Gluck, Johann Christoph Ritter von (1715-1787) deutscher Musiker und Komponist

Johann Christoph Ritter von Gluck stammte aus einer angesehenen Familie und kam zu Neustadt an der Waldnaab in dem baurischen Kreise Oberpfalz, unweit der böhmischen Grenze, am 4. Juli 1716 zur Welt. Sein Vater, welcher Jägermeister im Dienste des Fürsten Lobkowicz war, erkannte frühzeitig das musikalische Talent des Sohnes und schickte daher denselben nach Prag, wo er sich praktisch auf verschiedenen Instrumenten, besonders dem Cello, ausbildete. Im 17. Jahre trat Gluck in die Dienste des Prinzen Melzi in Mailand, wo er das Studium der Komposition begann; doch dauerte es zehn Jahre, bevor er seine erste Oper: „Artaxerxes,“ zu Mailand, und 1742 seine zweite: „Demetrius,“ zu Venedig zur Aufführung brachte; beide hatten nur einen ephemeren Erfolg. 1745 ging Gluck nach London, wo er den „Sturz der Giganten“ schrieb; auch besuchte er Kopenhagen, kehrte aber bald wieder nach Italien zurück, wo er als beliebter Opernkomponist eine Reihe von Jahren fortlebte und über vierzig Opern auf die Bühne brachte. Fast alle diese Opern sind nebst den übrigen Erzeugnissen dieser Zeit verloren gegangen; obgleich man in Bibliotheken viele einzelne Partituren derselben aufbewahrt hat. Schwerlich würde irgend Jemand in diesen Arbeiten Gluck auffinden; und doch trifft man hie und da auf Spuren jenes tiefen Gefühlsausdruckes, aus welchem späterhin die wunderwürdigsten Schöpfungen hervorgegangen sind. Es trat für den Komponisten selbst ein Widerwillen gegen diese Gattung ein, deren hohle Vergänglichkeit er erkannt hatte. Nicht den Durst nach Erfolgen, denn diese hat er im reichsten Maße gehabt; kein äußerliches Bedürfnis, denn er war wohlhabend geworden; also kein vergängliches Motiv, sondern eine innere, künstlerische Notwendigkeit drängte ihn, der Schöpfer einer ganz neuen Gattung von Kunstwerken zu werden. Die Bahn war nicht ohne Gefahren, denn er musste allgemeine Vorurteile bekämpfen; konnte vielleicht das Schicksal erleben (und erlebte es zum Teile), einen öffentlichen, schmachvollen Sturz zu erfahren, wo er auf dem früheren Wege der glänzendsten Triumphe gewiss war; freilich eines so scheinbar, wie das andere! Als das erste Erzeugnis, in welchem er diesen neuen Aufschwung nahm, ist „Orpheus und Eurydice,“ 1764 in Wien und dann zu Bologna aufgeführt, zu betrachten. Dieser Oper folgte „Alceste,“ 1768 zu Wien gegeben. Hienach wandte sich Gluck nach Paris, wo die Oper im höchsten Flor stand, und brachte hier die von Bailli de Roulet nach Racine bearbeitete Oper „Iphigenia in Aulis“ zur Aufführung. Er hatte zuvor mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen, da ihm die Kabale, welche die Vorrechte der italienischen Oper verteidigte, jede Art der Hindernisse entgegensetzte. Doch der Schutz der Königin Marie Antoinette half ihm siegen und sein eigener Genius den errungenen Sieg als Eroberung behaupten. „Iphigenia in Aulis“ hatte einen unbeschreiblichen Erfolg. Die Einführung einer ganz neuen Gattung der Oper, welche, alle toten und veralteten Formen vernichtend, nur die unmittelbare Wahrheit des Gefühls und des dramatischen Ereignisses ausdrückte, konnte nicht ohne Kampf geschehen. Dies ist der Kampf, der unter dem Namen desjenigen der Gluckisten und Piccinisten bekannt ist. Unter fortdauernder Bewegung brachte Gluck nun zuerst seine älteren Opern „Orpheus“ und die umgearbeitete „Alceste,“ dann die „Armide“ 1777, und endlich sein höchstes Meisterwerk: „Iphigenia in Tauris,“ l779 zur Aufführung. Wie groß auch der Enthusiasmus war, den er erregt hatte, bis zum innersten Verständnis seiner Kunstwerke waren doch nur wenige der ausgezeichnetsten Geister durchgedrungen. Iphigenia forderte den geläutertsten Sinn, weil die Sinne nichts darin bestach. Darum ließ sie bei der ersten Aufführung nur kalt und Gluck musste am andern Morgen trauernd zu Rousseau sagen. »Vous savez, Iphigénie est tombée!“— „Oui, mais du ciel!“ war bekanntlich die Antwort Rousseaus. Indes hatte Gluck schon einen solchen Grad der Anerkennung für sich, dass eine neue Darstellung dem Werk einen größeren Erfolg bereitete. Gluck musste gefühlt haben, dass er über diese Höhe hinaus nicht mehr zu steigen vermöge, selbst wenn ihn einige kleinere, jetzt vergessene Arbeiten, z. B. das Festspiel „Echo und Narziß,“ nicht darüber belehrt hätten. Großenteils lag dies auch am Gedichte (von dem sehr mit Unrecht vergessenen C. Guillard), welches in der Iphigenia in Tauris alle dramatischen Forderungen in einem so hohen Maße erfüllt, dass er schwerlich jemals eines wiederfinden konnte, wofür er sich so zu begeistern vermocht hätte. Und dieser Adel des Stoffes ist es, dessen die Gluck'schen Opern durchaus nicht entbehren können, weil der musikalische Gedanke fast nie absolut, sondern stets in der innigsten Verschmelzung mit dem dichterischen erscheint. Gluck verließ den Schauplatz, wo die Glorie seines Ruhmes im höchsten Glanze gestrahlt hatte, und kehrte nach Wien, das ihm doch die eigentliche deutsche Heimat gewesen, zurück. Am 17. November 1787 nahm hier der Tod den bis zuletzt kraftvollen, feurigen Greis hinweg. Unvollendet hinterließ er eine Oper: „die Danaiden,“ deren Ausarbeitung Salieri übernahm und nicht ohne Glück vollbrachte. Ein Jahr nach seinem Tode wurde seine, von dem berühmten Houdon in Marmor verfertigte Büste auf Befehl Ludwig's XVI. im Foyer des Pariser Operntheaters aufgestellt. Sein Grabmonument auf dem Matzleinsdorfer Friedhofe wurde 1846 erneuert. Gluck nimmt deshalb den ersten Platz, nicht als Musiker, sondern durch die Gesammtheit seines Wirkensein, weil er in der höchsten, schwierigsten Gattung, in dem rein idealen Kunstwerk, diesen erhabensten Gipfel erreicht; weil er ihn so erreicht, dass er streng genommen bis jetzt allein geblieben ist. Von Allem, was in seiner Gattung sich auf der Bühne heimisch zu machen gesucht hat, ist nichts über eine schnelle Vergänglichkeit hinausgekommen; nicht, weil es an sich so geringen Wertes gewesen wäre, sondern weil es so unendlich schwierig ist, in dieser Gattung das wirklich Bedeutungsvolle zu leisten. Und beurteilen wir die Natur der größten Meister richtig, so ist es kein Zufall, dass weder Haydn, noch Mozart, noch Beethoven sich auf diesen Boden gestellt haben, sondern es fehlten ihnen dazu die mitwirkenden Eigenschaften, ohne die ein solches in dem innersten Zusammenhange stehendes dramatisches Werk nicht zu erzeugen ist. Und Andere, denen es an diesen Eigenschaften noch mangelt, entbehren, wie Saechini, der schöpferischen Kraft, die eben so unerlässlich dazu ist. So bleibt denn Gluck für jetzt noch allein auf einsamer Höhe, wo er bei dem täglich tiefer sinkenden Niveau des Kunstzustandes dem Erkennen und der richtigen Würdigung immer ferner entrückt wird.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Neuer Plutarch - Band 5
Gluck, Johann Christoph Ritter von (1715-1787) deutscher Musiker und Komponist

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