1. Kapitel Old Wabble -15-



Um mich hatte ich keine Sorge; mich erwischte gewiß keiner; aber Old Surehand! So ein Westmann wie er, schwamm gewiß vortrefflich; aber die Gefangenschaft hatte ihn angegriffen, und wie indianische Fesseln die Hände und Füße für größere Anstrengungen untauglich machen, das wußte ich am besten. Indem ich neben ihm herschwamm, beobachtete ich ihn. Er schwamm kaltblütig und mit jenem Doppelstoße, der die Arbeit gleichmäßig auf Arme und Beine verteilt. Das beruhigte mich anfänglich. Bald aber bemerkte ich, daß seine Bewegungen an Stetigkeit verloren.


„Greift es Euch an, Sir?“ fragte ich.

„Nein,“ antwortete er; „aber ich habe kein Gefühl in den Händen und Füßen; sie sind wie taub.“

„Daran sind die Fesseln schuld. Werdet Ihr es aushalten bis an das jenseitige Ufer?“

„Ich hoffe es. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde mich kein Indsman einholen; aber wenn man so lange Zeit mit zusammengeschnürten Gliedern, daß das Blut stehen bleibt, gelegen hat, dann läßt sich nichts mehr behaupten.“

Nach einiger Zeit fühlte er ein Zerren in den Armmuskeln. Ich kannte dieses für einen Menschen, der um sein Leben zu schwimmen hat, höchst gefährliche Symptom und forderte ihn auf:

„Legt Euch auf den Rücken und schwimmt nur mit den Füßen; da ruhen die Arme aus!“

Er folgte diesem Rate, und unsre bisherige Schnelligkeit verminderte sich bedeutend. Ich schwamm nun auch auf dem Rücken, um unsre Verfolger zu sehen. Sie waren noch alle, doch in den verschiedensten Abständen, hinter uns. Der ganze rückwärts liegende Teil des Sees war so von schwimmenden Indianern belebt, daß höchst wahrscheinlich alle Comantschen in das Wasser gegangen waren; viele waren auf kei nen Fall zurückgeblieben. Einer war uns auf ungefähr hundert Schritte nahe. Old Surehand sah ihn auch und sagte:

„Wir müssen schneller machen; so geht es zu langsam; ich werde es wieder von vorn versuchen.“

Er that es, machte mir aber bald das Geständnis:

„Mir schlafen die Arme ein, Sir. Macht weiter fort, und laßt mich zurück!“

„Old Surehand verlassen? Fällt mir nicht ein! Legt Euch quer über mich; ich trage Euch!“

„Ich bin zu schwer!“

„Für mich nicht.“

„Aber dann geht es zu langsam, und die Roten holen Euch ein!“

„Wollen es abwarten. Also bitte!“

Er folgte meinem Wunsche nur nach mehrmaliger Wiederholung desselben. Er war freilich nicht leicht; aber es ging. Dennoch kam uns der eine Indianer immer näher. Er schien bisher nur gespielt zu haben und stieß sich jetzt mit einer Kraft, Geschmeidigkeit und Ausdauer vorwärts, daß ich einsah, er werde uns einholen. Er war aber der einzige; die andern blieben immer weiter zurück. Bei dem Dunkel des Abends wäre er nur schwer zu sehen gewesen, wenn die Lagerfeuer drüben nicht gebrannt hätten. Zwar konnte ihr Schein weder ihn noch uns erreichen, aber sie bildeten in dieser Entfernung Lichter, welche er von Zeit zu Zeit verdeckte. Er mußte ausgezeichnete Augen haben, daß er uns auf der weiten Fläche nicht verlor.

Als wir ungefähr drei Viertel des Weges hinter uns hatten, war er höchstens noch dreißig Schritte von uns entfernt und stieß einen schrillen Schlachtruf aus.

