Neue Bilder aus der Petersburger Gesellschaft. III. Fürst Bismarck in Petersburg.

Autor: Eckardt, Julius Wilhelm Albert von (1836-1908) Journalist, Historiker, Staatssekretär, Diplomat, Erscheinungsjahr: 1874

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Preußen, Deutsche, Deutschland, deutsch-russische Beziehungen, Reichskanzler Bismarck, Alexander I., Friedrich Wilhelm III., Luise von Preußen, Petersburg, Moskau, Potsdam, Freundschaft
Die Bande enger Freundschaft, welche die Höfe von Berlin und von Petersburg verbinden, sind vor nahezu sieben Jahrzehnten von Friedrich Wilhelm III. und Kaiser Alexander I. geknüpft worden. Sie sind älteren Datums als der Krieg von 1813, den man gewöhnlich für den Urheber der preußisch-russischen Waffenbrüderschaft ansieht und sie haben schon während der ersten Zeit ihres Bestehens zwei harte Proben — die von 1807 und die von 1812 — bestanden. Geschlossen wurde dieses Freundschaftsverhältnis im Jahr 1805 bei Gelegenheit des Besuchs, den Alexander der preußischen Hauptstadt abstattete, vermittelt wurde dasselbe durch die Königin Louise, welcher Kaiser Alexander (einer der feinsten Kenner weiblicher Schönheiten und Reize aller Gattungen und Arten) aufrichtige Bewunderung zollte und der er in einer sentimentalen Stunde (wie erzählt wird am Grabe Friedrichs des Großen) unverbrüchliche Freundschaft gelobt hatte. Wesentlich dem Einfluss der Königin war es zuzuschreiben, dass Friedrich Wilhelm den an den preußischen Interessen geübten Verrat von Tilsit nicht als solchen ansah, sondern bereitwillig der Einladung nach Petersburg Folge leistete, mit welcher sein bisheriger Verbündeter die Zuteilung preußischen Staatsgebiets an den russischen Staat überzuckerte. — Das Gedächtnis dieser Reise hat in Russland lange gelebt, denn sie gab zu Auszeichnungen Veranlassung, wie sie noch keinem fürstlichen Gaste des Hofes zu Teil geworden waren. Trotz barbarischer Winterkälte mussten zwei Abteilungen des Chevalier-Garderegiments in Galauniform den königlichen Wagen von der Grenze bis nach Petersburg eskortieren; auf den Stationen, welche das erlauchte Paar machte, war für jeden denkbaren Luxus gesorgt — selbst der Trunk Berliner Weißbier, nach welchem die vom Tanz erhitzte Königin auf dem ihr in Riga gegebenen Balle verlangte, konnte beschafft werden. Das war aber nur der Vorschmack größerer Dinge. In Petersburg und Moskau drängte ein glänzendes Fest das andere und wurden Manöver abgehalten, deren Großartigkeit Alles übertraf, was der soldatische Großneffe des alten Fritz für möglich gehalten hatte; damals kamen jene Regiments Verleihungen wieder in Mode, zu denen Peter III. zuerst die Initiative ergriffen hatte und die seitdem zum eisernen Inventar russisch-preußischer Familiencourtoisie gehören. Den größten Eindruck machte es aber, dass der Kaiser bei einer späteren Gelegenheit seinem Gaste eine Abteilung von Regiments-Sängern, die in Moskau des Königs besonderen Beifall erregt hatten, förmlich zum Geschenk machte und dass diese Leute wirklich ihrer Heimat entrissen und in der Umgegend von Potsdam angesiedelt wurden, wo der letzte ihres Stammes erst vor einem Dutzend Jahre als völlig germanisierter „Iwan“ verstorben ist*).

*) In der Moskauer nationalen Presse wurde seiner Zeit diesem „letzten Iwan“ eine Träne nachgeweint, die natürlich mit Ausfällen auf den — deutschen Despoten gesalzen war, der das großmütige Zar'sche Geschenk entgegengenommen hatte.

Dieser enge, durch die Heirat des Großfürsten Nikolaus mit der Prinzessin Charlotte noch enger gewordene Bund ist der Grund davon gewesen, dass die in Petersburg lebenden preußischen Diplomaten seit Jahrzehnten eine Stellung eingenommen haben, die von der der übrigen deutschen Gesandtschaften durchaus verschieden war. Den Botschaftern Englands, Frankreichs und Österreichs vermochten die Vertreter der Monarchie Friedrichs des Großen es in der Regel an Glanz des Auftretens und Gewicht der Stellung nicht gleich zu tun — von der der Diplomaten der deutschen Kleinstaaten war ihre Position dagegen auf das Vorteilhafteste verschieden. Herkömmlich wurde der preußische Gesandte durch die Intimität seiner Beziehungen zu den Allerhöchsten Personen für etwaige Mängel seiner äußerlichen Stellung entschädigt und dadurch günstiger gestellt, als irgend ein anderer in Petersburg residierender fremder Gesandter. Man muss die kleinstaatlich-deutsche Diplomatenmisère früherer Jahre mit eigenen Augen angesehen haben, um den Hochmut, mit dem Russland Jahrzehnte lang auf die Njemzi und die Niemtschina herabsah, vollständig zu verstehen und das Verdienst zu würdigen, das Preußen sich im Jahre 1866 um den deutschen Namen erwarb, indem es dieser Wirtschaft ein Ende machte. Mir ist in dieser Beziehung immer ein Auftritt typisch erschienen, dessen Zeuge ich in den fünfziger Jahren bei der Auffahrt vor dem großen Theater gewesen. Nach Beschluss der Vorstellung rief ein Polizeidiener dem Herkommen gemäß die Namen der Herren ab, deren Wagen vorfahren sollten, um ihre Inhaber abzuholen und durch das dichte Gedränge zu fahren, welches die Ausgänge dieses Gebäudes umgab. Höflich drückte sich Alles bei Seite, als die Gefährte der Gesandten Dänemarks und Hollands vorfuhren, mit achtungsvoller Neugier ließ man Sir Hamilton Seymour in seinen Wagen steigen — Gelächter und schlechte Scherze brachen dagegen von allen Seiten herein, als der Wagenrufer die „Equipage" des „Posslannik Gessenjomburski“ („Botschafters" von Hessen-Homburg) abrief und ein unbehilflicher alter Mann mühsam in seinen bescheidenen Einspänner humpelte*). „Wot nasztojaschtchi njemezki diplomat" (das ist der wahre deutsche Diplomat) rief ein hinter mir stehender Student seinen Kameraden zu, die diese glückliche Pointe mit homerischem Gelächter lohnten. — Vor dem Geschick, mit Staatsmännern dieses Schlages verwechselt zu werden, waren die preußischen Minister schon durch die Intimität ihrer Beziehungen zur kaiserlichen Familie sicher gestellt. Die Berliner Militärbevollmächtigten zählten und zählen noch gegenwärtig zur „Suite Seiner Majestät", die preußischen Minister werden traditionell Genossen des engeren Zirkels, welchen der Hof um sich sammelt. Freilich nicht wegen der Macht und des Ansehens ihrer Herrscher, sondern vornehmlich wegen der Verwandtschaft derselben mit der zarischen Familie, wurden die preußischen Diplomaten anders behandelt, als die mit ihnen auf gleicher Stufe stehenden deutschen Kollegen, — man sah sie gewissermaßen als appendices der höchsten russischen Regierungskreise an und das war unter den ein Mal gegebenen Umständen immer etwas wert. Zu Zeiten, wie denen der Verstimmung des erstorbenen Kaisers über Friedrich Wilhelms IV. Verhalten im Jahre 1848, und denen der entwürdigenden Lage in welcher Preußen sich während der Reaktionszeit Russland gegenüber befand, hatte dieses Verhältnis freilich seine peinliche Kehrseite.

*) Dieser „Botschafter" war ein an der Petersburger Börse wohlbekannter Geldagent a. D., der sich durch Gefälligkeiten gegen den letzten Landgrafen den Baronstitel und den diplomatischen Charakter erworben hatte, mit welchem er den höheren Kreisen der Gesellschaft viele Jahre lang zur Last fiel.

Die Lage der Männer, welche das Berliner Kabinett damals zu vertreten hatten, ist namentlich während des Revolutionsjahres eine sehr dornenreiche gewesen: wusste doch z. B. im Frühjahr 1848 alle Welt, wie maßlos leidenschaftlich der Kaiser sich über den Umzug geäußert hatte, den sein geängstigter Schwager durch die Straßen des revolutionären Berlin gehalten. „Nous n'avons plus besoin de Légeard*), je ferai venir Mr. mon beaufrère", hatte der hochmütige Selbstherrscher aller Reußen damals dem Hausminister Fürsten Wolkonski bei offener Tafel gesagt, über Ungezogenheiten solcher Art musste ebenso glatt hinweg gegangen werden, wie später über die Äußerungen grenzenlosen Hochmuts, welche der Kaiser von sich gab, als er 1850 von jener Warschauer Zusammenkunft zurückkehrte, die das stolze Herz des patriotischen Grafen Brandenburg gebrochen. Noch schwerere Geduldsproben für die preußischen Residenten in Petersburg mögen die Jahre gewesen sein, welche diesem Vorspiel zur Schmach von Olmütz folgten. Die barschen herrischen Manieren des Kaisers, der damals auf dem Gipfel seiner Macht und seines Einflusses stand und der die ihm später von Herrn v. Gerlach zuerteilte Rolle des „Vaters aller Preußen“ allen Ernstes in Anspruch nahm, wurden seit dem ungarischen Feldzuge von den Hofleuten und Hofgeneralen häufig genug nachgeäfft und mit mehr oder minder gutem Geschmack variiert. Dass Nikolaus den Militärbevollmächtigten General Rauch besonders auszeichnete und bei Gelegenheit seinen Freund nannte, konnte keine volle Entschädigung dafür bieten, dass die Vertreter der norddeutschen Großmacht eher wie befreundete Diener des kaiserlichen Hauses, denn als Repräsentanten eines ebenbürtigen Staatswesens behandelt wurden. Freilich waren die beiden preußischen Gesandten der 50er Jahre, der General Theodor von Rochow (1845 — 1854) und sein Nachfolger Baron Werther, nicht die Männer, die Würde ihres Staates und ihrer Stellung dem barschen Zaren und seinen Dienern gegenüber zu behaupten. Der alte Rochow hatte sich in seine inferiore Rolle im Lauf der Zeit so vollständig eingelebt, dass er gar keine andere für möglich hielt, Werther, der vielleicht etwas mehr Haltung besaß, war geistig eine Null. — Selbst die Demütigungen, welche dem Stolz des Zaren durch die Wechselfälle des orientalischen Krieges bereitet wurden, vermochten an der Stellung der preußischen Legation in Petersburg nichts Wesentliches zu ändern. Dem europäischen Westen galt Friedrich Wilhelm IV. damals für den unbedingten und gefügigen Anhänger seines Schwagers — den Petersburger Ansprüchen vermochte die Russenfreundlichkeit des Königs noch lange nicht genug zu tun. Man sah es wie eine Auflehnung an, dass der Sohn Friedrich Wilhelms III. trotz aller Rücksicht gegen seinen Freund und Verbündeten denn doch zuweilen seine eigenen Wege ging und dass er dem Kaiser wenigstens in Privatbriefen zu verstehen gab, dass er dessen orientalische Politik nicht unbedingt billige; selbst dem französischen Gesandten Castelbajac gegenüber nannte Nikolaus bei dessen Abreise den König seinen „frère-poète“. Die entschiedene Teilnahme der Berliner Liberalen für die Westmächte und die mehr wie reservierte Stellung, welche der damalige Prinz von Preußen in der orientalischen Frage einnahm; galten unserem anspruchsvollen Hofe für Akte einer Felonie, die der König und Herr v. Manteuffel nicht hätten dulden dürfen; demgemäß wurde denn auch die Abberufung Bunsens von seiner Londoner Stellung nicht als ein der russischen Freundschaft gebrachtes Opfer, sondern als schuldiger Tribut aufgefasst. Erst die vernichtenden Schläge, welche dem Tode des Kaisers Nikolaus vorhergingen, zwangen den anspruchsvollsten Herrscher seiner Zeit auch gegen Preußen freundlichere Saiten aufzuziehen und der schwierigen Stellung Rechnung zu tragen, in welche der Berliner Hof durch seine russischen Sympathien gebracht worden war. — Der Tod des Kaisers machte auch in dieser Beziehung Epoche. Kaiser Alexander stand zu sehr unter dem Eindruck der schweren Prüfungen, welche sein Vater sich zugezogen hatte, als dass er dessen barsche Art gegen den einzig treu befundenen Alliierten nachzuahmen fähig gewesen wäre. Die Vertraulichkeit, mit der er die preußischen Bevollmächtigten behandelte, hatte nichts Verletzendes an sich und blieb auch nach der Probe, die ihr durch die Folgen des berüchtigten Depeschendiebstahls bereitet worden waren**), unverändert die frühere.

*) Dem vom Kaiser begünstigten Kunstreiter Légeard war in den 40er Jahren das spätere deutsche Theater als Circus eingeräumt worden. — „Les cheveaux s’en vont, les Allemands y entreront'' hatte es damals in der „guten Gesellschaft“ geheißen.

**) Während des Jahres 1855 waren den beiden vertrautesten Räten König Friedrich Wilhelms IV., dem als Führer der Kreuzzeitungspartei bekannten General v. Gerlach und dem Kabinettsrat Niebuhr durch ihre Bedienten wiederholt wichtige, von der Regierung als Geheimnis behandelte Papiere aus ihren Tischen gestohlen worden. Unter diesen Papieren befanden sich auch Berichte über vertrauliche Äußerungen, welche Kaiser Alexander über die erschütterte Position Sewastopols und namentlich des Malakoff getan hatte und diese Berichte waren von dem Sekretär bei der französischen Botschaft in Berlin, Rothan angekauft und nach Paris mitgeteilt worden. Erst aus ihnen erfuhr Napoleon, wie verzweifelt es um den Malakoff stehe und dass Aussicht auf Wegnahme desselben sei; der französisch-englische Angriff vom 8. September soll erst auf Grund der erwähnten Berichte (unter welchen ein Schreiben des hannov. Gesandten, Grafen Münster, übrigens die Hauptrolle spielte) angeordnet worden sein. — Dieser Depeschendiebstahl kam erst im Winter 1855 — 1856, und zwar bei Gelegenheit des plötzlichen Todes eines Polizei-Agenten Techen ans Tageslicht; dieser Agent und ein Finanzbeamter Seiffert sollen die Diebstähle angeordnet haben, um dem damaligen Minister des Auswärtigen, Baron Manteuffel, über die geheimen Pläne der (zeitweilig mit demselben verfeindeten) Kreuzzeitungspartei Bericht erstatten zu können. Die Diebe hatten auf eigene Hand weitergestohlen und ihre Beute jedesmal den Personen angeboten, von denen sie das meiste Interesse für dieselbe erwarteten. Unter den Käufern hatte gelegentlich auch der russische Gesandte figuriert, und auf England und Frankreich bezügliche Aktenstücke gekauft. — Herr Rothan musste wegen dieser Angelegenheit (in der er übrigens nur in de Moustiers Auftrag gehandelt) seine Berliner Stellung aufgeben. In den Jahren 1869 und 1870 (bis zum Ausbruch des Krieges) war dieser Herr indessen bereits wieder in Deutschland und zwar als französischer Ministerresident bei den Hansestädten Bremen, Lübeck und Hamburg diplomatisch tätig.

Fürst Otto von Bismarck 1815-1898

Fürst Otto von Bismarck 1815-1898

Empfang beim Frieden von Tilsit 1807. Napoleon, Alexander I. Zar von Russland, Luise und Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Gemälde von Nicolas Gosse (1)

Empfang beim Frieden von Tilsit 1807. Napoleon, Alexander I. Zar von Russland, Luise und Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Gemälde von Nicolas Gosse (1)

Luise Prinzessin zu Mecklenburg-Strelitz (1776-1810) Königin von Preußen

Luise Prinzessin zu Mecklenburg-Strelitz (1776-1810) Königin von Preußen

Otto von Bismarck

Otto von Bismarck

Bismarck mit seinen Hunden auf

Bismarck mit seinen Hunden auf "Friedrichsruh"

Bismarck, der Diplomat

Bismarck, der Diplomat

Der alte Kaiser und sein Kanzler

Der alte Kaiser und sein Kanzler

Bismarck, der Schmied der deutschen Einheit

Bismarck, der Schmied der deutschen Einheit

Alexander I. Zar von Russland

Alexander I. Zar von Russland

Das heutige Russland

Das heutige Russland

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

Reiterstandbild Peter I.

Reiterstandbild Peter I.

Pferdeschlitten

Pferdeschlitten

Russische Parlamentaria beim Verlassen der Duma

Russische Parlamentaria beim Verlassen der Duma

Kosaken

Kosaken

Ganz privat - Teestunde am Samowar

Ganz privat - Teestunde am Samowar

Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

Auf dem Vieh- und Fleischmarkt in St. Petersburg

Russisches Bauernmädchen

Russisches Bauernmädchen

Mutterliebe

Mutterliebe