Wilhelm von Kobell (1766-1853).

Freundschaftlicheren Sinnes als in der Gegenwart bildeten am Ende des achtzehnten Jahrhunderts die Künstler eine einzige große Familie. Sie befanden sich untereinander in ständiger Verbindung, die durch die Wanderlust und das Nachrücken der Schüler aufrechterhalten wurde. Diese Tatsache stellt den konservativen Gepflogenheiten glücklicherer Zeiten ein vortreffliches Zeugnis aus. Damals führten alle Wege des Künstlers nach Rom, und auf dem Hinwege oder auf der Rückkehr wurden beim Durchzug durch die Schweiz die wichtigsten und dauerndsten Beziehungen geschlossen. Kurz vor dem Besuch, den Goethe mit den beiden Stolbergschen Grafen in Zürich abstattete, wo er aus Bodmers Fenster die Aussicht ins Freie bewunderte, war Anton Graff aus Winterthur nach Dresden berufen worden, um neben seinem Landsmann, dem Landschafter Adrian Zingg, an der Akademie zu lehren. Nicht viel später wurde der in der Schweiz zurückgebliebene Salomon Geßner, hochberühmt als Dichter, Schriftsteller, Radierer, der Mittelpunkt eines größeren Kreises von Künstlern und Kunstverehrern. Ihm trat eine Freundesgruppe nahe, die sich in Mannheim vereinigt hatte und eifrigst Nachrichten nach allen Seiten tauschte, vor allem mit der Schweiz, mit dem jüngeren Schütz in Frankfurt und mir den übrigen Süddeutschen Städten. Fortschrittlich gesinnte Männer hatten sich um den als Dichter und Maler frühzeitig anerkannten Johann Friedrich Müller, den ,,Mahler“ Müller, und um Ferdinand Kobell geschart.

Als Bodmer dreißig Jahre vor Geßner, dem treuen Apostel Rousseaus, gegen den Schwulst in der Dichtung Protest erhoben und Rückkehr zur Einfachheit gepredigt hatte, als schlichte Vedutenmaler wie Wolff und Aberli ihre kleinen Gemälde ausführten, konnten sie nicht ahnen, daß ihre Heimat dereinst berufen sein werde, eine Propaganda der theoretischen Landschaftsmalerei zu beginnen. Es ist ein deutliches Zeichen der allgemein mangelnden praktischen Sicherheit, daß um die Jahrhundertwende zahlreiche Erörterungen sich mit dem Wesen und den Aufgaben der Landschaftsmalerei befahlen. Diese Arbeiten gelangen mit einer geistreichen Abhandlung Karl Ludwig Fernows zu ihrem wissenschaftlichen Höhepunkt und setzten sich weit in das neunzehnte Jahrhundert hinein fort. In Sternbalds Wanderungen ruft Ludwig Tieck: ,,Was soll ich mit allen Zweigen und Blättern, mit dieser genauen Kopie der Gräser und Blumen. Nicht diese Pflanzen will ich abschreiben, sondern mein Gemüt, meine Stimmung, die mich gerade regiert, diese will ich mir selber festhalten und den übrigen Verständigen mitteilen.“


In Wiederholung der bedrückten Schilderung in Ludwig Richters Lebenserinnerungen erzählt Gottfried Kellers grüner Heinrich, wie ihm als schüchternem Adepten die ,,gezackete Eichenmanier“ Und die ,,gerundete Lindenmanier“ nachzubilden schwerfiel. Gottlob hat er nicht auch noch die ,,geschwankige Kastanienmanier“ lernen müssen, die der alte Philipp Hackert als Lehrer in Weimar studieren hieß. Hackert berief sich im Sinne Kants auf „die sittliche Illuston der Landschaft“, und gleich seinem Dresdener Kollegen Klengel anerkannte er nur zwei Möglichkeiten der Landschaftsmalerei, hie Claude, hie Ruysdael. Und doch war er auf der Suche nach seinen sittlichen Motiven mit seinem Bruder Johann in die Campagna gezogen, wo er ,,mit der Feder fertige Umrisse, ausgeführte Zeichnungen und selbst Gemälde ganz nach der Natur vollendet habe“. Selbst Gemälde? In dieser Bemerkung scheint eine ungewöhnliche Ausnahme von der Übung vorzuliegen, da das Malen im Freien noch immer ungebräuchlich war. Aber ein inferiorer, durch Goethes Freundschaft allzuhoch gestellter Handwerker wie Hackert konnte trotz dieser revolutionären Bemerkung, mit der er sich den Franzosen in Rom gegenüber großtun will, vor der Natur im Freien allein sein gewohntes Kompositionsschema bestätigen. In allen Mitteilungen, Briefen und sonstigen Aufzeichnungen, die wir von ihm und anderen Malern besitzen, wird nur gesagt, dass sie im Freien gezeichnet haben. So berichtet Ludwig Emil Grimm, der zu Unrecht übersehene jüngste Bruder Jacobs und Wilhelms, über seine Studien an der Münchener Akademie. Eine gleichzeitige Radierung darf betitelt werden „Unterricht in der Landschaftsmalerei“. Hier ist eine anmutige Gegend mit Höhen und Bäumen dargestellt, in welcher ein Eleve stehend mit Zeichenheft und Zeichenstift das Gelände festzuhalten bemüht ist, während der Lehrer prüfend zusteht. Der Schöpfer dieses Blattes, das für die künstlerischen Anschauungen der Übergangszeit eine vorzügliche Erläuterung gewährt, ist Ferdinand Kobells Sohn, Wilhelm Kobell.

Dieser liebenswürdige Künstler, der in einem langen Leben Winckelmanns Tod und die ersten Weltausstellungen einschließt (1766-1855), hat bei aller Zurückhaltung viel dazu beigetragen, ein nach malerischen Bedingungen allein gestaltendes künstlerisches Sehen anzuregen. Die Beschäftigung mit seinem Werk, das, in Bilder und Radierungen geteilt, Annäherungen traulicher Zwiesprache gestattet, wie sie dem modernen Menschen gegenüber Kobells dekorativ überschwenglichen oder seelisch befangenen Vorgängern niemals möglich sind, gehört zu den erlesensten Genüssen einer im ursprünglichen Sinne romantisch empfindenden Psyche. Das leise Versinken in der beschaulichen Naivität, die den Grundzug der Kobellschen Kunst bildet, gibt den vom Stürmen der Gegenwart erschütterten Nerven ein unbeschreibliches Wohlbehagen, wie bei dem sanften Erklingen einer Haydnschen Melodie. Der genialische Auftrieb ist ihrem Wesen immer fremd geblieben, obgleich der leichte Niederschlag eigenen Sehens und Sehnens gleich einem weichverschwimmenden Hauch über sein Werk gebreitet ist. Die nach anderer Richtung hinüberstrebenden Zeitverhältnisse und die auf königlichen Befehl unter Cornelius geleitete Entwicklung der Münchener Kunst waren schuld, dass Kobell weniger Anerkennung gefunden hat, als er verdient. Höchst beachtenswert ist für die historische Beurteilung seiner Leistungen die Sicherheit seiner Naturbeobachtung. Manche seiner Bilder besitzen Vorzüge, wie sie später an Friedrich und Dahl gerühmt werden. Er hat jedenfalls aus innerem Antrieb und mit strenger Konsequenz den Weg betreten, der abseits der Einschränkungen des Klassizismus in die Freiheit der persönlichen Kompositionsauffassung hinüberführt. Aber es liegt sein Verdienst weit weniger in dem Erreichen von neuen Werten als in dem Vermeiden von Irrtümern, welche seine ausgebrochen realistisch urteilende Wahrheitsliebe ihm vor der Natur zum Bewußtsein gebracht hatte.

Für die Geschichte der Münchener Landschaftsmalerei ist Wilhelm Kobells Erscheinung nicht nur von entwickelungsgeschichtlicher oder typischer Bedeutung. Als er sich entschloß, seinem Vater nach München zu folgen (1793), mußte vielleicht zum ersten und letzten Male in diesem sonst so ruhigen Dasein ein besonders schwerer Entschluss gefasst werden. Denn die Residenz des pfälzischen Karl Theodor bot einwandernden Künstlern nur ein sehr kärgliches Brot, und die einheimische Bevölkerung stand in schärfster Zucht der Geistlichkeit, die künstlerische Freiheit und teuflisches Gebaren gleichstellte. Wie weit die Vorurteile der guten Münchener gingen, beweist die Entfernung einer antiken Statue von Schwanthaler, die als Grabdenkmal allgemeines Ärgernis erregt hatte. Die Bemühungen des Kurfürsten, dem stagnierenden Kunstleben Bewegung zu schaffen durch die Berufung von pfälzer Künstlern nach München, waren trotzdem von höchstem Wert. Denn letztere vermochten in ihrer neuen Heimat sich wider Erwarten rasch zu akklimatisieren, und ihre Tätigkeit gewann durch die glückliche Versetzung in einen neuen Erdboden, in dem anscheinend heimische Gewächse nur kümmerlich fortkamen. Die Kobells sind die Anführer jener langen Reihe von Malern geworden, die nach dem Tode Karl Theodors und dem Übergang des Thrones auf Max Joseph von den Stammlanden des neuen Herrschers nach dessen geänderter Residenz übersiedelten. Wilhelm Kobell traf es vor anderen glücklich, da er in München noch mehrere Jahre an der Seite des Vaters verbringen konnte.

Die Gunst des Geschickes hatte dem jungen Maler eine vorzügliche literarische und künstlerische Erziehung gewährt. Wie es im Kobellschen Elternhause aussah, erfahren wir aus einem der ,,Briefe über Mannheim“ von Sophie La Roche, in dem es heißt: ,,Ferdinand Kobells Physiognomie und sein Betragen geben sogleich den Gedanken ein, daß ihn die Natur selbst zu ihrem Maler bestimmen mußte. Er zeigt sich wie eine offene fruchtbare Landschaft, voll schöner Anhöhen und Felder, mit einem so lebhaft durch-strömenden Fluss, der vor dem Auge des edlen gefühlvollen Mannes verbreitet ist - bei jedem Schritt, den man den Hügel aufwärts geht, vermehrt sich die Anmut und der Reichtum der Gegend . . . Ich saß eine Zeitlang neben der Staffelei dieses Künstlers und sah ihn ganz eigentlich die Blätter eines schönen Birkenbaumes erschaffen, denn sie entfalteten und vermehrten sich jede Minute unter seiner Hand wie unter den Fingern des Frühlings.“ Vater Ferdinand Kobells Kunst wird uns durch diese anschauliche Schilderung sympathisch, auch wenn wir seiner antiquierten, nach holländischen Mustern streng nachgebildeten Graphik sonst nur ein zurückhaltendes Lob spenden können. Aber der alte Kobell besaß vorbildliche Eigenschaften und außergewöhnliche Kenntnisse, die er sich bei längeren Aufenthalten in Paris und namentlich in Rom erworben hatte. Es nimmt fast wunder, die leichte Beweglichkeit des vielgereisten Vaters beim Sohne nicht wiederzufinden. Ferdinand Kobell war einmal mit dem temperamentvollen Freunde Maler Müller bei dem nicht minder lebhaften Heinse in Düsseldorf zusammengetroffen, und zu dieses kunstbegeisterten Trios Ruhme erfahren wir aus einem Brief Heinses an Gleim, daß Kobell sich ihm äußerst zugetan gezeigt habe wegen seiner Verteidigung des Rubens (in Heinses schätzbaren Briefen über Landschaftsmalerei), Müller sei so hoch gesprungen wie der Tisch und hätte vor Freude sich nicht zu fassen gewußt, und wäre immer von neuem in Enthusiasmus ausgebrochen. Diese Erkenntnis stellt Ferdinand Kobells Einsicht ein vorzügliches Zeugnis aus. Es ist wohl denkbar, daß er im Sohne künstlerische Wünsche zu verwirklichen hoffte, die er selbst zu erfüllen nicht kräftig genug war. Wilhelm mußte ebenfalls in Düffeldorf studieren, wo er Wouwerman kopierte, und dann erhielt er ein Stipendium zur Reise nach Rom, deren Nachwirkung jedoch in seinen Bildern nirgends zu bemerken ist.

In Wilhelm Kobells künstlerischer Entwickelung sind drei Perioden zu unterscheiden, die sich rein äußerlich durch den Ubergang vom Jüngling zum Manne und späterhin zum Greis erklären. Jeder dieser Abschnitte ist durch eine andere schematische Auffassung der Bildkomposition für sich abgeschlossen. Die wichtigsten Werke stehen aber völlig außerhalb einer solchen Einteilung. Indem sich Kobells Tätigkeit nach und nach von den holländischen Schlachtenmalern und Kleinmeistern abwandte, gewann sie im stillen Anschluss an ein eifriges Naturstudium eine durchaus realistische intime Landschaftsdarstellung. Während die frühen Arbeiten mit Ausnahme einiger lebhafter Aquarelle, die Kobell stets bevorzugte, von den Bildern des Vaters keinen sehr fühlbaren Abstand nehmen, ergreifen von der Mitte des ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert beginnend namentlich die auf kleinstes Format gebrachten Figurenbilder mit landschaftlichem Hintergrund koloristische und atmosphärische Effekte mit gleich staunenswürdiger Kraft.

Die Frische dieser schon ganz impressionistischen Malerei ist einzigartig, und nur die miniaturhafte Behandlung der Staffage in Proportionen, wie sie fünf Jahrzehnte später Spitzweg auf sein Puppentheater beschwor, zeigt Kobell als ernsthaften Schüler Terborchs. Die einzelnen Helligkeitsstufen der verschiedenen Tageszeiten, das wechselvolle Spiel von Schatten und Licht im Übergang von regnerischer Bewölkung zu heiterem Himmel, ein häufiges Naturschauspiel bei Wanderungen auf der oberbayerischen Hochebene, geben Anlass zu einer emailartig leuchtenden, ganz nach autodidaktischen, pleinairistischen Prinzipien ausgebildeten, in feinster Pinselführung vollendeten Malweise. Sie streift wohl die Grenzen artistischer Glätte, ohne jemals Manier zu werden. Diese Sauberkeit der technischen Ausführung wird dureh eine etwas reichliche Zusammenstellung figürlicher Motive im Vordergrunde, der bühnenhaft belebt erscheinen soll, in keiner Weise behindert. Sie festigt die räumliehe Komposition und erreicht in bewußter Absichtlichkeit schöne koloristische Gruppierungen. Hier kommt also eine ausgesprochen moderne malerische Kultur zu vortrefflicher Geltung, eine Stimmungsmalerei, die, fünfzig Jahre vor Eduard Schleich und Adolf Lier entstanden, sich vor den genannten Künstlern sogar darauf berufen kann, daß sie keinerlei Rücksichten auf Bevorzugung einer ,,schönen Aussicht“ genommen hat. Leider hat Kobell nur sehr wenige fertige größere Landschaften in Öl hinterlassen. Unter diesen darf die Flusslandschaft an der Isar „Pferde bei der Tränke“ aus dem Jahre l819 mit der in lichtem Silbergrau zusammengehaltenen Silhouette der Stadt München im Hintergrunde im Sinne einer modernen Einschätzung das Recht beanspruchen, an die Spitze der Gemälde des Künstlers gestellt zu werden. Denn hier sind die koloristischen Beschränkungen der Staffage fast ganz hinter die landschaftlichen, atmosphärisch gereinigten Naturdarstellungen zurückgesetzt. Damals hatte Kobell schon das fünfzigste Jahr überschritten und seine berühmten Scblachtenbilder gemalt. Er war Lehrer der Landschaftsmalerei an der Akademie geworden, in welcher Stellung er bis zu ihrer Aufhebung durch Cornelius im Jahr l828 verblieb, und genoß die Gnade des Königs Max Josef, der ihn in den Adelsstand erhob. Spätere Genrebilder, wie die Reitergruppe vor einem in der Tiefe des Hintergrundes ruhenden Bergsee vom Jahre 1820, oder die Pendants der Sennerinnen mit Gemsjäger von 1827, die von einer Reihe kleinerer, meist in Privatbesitz versteckter ähnlicher Werke begleitet wurden, sind ebenfalls in der Verbindung koloristischer und pleinairistischer Prinzipien Äußerungen einer persönlichen, mit zunehmendem Alter immer mehr sich bescheidenden Einstellung. Kobells Jagdzüge und Viehtriften vor lichterfüllten, harmonisch sich herabsenkenden, in weite Ferne gedehnten Flächen gehören in ihrer Verwandtschaft zu Krüger zu den feinsten Kabinettstücken deutscher Malerei. Manche Anregung mochte Kobell den vielverbreiteten englischen Farbstichen verdanken. Den höchsten Reiz seiner Kunst bewährt Kobell in kleinen Naturstudien ohne Staffage, die den vielgerühmten Skizzen Wasmanns um lange Jahre vorausgehen. Hier ist es ihm gelungen, seiner tiefen Liebe fur die Natur einen künstlerischen Ausdruck zu geben, der in einer vom ernsthaftesten Realismus gehaltenen Innigkeit des Mitempfindens das Höchstmaß anzeigt, das die Münchener Landschaftsschule in der ersten Hälfte des Jahrhunderts auf dem Gebiet der intimen Landschaft nicht überschritt. Wenn wir auch bei der Betrachtung solcher Werke unwillkürlich des frühen Corot gedenken, so ist doch diese kindlichnaive Auffassung ganz deutsch, ganz romantisch-beweglich, und wir können auf den von Kobell gezeichneten Bildnissen die flüchtige Ähnlichkeit mit der versonnenen Haltung der Romantiker nicht abweisen. Im hohen Alter ist Kobell fast nur als Radierer tätig, und allein eine einzige Miniaturdarstellung eines Knaben mit Pferden, Fluss und Stadt im Hintergrunde (Prinz Luitpold?) von 1835 zeigt noch die Grazie der früheren Jahre.

Seinen Ruf zu Lebzeiten hatte der Künstler nicht durch seine Reiterbilder und Landschaften gewonnen. Der Schlachtenmaler Kobell, ein freier Nachfahre der Wouwerman und Rugendas, erhielt als Teilnehmer der Befreiungskriege große Aufträge, von denen er mehrere als Wandbilder in der Münchener Residenz ausführte. Die ,,Belagerung von Kosel“, das ,,Treffen bei Arcis sur Aube“, der „Kampf bei Poplavei“ sind uns nicht mehr als Erinnerungszeichen kühner Heldentaten bemerkenswert. Auch auf ihnen erkennen wir perspektivische Neuerungen und einen auf das beste bewährten Geschmack, der die uniformierten Massen geschickt anzuordnen wußte. Aber weit rühmenswerter erscheint uns die in zitternden Schein gelöste und doch in strenger rhythmischer Gliederung zum Hintergrund verwendete Landschaft mit Hügeln und Bach, Stadtmauern und Türmen. Die fließende Weichheit der Luft und die neutrale Andeutung des Geländes verbinden sich zu einer atmosphärischen Einheitlichkeit, deren Zurückhaltung den darzustellenden Geschehnissen des Vordergrundes eine fast visionäre Reliefwirkung verleiht. Das „Pferderennen auf der Oktoberwiese“ von l810, Kobells bekanntestes Bild, ist kompositionell noch stärker als die Schlachtenszenen auf den Gegensatz einer peinlich genau gemalten vorderen Bildhälfte zu den luministischen Wirkungen der Mitte und des Hintergrundes gerichtet. Der erhaltene Entwurf zum ,,Oktoberfestrennen“ bestätigt die Wahrnehmung, daß immer noch zeichnerische Bedenken den lebensvollen Bemühungen des Malers sich in den Weg stellten.

Dieser Fehler wandelt sich begreiflicherweise dem Radierer Kobell zum Verdienst. Sobald er die Probleme, die ihn fortgesetzt beschäftigten, graphisch zu lösen bemüht war, vermochte er das wesentliche Hindernis zu beseitigen, das ihn im modernen Sinne von dem letzten ferneren Ziel der Malerei getrennt hat. Nicht als ob Kobell etwa akademisch-zeichnerisch gedacht hätte. Viele seiner Radierungen beweisen das Gegenteil. Aber die unüberwindliche Ehrfurcht für die Wichtigkeit der Zeichnung (des Kontur) band, was er ausführte, ganz unwillkürlich an Linie und Fläche, und letzten Endes sind seine Lichtstudien auf eine systematische Ergründung über den Einfluss der als Naturerscheinungen zufälligen Kontrastwirkungen auf den zum Bild erhobenen realistisch erfassten Landschaftsausschnitt zurückzuführen. Ein leichter spielerischer Zug liegt in dieser Neigung. Er kam wiederum dem Radierer zustatten, der sich nicht scheute, seine Eindrücke skizzenhaft hinzuschreiben, was dem korrekten Maler unzulässig erschien. Daher besitzen jene Radierungen Kobells, die einer mittleren Zeit entstammen - ihre Entstehung fällt zeitlich mit den besten Landschaften und Genreszenen zusammen, um 1820 -, eine hohe Selbständigkeit und mehrfach eine fast moderne Handschrift. Angesichts der eigenartigen Technik dieser Blätter möchte man kaum glauben, daß Kobell eine große Anzahl von Radierungen nach Ruysdael und Both, Everdingen und Claude Lorrain angefertigt hat.

Wilhelm von Kobells Bedeutung ist erst in unserer Zeit erkannt worden. Einer oder der andere stille Liebhaber seiner Kunst war wohl vorhanden, ehe sein Name durch die deutsche Jahrhundertausstellung in Berlin und nachher durch die retrospektive Ausstellung im Münchener Glaspalast 1906 berühmt wurde. Schüchterne Anregungen, die Pinakothek zur Beachtung des Meisters zu veranlassen, wurden zurückgewiesen, und so konnte Alfred Lichtwark die schönsten Studien aus Familienbesitz in seine Hamburger Kunsthalle entführen. Es war schmerzvoll und erfreulich zugleich, Lichtwark auf seinen Wegen in die Münchener Sammlungen Knözinger und Eisenhardt zu begleiten. Der außerordentliche Mann ist der einzige gewesen, der die heute noch fehlende Monographie Kobells gefordert und von Kobells Schlachtenbildern geschrieben hat, ,,Schlachtenbilder von solcher Schönheit und Sachlichkeit, so ohne alles falsche Pathos, Landschaft und Heere so völlig zu einer Einheit verschmelzend, hatte ich noch nie gesehen . . . Sie haben (auf der Ausstellung) München einen der ersten Plätze in der Entwickelungsgeschichte der deutschen Landschaft gesichert. Es wäre einmal zu untersuchen, wie stark sein Einfluss auf die sogenannten Realisten der Münchener Schule gewesen, Peter von Heß, Wagenbauer, Bürkel . . . Keiner von ihnen kommt ihm an Geschlossenheit und Schönheit des Tones gleich.“ So ist Lichtwark zu danken, daß neben Kobell sich die Aufmerksamkeit auch außerhalb Münchens, in dessen Bürgerkreisen er ein von den Großeltern her überkommenes Ansehen nie verloren hat, auf Maximilian Josef Wagenbauer erstreckte.




Handzeichnung. Franz Kobell, Landschaft mit zwei Anglern. 7
Handzeichnung. Wilhelm von Kobell, Bäume in der Ebene. 19
Abb. 2 Wilhelm von Kobell, An der Isar bei München. gegenüber Seite 14
Abb. 3 Wilhelm von Kobell, Drei Jäger zu Pferde. 16
Abb. 4 Wilhelm von Kobell, Starnberg. 16
Abb. 5 Wilhelm von Kobell, Der Künstler bei Freunden im Garten. 17
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Münchener Landschafter im neunzehnten Jahrhundert
04 Abb. 2 Wilhelm von Kobell, An der Isar bei München.

04 Abb. 2 Wilhelm von Kobell, An der Isar bei München.

05 Abb. 3 Wilhelm von Kobell, Drei Jäger zu Pferde.

05 Abb. 3 Wilhelm von Kobell, Drei Jäger zu Pferde.

06 Abb. 4 Wilhelm von Kobell, Starnberg.

06 Abb. 4 Wilhelm von Kobell, Starnberg.

07 Abb. 5 Wilhelm von Kobell, Der Künstler bei Freunden im Garten.

07 Abb. 5 Wilhelm von Kobell, Der Künstler bei Freunden im Garten.

08 Handzeichnung. Wilhelm von Kobell, Bäume in der Ebene.

08 Handzeichnung. Wilhelm von Kobell, Bäume in der Ebene.

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