1. Kapitel Old Wabble -13-



„Nichts. Ich glaubte, Euch wunder was Wichtiges sagen zu können; da Ihr es aber selbst auch erlauscht habt, ist es grad so gut, als ob ich gar nichts erfahren hätte. Das ist ärgerlich! Wahrscheinlich hätte ich noch mehr gehört, da kamen aber die beiden Comantschen von gestern, und alles lief vom Feuer fort, an welchem ich lag. Ihr habt mehr erlauscht als ich?“


„Ja.“

„Was?“

„Davon später. Hier ist nicht der geeignete Ort zu einer Unterhaltung. Wollen machen, daß wir fortkommen.“

„Wohin?“

„Zunächst hinaus ins Freie, und zwar genau auf demselben Wege, auf dem wir hereingeschlichen sind.“

„Also durch dick und dünn. Und das nennt dieser Old Shatterhand einen Weg!“

Wir mußten bei unserm Rückzuge ebenso vorsichtig sein wie bei unserm Kommen, gelangten aber auch ebenso glücklich aus dem Bereiche der Indianer. Die Sterne schienen jetzt leidlich hell, und als wir die früher erwähnte, vorgeschobene Buschzunge hinter uns hatten, konnten wir uns aufrichten und so sorglos weitergehen, als ob kein einziger Comantsche in der Nähe sei.

„Es scheint, Ihr wollt nach unserm Lagerplatz?“ erkundigte sich Old Wabble.

„Wohin sonst?“

„Hm! Ihr werdet mich wahrscheinlich auslachen, aber ich hatte mir im stillen eingebildet, daß wir Old Surehand gleich mitbringen würden.“

„Das ist allerdings eine kühne Einbildung gewesen.“

„Weil die Verhältnisse anders liegen, als ich dachte. Läge der Gefangene nicht auf der Insel, sondern am Ufer, so wäre seine Befreiung ganz wie eins – – zwei – – drei vor sich gegangen.“

„Das verstehe ich nicht.“

„So will ich mich anders ausdrücken: Hinschleichen – – Fesseln zerschneiden – – aufspringen – – fortlaufen – – Indianer hinterher – – wir nach unserm Lagerplatz rennen – – auf die Pferde springen – – weggaloppieren – – fertig!“

„Das klingt ja, als ob so etwas unendlich leicht auszuführen sei. Habt Ihr vielleicht schon irgend einen Gefangenen auf diese Weise befreit?“

„Nein, aber doch Ihr! Ihr habt sogar schon mehrere solche Streiche ausgeführt.“

„Das ist kein Grund, daß es immer so gehen und stets so gelingen muß. Man hat sich nach den Umständen zu richten, welche selten ganz dieselben sind.“

„Thut mir leid! Ich will Euch offen und ehrlich gestehen, daß ich gern vor unsre Kameraden, die alle keine richtigen Westmänner sind, mit einer vollendeten Thatsache treten wollte.“

„Das heißt, Ihr wolltet gern ein wenig dicke thun?“

„Nennt es, wie Ihr wollt. Es ist doch wohl keine Schande, mit Euch einen Gefangenen, welcher dem Martertode geweiht ist, mitten aus anderthalbhundert Indianern herauszuholen.“

„Eine Schande nicht!“

„Also! Diese Freude fällt mir nun in den Brunnen.“

„Wieso?“

„Weil nun wahrscheinlich dieser Sam Parker, Jos Hawley und die andern mithelfen sollen.“

„Nicht, was man eigentlich helfen nennt. Sie werden unsre Rückzugslinie bilden; das ist alles.“

„Wirklich?“

„Ja. Befreit wird Old Surehand nur von uns beiden, von Euch und mir.“

„Das ist mir lieb, ungeheuer lieb!“

„Ich setze dabei aber voraus, daß Ihr wirklich ein so guter Schwimmer seid, wie Ihr gesagt habt!“

„Wie ein Fisch, sage ich Euch, wie ein Fisch; th’is clear. Es soll also bei diesem Streiche geschwommen werden?“

„Ja, da wir auf die Insel müssen.“

„Richtig; Kähne giebt es nicht!“

„Ein Kahn oder Boot wäre gar nicht zu brauchen; man würde uns sehen. Also, Ihr getraut Euch, vom jenseitigen Ufer aus quer über den See nach der Insel zu schwimmen, und auch wieder zurück?“

„Welche Frage! Ich sage Euch, ich schwimme von hier nach dem Monde, wenn genug Wasser dazwischen ist!“

„Well! Dann ist die Sache sehr einfach! Wir schwimmen nach der Insel, machen die zwei Wächter unschädlich, befreien Old Surehand von seinen Fesseln und schwimmen mit ihm zurück.“

„Wie – – – was – – – wie – – –?“

Er blieb stehen, faßte mich am Arme und fuhr fort:

„Das geht ja bei Euch so schnell wie das Semmelbacken, Mr. Shatterhand!“

„Bei Euch ging es vorhin ja auch nur so eins – – – zwei – – – drei – – – fertig!“

„Ja, das war etwas ganz andres! Ich wollte ihn zu Lande befreien, nicht aber zu Wasser. Hier müssen wir vor allen Dingen wissen: Kann Old Surehand auch schwimmen?“

„Das wißt Ihr doch wohl am besten; Ihr kennt ihn ja!“

„Habe ihn aber noch nicht im Wasser gesehen.“

„So? Ist auch nicht nötig, denn ein Westmann wie Old Surehand ist ganz gewiß ein guter Schwimmer.“

„Aber er ist gefesselt; das giebt Blutstockungen. Wird er seiner Arme und Beine so mächtig sein, daß er sogleich mit uns über den See schwimmen kann?“

„Ich denke es, denn man sagt ja, daß er ein überaus kräftiger Mann sei.“

„Das ist er; ja, das ist er. Also, abgemacht: er kann sofort mit uns schwimmen. Aber die Sterne, die Sterne!“

„Was ist’s mit denen?“

„Bemerkt Ihr denn nicht, daß sie immer heller werden?“

„Freilich.“

„Nun, die spiegeln sich mit dem ganzen Himmel im Wasser wieder; das ist schlimm!“

„Ihr wolltet ja soeben noch nach dem Monde schwimmen. Der irritiert Euch wohl nicht so sehr wie die Sterne?“

„Ich glaube gar, Ihr wollt Witze machen! Jeden falls aber wißt Ihr recht gut, was ich meine. Die Sternbilder im Wasser werden uns verraten.“

„Wem?“

„Den Wächtern auf der Insel.“

„Das glaube ich nicht.“

„Doch! Ueberlegt Euch nur: Das Wasser des Sees mit den Sternen liegt ruhig vor ihnen; bei jeder Bewegung entstehen Wellen, und die Sterne wabbeln hin und her, auf und nieder. Wenn wir angeschwommen kommen, giebt das eine solche Erschütterung und Revolution des ganzen im Wasser strahlenden Firmamentes, daß die Wächter unbedingt aufmerksam auf uns werden müssen.“

„Was schadet das?“

Wir waren weiter gegangen; jetzt blieb er wieder stehen, hielt mich an und fragte:

„Wa – – – wie – – – was? Was das schadet? Und das fragt ein Old Shatterhand? Eine solche Frage könnte mich nur von einem Greenhorn 19) nicht wundern. Was das schadet! Die Kerls werden natürlich sofort um Hilfe brüllen; dann werfen sich sämtliche Comantschen in das Wasser, und es giebt eine Jagd, bei der wir verloren sind. Wenn wir noch so fein schwimmen, viele Hunde sind doch des Hasen Tod.“

„Sie werden wohl nicht um Hilfe rufen,“ antwortete ich, indem ich ihn zum Weitergehen nötigte.

„Natürlich werden sie es! Sie sehen doch, daß zwei Menschen, zwei Weiße, kommen! Und wenn sie wirklich nicht schreien sollten, so schicken sie uns doch gewiß einige Kugeln in die Köpfe!“

„Auch das thun sie nicht!“

„Aber, Sir, ich begreife Euch nicht!“

„Sie werden uns gar nicht sehen.“

„Nicht – – – wie – – – was? Nicht sehen, wenn das ganze Firmament im Wasser krabbelt und wabbelt?“

„Nein, denn wir werden uns maskieren.“

„Maskieren? Das wird ja immer toller! Wie wollen wir uns maskieren? Etwa Ihr als Domino und ich als Harlekin? Ich danke für solchen Karneval!“

„Versteht mich doch richtig, Mr. Cutter! Unter maskieren verstehe ich so viel wie verstecken.“

„Auch gut! Wohin wollt Ihr Euch denn im Wasser stecken?“

„Hinter Schilf.“

„Das giebts auf dem See nicht, sondern nur am Ufer.“

„Wir nehmen welches mit.“

„Unsinn! Kein Roter wird sich dadurch irre machen lassen.“

„Ich kann Euch das Gegenteil beweisen.“

„Wieso?“

„Ich habe vorhin so eine Maskerade getrieben, weil ich meinen Zweck auf keine andre Weise erreichen konnte.“

„Wirklich?“

„Ja.“

Ich erzählte es ihm; als ich fertig war, meinte er:

„Hm, es ist doch nicht ganz so dumm, wie ich dachte! Aber ein einzelner Schilfbusch, das mag gehen, aber zwei? Wir bringen es doch wohl kaum fertig, ganz gleich zu schwimmen; die beiden Büsche würden also bald zusammen, und bald auseinander geraten. Das muß auffallen und Verdacht erwecken.“

„Allerdings; aber wir werden eben nicht zwei Büsche oder Bündel nehmen, sondern uns eine Schilfinsel herstellen, unter der wir stecken.“

„Nicht übel!“

„Erst schwimmen wir schnell, sobald wir aber in Sicht gelangen, kommt unsre Schilfinsel langsam, sehr langsam angetrieben.“

„Aber unsre hellen Körper! Um neben einander schwimmen zu können, brauchen wir wenigstens sieben Ellen Platz; dürfen wir das Schilffloß so groß machen? Die Wächter werden uns sehen, weil unsre Haut hell ist.“

„Wir behalten die Kleider an.“

„Hm!“ brummte er.

„Meint Ihr, daß Euch dies das Schwimmen erschweren wird, Mr. Cutter?“

„Gar nicht, ganz und gar nicht! Es fragt sich nur, wenn sonst auch alles glückt, ob die Wächter unser Schilf an ihrer Insel landen lassen werden.“

„Es soll nicht landen.“

„Es soll nicht? Wir also auch nicht? Und doch müssen wir auf die Insel! Gradezu unbegreiflich!“

„Ganz leicht erklärlich! Könnt Ihr tauchen?“

„Wie ein Frosch, sage ich, wie ein Frosch; th’is clear; so tief hinab und hinunter, wie Ihr wollt!“

„Das ist gut, denn das Tauchen gehört dazu. Wenn wir uns der Insel nähern und die Wächter das Schilffloß bemerken, werden sie auf die Seite der Insel gehen, an der es vorüberschwimmen will.“

„Das läßt sich denken; landen werden sie es aber wohl nicht lassen.“

„Nein. Nun kommt die Hauptsache: In dem Augenblicke, an welchem es der Insel am nächsten ist, verlassen wir unsren Schutz, tauchen nieder und schwimmen unter dem Wasser um sie herum, um an der andern Seite wieder aufzutauchen. Während die Wächter dem Schilfe nachblicken, besteigen wir hinter ihrem Rücken die Insel, und ich springe auf sie zu, um sie mit zwei guten Fausthieben unschädlich zu machen.“

„Brillant, Mr. Shatterhand! Und ich?“

„Für Euch ist es das erste, die Fesseln des Gefangenen zu durchschneiden, damit er schnell frei wird, denn es kann, wenn ich es auch nicht für wahrscheinlich halte, doch der Fall eintreten, daß wir gleich wieder fort müssen. Es ist ja möglich, daß ich einen der Kerls nicht richtig treffe und er Zeit gewinnt, um Hilfe zu rufen.“

„Das wäre faul, sehr faul!“

„Ja. Ihr seht wohl ein, daß wir viel zu leisten haben und daß alles gut klappen muß, wenn der Streich gelingen soll. Ich denke also, daß Ihr es mir nicht übel nehmen werdet, wenn ich Euch bitte, Euch noch einmal zu prüfen, ob Ihr das, was ich von Euch verlangen muß, auch wirklich ausführen könnt.“

„Mit Leichtigkeit, Sir, mit größter Leichtigkeit!“

„Bitte, nicht so schnell antworten! Wir dürfen nicht leichtsinnig sein. Ich sage Euch aufrichtig, daß ich es mir nicht leicht vorstelle. Ich kenne mich genau und weiß, daß ich es ausführen kann, wenn nichts dazwischen kommt und alles so glatt verläuft, wie ich vermute; aber dennoch halte ich die Sache für schwer, hier sogar für sehr schwer.“

„Redet nicht von Leichtsinn, Sir! Habt Ihr diesen Old Wabble hier einmal schwimmen sehen?“

„Nein.“

„Oder gar tauchen?“

„Noch viel weniger.“

„So seid still, und wartet es ruhig ab! Und wenn es vorüber ist, dann werdet Ihr sagen, daß Ihr keinen bessern und geschicktern Helfer als mich finden konntet; th’is clear!“

„Das soll mich freuen, denn es handelt sich hier mehr um unser Leben als bei jeder andern Gelegenheit.“

Ich war mir wirklich darüber unklar, ob ich ihm trauen könne oder nicht. Seine Knochengestalt ließ keinen guten Schwimmer vermuten, und seine Versicherungen hatten etwas Prahlerisches; aber er war bekanntermaßen ein mutiger und erfahrener Mann und sprach in einem solchen Brusttone der Ueberzeugung, daß es schwer war, ihm keinen Glauben zu schenken. Uebrigens gab es keine Zeit mehr für weitere Auseinandersetzungen, weil wir jetzt unsern Lagerplatz erreichten.

Die Gefährten waren wegen unsrer langen Abwesenheit in Sorge um uns gewesen. Wir erzählten ihnen, was wir gesehen und erfahren hatten und erklärten ihnen den Rettungsplan, den wir ausführen wollten.

Parker und Hawley bedauerten, daß sie keine direkte Rolle dabei spielen sollten; die andern sagten nichts; sie waren wohl ganz zufrieden damit, daß ich ihnen nicht zumutete, ihr Leben auf das Spiel zu setzen. Wir bestiegen unsre Pferde und brachen von hier auf, um nach der andern Seite des Sees zu reiten.

Dort angekommen, mußten wir im Dunkel durch das Gebüsch, um von der offenen Grasprairie an das Wasser zu gelangen, wo wir wieder abstiegen und die Pferde anbanden. Drüben brannten die Lagerfeuer.

Es gab hier auch Schilf. Wir schnitten davon so viel, wie wir brauchten; einige starke Aeste bildeten die Unterlage, den Rahmen des Floßes. Als wir mit der Herstellung desselben fertig waren, war es für unsern Zweck ein kleines Meisterwerk. Es hatte unten Oeffnungen für unsre Köpfe und vier lederne Schlingen, in die wir die Arme zu stecken hatten; natürlich war dafür gesorgt, daß wir, wenn wir darunter steckten, oben einen freien Ausblick hatten.

Jetzt sollte das Wagnis beginnen. Wir leerten unsre Taschen und legten überhaupt alles von uns, was durch das Wasser leiden mußte oder nicht ganz nötig mitzunehmen war. Von Waffen konnten wir nur die Messer behalten. Als wir so weit fertig waren, fragte Parker:

„Also, wir haben wirklich ganz und gar nichts dabei zu thun, Mr. Shatterhand?“

„Nein; aber für überflüssig braucht ihr euch trotzdem nicht zu halten; es giebt einen Fall, in welchem wir euch sehr notwendig brauchen.“

„Welcher ist das?“

„Wenn wir entdeckt und verfolgt werden, was nur zu Wasser geschehen kann. Wir kommen in gerader Linie zurückgeschwommen. Haben wir Verfolger hinter uns, so ist es eure Aufgabe, sie von uns abzuhalten.“

„Durch Schüsse?“

„Ja.“

„In dieser Dunkelheit! Vom Schwimmer kann man nicht viel mehr als den Kopf sehen; wer kann da einen Weißen von einem Indianer unterscheiden. Wie leicht könnten wir auf euch schießen!“

„Ihr dürft eben nicht eher schießen, als bis ihr genau wißt, auf wen ihr zielt. Uebrigens werden wir uns euch durch laute Zurufe kenntlich machen. Kommt einer von uns im Wasser mit einem Roten in Kampf, so schießt ihr auf keinen Fall, selbst wenn es so nahe von hier wäre, daß ihr die Gesichter unterscheiden könnt. Wir sind Manns genug, es mit einem Roten aufzunehmen.“




19) Neuling.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Old Surehand I