„Er holt uns ein!“ sprach Old Surehand. „Daran bin ich schuld. Ihr seid ein Schwimmer, wie ich noch keinen gesehen habe, aber im Wasser ein Gewicht von zwei Zentnern zu tragen, das hält den stärksten Riesen auf.“

„Pshaw! Das Wasser trägt Euch doch mit, und den einen Roten da fürchte ich nicht.“

„Ich auch nicht. Wenn er herankommt, ist er verloren; ich habe ein Messer, und in meinen Armen ist wieder Gefühl.“

„Ueberlaßt ihn mir! Ich bin nicht gefesselt gewesen.“

„Wollt Ihr ihn erstechen? Ich liebe es nämlich nicht, Blut zu vergießen, wenn es nicht absolut nötig ist.“

„Ganz meine Meinung. Ich gebe ihm einen Hieb vor den Kopf und nehme ihn mit an das Ufer.“

„Sir, das bringt nur ein Jäger fertig, welcher Old Shatterhand heißt. Ich habe doch gewiß auch Muskeln und Sehnen, aber ich muß mehrmals schlagen, wenn ich jemand betäuben will.“

„Die Kraft thut es nicht allein; es ist ein Vorteil dabei. Werdet Ihr wieder schwimmen können?“

„Ja; laßt mich herab; es geht wahrscheinlich wieder.“

„Wahrscheinlich! Und da wollt Ihr mit diesem Indsman kämpfen? Das kann sich nur ein Old Surehand zutrauen.“

„Mein Name scheint Euch sehr geläufig zu sein. Darf ich den Eurigen erfahren?“

„Ich werde Euch gleich zeigen, wie ich heiße. Versucht nur erst, ob Ihr allein weiter könnt!“

Der Versuch gelang; seine Arme weigerten sich nicht mehr, ihre Dienste zu leisten. Es war gewiß eine ganz eigene Lage. Zwei Weiße, auf einem See schwimmend und von einer Indianerschar verfolgt, sprachen mit einander, als ob sie sich in einem New-Yorker Parlour auf Schaukelstühlen wiegten! Das konnten auch nur Westmänner thun!

Wir waren, während Old Surehand seine Kräfte neu versuchte, nicht vorwärts gekommen; der Rote schwamm schnell heran und stieß einen zweiten Siegesruf aus.

„Ueberlaßt ihn also mir, und seht zu, wenn Ihr wollt,“ bat ich meinen Gefährten; dann wendete ich mich zurück.

Der Feind sah, daß ich ihm standhalten wollte, und hielt an. Die Hand mit dem Messer hoch emporhebend, rief er aus:

„Hier ist Vupa-Umugi, der Häuptling der Comantschen. Sein Messer wird die weißen Hunde beide fressen!“

Ah, also der! Das war mir lieb. Es war bisher unmöglich gewesen, seine Züge zu erkennen.

„Und hier ist Old Shatterhand, von dem du meinst, daß er dir nicht entkommen kann,“ antwortete ich. „Versuche, ob du recht hast!“

„Old Shatterhand! Old Shatterhand!“ riefen Old Surehand und der Rote zu gleicher Zeit, und der letztere fügte hinzu: „Bist du dieser räudige Coyote, so sollst du augenblicklich sterben!“

Nach diesen Worten tauchte er schnell unter. Also ein Kampf auf Leben und Tod, des Nachts auf dem Wasser! Der Häuptling wollte bei mir auftauchen und nach mir stechen; dies abzuwarten, fiel mir gar nicht ein. Ich tauchte ebenso unter, doch tiefer als voraussichtlich er. Das Wasser hält, grad wie der Diamant, das tagesüber eingesogene Licht noch lange fest; darum kann ein guter Taucher an dunklen Abenden unter Wasser wenigstens ebenso gut oder gar noch besser sehen als über demselben. In einer Tiefe von vielleicht fünf Metern schwebend, sah ich empor. Ja, da war der Häuptling, seitwärts über mir! Er streckte die Hände aus zum Schlage, der ihn an die Oberfläche treiben sollte. Ich that diesen Schlag zugleich mit ihm und kam hinter ihm über Wasser. Er bekam meinen ‚Jagdhieb‘ an den Kopf, und dann faßte ich ihn beim Schopfe, um zu verhüten, daß er unterging.

„Old Shatterhand, wahrhaftig Old Shatterhand! Da ist’s ja gleich bewiesen!“ rief Old Surehand.

„Ja, Sir, ich habe mich Euch in nicht ganz salonartiger Weise vorgestellt. Ihr müßt mir das verzeihen!“

„Dieser Fehler ist auf beiden Seiten geschehen,“ lachte er. „Aber, Sir, Ihr glaubt es nicht, wie ich mich freue – – –“

„Und so weiter, und so weiter!“ fiel ich ihm in die Rede. „Davon später, vielleicht erst morgen früh! Jetzt dürfen wir nicht an Komplimente denken. Es würde mir lieb sein, wenn die Parästhesie Eurer Arme vorüber wäre.“

„Sie ist’s, wie es scheint.“

„Versucht es wenigstens! Ich habe den Roten zu tragen. Schwimmen wir weiter!“

Und siehe da, es ging! Die Bewegung und Anstrengung des Schwimmens war zu schnell auf die vorherige, gezwungene Lage der Glieder gefolgt. Das schien nun vorüber zu sein. Wir schwammen langsam, damit er sich schonte, und erreichten das Ufer, ohne daß die Schwäche sich wiederholte. Dort wurde der Häuptling, dem eben das Bewußtsein wiederkehrte, gefesselt.

Unser Unternehmen war glücklich, aber auch unglücklich verlaufen. Ich hatte Old Surehand befreit und dazu den Anführer der Comantschen gefangen genommen, dafür aber Old Wabble verloren. Was war aus diesem geworden? Old Surehand glaubte nicht an seinen Tod. Er behauptete:

„Lernt diesen alten Boy erst richtig kennen, Mesch’schurs! Er ist ein Original ersten Ranges und durch nichts umzubringen. Ich wette, er sitzt irgendwo an einem sichern Orte und lacht sich in das Fäustchen. So einen Pfiffikus muß man studiert haben, um ihn richtig zu beurteilen. Er weiß aus dem größten Unglücke ein noch viel größeres Glück zu machen, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er jetzt plötzlich käme und auch einen oder gar mehrere Gefangene brächte.“

„Wenn er nicht selbst gefangen ist,“ warf ich ein.

„In diesem Falle kann ihm geholfen werden. Wir wechseln ihn gegen den Häuptling aus.“

„So wollt Ihr diesem nicht ans Leben?“

„Behüte! Es ist nicht meine Mode, mich als Mörder aufzuspielen. An mir hat er’s freilich nicht verdient, aber wenn es auf mich ankommt und dem alten Wabble nichts geschehen ist, lassen wir den Roten laufen.“

„Bin ganz einverstanden, Sir. Aber schaut, da sehe ich Köpfe auf dem Wasser!“

Es war so, wie ich sagte. Die meisten Comantschen hatten von der Verfolgung abgelassen; andre hatten sie fortgesetzt und kamen nun angeschwommen. Sie wurden durch drohende Zurufe und einige Schüsse zurückgetrieben. Dann mußte ich den Gefährten erzählen, wie wir auf die Insel gelangt und dann zu zweien herübergeschwommen waren.

Ich hatte diesen Bericht noch nicht vollendet, als wir ein Geräusch drin in den Büschen hörten. Wir lauschten. Die Zweige raschelten und knackten wie von großen Tieren, vielleicht Pferden; dann erklang eine befehlende Stimme:

„Bücke dich hübsch aufs Pferd nieder, Rothaut, sonst rennst du dir die Nase ein; th’is clear!“

„Old Wabble!“ sagte Old Surehand. „Ihr werdet sehen, Mesch’schurs, daß er meine Prophezeiung ganz wörtlich erfüllt.“

Und wirklich, da kam er aus dem Gebüsch heraus, hinter sich her ein Pferd ziehend, auf welchem ein Indianer festgebunden war. An diesem Pferde hingen hintereinander noch zwei, welche beladene Packsättel trugen.

„Da bin ich auch wieder,“ sagte er lachend. „Habe Euch was mitgebracht, was sehr gut zu gebrauchen ist. Ah, good evening, Mr. Surehand! Auch schon da? Habe es mir doch gedacht, daß ich nicht dabei zu sein brauchte. Euch frei zu machen, dazu war Mr. Shatterhand Mann genug.“

„Wo habt Ihr denn gesteckt, Mr. Cutter?“ fragte ich. „Wir haben Sorge um Euch gehabt.“

„Sorge? Möchte wissen, weshalb und was mir geschehen sollte! Ich sorge schon für mich selbst, auch noch für andre mit, wie Ihr gleich sehen werdet.“

„Ihr kamt doch nicht auf die Insel!“

„Fällt mir gar nicht ein!“

„Warum denn nicht?“

„Weil ich ein großer Esel gewesen bin; th’is clear. Ich habe wunder gedacht, wie gut ich schwimmen und tauchen kann, mit Euch aber kam ich nicht fort. Das Schwimmen hatte ich glücklich überstanden, freilich nur hinüber; wieder herüber, und dabei die Leggins abermals verlieren, das war nicht mein Fall. Und nun gar tauchen! Wenn man nun nicht wieder heraufkommt! Man kann da ganz gut bei lebendigem Leibe ersaufen. Ich blieb also unter dem Floße hängen und ließ die Sache laufen, wie sie wollte. Da plötzlich erhob sich ein Gebrüll, daß mein Dampfer nur so wackelte, und die Roten sprangen in das Wasser; kein einziger blieb am Lande. Sogar die Pferdewächter kamen gerannt und machten sich hinter Euch her. Einer von ihnen mußte bleiben, und den wollte ich mir holen. Ich segelte also ans Land, kroch unter meinem Baldachin heraus, sprang auf ihn zu und gab ihm einen Klapps, daß er sich niedersetzte, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Ich band ihn mit einem der Riemen, an denen das Fleisch aufgehängt worden war. Dabei kam mir der Gedanke, daß wir auch Proviant brauchen, wenn wir – – ah, will nicht sagen, wohin, wollen. Ich lief also nach dem Weideplatze und holte drei Pferde, eins für den roten Boy und zwei für das Fleisch; Sättel lagen da. Ich habe mich etwas beeilen müssen, um rechtzeitig fertig zu werden; aber es ging alles genau so, wie ich wünschte, und eben als die ersten Indsmen unverrichteter Sache zurückgeschwommen kamen, trollte ich mich mit Boy und Fleisch von dannen. Da habt Ihr mich! Was mit dem Fleische geschehen wird, das kann ich mir denken; aber was wir mit dem Boy machen sollen, darüber mögen andre sich den Kopf zerbrechen.“

„Wir lassen ihn morgen laufen,“ meinte Old Surehand.

„Habe nichts dagegen. Ist er herzu geritten, mag er hinzu laufen! Aber sein Häuptling, wie ist denn der in Eure Hände geraten?“

„Mr. Shatterhand hat ihn gefangen genommen.“

„Etwa auf der Insel?“

„Nein, sondern bei der Verfolgung auf dem See.“

„Also eine Seeschlacht. Müßt mir nachher erzählen, wie das zugegangen ist. Laßt Ihr den auch laufen?“

„Ja.“

„Schade! Er paßt besser zum Hängen als zum Laufen. Aber gebt ihn ja nicht eher frei, als bis Eure Waf fen und alles, was die Indsmen Euch abgenommen haben, Euch wieder ausgeliefert worden ist. Ich bin nie ein Indianerfreund gewesen; sie taugen alle nichts und halten es für Schwäche, wenn man nachsichtig mit ihnen ist. Wenn er vorhin samt seinen hundertfünfzig Comantschen da im See ertrunken wäre, so hätte die übrige Menschheit nichts verloren; th’is clear!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand I