1. Kapitel Old Wabble -8-



„Ihr thut ja grad, als ob er allwissend wäre, Mr. Cutter! Man erzählt sich zwar Dinge von ihm, die ganz unglaublich klingen und doch geschehen sind; aber er ist auch nur ein Mensch und kann nur das wissen, was er sieht und was er hört.“


„O, was das betrifft, so möchte ich wetten, daß er alles weiß, was Ihr gestern und heut gethan habt und was hier geschehen ist.“

„Pshaw!“

„Seid nicht ungläubig, sondern wartet es ab!“

„Wollen uns nicht streiten, Sir. Sagt uns lieber, was mit diesen beiden Gefangenen geschehen soll.“

„Jetzt einstweilen nichts.“

„Wann denn?“

„Sobald Old Shatterhand kommt.“

„Das ist zu unbestimmt, das ist überhaupt gar nichts gesagt. Ich bin nicht so überzeugt wie Ihr, daß er kommen wird, und wir müssen unbedingt wissen, was wir mit diesen Kerls zu machen haben. Ihr meint doch nicht etwa, daß wir sie mitnehmen sollen? Das wäre eine Last für uns und überdies nicht ungefährlich.“

„Hm! Kann das nicht bestreiten.“

„Freilassen können wir sie auch nicht.“

„Das würde eine Dummheit sein; th’is clear.“

„Also eine Kugel vor den Kopf; das ist das Allerbeste; da sind wir sie los, und sie haben es verdient.“

„Nur nicht vorschnell handeln, Sir! Ihr werdet gehört haben, daß Old Shatterhand nur dann einen Roten tötet, wenn er unbedingt dazu gezwungen ist.“

„Das geht mich nichts an. Erstens ist es noch gar nicht sicher, daß er sich hier befindet; sodann sind die Halunken nicht seine Gefangenen, sondern die unsrigen, und drittens – na, drittens werden wir jetzt über sie beraten und das Gesetz der Prairie sprechen lassen.“

„Macht, was Ihr wollt!“

„Ihr thut doch mit?“

„Nein. Diese Indsmen gehen mich nichts an.“

„Aber Ihr seid es doch, den sie verfolgten!“

„Meinetwegen! Bis jetzt haben sie mir nichts gethan.“

„Hört, Sir, wer so lange warten will, bis ihm diese Schurken etwas thun, der ist verloren. Also, wollt Ihr der Jury, welche wir bilden werden, beitreten?“

„Nein; aber zuhören, das werde ich, wenn ich darf.“

„Habe nichts dagegen. Mag’s also beginnen!“

Die beiden Comantschen lagen gefesselt an der Erde neben dem Feuer, an welches sich die Weißen setzten, um die Beratung zu halten. Ob die Roten englisch verstanden und also wußten, was gesprochen wurde, war ihnen nicht anzumerken. Um es kurz zu machen, die Beratung dauerte nur einige Minuten, und ihr Ergebnis war, daß die Gefangenen erschossen werden sollten, und zwar sogleich. Nur Jos Hawley hatte gegen dieses Urteil gestimmt. Parker machte auch wirklich kurzen Prozeß; er trug dreien seiner Leute auf, die Exekution in der Nähe auszuführen, und befahl ihnen, die Gefangenen fortzuschaffen. Da hielt ich es für angezeigt, endlich auch ein Wort zu sprechen.

„Halt, Mr. Parker! Wartet noch ein Weilchen!“

„Was wollt Ihr, Sir?“ fragte er.

„Bei Euerm Savannengerichte ist ein Fehler vorgekommen, der das Urteil ungültig macht.“

„Was versteht denn Ihr von Savannengericht!“

„Mehr als Ihr, wie es scheint, sonst hättet Ihr diesen Fehler nicht begangen.“

„Welchen Fehler meint Ihr denn?“

„Es sind eigentlich mehrere. Erstens hat einer nicht mitberaten, der mitzusprechen hatte.“

„Mr. Cutter wollte ja nicht.“

„Den meine ich nicht.“

„Nicht? Wen denn sonst?“

„Mich.“

„Ah, Euch? Das ist wohl Spaß. Ihr seid doch gar kein Savannenmann.“

„Was ich bin oder nicht bin, das ist hier sehr gleichgültig; ich gehöre mit zur Gesellschaft und darf nicht von einer so wichtigen Verhandlung ausgeschlossen werden.“

„Was Ihr sagt!“ lachte er. „Ihr gehört keineswegs zu unsrer Gesellschaft, sondern Ihr steht unter dem Schutze derselben; das ist die Sache, Sir. Wenn wir die Hand von Euch ziehen, seid Ihr ferner keinen Augenblick mehr Eures Lebens sicher.“

„Das sind Ansichten, Mr. Parker, über die ich nicht mit Euch streiten will. Lassen wir also meine Person aus dem Spiele! Der zweite Fehler ist der, daß Ihr mit den Roten kein einziges Wort gesprochen habt. Man verurteilt doch nicht jemand zum Tode, ohne ihn vorher zu verhören!“

„Verhören? Diese Kerls? Das fehlte noch!“

„Was haben sie denn verbrochen?“

„Unnütze Frage! Sie wollten Old Wabble töten.“

„Könnt Ihr dies behaupten, haben sie es eingestanden? Seid Ihr überzeugt, daß sie wirklich die Comantschen sind, die ihn verfolgen?“

„Seht Ihr denn die Kriegsfarben nicht, mit denen sie sich bemalt haben!“

„Die ist kein Beweis; so viel verstehe ich vom wilden Westen wohl auch.“

„Nichts versteht Ihr, gar nichts, Sir!“

„Doch! So weiß ich zum Beispiel, daß ein Gefangener und sein Leben nur dem Sieger gehört, keinem andern. Wer von Euch kann behaupten, diese Comantschen besiegt und gefangen genommen zu haben?“

„Redet nicht so dummes Zeug! Diese Kerls gehören uns, außer Ihr könnt uns sagen, wer der geheimnisvolle Mann gewesen ist, der sie besiegt hat und sich nun nicht sehen läßt.“

„Ich kann es sagen, und er versteckt sich nicht, sondern er läßt sich sehen, Mr. Parker.“

„Wo denn?“

„Hier.“

„So zeigt mir ihn doch!“ forderte er mich auf, indem er lachend rundum blickte.

„Er liegt vor Euch; ich selbst bin es.“

„Ihr? Alle Wetter! Ihr, Ihr wollt diese Roten überwältigt und gefesselt haben?!“

„Ja.“

„Diese Finte ist geradezu lächerlich! Mit ihr errettet Ihr die Halunken nicht von dem Tode. Wenn Ihr es fertig bringt, auch nur einen einzigen Indianer im Kampfe zu besiegen und bei lebendigem Leibe zu fesseln, wie diese hier, so will ich niemals ein Westmann gewesen sein!“

„Well, so seid Ihr keiner gewesen.“

„Oho! So etwas fertig zu bringen, dazu gehört die Kraft eines Old Shatterhand. Wollt Ihr behaupten, sie zu besitzen?“

„Behaupten nicht, aber beweisen. Paßt auf!“

Ich war während dieses Streites ruhig am Boden liegen geblieben; jetzt stand ich auf, ergriff ihn mit der rechten Hand beim Gürtel, schwang ihn mir einigemale um den Kopf, daß er laut aufschrie, stellte ihn dann wieder auf die Beine und fragte:

„Ist das genug, oder soll ich Euch zeigen, wie es thut, wenn Ihr meine Faust auf den Schädel bekommt?“

Ehe er noch antworten konnte, rief einer der Gefangenen mit lauter Stimme aus:

„Old Shatterhand! Das ist Old Shatterhand! Ich habe es mir gedacht!“

Er hatte mich, weil ich im Schatten lag, vorher nicht bemerken können, nun aber beim Scheine des Feuers meine aufgerichtete Gestalt gesehen. Ich trat zu ihm und fragte:

„Kennt mich der gefangene Krieger der Comantschen?“

„Ja,“ antwortete er.

„Wo hast du mich gesehen?“

„Im Lager der Racurroh-Comantschen, als du die Seelen ihrer Häuptlinge aus dem Laufe deines Bärentöters gegen den Himmel schossest. Der oberste ihrer Häuptlinge war To-kei-chun; das Leben seines Soh nes lag in deiner Hand; du aber schenktest es ihm.“

„Das stimmt. Du spricht die Sprache der Bleichgesichter ziemlich gut und hast also verstanden, was bisher gesprochen wurde?“

„Ja.“

„Ihr habt also gehört, daß ihr euch nahe dem Tode befandet?“

„Wir hörten es. Wir hörten auch, daß Old Shatterhand für unser Leben sprach.“

„Das thut er stets. Ich bin ein Freund der roten Krieger und bedaure es, wenn sie ihre Tomahawks des Krieges gegen die Bleichgesichter erheben, denn ich weiß es, daß sie zwar einmal siegen können, aber um so sicherer untergehen werden. Auch ihr sollt erfahren, daß ich nicht den Tod der roten Männer will.“

