Cherubini, Marie Ludwig Karl Zenobius Salvator (1760-1842) italienischer Musiker und Komponist

Wenn es wahr wäre (was jedoch schwer zu beweisen), dass Frankreich keine nationelle Musik besitze, von geborenen Franzosen, so besäße sie doch dieselbe von eingebürgerten Franzosen. Gluck, Sacchini, Spontini, Rossini, Meyerbeer haben sich die Aufgabe gestellt, in ihrem Bestreben ihr musikalisches Genie dem Geiste des französischen Idioms, der französischen Literatur und Gesellschaft anzupassen, und dieses Ziel zu ihrem Vorteile erreicht. Auch Cherubini war einer jener Fremden, die nach Frankreich gekommen, um hier echt französische großartige Musik zu schreiben, und keiner gehörte Frankreich so früh, so lange, so gänzlich an, als eben dieser herrliche Meister. Seinen Taufschein und Accent ausgenommen, war Marie Ludwig Karl Zenobius Salvator Cherubini — so lautete der lange, aber mehr noch große Name — ganz Franzose.

Zu Florenz den 8. September 1760 geboren, gab sich schon der neunjährige Knabe dem Studium der Kompositionslehre hin, unter Meistern, die heutzutage längst vergessen sind: die Bartolomeo und Alessandro, Vater und Sohn, die Piedro Bizarro, die Giuseppe Castrucci. Mit achtzehn Jahren, schon berühmt durch manche auf dem Theater und in der Kirche errungenen Erfolge, begab er sich nach Bologna und vollendete hier, auf Kosten des Großherzogs, seine Ausbildung unter Sartis Leitung. Da Sarti unmöglich allen Bestellungen genügen konnte, welche ihm sein Ruf notwendig verschaffte, so verwendete dieser nicht selten seinen Zögling, besonders war derselbe oft beauftragt, die zweiten Rollen in Opern zu betonen. Zu gleicher Zeit begann Cherubini auf eigene Rechnung zu schreiben und Erfolge zu feiern. Alessandria, Livorno, Mantua, empfingen die Erstlingswerke seines Genies. Im Jahre 1784 wurde er nach London berufen und komponierte hier zwei Opern: „la finta Principessa“ und „Giulio Sabino.“ In seinem sechs und zwanzigsten Jahre kam er nach Paris und ließ sich, auf Viottis Rat, daselbst nieder. Eine innige Freundschaft entstand zwischen den beiden Künstlern, und durch sechzehn Jahre bewohnten sie dasselbe Appartement in der Rue Royale. Als Leonard, der Friseur der Königin Marie Antoinette, das Privilegium des italienischen Theaters erhalten hatte, vereinigte er sich mit Viotti, und dieser ließ durch Cherubini alle Nummern schreiben, welche man in den italienischen Partituren einschaltete. So entstanden köstliche Piecen, deren Andenken Künstler und Kunstkenner gleich treu bewahren. Die erste Oper, welche Cherubini für Paris schrieb, war „Demophon,“ wozu Marmontel den Text lieferte und die mit Voglers gleichnamigem Sujet nicht verwechselt werden darf. Später, als ihm die französische Revolution eine großartigere, energischere, erhabenere Musik zum Bedürfnisse machte, komponierte er „Lodoiska,“ den „St. Bernhardsberg,“ „Medea“ und den „Wasserträger,“ deren Popularität in Kurzem europäisch wurde. 1805 kam er nach Deutschland, wo die meisten seiner Opern längst Eingang gefunden hatten, und führte 1806 zu Wien seine „Faniska“ auf. Dann kehrte er nach Paris zurück, wo er Mitglied der Akademie und des Prüfungsausschusses der zur Aufführung vorgelegten neuen Opern ward, auch nach der Rückkehr der Bourbons als königlicher Kapellmeister die Leitung der Kapelle übernahm. Noch muss man unter seinen dramatischen Arbeiten erwähnen: „das portugiesische Wirtshaus,“ „das Crescendo,“ „die Abenceragen;“ im Jahre 1833 ließ er „Ali Baba“ aufführen, dessen Partitur früher den Titel „Koukourdgi“ führte.


Aber die Bühne nimmt nur den kleinsten Platz in Cherubinis musikalischem Leben ein; in der Kirche erhebt er sich zu seiner vollsten Höhe, dort ist es, wo ihn Wenige erreichen, Keiner übertrifft. Seine erste Messe war eines seiner größten Meisterwerke; sie allein ist Bürge seiner Unsterblichkeit. Etwa fünf Jahre vor seinem Tode schrieb er seine letzte Messe, bloß für Männerstimmen; sie war es, welche man, seinem Willen gemäß, bei seinem Leichenbegängnisse aufführte.

Der edelste Privatcharakter zierte ihn. Ein unermüdlicher und liebevoller Lehrer, urteilte er bescheiden über sich selbst, um mit desto größerer Wärme fremdes Verdienst anzuerkennen. Cherubim war immer und vor Allem Künstler; nie kannte er jene Spekulationen, welche die Kunst zur Industrie herabwürdigen, nie schrieb er eine einzige Note in der Absicht, Geld zu verdienen. Seine Werke, den „Wasserträger“ ausgenommen, trugen ihm wenig ein. Seit langer Zeit hatte er, obwohl Familienvater, kein Einkommen, außer seiner Besoldung als Direktor
des Konservatoriums, welches er gründen half. Es ist daher nicht zu verwundern, dass er seiner Witwe und seinen Kindern nichts hinterließ, als einen unsterblichen Namen. Frankreich, ja Europa, sind seine eigentlichen Erben, denn ihnen gehören die Schüler, die er gebildet, die Früchte seines Genies. So lange er etwas Kraft in sich fühlte, blieb er Direktor des Konservatoriums; er verließ diesen Posten nur, als er sich unfähig fühlte, ihn zu behaupten. Wenn man ihm riet, Urlaub für einige Monate zu nehmen, dessen Verlängerung dann leicht zu erhalten wäre, antwortete er: „Besoldung anzunehmen für eine Stelle, welche man nicht ausfüllt, ist eines rechtlichen Mannes unwürdig.“ Wenige Tage vor seiner Auflösung hatte sein Bewusstsein noch die vollste Klarheit, sein Geist noch die ganze Feinheit, sein Gedächtnis noch die ganze Kraft; und dann erlosch das Leben plötzlich. Der große Künstler starb den 15. März 1842, indem er einige Worte sagte, ohne dass irgend Jemand von seiner Umgegend vorhersehen konnte, dass diese Worte sein letztes Lebewohl wären.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Neuer Plutarch - Band 5