1. Kapitel Old Wabble -14-



„Jawohl, das sind wir; th’is clear!“ stimmte mir Old Wabble lebhaft bei.


„Von mir weiß ich es, und von Euch glaube ich es,“ antwortete ich ihm. „Dennoch frage ich Euch noch einmal: Ist das, was Ihr leisten sollt, wirklich nicht zu viel für Euch? Sonst führe ich es lieber allein aus.“

„Sir, was denkt Ihr von mir! Ich soll doch nicht annehmen, daß Ihr mich für einen Faselhans haltet!“

„Nein. Also vorwärts! Und gut Glück dabei!“

„Yes, go on! In einer halben Stunde sind wir glücklich und siegreich wieder da!“

Mit dieser kühnen Versicherung wabbelte der Alte in das Wasser, und ich folgte ihm etwas weniger zu versichtlich.

Unter das Floß brauchten wir erst dann zu kriechen, wenn wir so nahe an der Insel waren, daß es von den Wachen gesehen werden konnte; jetzt schwammen wir frei und schoben es vor uns her.

Ich beobachtete zunächst Old Wabble, um zu sehen, ob er wirklich so gut schwamm, wie er versichert hatte; es mochte gehen. Aber nach einiger Zeit bemerkte ich, daß das Floß sich auf seiner Seite tiefer in das Wasser senkte als auf der meinigen.

„Ihr legt Euch zu sehr auf,“ sagte ich. „Ihr seid doch nicht etwa schon müde, Mr. Cutter?“

„Müde? Was fällt Euch ein!“ antwortete er. „Da sind nur die verteufelten Braces 20) schuld, die mich drücken.“

„Wer wird auch außer dem Gurt noch Träger haben!“

„Das versteht Ihr nicht. Den Gürtel kann man im Westen nicht entbehren, und die Braces brauche ich, weil ich keine Hüften habe; sie müssen auch den Gürtel halten. Bei meiner Gestalt! Wo sollen da Hüften sitzen!“

Ich konnte mir nicht recht erklären, warum seine Hosenträger die impertinente Absicht verfolgten, ihn im Schwimmen zu hindern, und war still, doch nicht lange, denn er stützte sich immer mehr auf das Floß, so daß es auf meiner Seite aus dem Wasser ragte. Da bat ich ihn:

„Kehrt lieber um, Mr. Cutter; jetzt ist’s noch Zeit! Es scheint Euch schwer zu werden.“

„Unsinn! Seht Ihr denn nicht, daß ich wie ein Fisch vorwärts schieße?“

„Weil ich das Floß schiebe, an dem Ihr hängt!“

„Das sieht bloß so aus! Diese Braces! Ich werde sie herunternehmen; dann geht es besser.“

Indem er sich mit der einen Hand am Floße festhielt, knüpfte er mit der andern die Hosenträger ab und schob sie in die Tasche. Sie schienen ihn doch gedrückt und gehindert zu haben, denn es ging jetzt besser. Freilich hörte ich, daß er schnaufte; er schien sich anzustrengen. Als ich eine Bemerkung darüber machte, versicherte er:

„Das ist nur die eine Lungenseite; die wird manchmal so laut; die andre ist gut.“

Nun schwammen wir wohl fünf Minuten lang, ohne ein Wort zu sagen; dann bemerkte ich, daß er tiefer im Wasser lag als vorher.

„Ihr scheint schwerer zu werden, Sir?“ fragte ich.

„Ist das denn ein Wunder? Die Kleidung zieht ja Wasser, und da hinten – – – all devils, was ist das!“

Er hielt das Floß an und langte mit einer Hand hinter sich.

„Was sucht Ihr dort, Sir?“

„Ich suche – – – na! – – – Hört, Mr. Shatterhand, ich muß meine Braces unbedingt wieder anknöpfen.“

„Warum?“

„Weil ich die Leggins verliere; sie schwimmen schon halb hinter mir her. Wollt Ihr mir helfen?“

Ich war ihm behilflich, die schon halb entwichenen Beinkleider zu Raison zu bringen; dann ging es weiter. Aber ich mußte zu meiner großen Besorgnis von Minute zu Minute immer mehr einsehen, daß er doch der Schwimmer nicht war, für den er sich hielt. Ich hatte nicht nur das Floß, sondern auch ihn vorwärts zu treiben.

„Ich denke, wir kehren um, Mr. Cutter,“ sagte ich. „Ihr seid wirklich müde, und unser Vorhaben erfordert volle Kraft. Denkt der Gefahr, der wir entgegengehen!“

„Ich denke daran, und ebendeshalb strenge ich mich jetzt nicht an, um später bei guter Force zu sein. Umkehren! Welcher Gedanke! Werde mich blamiren!“

Ja, blamiren wollte ich ihn freilich nicht gern; aber durfte ich es weiter mit ihm riskieren? Es war ja möglich, daß er sich jetzt schonte, um später ganz au fait zu sein; auf weitere, dringende Fragen versicherte er, daß dies wirklich der Fall sei. Uebrigens hatten wir jetzt schon die Hälfte des Weges zurückgelegt; also vorwärts, mochte es nun gehen, wie es wolle! Meine Sorge wurde trotz dieses Entschlusses keineswegs ge ringer, und schon nach weiteren fünf Minuten erkundigte ich mich:

„Wollt Ihr Euch nicht mit dem Oberkörper auf das Floß legen? Da ruht Ihr aus und habt dann frische Kraft.“

„Das ist richtig. Aber wird es Euch nicht zu schwer?“

„Nein; thut es nur.“

Er folgte meinem Rat und sagte, als ich unser Wasser-Vehikel weiter trieb:

„Mir ist ein Gedanke gekommen, Sir. Die Wächter werden Verdacht schöpfen, auch wenn sie uns nicht sehen.“

„Warum?“

„Weil sie sich fragen werden, woher unser Schilf die Bewegung bekommt. Der See steht ja still.“

„Da irrt Ihr Euch. Er schickt sein Wasser da unten dem Rio Pecos zu, und infolgedessen hat es eine, wenn auch nicht sehr wahrnehmbare Bewegung nach dem Abflusse hin. Ein losgerissenes Schilf wird also langsam da hinunter schwimmen. Das werden sich die Roten wohl auch sagen. In dieser Beziehung habe ich keine Sorge.“

„Aber wohl in andrer?“

„Ja.“

„Weshalb?“

„Wegen Euch.“

„Pshaw! Ich will mich jetzt nicht anstrengen. Wenn es losgeht, werdet Ihr mich ganz bei der Sache finden.“

„Hm! Vom Schwimmen will ich jetzt nichts mehr sagen; dazu komme ich noch, ehe ich den Rückweg antrete. Es handelt sich jetzt vielmehr um das Tauchen. Wenn Euch das nicht gelingt, können wir verloren sein.“

„Redet nicht, Sir! Ich habe ja weiter nichts zu thun, als im richtigen Augenblicke das Floß loszulassen, unterzutauchen und an der andern Inselseite wieder heraufzukommen. Das ist kinderleicht, zumal bei meinem Körperbau. Wer so wenig Fleisch und so viel Knochen hat, dem wird es leicht, im Tauchen Meister zu sein.“

Da hatte er freilich recht, und das Selbstvertrauen, welches er zeigte, beruhigte mich einigermaßen, obgleich ich einsah, daß es besser gewesen wäre, ihn zurückzulassen und das Vorhaben allein auszuführen.

Wir näherten uns der Insel mehr und mehr, und ich lenkte jetzt das Floß von der bisherigen geraden Richtung nach aufwärts, weil wir uns später abwärts treiben lassen mußten. Die Lagerfeuer der Comantschen leuchteten hell, doch nicht zu uns herüber; das auf der Insel war klein; es brannte hinter dem Gebüsch; darum konnten wir die Flamme nicht sehen. Die wenigen sichtbaren Sterne des heutigen Himmels blickten von dem Firmamente herab in die Flut und aus derselben wieder herauf. Ich schwamm so stät und ruhig wie möglich, um keine Wellen zu verursachen, in denen der Rückstrahl der Sterne schwankte, weil dies ziemlich weit zu sehen ist. So kam ich ohne Hast bis in solche Nähe der Insel, daß wir nun das Floß treiben lassen konnten. Ich machte Old Wabble darauf aufmerksam:

„Jetzt ist die Zeit gekommen, Mr. Cutter. Wir müssen nun unter das Schilf kriechen.“

„Well, soll gleich geschehen,“ antwortete er.

„Noch einen Augenblick! Wenn wir mit den Köpfen in den Löchern stecken und uns eine Mitteilung zu machen haben, so darf das nur flüsternd geschehen.“

„Versteht sich ganz von selbst!“

„Obgleich wir das Floß treiben lassen, muß es doch leise gelenkt werden; das überlaßt Ihr mir allein!“

„Ist mir lieb. Sagt mir nur, wann das Tauchen losgehen soll! Bin dann gleich dabei.“

„Werdet Ihr es wirklich fertig bringen?“

„Ich sage Euch allen Ernstes, habt keine Angst um mich. Ich gebe Euch mein Wort, daß ich Euch gar nicht, aber auch gar nicht beschwerlich fallen werde!“

Das war ein ganz andrer Ton als vorher. Hatte er sich nur verstellt? War er wirklich ein guter Taucher?

Wir schlüpften unter das Floß und steckten die Köpfe in die dazu bestimmten Löcher; dann schoben wir die Arme in die Lederschlingen und hingen nun in aufrechter Haltung ungefähr so unten an dem Floße, wie ein Turner an den Schwingen hängt. Das Schilf trug uns; wir brauchten nicht zu schwimmen, und eine kleine Hand- oder Fußbewegung genügte zum Lenken. Es ging sehr, sehr langsam, und in der Erwartung, die uns ergriffen hatte, wurde uns die Zeit doppelt lang.

„Verwünschte Eilschiffahrt!“ raunte mir der Alte zu. „Könnt Ihr gut sehen, Sir?“

„Ja.“

„Ich auch. Jetzt müßte ein Haifisch kommen und uns in die Beine beißen! Thunder, würde da unser Steamer in Bewegung kommen! Wie gut, daß es hier keine solchen Bestien oder gar Krokodile giebt! Da, schaut!“

„Ich sehe ihn.“

„Und er sieht uns. Was wird er thun?“

Wir waren jetzt vielleicht sechzig Schritte von der Insel entfernt. Im Gebüsch derselben gab es eine breite Lücke, durch welche das Feuer zu sehen war. Im Scheine desselben erblickten wir einen Indianer, welcher am Ufer Wasser schöpfte und dabei unser ‚Dampfschiff‘ bemerkte. Er sah kurze Zeit zu uns herauf und kehrte dann zum Feuer zurück.

„Prächtiger Kerl!“ flüsterte Old Wabble. „Will gar nichts von uns wissen.“

„Das kann uns ungeheuer lieb sein; aber warten wir es ab, ob ihm unser Schilf nicht doch noch auffällt.“

Es verging Minute um Minute; wir kamen der Insel immer näher, und der Wächter erschien nicht wieder. Noch vierzig, noch dreißig, noch zwanzig, endlich nur noch zehn Schritte! Wir glitten vorüber.

„Mr. Cutter, jetzt!“ raunte ich dem Alten zu. „Ich tauche links und Ihr taucht rechts um die Insel herum, damit wir nicht zusammengeraten und uns hindern. Drüben steigen wir auf und sind im Rücken der Wächter. Aber bitte, gebt Euch alle Mühe! Habt Ihr die Arme noch in den Schlingen?“

„No.“

„Seid Ihr fertig?“

„Yes; es kann losgehen; th’is clear.“

„Dann fort vom Floße!“

Ich machte mich los, tauchte tief hinab, schwamm um die Hälfte der Insel und kam drüben vorsichtig wieder empor; zwei Stöße brachten mich an das Ufer. Old Wabble war an dieser Stelle nicht zu sehen; er erstieg die Insel jedenfalls nicht weit von hier an einer andern; ich konnte mich nicht um ihn bekümmern, sondern mußte vor allen Dingen zu den beiden Wächtern. Mich auf die Erde legend, kroch ich durch die Büsche. Sie saßen an dem kleinen Feuer, welches nur durch fünf oder sechs dünne Holzstücke genährt wurde; der eine kehrte mir den Rücken, der andre die linke Seite zu. Etwas abseits von ihnen lag der Gefangene im Schatten eines überhängenden Strauches. Ich konnte sein Gesicht nicht sehen; aber die Füße lagen im Lichte des Feuers; sie waren gefesselt. Nun schnell ans Werk!

Ich richtete mich auf und war mit zwei schnellen Sprüngen am Feuer; ein Hieb hüben und ein Hieb drüben an die Schläfen der Roten – sie sanken um. Ich bückte mich zu ihnen nieder; sie waren betäubt.

„Heavens, ein Weißer!“ erklang da die Stimme des Gefangenen. „Kommt Ihr, um mich – – –“

„Ja,“ unterbrach ich ihn. „Reden wir später; jetzt müssen wir handeln. Weg mit den Fesseln!“

Ich kniete zu ihm nieder, zog das Messer; hinter mir gab es ein Geräusch.

„Seid Ihr da, Mr. Cutter?“ fragte ich, ohne mich umzusehen, denn wer konnte es anders sein als Old Wabble.

„Uff, uff, uff, uff!“ antworteten statt seiner zwei mir fremde Stimmen.

Ich richtete mich blitzschnell auf und drehte mich um. Da standen zwei Indianer, wassertriefend und mich wie ein Gespenst anstarrend. Später sagte mir Old Surehand, daß die Wachen alle drei Stunden gewechselt worden waren. Diese Ablösung geschah schwimmend; daher jetzt die beiden triefenden Gestalten, welche grad in diesem für mich so außerordentlich ungünstigen Augenblicke kamen, um an die Stelle der zwei Betäubten zu treten. Meine Ueberraschung währte nur einen Augenblick; im zweiten hatte ich den mir am nächsten stehenden Roten mit der linken Hand bei der Kehle und schmetterte ihn mit der rechten Faust zu Boden. Dann wollte ich den andern packen, kam aber nicht dazu, denn er sprang mit einem schrillen Hilferufe von der Insel in das Wasser und schwamm, immer brüllend, dem Lager zu.

Da war keine Zeit zu verlieren. Ich sprang zu Old Surehand und schnitt die Arm- und Fußfesseln durch. Er war außerdem noch mit zwei Riemen an zwei in die Erde gerammte Pfähle gebunden; auch die durchschnitt ich.

„Könnt Ihr Euch bewegen, Sir?“ fragte ich, indem er aufstand. „Sagt es, schnell, schnell!“

Ich sah diesen Mann jetzt zum ersten Male, hatte aber keine Zeit, ihn zu betrachten. Er streckte seine mächtigen Glieder, bückte sich, um einem der Betäubten das Messer zu nehmen, und antwortete so ruhig, als ob nun für ihn gar nichts zu fürchten sei:

„Ich kann alles, was Ihr wollt, Sir.“

„Auch schwimmen?“

„Ja. Wohin?“

„Da, grad hinüber werden wir von Weißen erwar tet.“

„So kommt! Es ist hohe Zeit. In weniger als einer Minute haben wir die Roten hier.“

Er hatte recht. Die alarmirten Comantschen vollführten einen wahren Teufelslärm. Das war ein geradezu ohrenzerreißendes Schreien, Heulen, Rufen und Brüllen! Wir konnten sie nicht sehen; aber wir hörten am klatschenden Aufspritzen des Wassers, daß sie sich in den See stürzten, um nach der Insel zu schwimmen. Wir mußten fort. Wo aber war Old Wabble?

„Mr. Cutter, Mr. Cutter!“ überbrüllte ich beinahe den Höllenlärm. „Mr. Cutter, seid Ihr hier?“

Old Surehand war an das Ufer gesprungen, um nach dem Lager hinüberzublicken. Er drehte sich zu mir um und fragte, nicht mehr ruhig, sondern hastig:

„Mr. Cutter? Solltet Ihr Old Wabble meinen?“

„Ja. Er schwamm mit nach der Insel, um Euch zu retten, ist aber nicht zu sehen.“

„Sind noch mehr Weiße da?“

„Nein.“

„So denkt nicht an ihn! Ich kenne den Alten; der hat seine eigene Art und Weise.“

„Aber er ist verloren!“

„Denkt das nicht, Sir! Den bringt kein Satan um; er befindet sich in größerer Sicherheit als wir. Laßt ihn, und kommt fort! Die Roten sind alle, alle im Wasser; die ersten sind beinahe da. Vorwärts, schnell, schnell!“

Er ergriff meinen Arm und zog mich fort. Vom Rande der Insel aus konnte ich mir seine Eile erklären. Das Wasser zwischen ihr und dem Lagerplatze wimmelte förmlich von roten Köpfen, deren Mäuler brüllend offen standen. Einer der Schwimmer, der allen voran war, hatte nur noch zehn oder zwölf Stöße zu thun, um die Insel zu erreichen. Ich durfte nicht an Old Wabble, sondern ich mußte an mich selbst und Old Surehand denken.

„Ja, fort ins Wasser,“ antwortete ich darum. „Folgt mir, so schnell Ihr könnt!“

Wir sprangen hinein und griffen langsam aber kräftig aus, wie ein guter Schwimmer thut, der nicht ermüden will. Das Geheul der Indianer verdoppelte sich, es war ganz entsetzlich. Sie hatten uns gesehen und strengten sich an, uns einzuholen.




20) Hosenträger.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand I