Die Gesellschaft.

Der Festsaal eines eleganten Privathauses. In der vornehmen Pracht seiner hochmodernen Ausstattung. Bruno Paul, Riemerschmid, van de Velde. Darin in großer Toilette eine glänzende Gesellschaft, Herren und Damen der Geburts- und Finanzaristokratie, der Künstlerwelt, der literarischen Kreise, kurz, das beste, vornehme München. Alles in froher Erwartung, alles geheimnisvoll zischelnd. Jetzt ein Zeichen, die Lichter erlöschen, dann eine Stille, dass man die berühmte Stecknadel hören könnte, die immer zu Boden fallen muss, wenn den Berichterstattern nicht noch ein dümmeres Gleichnis zu Kopf steigt. Auf dem matt erleuchteten Podium erscheint ein Herr, ein großer, eleganter Herr mit spitzem Vollbart und wohlgepflegten Händen. Das ist ein vielgenannter Arzt, der sich mit Hypnose beschäftigt. Deshalb hält er darüber eine Ansprache. In gemessenen Wendungen, mit schönen Bewegungen. Und während er das tut, streicht ein anderer, der den Bauch und das Gesicht eines Managers hat, auf etwas herum. Erst kann man gar nicht erkennen, was das ist, plötzlich aber entwickelt sichs vor den atemlos schauenden Herrschaften. Eine weiße Gestalt, eine Frau mit rollenden Augen und einem ungewöhnlich großen Munde. Gurgelnde Laute stößt sie aus, sie macht kreisförmige Bewegungen mit den Armen und auf einmal fängt sie zu tanzen an. Nach einer Melodie, die einer der in Mode stehenden Komponisten Münchens auf dem weitgeöffneten Bechstein hervorzaubert. „Huuuuh“ tönt es schauervoll über das fröstelnde Parkett. Dort wirds rebellisch auf der ganzen Linie. Visionen erstehen, man glaubt die blutigen Hände der Lady Macbeth, die Gesichte der heiligen Katharina zu sehen, man fühlt die fleischgewordene Tragödie. Und alles im Schlafe hervorgebracht, so viel Kunst, so viel Schönheit, so viel klingende Rhythmen! Ein ewiges Rätsel. Wie ists nur möglich? Die Mitglieder der psychologischen Gesellschaft rücken näher zum Podium, bekannte Maler holen ihre Mappen hervor, und dann kommen die Ärzte. Mit der alleswissenden Amtsmiene, mit Stethoskop und Taschenuhr. Sie untersuchen die aus dem Schlafe jetzt wieder Erwachte, sie stecken die Köpfe zusammen, sie sagen, „es stimmt“. Allgemeine Ekstase, Tags darauf ein Rausch in der Presse, die folgenden Wochen aber eine unwiderruflich letzte Vorstellung nach der andern gegen wahnsinnige Eintrittspreise. Der Manager hypnotisiert kräftig drauf los, bis ihn endlich weitere Verpflichtungen nach auswärts rufen. Diesen folgt er nur ungern. Denn er sagt sich beim Abschied, dass er ein angenehmeres Publikum wohl nirgends mehr finden werde. So eindrucksfähig, so gläubig, so gut.

Die tanzenden Damen waren in der Residenz Ludwigs I. immer vom Glücke begünstigt, seit die neugebackene Gräfin Landsfeld, die ehemalige Lola Montez draußen in der Barerstraße die Geschicke Bayerns mit zierlichen Händen lenkte. Dies unauslöschliche Faktum gab ihnen gewissermaßen eine höhere Weihe, eine erbeingesessene Berechtigung in den Augen der guten Gesellschaft. Die hohe Aristokratie fauchte zwar damals sehr wütend. Eine hergelaufene Person. War sie wirklich Spanierin, war sie Schottin oder gar aus Amerika, diese in Partizipialkonstruktion besungene Geliebte des Königs, diese Megäre, die sich erfrechen wollte, die Morgenröte des Liberalismus an Bayerns tintenklecksartigem Horizont heraufzuführen? Fort mit ihr! Hätte die Dame mit Abels schwarzen Heerscharen regiert, hätte sie diesen Konvertiten in der, durch seine miserable Wirtschaft schwer erschütterten Position noch gefestet, dann brauchte der Ministerpräsident nicht den bekannten Trick mit dem bombastischen Abschiedsbrief zu machen. Die Gräfin Landsfeld wäre als Patrona Bavariae neben der Muttergottes verehrt worden bis an ihr mehr oder minder seliges Ende. Denn die bayrischen Reichsräte sind im Großen und Ganzen so stockklerikal, dass der Papst, im Ver- gleiche zu ihnen gemessen als fanatischer Freigeist zu gelten hat. Sie parlierten im Jahre 1848 ihr gebrochenes Französisch durch die Nase, wie sies heute noch tun, sie sahen damals in Preußen den Erbfeind, wie sie ihn nach 1870 erst recht sahen. Friedrich Wilhelm IV. hatte die Spanierin eigens gesandt, um Bayerns Größe zu ruinieren. Solcher Blödsinn wurde nicht nur beim Sterneckerbräu von alten Triefmäulern, von bigotten Ratschkathln erzählt: die bayrische Aristokratie kolportierte ihn in ihren nüchternen Hotels noch viel eifriger. Und ein besonders gottergebener Graf ließ eigens ein paar Hundert Arme speisen, als das vom leibhaftigen Gottseibeiuns in Gestalt eines preußischen Spions gesandte Schreckengespenst glücklich vertrieben ward.


Immerhin: wie auch Lola hinausflog, wie sie endete — drüben in New-York auf dem Stroh als elende Bettlerin — sie hatte regiert, sie hatte ihre Zunft gehoben. So was war möglich in München. Selbst wenn man massig tanzte. Wie sies getan haben soll. Und so was wird möglich sein, immer wieder. Auch wenn hinterher aufkommt, dass alles ein heilloser Schwindel war. Ganz gleichgültig. Die es in Szene setzen, mögen sich noch so unsterblich blamieren, die angebliche Hypnose mag allen Männern der Wissenschaft als riesige Seifenblase an dem schwerbebrillten Riechorgan platzen: Die gute Gesellschaft ist von ihrer Leidenschaft nicht mehr zu retten. Das hat sie am stärksten in den letzten Jahren bewiesen. Die langweilige Cléo de Merode mit ihrer typisch gewordenen Frisur, die kleine Saharet mit ihren frechen Purzelbäumen, die gespreizte Rita Sachetto — alle wurden jubelnd empfangen, bis zu dem nach Lola größten Phänomen, der in München entdeckten, hochkeuschen Isadora Duncan. Mit der Stupsnase und den nackten Beinen, mit dem ganz kurzen Unterröckchen und der Etepetetewirtschaft. Ein fortwährender Kitzel der Sinne und dabei doch immer die verdammteste Wohlanständigkeit. Also ein Tanz, wie ihn die gute Gesellschaft just brauchte. Zur Anregung in lauschigen Stunden, zur Verkörperung ihres eigenen Bildes, zur Vergötterung Isadoras. Sie durfte alles wagen. Hätte sie wie Lola die Politik aufgegriffen, hätte sie Geschichte getanzt, hätte sie ein paar in Ehren ergraute Minister nach hundertjähriger Tätigkeit zum Teufel gejagt, ja, hätte sie sozialdemokratisch regiert, es wäre ihr anstandslos erlaubt worden. Doch sie blieb keusch, blieb ein anständiges, allgemein geachtetes Mädchen. Wurde sogar in ersten Familien zu Tische geladen, so ausgezeichnet benahm sie sich. So zurückgezogen, so still. Einzige Erholung, dass sie mit ihrem über alles geliebten Bruder spazieren fuhr. Sonst lebte sie nur ihrer großen Kunst und — tanzte. Tanzte in allen Gesten, in allen Drehungen, Strauss, Chopin, Beethoven und, wenn sie irgendwie in Musik gesetzt worden wäre, auch noch die Speisekarte vom Löwenbräukeller.

Also Terpsichore Hand in Hand mit der Frau Musika. Salome ins Pensionathafte übersetzt. Ohne das Haupt des Johannes. Und Herodes in Gestalt eines liebenswürdigen, alten Herrn. Der begeistert Beifall nickt und angenehme Schauer verspürt. Ob bei Isadora oder bei Richard Strauss. Letzterer auch nicht übel. Erstens Münchner, Sohn des stadtbekannten Hofmusikers. Überall liest man von ihm, überall dirigiert er, heute in Madrid, morgen in Paris, übermorgen empfängt ihn der Kaiser oder der Präsident der Vereinig- ten Staaten. Am wichtigtsen aber seine Kühnheit. Und noch mehr die Kühnheit der guten Gesellschaft, das anzusehen. Jawohl. Vor fünfzehn Jahren hätten die Damen noch gebeichtet, wäre ihnen auf einer Reise so etwas zufällig zu Gesichte gekommen. Vor zwei Jahren noch hätten sie sich geweigert, ins Schauspielhaus zu gehen, wo der Wilde'sche Urtext immer noch die Kasse füllt — die Musik verklärt selbst das abgeschlagene Haupt eines Heiligen. Man hat nichts zu denken dabei. Man braucht sich nur in den Fauteuil zu lehnen und nur manchmal mit dem Auge zu blinzeln. Die bequemste aller Künste. Die denkfaulste vom Standpunkt des Genießenden. Somit nach dem Tanze die angenehmste für die Münchner Gesellschaft. Wagner ist schon strapaziös. Hat aber immer noch was zu sagen in München. Und Bayreuth noch viel mehr. Streckt kräftig die Fühlhörner aus, hat alle Fäden in der Hand. Lullt mit trefflicher Regie und den Festspielen die ganze Gesellschaft in ein Meer von schmeichelnden Tönen. Außerdem ist es Modesache; man muss hin, man muss es wenigstens einmal gesehen haben. Wie man auch nicht zurückbleibt, wenn ein allbeliebter Kapellmeister oder ein stümpernder Dilettant aus guter Familie die Nibelungen herunterklimpert. Ist man aber Gegner, gehört man zur Clique der Maßvollen und Geläuterten, brüllt man jeden nieder, der Wagner nur mit dem Hut in der Hand zu kritisieren wagt, dann hört man Beethoven. Aber nur die Quartette, weil die Symphonien viel zu brutal sind. Man langt als Feinschmecker verzückt an die Ohren, wenn eine bestimmte Sängerin in bestimmten Abschnitten bestimmte Lieder vorträgt oder man lässt sich herab, irgend einem Virtuosen Gehör zu schenken, wenn er das Brahmssche Violinkonzert spielt.

Was bleibt noch daneben? Nur Wissenschaft, nichts weiter als strenge, gediegene Wissenschaft. Brahmasam?dsch, in bengalischer Beleuchtung und Aussprache. Brahmosom?dsch hieß die von dem Brahmanen R?m M?han Roy gegründete Sekte zur Hebung des Menschenglücks, die R?m M?han Roys Nachfolger, D?b?ndra N?th T?gore zum reinen Deismus ausbaute, während dessen Nachfolger Keschab Chander S?n die mehr mystische, neue Offenbarung, die New Dispensation brachte, eine kühne Verschmelzung von Hinduismus, Islam und Christentum. Über dieses Thema säuselts im starkbesuchten Salon einer vornehmen Dame. An der Hand von Zahlen wird bewiesen, wie unendlich viel durch dieses System in Indien erreicht wurde. Die Maßigkeit feiert jetzt dorten Triumphe, die Polygamie ist erfreulicherweise im Abnehmen begriffen, die Stellung der Frau ist eine bessere geworden. Alle Damen, die gestern noch bei Madame Magdeleine saßen, vernehmen das mit hoher Befriedigung. Eine von ihnen ist enragierte Anhängerin der Frauenbewegung, eine andere ist Präsidentin des Vereins zur Förderung der Interessen krüppelhafter Kinder, eine dritte leitet die zu wohltätigen Zwecken jedesmal wiederkehrenden Monstretees oder jene Basars, wo zugunsten des mit dem Namen einer bayrischen Prinzessin belegten Spitals verkauft und gedudelt wird. Der Vortrag aber geht weiter. Freilich mit etwas heiserer Stimme. Es ist eben der dritte, den der Herr heute hält. Einer hat der Dämonologie des christlichen Mittelalters gegolten, der andere der Theosophie im Gegensatz zum Mystizismus. Jetzt geht er von der sozialen Seite des Brahmosom?dsch zur Begründung seiner monotheistischen Religionsform über. Die Damen neigen sich nach vorne, die Herren halten die Arme verschränkt. Dazwischen ebenso lautlos ein intelligent aussehender Lohndiener, das Teebrett in der Hand, und die zur Zofe verwandelte Köchin mit dem Gebäck.

Drüben im ausgeräumten Schlafzimmer der freundlichen Wirtin ists nicht minder feierlich wie im Salon. Auch dort lauschen die Gäste mit Interesse. Nur eine Dame, eine stattliche Frau von vierzig Jahren, lehnt sich nach rückwärts. Denn was hinter ihr geflüstert wird, interessiert sie. Das Thema kennt sie ja schon. Alle Welt kennt es. Der Sohn eines hohen Militärs ist mit einer ganz gewöhnlichen Kellnerin abgeschoben. Wohin? Ins Ausland. Und das Schönste, er hat die Person geheiratet. Die ganze Stadt ist voll davon. Die Skandalblätter bringen niederträchtige Artikel. Aber hier im Nebenzimmer ist man noch besser informiert, man kennt alle Details. Die bis zum Wahnsinn gehende Raserei des sehr hochmütigen Vaters, die Entrüstung der königlichen Familie. Und die Ursachen solch entsetzlichen Leichtsinns? Schlechte Lektüre. Der junge Mensch soll Schopenhauer gelesen haben, selbst Nietzsche hat man auf seiner Nachtkommode gefunden. Was man dazu sagt? Die horchende Dame sagt natürlich nichts. Sie schaut mit anscheinender Spannung auf den Vortragenden, sie lässt ihn nicht aus den Augen, sie folgt jeder seiner Bewegungen, sie hebt nach jedem Absatz wie neu erfrischt das stolze Haupt. „Das Geld zu der Auskneiferei hat er gepumpt. So tönts wieder hinter ihr. Und sie horcht immer intensiver. Jede Liebesgeschichte interessiert sie. Sie hat selber ihr Leben genossen ohne Rücksicht auf die Leute; sie freut sich, wenn Andere genießen. Darum wünscht sie im innersten Herzen dem jungen Burschen mit seiner Angebeteten recht glückliche Fahrt.

„Kannst sagen, was du willst, die Baronin . . . . „ So flüstert ein Leutnant und schnalzt mit der Zunge. „Wär' noch eine Todsünd' wert“, antwortet der Andere. Sie kichern beide. Das merkt eine Dame in der Nähe hinter einem Paravant. Deshalb droht sie den Beiden lächelnd mit dem Fächer. Einige von der Gesellschaft drehen sich um. Auch die Baronin. Sie hat gemerkt, dass man sie aufs Korn nahm. „Galt uns“ sagt sie zu ihrem Nachbarn. „Sollen sich beruhigen, habens selber miteinander“ antwortet der. Dann wendet er sich wieder zu dem Vortragenden. Die Baronin aber ist enerviert. Trotzdem der Klatsch nicht zum erstenmal über sie kommt. Sie begreift es nicht, dass man sie nicht endlich in Ruhe lässt. Andere dürfen doch treiben, was sie wollen. Da, gleich vor ihr sitzt eine Dame von fünfzig Jahren oder noch drüber. Man sieht es heute noch, dass sie einmal sehr schön war, man merkt, wie sie sich fühlt, im Vollbesitz erworbener Rechte. Links hat sie den Mann, mit dem sie dreißig Jahre verheiratet ist, rechts hat sie den Liebhaber, mit dem sie neunundzwanzig Jahre ein Verhältnis pflegt. Ihr von Stadt und Gesellschaft genehmigtes Verhältnis. Das einzige, in allen Ehren und Züchten. Eine Sache, an die sich München gewöhnt hat wie an die Existenz der Steuerbehörden oder des Standesamts. Darüber spricht man schon nicht mehr; das ist selbstverständlich. Im Gegenteil. Würde nur peinliches Aufsehen erregen, wenns heute dem noch sehr flott aussehenden Liebhaber einfiele, plötzlich aus dem Dreieck fortzubleiben, oder wenn die sehr reife Frau selbst noch auf exzentrische Gedanken käme. Fast wäre es ihr zuzutrauen. Denn alles an ihr ist noch echt. Nur die Haare sind gefärbt, kastanienbraun im Stile des Cinquecento. Doch das ist nicht ihre Schuld. Das hat einer von jenen getan, die über die Köpfe von Gatten und Liebhaber hinweg den Damen sagen, wie sie sich herzurichten haben, und der Gesellschaft, wie sie sich benehmen soll.

Solche Männer, solche Gewalthaber hat es immer gegeben in München. Wie sie auch auswärts existieren. Nur treten sie dort nicht so charakteristisch in Erscheinung. Sie raten wohl, welche Bilder man kaufen soll, sie erklären, welcher Maler gut oder schlecht ist, aber sie haben nicht diese umfassende Exekutivgewalt. Die geht zur höchsten Stelle, sie umfasst die Politik ebenso wie die Kunst, sie vermittelt zwischen Parteien und Gegensätzen; wenns not tut, zwischen Bayern und Preußen. Mit diplomatischer Gewandtheit, und doch wieder zur rechten Zeit mit bajuwarischen Schimpfworten. Im Fürstensalon wie im Boudoir. Braucht ja gar nicht so ernst gemeint zu sein mit der Grobheit. Sie ist nur die Umgangsformel, die Pose. Muss wirken, muss niederwerfen. Vor allem jeden Gott, der sich daneben auftut. Mag er Wilhelm Leibl heißen und draußen im Aiblinger Moor als geborener Kölner die Bauern malen, wie sie keiner vor ihm gemalt hat, so echt, so international und so bayrisch. Als Troddel muss so ein Herrscher alle andern erklären. Er allein nur regiert. In jeder Abstufung der guten Gesellschaft, von den Kaufleuten an bis zu den Reichsräten. Und nicht zuletzt bei der dazwischen stehenden Kaste jener ausgesucht feinen Kreise, die von Geburt zwar noch bürgerlich, doch schon ein bisschen mit kleinerem Adel vermischt sind. Wo das Familienoberhaupt den Zivilverdienstorden hat, wo der Titel den Ausschlag gibt, wo gemäßigt liberal gewählt wird, wo man für Reformkatholizismus schwärmt, wo man sich nach Möglichkeit günstig verheiratet und mit stärkster Wahrung aller bayrischen Sonderinteressen auch dem Kaiser einen ehrerbietigen Gruß nicht verweigert. Denn man mag über Wilhelm II. sagen, was man will, das Eine - -, jetzt kommt ein entsprechender Nachsatz. Jeder kann ihn sich selbst ausdenken. Genial, hochstrebend, groß: wie er lautet, er findet bei diesen Herrschaften immer Anwendung. Und zwar nicht nur auf den Kaiser, sondern auf jeden, der mit blendenden Mitteln die Nüchternheit eines nach außen und innen streng konservativen Daseins vergoldet.

Somit auch auf den jeweiligen Leiter der guten Gesellschaft. Das war bis vor kurzem kein geringerer als Franz Lenbach. Der beste Kenner aller Münchner. Einer der von vornherein wusste, dass ihr Interesse der Kunst gegenüber ein rein platonisches war. Nur porträtieren ließen sie sich, in Lebensgröße oder in Bruststück. Draußen in der Luisenstraße, gegenüber den Propyläen, wo römische Gartenanlagen den Palazzo des Meisters flankierten. Und nicht nur die Münchner, die ganze Welt kannte diese starke Persönlichkeit, mit ihrer rücksichts- losen Art zu verkehren und auch zu malen. Der Altbayer kat exochen mit dem schlauen, durchdringenden Blick für alles, was ihm in den Weg läuft. Der aber nicht mehr mit den Augen seiner Landsleute sieht — bis zu den Bergen und nie über die Donau hinaus — sondern auf seinen Wanderungen alles in sich aufgenommen hat: Welt, Schule und Menschen. Zu eigenem Zwecke, um im Großen sich dienstbar zu machen, was der Bauer im Kleinen nur kann. Mit einem Worte, das Prachtexemplar von unbezähmbarem Gewaltmenschen. Der nur tyrannisiert, nur über den Stock springen lässt und denen ein paar tüchtige über den Buckel pfeift, die etwa nicht wollen. Dazu war er im Recht. Er fand keinen stärkeren über sich, sondern nur eine Herde ergebener Liebediener, die alle warteten, dass er ihnen eine Gnade erweise. Dafür brutalisierte er sie gehörig, hielt ihnen aber auch zur rechten Zeit wieder ein Zuckerbrot hin. Denn dieser Weitgereiste wusste, dass die Menschheit auch manchmal zu lachen wünscht. Drum gab er ihnen Feste, in einem Meere von Farben und Lichtern. Wo er umgeben war von einem Kranze blendender, schöner Frauen. Von jenen Modellen, die die ganze Welt kannte, die er protegierte wie ein Fürst, die er kleidete, frisierte, die er wie durch besonderes Dekret zur großen Lenbachschen Schönheit beförderte. Ein Renaissancemensch. So hat ihn einmal in öffentlicher Verhandlung Münchens bekanntester Verteidiger, der ebenso geschickte wie witzige Max Bernstein, genannt. Das Wort war schon damals ziemlich verbraucht, weil es jeder Kaffeehausliterat auf sich selber bezog oder auf den, der ihn zu einem solchen machte. Auf Lenbach passte es trotzdem. Weniger auf die Art seiner nicht sehr selbständigen Malweise, sicher aber auf seine Persönlichkeit. Wie ein Mann, der sich aus dem Niedersten emporgearbeitet hatte, kannte er einzig sich selber, wie ein Kondottiere schlug er alles tot, was sich ihm in den Weg stellte, wie ein Großer hat er gelebt, und wie ein ganz Großer ist er gestorben.

Die Münchner Gesellschaft aber ist die in tiefster Trauer Hinterbliebene. Drei Jahre kaum ist der Meister tot, und schon weiß kein Mensch mehr, wer schön ist, und wer nicht. Unetikettiert ziehen die Damen einher, niemand kümmert sich um sie, niemand rubriziert sie, niemand sagt ihnen, wie sie sich anziehen sollen. Fritz August von Kaulbach malt zwar auch schöne Frauen. Er hat Aufträge, dass er sie kaum bewältigen kann, er hat auch eine Villa im römischen Stil. Nicht gerade vor den Propyläen, doch in einem nicht minder klassischen Viertel, gegenüber dem Atelier seines Onkels, des einst so gefeierten Wilhelm von Kaulbach. Auch macht er großes Haus, wies die Gesellschaft verlangt. Trotzdem trennt ihn von Lenbach eine weite Kluft. In der Malerei sowohl wie in der diktatorischen Gewalt des Oberbayern. Also vielleicht Franz von Stuck? Der wäre bei Passau geboren, gibt noch berühmtere Festlichkeiten und hat ein Haus, das, wenn auch nicht römisch, an Geschmack und Eigenart wohl rivalisieren könnte. Aber auch er dürfte der Rechte nicht sein. Zu unbeweglich im Ausdruck, gesichtlich wie sprachlich. Zu viel niederbayrischer Moltke im Gegensatz zur dreinfahrenden Bismarcknatur des Schrobenhausener Meisters. So etwas vererbt sich eben nicht von heute auf morgen. Das fühlt die Münchner Gesellschaft am besten. Sie tastet, sie sucht; am liebsten ließe sie inserieren. Denn einen Führer braucht sie nun mal. Und kanns ein Maler nicht sein, dann ein Anderer. Vielleicht Herr von Possart? Eine Zeitlang schien es, als wollte mans mit ihm probieren. Seine Vorträge, seine Rezitationen sind heute noch eine Zugkraft. Aber die wahre Liebe ists eben doch nicht. Es greift nicht so keck, so tief. Und was an andern Führern noch in der Münchner Kunst lebt, an Spezln, an Mitgliedern der Monumentalbaukommission, so sind das ja im allgemeinen recht tüchtige Gewaltmenschen, aber, so viel sie auch erreichen auf dem Gebiete der Kunst — ihre Erscheinungen wirken zu wenig auf das weibliche Geschlecht, also auf den ausschlaggebenden Teil bei der Besetzung der Führerstelle. Man darf daher für die nächste Zukunft mit Recht gespannt sein. Wer wird diesen wichtigen Posten übernehmen?


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Muenchen.