richteten ihre Aufmerksamkeit nur nach vorn; ich war nur acht Schritte von dem Hintersten entfernt. Sollte ich warten, bis sie sich bei unserm Feuer in die Büsche verkrochen? Nein; das wäre ein großer Fehler gewesen. Ich mußte sie jetzt angreifen und zauderte nicht, dies zu thun. Ich steckte das Messer ein und zog den Revolver. Drei, vier schnelle, weite Sprünge, ich erreichte den Hintermann und schlug ihm den Griff der Waffe so an den Kopf, daß er zusammenstürzte. Der Vorangehende hörte das, blieb stehen, sah sich um und fragte:

„Was war das? Was hat mein Bruder – – –“

Er konnte nicht weitersprechen; ich war auf ihn zugesprungen, faßte ihn mit der linken Hand beim Halse und gab ihm mit der rechten einen Hieb, daß er auch zusammenbrach. Sie hatten Lassos bei sich; ich legte die Bewußtlosen mit den Rücken gegeneinander und schlang die unzerreißbaren Riemen so fest von oben bis unten um sie, daß sie sich nach ihrem Erwachen gewiß nicht bewegen konnten. Da es ihnen aber möglich war, fortzurollen, so schleifte ich sie bis zu dem nächsten Baume und band sie an denselben fest. Nun konnten sie sich auf keinen Fall losmachen, und ich kehrte nach unserm Lager zurück.

Dort angekommen sagte ich nichts, sprang über den Bach und legte mich da nieder, wo ich vorhin gelegen hatte. Old Wabble sah mich forschend an; den andern war meine lange Abwesenheit gar nicht aufgefallen.

„Ihr waret nicht da, Sir, und wißt also nicht, was indessen besprochen worden ist. Ich werde nämlich nicht hinauf nach dem Militärlager reiten,“ sagte er.

„Ist Euch ein anderer Gedanke gekommen?“ fragte ich. „Vielleicht ein neuer Plan?“

„Ja. Ich hatte etwas vergessen, woran ich sogleich hätte denken sollen. Ihr habt doch von Old Shatterhand gehört?“

„Gewiß.“

„Nun, dieser Jäger ist in der Nähe des Rio Pecos, und ich bin entschlossen, ihn aufzusuchen und um Hilfe zu bitten. Meint Ihr, daß er uns diese gewähren wird?“

„Ich bin überzeugt davon.“

„Pshaw!“ fiel da Parker in wegwerfendem Tone ein. „Wie kann Mr. Charley wissen, was so ein Mann wie Old Shatterhand thun oder lassen wird! Er hat ja gar keine Ahnung davon, daß Old Shatterhand, wenn er will, ganz allein im stande ist, den Gefangenen zu befreien.“

„Nun, so unwissend, wie Ihr meint, bin ich doch nicht ganz,“ verteidigte ich mich. „Wenn ich auch nicht ganz zu den namhaften Westmännern gehöre, so würde ich doch vielleicht nicht solche Fehler begehen, wie Ihr begangen habt.“

„Wir? Fehler?“

„Ja.“

„Welche denn?“

„Ihr habt Euch von Mr. Cutter überrumpeln lassen, ohne seine Annäherung zu bemerken.“

„Habt etwa Ihr sie bemerkt?“

„Ja.“

„Macht uns nichts weiß, Mr. Charley!“

„Pshaw! Ich kann es beweisen.“

„So thut dies doch!“

„Sehr gern. Mr. Cutter, sagt einmal: Habt Ihr nicht, um besser sehen zu können, einen Zweig abgeschnitten, als Ihr dort im Busche laget?“

„Ja, das ist richtig. Ihr habt es also gesehen, Sir; das ist erwiesen, sonst könntet Ihr es nicht wissen.“

„Wenn Ihr es gesehen habt, warum habt Ihr es uns da nicht gesagt?“ fragte Parker.

„Weil ich das für überflüssig hielt.“

„Oho! Wenn es nun ein Roter gewesen wäre!“

„Ich wußte, daß es ein Weißer war.“

„Unmöglich!“

„Ihr wollt ein Westmann sein und wißt nicht, wie man in dunkler Nacht und ohne ihn zu sehen, einen Weißen von einem Roten unterscheidet!“

„Wollt Ihr mich vielleicht belehren?“

„Nötig wäre es, daß ich es thäte, denn Ihr habt einen noch viel größern Fehler begangen, als dieser war. Ein solcher Fehler kann das Leben kosten.“

„Alle Wetter! Macht mich doch, wenn Ihr die Güte haben wollt, mit diesem lebensgefährlichen Fehler bekannt!“

„Auch diesen Wunsch will ich Euch erfüllen. Könnt Ihr mir vielleicht sagen, was die Roten zu thun pflegen, wenn ihnen ein Weißer echappiert?“

„Natürlich kann ich das. Sie reiten ihm nach, um ihn festzunehmen. Das weiß doch jedermann!“

„Ihr scheint es nicht zu wissen.“

„Wieso? Ihr werdet beleidigend, Sir.“

„Ich will nicht beleidigen, sondern nur warnen. Mr. Cutter ist den Comantschen entwichen. Glaubt Ihr, daß sie ihn nicht verfolgt haben?“

„Zounds! Daran habe ich nicht gedacht!“

„An so etwas soll man aber denken. Die Indsmen werden schon um Old Surehands willen Mr. Cutter verfolgt haben, um ihn unschädlich zu machen.“

„Thunder-storm!“ rief da Old Wabble aus, indem er sich mit der Hand an die Stirn schlug. „Das ist richtig, sehr richtig, Sir. Wie konnte ich diese Gefahr so ganz und gar außer acht lassen! Sie sind gewiß, ganz gewiß hinter mir her und werden alles versuchen, meiner habhaft zu werden.“

„Und Ihr habt nicht einmal hier Wachen ausgestellt!“

„Das soll geschehen, sofort geschehen.“

„Genügt aber nicht.“

„Was noch, Sir? Sagt es rasch! Ich werde sogleich thun, was Ihr für nötig haltet.“

Jetzt war es für mich ein wirklicher Genuß, die Gesichter der andern zu sehen. Sie blickten erstaunt von ihm zu mir herüber und von mir zu ihm hinüber, und Parker fragte ihn, indem er große Augen machte:

„Was dieser Master für nötig hält? Glaubt Ihr denn, daß Mr. Charley weiß, was in einer Lage, wie die unsrige ist, zu geschehen hat?“

„Ja, das glaube ich,“ antwortete der Gefragte. „Ihr habt ja gehört, daß er auf unsre Sicherheit besser bedacht ist, als wir selbst. Also, Mr. Charley, was ratet Ihr uns?“

Ich erklärte:

„Wenn die Verfolger kommen, müssen sie unser Feuer riechen. Vielleicht sind sie schon da, uns zu beschleichen. Ich an Eurer Stelle würde einige Späher aussenden, die den Weg so weit zu erforschen haben, wie der Geruch unsers Rauches reicht.“

„Well, Sir, very well! Wir werden keinen Augenblick zögern, dies zu thun. Mr. Parker, laßt drei oder vier von Euern Leuten gehen, um nachzusehen! Ihr werdet einsehen, daß dies wirklich nötig ist, zu thun.“

„Yes,“ erklärte der Genannte. „Es ist wirklich wunderbar, daß wir nicht selbst und schon längst auf diesen Gedanken gekommen sind. Es ist eigentümlich, daß wir es uns erst von so einem Altertümler sagen lassen müssen, der gar kein Westmann ist. Werde selbst mitgehen und vier Männer mitnehmen.“

„Die mögen aber auch die Augen aufmachen und die Ohren dazu, sonst sehen und hören sie nichts; th’is clear.“

Parker suchte vier seiner Leute aus und ging mit ihnen fort. Ich nahm an, daß sie die beiden gefesselten Comantschen und deren Pferde finden würden, und freute mich schon im voraus auf ihre Gesichter, die ich mir vorstellen konnte. Die am Feuer Zurückgebliebenen unterhielten sich einsilbig; ich lag still im Schatten der Büsche und wartete auf die Rückkehr der Späher.

Es dauerte weit über eine Stunde, ehe sie kamen. Voran ging Parker, ihm folgten zwei mit den India nerpferden und zwei mit je einem der Comantschen, die man auseinander gebunden hatte. Parker rief, noch ehe er das Feuer erreicht hatte:

„Mr. Cutter, seht doch her, wen und was wir bringen!“

Old Wabble sprang auf, starrte die beiden Roten an, die sich jetzt natürlich wieder bei Besinnung befanden, und rief:

„Zwei Indsmen, zwei Comantschen, wie man an den Kriegsfarben sieht! Wo habt Ihr die denn her?“

„Gefunden.“

„Was? Gefunden?“

„Ja.“

„Aber feindliche Indianer findet man doch nicht, sondern man muß sie fangen!“

„Das habe ich bisher auch gedacht, ist aber nicht wahr. Wir haben sie wirklich und wahrhaftig gefunden, wörtlich gefunden, aneinandergefesselt und an einen Baum gebunden, kurze Zeit darauf auch ihre Pferde.“

„Wer sollte das für möglich halten!“

„Ja, man sollte es kaum glauben. Aber was man mit seinen eigenen, guten Augen sieht, daran kann man doch nicht zweifeln. Wer mag sie überwältigt und gefesselt haben? Es müssen Weiße in der Nähe sein, die es gethan haben, ohne zu wissen, daß wir uns hier befinden.“

Da warf der Alte mir einen kurzen Blick zu, nickte mit dem Kopfe und sagte:

„Ja, Weiße; aber nicht mehrere sind es gewesen, sondern es ist nur einer.“

„Einer?“

„Yes.“

„Einer? Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?“

„Sind sie verwundet?“

„Nein. Von einer Verletzung ist nichts zu sehen.“

„Also ist kein Kampf vorhergegangen; sie sind überwältigt worden, ohne sich wehren zu können. Es giebt nur einen einzigen Menschen, der das fertig bringt. Ihr werdet ihn erraten.“

„Alle Wetter! Ihr meint Old Shatterhand?“

„Yes.“

„Er hat sie niedergeschmettert und gefesselt?“

„Anders ist es nicht.“

„So muß er hier in der Nähe sein!“

„Ich bin überzeugt davon.“

„Warum läßt er sich da nicht sehen?“

„Er wird seine Gründe haben; man sagt ja, daß er niemals etwas ohne Grund thue.“

„So habt Ihr Recht gehabt, als Ihr meintet, er befinde sich hier in der Gegend. Wir müssen nach ihm suchen.“

„Suchen? Warum?“

„Weil wir ihn morgen früh schon brauchen, denn länger dürfen wir mit dem Aufbruche nicht zögern.“

„Es wird wohl nicht nötig sein, nach ihm zu suchen. Er weiß gewiß, daß wir hier sind und auf seine Hilfe warten. Verlaßt Euch darauf, daß er sich zur rechten Zeit sehen lassen wird!“




10) Blaues Wasser.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand I