Erste Fortsetzung

Drei Jahre nach Abschluss des Vertrages, der Europa den Frieden wiedergab, im April 1859 wurde Herr v. Bismarck-Schönhausen, damals sechsundvierzig Jahre alt, an Stelle v. Werthers preußischer Gesandter in Petersburg. Umstände der verschiedensten Art trugen dazu bei, die Entrée des bisherigen Bundestagsgesandten in die, Petersburger Gesellschaft zu einer glücklichen und bequemen zu machen. Man wusste, dass der neue Gesandte ein eifriger Anhänger des verstorbenen Kaisers und als solcher Gegner der antirussischen Bestrebungen des Berliner Liberalismus gewesen sei; man wusste weiter, dass derselbe während seines Aufenthalts in Frankfurt der beständige Antagonist seines österreichischen Kollegen gewesen war und dass er trotz der österreichischen Sympathien der meisten seiner Freunde und Parteigenossen die deutsche Bundesstadt als geschworener Feind des Hauses Habsburg verlassen hatte. Das war die beste Empfehlung, die Herr v. Bismarck mitbringen konnte, denn Hass gegen den „undankbaren" Schützling von 1849 war damals das Stichwort unserer Gesellschaft, wie unserer Diplomatie und ihres neuen Leiters, des Fürsten Gortschakoff. Es bedurfte nicht erst der guten Beziehungen, welche zwischen dem russischen und dem preußischen Bevollmächtigten beim Bundestage bestanden hatten, — der neue Ankömmling konnte nicht besser empfohlen sein, als durch seine Antezedenzien bereits geschehen war. Aber schon wenige Monate nachdem er in sein Amt getreten, hatte der preußische Gesandte die an ihn geknüpften Erwartungen bereits beträchtlich überflügelt. Nicht nur dass Gortschakoff und Westmann sich von der „Gesinnung" höchst erbaut zeigten, welche Herr V. Bismarck mitgebracht und bei jeder Gelegenheit bekundet hatte, — in der gesamten „Gesellschaft" war nur eine Stimme darüber, dass dieser Diplomat auf das Vorteilhafteste von seinen steifen, vornehm tuenden, zugeknöpften und anspruchsvollen Vorgängern unterschieden und ein wirklicher „homme du monde" sei. Die frische, ungezwungene, innerlich sichere Art des neuen Ankömmlings entsprach in jeder Rücksicht den Ansprüchen, welche unsere Aristokratie an den guten Gesellschafter zu stellen pflegt. Statt der ängstlichen Abgemessenheit, die man sonst an deutschen Staatsmännern gewohnt gewesen war, zeigte Herr v. Bismarck eine Ungeniertheit und Offenheit, die den amtlichen wie den privaten Verkehr mit ihm erleichterte und das unnötige Zeremoniell bei Seite schob. Den Geschäftsleuten imponierte die Schlagfertigkeit und Kurzangebundenheit des in allen Sätteln gerechten Diplomaten, den Löwen und Löwinnen des Salons die unverwüstlich gute Laune, der sprühende Witz, die anspruchslose Vornehmheit und das vortreffliche Französisch des Weltmannes. Da war endlich ein Mal ein Deutscher da, mit dem sich so leicht und so bequem verkehren ließ, wie mit anderen Leuten, der sich gehen ließ, weil er sicher war, sich Nichts zu vergeben, der den von der großen Welt nicht nachahmte, sondern beherrschte, der genug inneres Selbstgefühl besaß, um weder sich selbst, noch Anderen durch überflüssige Prätensionen zur Last zu fallen. Bereitwillig erkannte die anspruchsvolle, sonst auf alles Deutsche hochmütig herabsehende und von der Überlegenheit ihrer Art und Weise erfüllte Aristokratie an, dass sie es mit ihres Gleichen, mit einem Manne ihres Schlages zu tun habe. Herr v. Bismarck wusste das vertrauliche Verhältnis zur kaiserlichen Familie, dessen seine Vorgänger sich zu erfreuen gehabt hatten, unverändert aufrecht zu erhalten, aber es verstand sich für ihn von selbst, dass dasselbe ohne Inkonvenienzen blieb und dass es sich dem der großstaatlichen Botschafter durchaus paritätisch gestaltete. Er war zugleich kaiserlicher Hausfreund und Vertreter eines mächtigen unabhängigen Staates, dessen Würde unter keinen Umständen und Niemandem zu Liebe vergeben werden durfte. Die hohe Gestalt des preußischen Gesandten, der sich fast alltäglich zu Pferde sehen ließ, war bald eine der ganzen Stadt bekannte und sympathische Figur; kein fremder Diplomat wurde von dem Kaiser so gern gesehen, so häufig zu den Allerhöchsten Donnerstags-Jagden gezogen wie Herr v. Bismarck, der freilich nicht nur den Jäger spielte, sondern wirklich Jäger und Naturfreund war. Das preußische Gesandtschaftshotel, sonst der Sitz anständiger Langweile; der Schauplatz seltener und dann prätentiöser Feste, wurde jetzt einer der gesuchtesten und behaglichsten Salons. Alle Welt wusste, dass der preußische Gesandte nicht in der Lage war, es seinen französischen, englischen und österreichischen Kollegen an Glanz und Aufwand gleich zu tun, aber alle Welt war darüber einig, dass diese Inkonvenienz sich nicht glücklicher und vornehmer behandeln ließ, als durch Herrn und Frau v. Bismarck geschah. Statt, wie sonst wohl vorgekommen war, die Beschränktheit der der preußischen Legation zur Verfügung gestellten Mittel ängstlich zu verbergen und durch gelegentliche Verschwendungen zu verleugnen, sprach Frau v. Bismarck öffentlich aus, dass sie nicht in der Lage und nicht in der Laune seien, ein Gericht Spargeln mit vierzig Silberrubeln zu bezahlen, den Gehalt ihres Gemahls für ihre Toilette auszugeben und ihre bekannten, für eine Darmstädter Dose eingetauschten Ohrringe allwöchentlich durch neue Diamanten zu ersetzen. Das imponierte ungleich mehr, als die sich einige Jahre später geltend machende Vornehmtuerei des durch seinen Schwiegervater, den Brandweinpächter Bernadaki zum Millionär gewordenen Baron Talleyrand und als das schimmernde Auftreten der Gemahlin dieses Herrn. Die kleinen Diners und die offenen Abende im Bismarck'schen Hause waren bald gesuchter, als die langweiligen Feten, durch welche andere Diplomaten sich ruinierten, und die anspruchsvollsten Kritiker mussten eingestehen, dass kein Gesandtschaftshotel seine Gäste so genteel und so liebenswürdig zu bewirten wisse, wie das Hauswesen im Stenbock'schen Hotel. — War man sonst an deutschen Staatsmännern gewohnt gewesen, dass sie entweder ihre nationale Sitte und Sprache dem Franzosentum zu Liebe verleugneten oder aber mit ihrem Deutschtum in Turnerweise dick taten, so wusste Herr v. Bismarck in natürlichster und feinster Weise den Preußen und Deutschen, der auf sein Vaterland stolz ist, mit dem vornehmen Herrn zu verbinden; für den die in der gesamten Hof- und Diplomatensphäre üblichen Verkehrsformen selbstverständlich sind. In so taktvoller Weise wusste er seine Stellung als Vertreter einer großen deutsch-protestantischen Macht wahrzunehmen, dass nicht nur die seinem Schutz anbefohlenen preußischen Untertanen in Petersburgs sondern alle in der Residenz lebenden Deutschen mit Wohlgefallen auf ihn blickten. Ohne es je zu Konflikten mit den lässigen und plumpen Behörden unserer inneren Gouvernements kommen zu lassen, wusste Herr v. Bismarck es doch einzurichten, dass seine Reklamationen gerade so respektiert und befolgt wurden, wie die des englischen Botschafters und anderer auf die Rechte ihrer Schutzbefohlenen eifersüchtiger großstaatlicher Diplomaten. Kein Wunder, dass er bald den Deutschen im gesamten Reiche wohlbekannt war! Vielleicht die ersten Propheten der Bismarck’schen Mission sind die est- und kurländischen Barone gewesen, welche zum engeren Kreise des künftigen Reichskanzlers gehörten, mit ihm zechten und politisierten und ihn zur Jagdsaison nicht selten auf ihren Gütern sahen. — All' diese Abweichungen von dem, was sonst Art und Gewohnheit der vorsichtigen und zugeknöpften preußischen Minister gewesen war, vollzogen sich so einfach und selbstverständlich, dass Niemand an denselben Etwas zu verwundern oder auszusetzen hatte. Dem spezifischen Russentum schmeichelte es, dass der echt deutsche Baron, für den Herr v. Bismarck sich gab, der eben damals erwachten liberalen Bewegung in der russischen Literatur und Presse ungleich größere Aufmerksamkeit widmete, als irgend einer seiner Kollegen und dass er die Mühe nicht scheute, die schwierige Sprache des russischen Volks wenigstens so weit zu erlernen, dass er sich mit des Französischen unkundigen Leuten zur Not verständigen, gelegentlich wohl auch den Kaiser mit einer russischen Phrase anreden konnte. — Der preußische Gesandte der Jahre 1859 bis. 1862 war aber nicht nur in allen Schichten der Gesellschaft, mit der er in Berührung kam, beliebt und gern gesehen, — er galt unseren Staatsmännern und den Leuten, die ihn näher kennen lernten, zugleich für einen bedeutenden, ungewöhnlich klaren wenn auch etwas exzentrischen Kopf. Von Berliner Diplomaten war man es am wenigsten gewohnt gewesen, dass sie andere Anschauungen, als die ihres Hofs aussprachen; dass sie die Handlungsweise ihrer Regierung kritisierten und die Neigung bekundeten, selbstständige Politik zu treiben. Und gerade das tat der ungewöhnliche Mann, der in Allem von seinen Vorgängern verschieden schien, mit einer Offenheit, die die Verwunderung aller Eingeweihten erregte, wenn sie gleich immer innerhalb der Grenzen blieb, welche dem Minister eines fremden Hofes durch seine Stellung gezogen sind. Ohne Rücksicht darauf, dass der damalige Prinz-Regent die entschiedenste, mit Misstrauen gepaarte Abneigung gegen Frankreich und dessen italienische Politik zeigte und dass er das revolutionäre Vorgehen Cavours öffentlich und nachdrücklich missbilligte, bekannte Herr v. Bismarck sich zu der Überzeugung, dass die Befreiung Italiens von österreichischem Einfluss eine europäische Notwendigkeit sei, die nur den ersten Akt der Emanzipation Deutschlands und Preußens von der k. k. Patronage bilde. Auch nach der Mobilmachung vom August 1859 setzte er die guten Beziehungen zu seinem französischen Kollegen, soweit unter den gegebenen Umständen möglich und schicklich war, fort und suchte er den Boden für ein französisch-russisch-preußisches Bündnis frei zu halten. Als er Petersburg nach dreijährigem Aufenthalt verließ, war alle Welt darüber einig, dass der bisherige preußische Gesandte ein Mann sei, dazu berufen eine sehr beträchtliche Rolle in der Geschichte seines Vaterlandes zu spielen und wenigstens zum großen Teil das Programm zu erfüllen; zu welchem er sich jeder Zeit mit beispielloser Offenheit bekannt hatte. Freilich kannte man nur einen Punkt desselben, die Theorie von der Notwendigkeit Preußen und Deutschland aus der österreichischen Hegemonie zu befreien: das war aber gerade genug, um dem Manne, der schon sechs Monate nach seiner Abreise von Petersburg an die Spitze der preußischen Geschäfte trat, die Sympathien des Kaisers, des Reichskanzlers und zahlreicher anderer hochgestellter Personen zu sichern. — Die große und wichtige Rolle, welche die Allianz mit Russland in der preußischen Geschichte der letzten vierzehn Jahre gespielt hat, ist durch Herrn v. Bismarcks dreijährige Petersburger Tätigkeit aufs Glücklichste vorbereitet worden. Vielleicht ohne es selbst zu wissen, hatte er die Russen durch seine Person und sein persönliches Verhalten an den Gedanken gewöhnt, dass auch ein mächtiges, von den früheren Petersburger Einflüssen emanzipiertes Preußen, der Freund und Verbündete seines östlichen Nachbarn sein könne.