„Wir sind tapfre Krieger und fürchten den Tod nicht.“

„Das weiß ich; aber das Leben ist doch besser als der Tod, und es ist kein Ruhm für euch, wenn euer Stamm erfährt, daß ihr ohne alle Gegenwehr besiegt und dann erschossen worden seiet. Es soll auf deine Antworten ankommen, ob ich euch das Leben schenke. Wie heißt der Häuptling, dem dein Stamm gehorcht?“

„Es ist Vupa Umugi 11), der noch nie besiegt wurde.“

„Wo stehen die Zelte eurer Dörfer?“

„Das sage ich nicht.“

„Eure Krieger sind zum Kampfe ausgezogen?“

„Ja.“

„Wie viele Köpfe stark sind sie?“

„Ich schweige.“

„Wo befinden sie sich jetzt?“

„Ich weiß es nicht.“

„Gegen wen ziehen sie?“

„Ich weiß es, verrate es aber nicht.“

„Du bist verschwiegen und also ein tüchtiger Krieger, der lieber sein Leben auf das Spiel setzt, als daß er die Seinigen verrät. Das muß jedem tapfern Manne und also auch mir Wohlgefallen. Geht heim, und sagt euern Häuptlingen und allen euern Männern, daß Old Shatterhand die Tapferkeit und die Verschwiegenheit zu schätzen weiß!“

Ich bückte mich nieder, um sie von ihren Fesseln zu befreien. Als dies geschehen war, sprangen sie auf, und der, welcher bisher gesprochen hatte, fragte: „Old Shatterhand bindet uns los und sagt, wir sollen gehen. Wir sind also frei?“

„Ja.“

„Wir können gehen, wohin wir wollen?“

„Ja.“

„Was geschieht mit unsren Waffen und Pferden?“

„Die erhaltet ihr jetzt zurück. Old Shatterhand ist kein Dieb oder Räuber, der sich an fremdem Gut ver greift.“

„Uff, uff! Werdet ihr uns nachspüren, um zu erfahren, wohin wir reiten?“

„Nein; ich gebe euch mein Wort darauf.“

„Uff, uff! Old Shatterhand hat noch nie sein Wort gebrochen; er ist das edelste der Bleichgesichter; wir werden es erzählen, sobald wir zu unsern Zelten kommen.“

„Es giebt noch viele, viele Bleichgesichter, die ebenso gesinnt sind und denken wie ich. Hier liegen eure Waffen, und dort stehen eure Pferde. Reitet fort! Aber wir werden diesen Platz scharf bewachen; falls ihr hierbleiben oder zurückkommen und uns beschleichen solltet, würden euch unsre Kugeln sicher treffen!“

„Wir werden fortreiten, ohne uns nur einmal umzublicken. Howgh!“

Von den Weißen hatte mir bis jetzt keiner auch nur mit einem Worte widersprochen; nun aber trat Parker zu mir und fragte:

„Ist das Euer Ernst, Sir?“

„Natürlich!“

„Ihr wollt ihnen wirklich die Freiheit geben?“

„Ja.“

„Nehmt mir’s nicht übel, Sir, aber ich muß Euch sagen, daß dies ein Fehler ist, der – – –“

Da unterbrach ich ihn mit der kurzen, strengen Frage:

„Ihr wißt jetzt, wer ich bin?“

„Yes.“

„Also nicht der Mr. Charley, den Ihr für einen halben Idioten und ganzen Dummkopf hieltet?“

„Nein, sondern Old Shatterhand, Sir.“

„So schweigt, und unternehmt es nicht, mir Vorschriften zu machen oder das, was ich thue, zu kritisieren! Ihr mögt ein guter Mensch und ein ganz brauchbarer Westmann sein, aber Eurer Kritik war ich schon entwachsen, ehe ich meinen Fuß zum erstenmale auf den Boden des wilden Westen setzte. Wer Hatatitla 12), den berühmten Hengst Old Shatterhands, für einen Kutschengaul halten kann, der darf sich nicht unterfangen, mir gute Lehren zu erteilen. Pasta!“

Nach diesem Verweise wendete ich mich von ihm ab und ließ ihn stehen. Ich hatte meinen Grund, in diesem Tone mit ihm zu sprechen. Er war zwar gestern freundlich mit mir gewesen, hatte aber dann gezeigt, daß er sehr hoch von sich dachte, obgleich er sich mit Westmännern ersten Ranges nicht im entferntesten vergleichen konnte. Wenn wir zusammenblieben und er bei diesem Selbstgefühle verharrte, so konnte er uns leicht in große Verlegenheiten bringen; daher diese Art und Weise meines Tadels, der wie ein großes Selbstlob klang und die mir sonst gar nicht eigen war.

Die Comantschen bestiegen ihre Pferde, nickten mir dankend zu und ritten davon, ohne die andern mit einem verabschiedenden Blicke zu beachten. Das war selbst für Old Wabble zu viel, der nichts gesagt hatte, obwohl er nicht ganz mit mir einverstanden war.

„Bockbeinige Kerle!“ brummte er. „Als ob wir so ganz und gar nicht vorhanden wären! Meint Ihr nicht, daß Ihr zu gütig gegen sie gewesen seid, Mr. Shatterhand?“

„Nein.“

„Es kann mir nicht einfallen, Euer Thun zu beurteilen. Ihr wißt stets, was Ihr thut, wenn andre es auch nicht begreifen; aber versprechen hättet Ihr doch vielleicht nicht sollen, daß wir ihnen nicht nachspüren werden. Wenn wir Old Surehand befreien wollen, müssen wir doch wissen, wohin er geschleppt worden ist.“

„Ich weiß es; ich habe sie belauscht, ehe ich sie niederschlug. Sie haben ihn nach Saskuan-kui, dem ‚blauen Wasser‘ gebracht.“

„Das ist gut, mir aber unbekannt. Wißt Ihr vielleicht, wo es liegt, Sir?“

„Ja. Ich bin zweimal dort gewesen.“

„Aber ich befürchte, sie melden dort, was geschehen ist, und daß wir kommen werden.“

„Im Gegenteile! Hätte ich da die Gefangenen frei gelassen? Grad das war ein Schachzug, der uns sicher Vorteil bringen wird. Ich habe übrigens Old Surehand mit keiner Silbe erwähnt. Sie werden annehmen, daß ich entweder von ihm nichts weiß oder keinen Grund habe, mich um ihn zu bekümmern. Glaubt mir, Mr. Cutter, ich habe keinen Fehler begangen. Wir haben dabei noch den Vorteil, diese beiden Comantschen los zu sein; sie wären uns höchst unbequem geworden, und ihrem Tode hätte ich nicht zugestimmt.“

„Ihr habt recht, Sir; th’is clear. Und meint Ihr wirklich, daß wir hier sicher sind und daß die Kerls nicht heimtückisch zurückkehren werden?“

„Sie kommen nicht wieder. Damit wir aber keine Vorsicht außer acht lassen, wollen wir diesen Platz aufgeben, das Feuer auslöschen und uns einen andern suchen. Das mag sogleich geschehen.“

Als das Feuer ausgetreten war, ritten wir eine Strecke zurück, wo es eine geeignete Stelle gab. Dort legten wir uns zum Schlafen nieder, nachdem zwei Wachen ausgestellt worden waren. Ich blieb noch lange wach und hörte ebenso lange die Gefährten miteinander flüstern.

Den Gegenstand ihrer leisen Unterhaltung konnte ich mir denken; sie sprachen über den sonderbaren und von ihnen ungeahnten Fall, daß dieser Mr. Charley sich einen Scherz mit ihnen gemacht hatte und eigentlich Old Shatterhand gewesen war. Jedenfalls empfand Old Wabble eine nicht geringe Befriedigung darüber, daß er es gewesen war, der mich zuerst erkannt hatte.

Am andern Morgen galt es vor allen Dingen, zu erfahren, wer von ihnen gern mit nach dem Saskuan-kui ritt und wer nicht. Als ich mich erkundigte, baten alle dringend, sie mitzunehmen. Jetzt, da sie wußten, wer ich war, hatten alle etwa vorher gehegten Bedenken aufgehört, und ein jeder war überzeugt, daß der Ritt höchst interessant sein und ein gutes Ende nehmen werde. Selbst Sam Parker zeigte trotz des gestrigen Verweises eine Begeisterung, die gewiß aus dem Herzen kam, und Jos Hawley benutzte eine Gelegenheit, mir unter vier Augen zu sagen:

„Wer hätte das gedacht, Sir, daß Ihr Old Shatterhand seid! Nun es aber so ist, freut es mich doppelt, daß Ihr mein Herz mit Eurer Erzählung beruhigt habt; das kann ich Euch versichern. Ich bin ein alter, ganz gewöhnlicher Westläufer; aber stellt mich dahin, wo ich zu brauchen bin, so werdet Ihr sehen, daß ich Euch keine Schande mache!“




11) Großer Donner.
12) Blitz. Sein Bruder, der Hengst Winnetous, hieß Iltschi = Wind.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand I