Münchener Landschafter im neunzehnten Jahrhundert

Autor: Uhde-Bernays, Hermann (1873-1965), Erscheinungsjahr: 1921
Themenbereiche
,, . . . Ein Punkt vorzüglich gewährte die trefflichste Aussicht, indem zugleich die weite Ebene mit sichtbar wurde, welche bis zum Fuße der Gebirge sich erstreckt. Im reinen Sonnenlicht bekam diese Ferne ganz die Farbe eines sich lang ausdehnenden violettblauen Meeres, und die hohen zackigen Gebirgsmauern ragten majestätisch darüber hervor, an ihrem Fuße duftig blau, und nur an ihren Kämmen und Gipfeln bestimmter begrenzt. Ich fühlte, daß hier eine zweite große Seite der Erscheinungen des Erdenlebens mich erwarte.“
Carus, Lebenserinnerungen, II. 33.
Inhaltsverzeichnis
    Einführung.
  1. Wilhelm von Kobell (1766-1853).
  2. Max Josef Wagenbauer (1775-1853).
  3. Ferdinand von Ollivier (1785-1841).
  4. Carl Rottmann (1797-1850).
  5. Christian Morgenstern (1805-1867).
  6. Eduard Schleich der Ältere (1812-1874).
  7. Carl Spitzweg (1808-1885).
  8. Dietrich Langko (1819-1896).
  9. August Seidel (1820-1904).
  10. Adolf Heinrich Lier (1826-1882).
  11. Johann Sperl (1840-1914).
  12. Fritz Baer (1850-1919).
  13. Karl Haider (1846-1912).
  14. Abschluss.
    Münchner Landschaftsmaler im 19. Jahrhundert.
    Gemälde und Handzeichnungen.
Einführung.

Dahingeschwunden für immer ist die heimatlich-heimliche Zauberkraft, die unwiderstehlich und unentrinnbar in Bann zog, wen ein freundliches Geschick in Alt-Münchens kunstfrohes Bereich geführt. Vorbei die Zeiten stolzer Handwerkstüchtigkeit und reichen, in vorbildlichen Darbietungen aller Art ausschäumenden Festjubels. Lohnt sich's, grübelnd nach Gründen zu forschen, deren widerspruchsvolle Verschiedenheit unerwartet schnell Alt-Münchens Ende bedingte? Wird es möglich sein, daß eine glücklichere Zukunft mit doppelt reichlicher Verschwendung versuche wiederherzustellen, zu ersetzen, umschaffend neu zu gestalten, was die jüngste Vergangenheit in beklagenswerter Selbsttäuschung nicht festzuhalten vermochte? Wir wissen es nicht. Umsonst, Trümmer zu bergen und um das Verlorene zu klagen. Mit wehmütiger Dankbarkeit wollen darum wir Älteren, deren Lebenszeiger schon weit gen Abend vorgerückt ist, den Schatz unserer Erinnerung hüten, um ihn als Leuchte unseren Enkeln zu bewahren. Sie werden ganz gewiss, das können wir getrost hoffen, mit helleren Augen erwachen und auf die Erzählungen horchen aus einer längstvergangenen, nur scheinbar längstvergangenen Zeit. Und so wird uns einstens Alt-München, das heißgeliebte, wiedergewonnen sein, wenn wir zum zweiten Male jung zu sein begnadet sind.

Dann wandeln die wüsten Mietskasernen sich uns in zierliche Biedermeierhäuschen, rings um sie wird es blühen, keimen und klingen, und doppelt beglückt werden wir unseres Königs prächtige Straße, die schönste Straße Deutschlands, die Ludwigstraße durchschreiten, um der Jugend an unserer Seite all die vielen Bauten, die trotz allem als Wahrzeichen schönerer Jahrhunderte erhalten blieben, ehrfurchtsvoll zu weisen. Suchet nur die Perlen des schmählich zersprungenen Geschmeides! Der kundigen Hand werden sie sich ganz von selber zusammenfügen . . .

Eines dennoch ist geblieben, eines, das Schönste. Der Südlich weiche blaue Himmel, der sich mit sonnendurchsprühtem Glanz an klaren Frühlingstagen wie ein lichter Zaubermantel schweigsam über die menschliche Erbärmlichkeit der lärmenden Großstadt spannt, kann wohl im Rauch und im Nebel erdunkeln, aber als Symbol ewiger Schönheit und ewiger Sehnsucht unserem irrenden Geiste Halt zu gewähren nicht aufhören. Und steigt nur hinauf auf die Türme des Rathauses und der Kirchen und richtet den Blick gen Süden: da schlingen sich wie ein festes Band die Gruppen des Hochgebirges zusammen, weit von Osten herüber bis tief in den Süden, vom Untersberg zum Grünten, und davor spreitet sich, hell und buntgefärbt, der Teppich der oberbayrischen Hochebene, mit silbernen Streifen durchzogen, verschiedenartig zusammengeordnet, aber in regelmäßigen Feldern, hier in schwerem Düster tiefschwarzer Tannenwälder vereinheitlicht, dort in abwechselungsvollem Muster der Wiesen und Dörfer mit roten Dächern und Kirchen lebendig, dazwischen die perlmutternen Flecke der Seen eingestreut, ornamentalen Wahrzeichen vergleichbar. Diese Schönheit in stiller Einkehr zu schauen, sie in verträumter Wanderschaft zu erwerben und das köstliche Gut ihres Besitzes in der Seele hegend zu wahren, bedeutet wohl ein ungewöhnliches Glück. Verzweifelnd an dem trügerischen Gaukelspiel, das ein unerbittliches Geschick uns mitzutreiben zwingt, richten wir uns zu stolzer Eigenwilligkeit auf, angesichts der Unvergänglichkeit des aus dem innigen Mitfühlen und Mitleben der Natur gehobenen ethischen Genießens, dessen metaphysische Auslegung philosophierende Belehrung gewähren und vertiefen wird. Hier ist der Talisman, Pandorens Büchse nach freiem Ermessen aufzuschließen.

Wer lange Jahre Tag für Tag die Geheimnisse, die in unerhörter und immer neuer Mannigfaltigkeit die oberbayerische Heimat birgt, ihr abzulauschen gewohnt ist, wird in stiller Demut alle Versuche von sich weisen, in abgeteilter Schilderung von dem Wunder berichten zu müssen, dessen er teilhaftig geworden, und besäße er auch eines begeisterten Sehers heldenhafte Sprache oder könnte er selbst wetteifern mit den schönsten Lobgesängen des Psalmisten in lyrisch entzückter Stimmungsdeuterei. Darum hat es noch keinen Poeten gegeben, der Oberbayern nach seinem Wert in einer dichterischen Verklärung verherrlicht hat, wie Adalbert Stifters andächtige Reinheit die schmucken Anhöhen des Wiener Waldes beseligte. Und es hat in Wirklichkeit bisher noch keinen Maler gegeben, der zusammenfassend das Kosmisch-Unbeständige und doch so überraschend einheitliche des kleinen Stückchen Landes, das wir Oberbayern nennen, auf seine Leinwand zu bannen vermochte, wie es Caspar David Friedrich in seinen geisterhaften Visionen der Riesengebirgsbilder gelang. An die scheinbare Gleichförmigkeit der neben ihnen unveränderten Natur gewöhnt besitzen Oberbayerns Bewohner kein allzu tiefes inneres Verhältnis zu ihrer Heimat und finden an einer künstlerischen und poetischen Betrachtung des Landlebens keinen Gefallen. Nur in einzelnen Ausnahmen ist der eigentliche Münchener Bürger zur schätzenden Erkenntnis der Umgebung seiner im übrigen mit größtem Stolz gepriesenen Stadt gelangt. Es ist sogar die Frage, ob die zahlreiche Menge, die sich an Feiertagen vorzugsweise nach beliebten Ausflugszielen aus München hinausdrängt, heute dazu kommt, neben dem Bekannten das Verborgene selbständig aufzufinden.

Erst spät, als die Erziehung zur Kunst auch die sentimentalische Naturdarstellung mit der Genremalerei für gleichberechtigt erklärte, sind zugewanderte Maler aus der Stadt gezogen, um, während die Einheimischen ihren Sonntagnachmittagsspaziergang zur Besichtigung der Leichenhäuser verwendeten, die Lage Münchens innerhalb einer höchst eindrucksvollen künstlerischen Erscheinungswelt förmlich zu entdecken. Schon vor der Jahrhundertwende waren unzählige Reisende von München über Kochel und Mittenwald nach Innsbruck im Postwagen gefahren, ohne von der Lieblichkeit der Gefilde und den dräuend über der Straße lastenden Bergmassen mehr als nur flüchtige Notizen zu machen. Winckelmanns Ausruf ist ein vereinzeltes Bekenntnis einer über die anerzogene Betrachtungsweise der Theodizeen erregten Stimmung: „Man hat nichts Wunderbares, nichts Erstaunendes gesehen, wenn man nicht dieses Land mit Augen, wie ich es betrachtet habe, gesehen hat. Hier zeigt sich die Mutter Natur in ihrer erstaunenden Größe, und der Überfluss herrscht zwischen ungeheuren Klippen. Bewundern Sie hier die schöne Welt und ihren Schöpfer.“ Selbst Goethes Gefühl, in einer neuen Welt zu sein, begrub sich in eifrigen geologischen Interessen. Die Sehnsucht nach dem gelobten Lande, nach Italien, dessen hesperische Gärten freilich den stärksten Gegensatz zu der schwermütigen Strenge des Hochgebirges bilden, war allen Reisenden ausschließliche Richtung, wohin sie ihr Denken einzustellen verlangten, und daher blieben ihren Sinnen andere Reize verschlossen. Die Fähigkeit, neben Eindrücken von überragender Großartigkeit auch solche von gemäßigter, obgleich eigenartiger Wirkung zu empfinden, mußte erst nach und nach ausgebildet werden. Die Leidenschaft sentimentalischer Vorwürfe war noch nicht zu der idyllischen Didaktik übergeschwenkt, die für alte Taschenbücher des zu Ende gehenden achtzehnten Jahrhunderts vor der einsetzenden romantischen Strömung Mode war. Wahrscheinlich ist in dieser Beschränkung, die weit mehr den Wünschen des Publikumsgeschmackes entsprach (ganz einerlei, ob die von den ersten in den bayerischen Voralpen herumziehenden Landschaftern gemalten Skizzen und Studien vor der Natur zum Zwecke eigener Belehrung und Befriedigung gemalt wurden oder nicht), der Hauptgrund zu suchen dafür, daß die ganze frühe Münchener Landschaftsmalerei ihre tiefe Verehrung der glücklich entdeckten wunderschönen Möglichkeiten zu malen in einer auf neue Bahnen weisenden und sehr reizenden, aber doch zeichnerisch bedingten Malweise ausließ. Dieser halb spielerisch-wirkungsbegehrliche, halb genrehafte Zug, der von der Wahl eines gefälligen Motivs angegeben wurde, bleibt für die Landschaftsmalerei in München während des ganzen neunzehnten Jahrhunderts bestimmend, und es ist den Einflüssen der Schulen von Fontainebleau und Barbizon, deren atmosphärische Weihe den Münchener Landschaften viele verwandte Klänge ablockt, niemals ganz gelungen, ihn zu beseitigen. Das ist, wie es für die gesamte vom Atelier niemals völlig befreite Entwicklung der Münchener Kunst überhaupt bezeichnend bleibt, auch für die ganze Münchener Landschaftsmalerei im einzelnen charakteristisch. Daher können, wiederum parallel zu dem übrigen historischen Verlauf der Münchener Kunst, die Meister der Landschaft nur als Prototypen betrachtet werden, selbst Rottmann und Morgenstern, Schleich und Lier nicht ausgenommen. Aber mit dem Verzicht, wie wir sagen müssen, war dafür eine andere erfreuliche Eigenschaft dieser Kunst gewonnen worden: die naive kindliche Freude an der Schönheit eines solchen bescheidenen Naturausschnittes, der da mit allen Einzelheiten auf die Leinwand übertragen werden sollte. Sie wandelte sich im Laufe des Jahrhunderts, indem sie alle Purgatorien des Kolorismus durchlief, nur in rein äußerlichen Einzelheiten. Die demütige Beschaulichkeit Wilhelm von Kobells tritt bei Karl Haider deutlich wieder zutage.

Ist diese Freude an unserer oberbaverischen Landschaft nicht in jeder Beziehung berechtigt? Ist es nötig, weitere Worte anzufügen, um sie dem, der sie etwa nicht kennt, lobend zu empfehlen? Oder sie dem, der sie kennt und sie doch immer wieder neu und verändert empfindet, vielleicht gar zu verleiden? Wenn über einer ihrer ragenden Warten, über dem Wendelstein oder der Zugspitze, oder nur über den bescheidenen Anhöhen zwischen Isar und Amper dräuende Wetter sich ballen und zuckende Blitze aus dunkelem Gewölk in dampfende Erdschollen niederfahren, oder wenn an einem durch vergoldenden Abendsonnenschein gesättigten sommerlichen Himmel die hellen gelben, grünen, violetten und rosafarbenen Streifen durcheinanderspielen, und die Brust sich weitet, um die balsamischen Lüste einzuschärfen, und wir finden diese musikalischen Schwingungen unseres innerlichen Erlebnisses in Gemälden gleich harmonischen Gehaltes wieder - des sollten wir nicht froh sein?! Silbern und blau, wie das Banner, das wir führen, leuchtet der Schein des nahen Sees, in dem sich die fronen der Berge sviegeln, herüber, und nur den gedankenreichsten Versen unseres größten Dichters kann es gelingen, den wesentlichen Charakter der oberbayerischen Landschaftsmalerei in eine Formel zusammenzuschließen und gleichzeitig beziehungsvolle Ahnungen eigenen menschlich-künstlerischen Nachfühlens aufzudecken:

Wenn am Gebirg der Morgen sich entzündet,
Gleich, Allerheiternde, begrüß' ich dich,
Dann über mir der Himmel rein sich ründet,
Allherzerweiternde, dann atm' ich dich.

Was ich mit äußerm Sinn, mit innerm kenne,
Du Allbelehrende, kenn' ich durch dich,
Und wenn ich Allahs Namenhundert nenne,
In jedem klingt ein Name nach für dich.

00 Handzeichnung. Max Josef Wagenbauer, Trauerweide.

00 Handzeichnung. Max Josef Wagenbauer, Trauerweide.

01 Abb. 1 Max Josef Wagenbauer, Viehweide am Staffelsee.

01 Abb. 1 Max Josef Wagenbauer, Viehweide am Staffelsee.

03 Handzeichnung. Franz Kobell, Landschaft mit zwei Anglern.

03 Handzeichnung. Franz Kobell, Landschaft mit zwei Anglern.