Die inneren und Betriebsverhältnisse der Meißner Manufaktur 1709 bis 1814
Nachdem die Räumlichkeiten auf der sogenannten Venusbastei (auf der Brühlschen Terrasse) in Dresden sich, alsbald nachdem Böttger die rote Steinzeug- und weiße Porzellanbereitung geglückt war, als ungeeignet und unzureichend zur fabrikmäßigen Herstellung dieser neuen keramischen Produkte erwiesen hatten, wurde von dem Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen Umschau nach einem geeigneteren Platze gehalten und ein solcher in dem Schlosse Albrechtsburg in Meißen gefunden. Die Übersiedelung dorthin wurde schon im Jahre 1709, unmittelbar nach dem Abschlüsse der ersten weißen Porzellanbereitungsversuche beschlossen, ließ sich aber erst ein reichliches Jahr später, am 6. Juni 1710, völlig durchführen. Das Unternehmen hieß jetzt „Porzellan-Manufaktur“, und zu seiner Oberleitung war schon, ehe es nach Meißen übersiedelte, ein Direktorium eingesetzt worden (am 24. Januar 1710), das aus dem Kammerrat M. Nehmitz und dem Kommerzienrat Matthieu bestand; nur die „Administration“ wurde an Böttger übertragen. Das Direktorium, also Nehmitz und Matthieu, behielt auch nach der Übersiedelung nach Meißen seinen ständigen Sitz in Dresden, und selbst Böttger lebte nicht in Meißen, sondern begab sich nur ab und zu dorthin. Seit allem Anfange bestanden zwischen diesem und den beiden Direktoren Meinungsverschiedenheiten, da sich beider Befugnisse nicht streng auseinanderhalten ließen.
Böttger als Administrator stand, da er von Dresden aus den Betrieb leitete, als sein Vertreter der Inspektor Steinbrück, sein Schwager, zur Seite.
Sehr erschwerend auf den Betrieb der Manufaktur wirkte während deren erster, frühester Zeit und auch später noch — man kann ruhig sagen: während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens — die Stellung der „Arkanisten“ (vgl. Anm. 10). In Meißen waren es Leute aller Berufsklassen, die in dieser Stellung gefunden wurden, Bergakademiker, Mathematiker und Alchimisten, oft auch nur einfache Arbeiter, die durch einen Zufall hinter das Geheimnis des „Arcanums“, in diesem Falle der Porzellanmassenzusammensetzung, gekommen waren und nun nicht mehr entlassen werden konnten, weil man fürchten musste, dass sie ihre „geheime Wissenschaft“ nach auswärts verrieten. Mehr als einer von den ersten „Arkanisten“ Meißens war nichts besseres als entweder ein gutbezahlter Nichtstuer oder ein unverlässlicher Großsprecher. Die übrigen Angestellten der Fabrik teilten sich in zwei Klassen, das sogenannte „Weiße Corps“, das die Former, Dreher und Brenner des Werkes umfasste, und das „Maler-Corps“, dem die Künstler der Manufaktur angehörten.
Der Verkauf der fertigen Porzellanwaren, soweit diese nicht von dem Kurfürsten und König für seine Sammlungen, für seinen Hofhalt und zu Geschenkzwecken in Anspruch genommen wurden, erfolgte in den ersten Jahren zur Hauptsache auf den Leipziger Messen. Feste Preise hatten die einzelnen Stücke nicht; der Wert wurde von den Händlern nach Gutdünken bestimmt, die das Porzellan in Leipzig erwarben und nun nach auswärts weiter vertrieben. Seit dem Herbste des Jahres 1714 bestand dann in Dresden eine Niederlage für den freihändigen Verkauf von Meißner Porzellan.
An Arkanisten der ersten Meißner Zeit werden genannt: David Köhler, Joh. Georg Schubert, Samuel Stöltzel oder Steltzel (der 1719 heimlich nach Wien entwich (vgl. Anm. 10), von dort aber mit Höroldt 1720 wieder nach Dresden zurückkehrte) und Chr. Wieden; Dr. W. H. Nehmitz, der ebenfalls den Arkanisten beigezählt wurde, hatte das Brennen und Glasieren zu beaufsichtigen. Die Oberaufsicht über die Gesamtheit der Arkanisten führte Dr. Bartholomäi. Als Modelleure bezl. Former waren in dieser Zeit neben Irminger noch die Töpfer Peter Geitner, Joh. Sam. Gümlich, Georg und Johann Kittel, J. G. Krumbholz, Gottfr. Lohse und Paul Wildenstein tätig; der Zeichnenlehrer Blumenthal, der in den Akten genannt wird, half (nach Berling) wohl weniger bei der Erfindung der Modelle, als vielmehr bei ihrer Dekoration. Für diese Zwecke waren außerdem noch der Lackierer Martin Schnell, der Goldarbeiter Joh. Carl Bahr, der Maler Joh. Chr. Schäffler und der Filigranarbeiter Stefky der Manufaktur zur Hilfe verpflichtet. Zu diesen kamen im Laufe der ersten Periode noch die Maler Jonathan Pappelbaum, Johann David Stechmann und Anshelm Bader. Am Schlüsse der Böttgerschen Administration (im März des Jahres 1719) bestand nach den Aufzeichnungen des Inspektors Steinbrück das gesamte Manufakturpersonal aus 26 Personen, von denen Steinbrück 25 Taler, Dr. Nehmitz 30 Taler und Joh. Gottfr. Mehlhorn (der 1718 nach Meißen berufen worden war, um die bis dahin nur sehr unvollkommen herstellbare blaue Unterglasurfarbe zu verbessern) 20 Taler Lohn erhielt. Die übrigen Angestellten hatten 12, 10, 8, 6 und 4 Taler monatlichen Verdienst.
Nach Böttgers Tode wurde auf Befehl des Kurfürsten und Königs eine dreigliedrige Kommission, bestehend aus den Geheimräten v. Seebach und v. Alemann (dieser wurde sehr bald durch den Vizebergwerksdirektor v. Ponikau ersetzt) und dem Kammerherrn v. Lesgewäng, gebildet, die den Auftrag erhielt, die Verhältnisse in der Fabrik zu untersuchen und Vorschläge zur Beseitigung der vorhandenen Mängel und Unstimmigkeiten zu machen. Die Tätigkeit dieser Kommission war so erfolgreich, dass ihr alsbald die Leitung des gesamten Betriebes übertragen wurde. Damit verlor einerseits der zeitweilig in das Direktorium berufene General-Kronpostmeister v. Holtzbrink, dem auf Befehl Augusts des Starken die Geheimnisse der Porzellanzusammensetzung eröffnet worden waren, und andererseits der bisherige Direktor Kammer- und Bergrat Nehmitz die Anwartschaft auf die Oberleitung über die Fabrik. Steinbrück wurde zum Administrator, Dr. Nehmitz zum technischen Leiter ernannt. Als im Jahre 1729 diese Kommission bis auf ein Mitglied zusammengeschmolzen war, bildete der König ein Kammerkollegium mit seinem Premierminister Grafen Karl Heinrich v. Hoym d. J. an der Spitze. Am 19. Mai 1731 übernahm August II. (der Starke) selbst die Oberleitung dieses Kollegiums, die er mit Hilfe von drei Kommissaren (den Kammer- und Bergräten v. Wichmannshausen und v. Pflugk und dem Meißner Kreisamtmann Fleutner) bis zu seinem Tode (1. Februar 1733) ausübte. Unter seinem Nachfolger August III. vermittelte dessen Kabinettsminister Graf Brühl zwischen dieser Kommission und dem Könige.
Das Personal der Fabrik stieg bis zum Jahre 1730 nur langsam (auf 49), von da an aber infolge der großen Nachfrage nach Meißner Porzellan überraschend schnell; im Jahre 1731 betrug es schon 92, 1733 174, 1734 194, 1740 218, 1745 337 und 1750 378 Mann. Der technische Betrieb wurde in dieser Zeit ganz außerordentlich vervollkommnet; es wurden neue Anlagen zur Bereitung der Porzellanmasse geschaffen, die Brenneinrichtungen verbessert und auch der Absatz dadurch geregelt, dass in Leipzig und Warschau ständige Warenlager eingerichtet wurden. Vortrefflichen Einfluss auf den inneren und äußeren Betrieb der Manufaktur scheint in dieser zweiten Periode der Geheimrat v. Nimptsch gewonnen zu haben, der nach Pflugks Tode auf Befehl des Königs als Mitglied in die Kommission eingetreten war. Er genoss das allgemeine Vertrauen der Angestellten, da er seine Pflichten als Kommissar mit ebensoviel Festigkeit wie Besonnenheit und Güte wahrnahm.
Großen Schaden brachte der zweite schlesische Krieg der Fabrik. Bei dem Einmärsche der Preußen in Sachsen mussten die Arbeiter einstweilen entlassen werden, die Brennöfen wurden zerstört und die Betriebsdirigenten zur Wahrung der Herstellungsgeheimnisse nach Dresden in Sicherheit gebracht. Trotzdem gelang es dem König Friedrich II. von Preußen, sächsische Arbeiter für sich zu gewinnen, ja sogar weiße (Porzellan-) Erde aus Sachsen nach Berlin bringen zu lassen. In unmittelbarer Folge hiervon entstand im Jahre 1751 die Berliner Porzellanfabrik von Wilhelm Caspar Wegely, die allerdings nicht rentierte, daher bald wieder aufgegeben wurde, aber im Jahre 1761 von dem Berliner Bankier Ernst Gotzkowski aufs neue ins Leben gerufen und 1763 von Friedrich dem Großen in eigenen Betrieb übernommen wurde. Auch an anderen Orten entstanden infolge dieser Kriegsstörungen Porzellanfabriken (in Wien hatte der Holländer du Paquier infolge der Gewinnung des Meißner Emailleurs und Vergolders*) Konrad Christoph Unger (oder Hunger), schon im Jahre 1718 eine solche gegründet).
*) Es soll wohl heißen „Goldarbeiter“, da es „Vergolder“, d. h. Porzellanvergolder, um 1718 in Meißen noch gar nicht gab. Missglückte Versuche, das Porzellan mit Gold zu bemalen, beweisen nur, dass die Maler dieser Zeit sich hiermit beschäftigten, aber nicht Erfolge in dem Maße erzielten, dass sie sich „Vergolder“ nennen konnten.
Trotz dieser direkten und indirekten Störungen des Meißner Werkes nahm dieses einen dauernden Aufschwung, wie dies ja schon die mitgeteilten Ziffern über die Vermehrung des Personals ergeben. Dementsprechend vermehrten sich auch die Umsätze; hatte die Geldeinnahme im Jahre 1720, also ein Jahr nach Böttgers Tode, nur 9,694 Taler 20 Gr. betragen, so steigerte sie sich im Jahre 1742 schon auf 82,330 Tlr. 13 Gr. 6 Pfg. und im Jahre 1752 auf 222,560 Thlr. 23 Gr. 9 Pfg. Allein August der Starke entnahm während der Jahre 1725 bis 1733 für 50.846 Taler, August III. während der Jahre 1733 bis 1748 für 516,669 Taler Porzellan.
Über die großen Schädigungen, welche die Manufaktur durch den Siebenjährigen Krieg erlitt, wird an anderer Stelle (vgl. Anm. 20) berichtet.
Aus dem Hauptteile des Buches wissen wir, dass diese Zeit künstlerisch von den Namen Höroldt und Kaendler beherrscht wird; da alle diesen beiden beigegebenen Maler und Modelleure von Bedeutung in den betreffenden Abschnitten genannt worden sind, so erübrigt sich hier eine Wiederholung. Dagegen gewährt eine kurze Betrachtung der in dieser Periode angestellten Arkanisten manche interessante Einzelheit. Da ist zunächst noch einmal der Kommerzienkommissar Joh. Gottfr. Meerheim zu nennen, der gleich Böttger behauptete, das Arcanum zu besitzen, und sich anheischig machte, die kobaltblaue Unterglasurfarbe tadellos herzustellen. Natürlich gelang es ihm nicht, so wenig wie er die zu seiner Zeit (1725) noch recht mangelhafte Beschaffenheit der Masse zu verbessern vermochte. Wohl aber erwirkte er sich durch sein großsprecherisches Wesen eine Jahrespension von 300 Talern. Ferner ist nochmals zu erwähnen der Poliermühleninspektor Johann Georg Mehlhorn, der vom Jahre 1713 bis zum Jahre 1730 in der Fabrik tätig gewesen und dann in Pension gegangen war. Er trat im Jahre 1732 mit der Behauptung auf, eine Masse herstellen zu können, die im Feuer weder schwinde, noch (was bis dahin die Ausführung größerer Stücke unmöglich gemacht hatte) rissig werde; auch habe er einen besseren Brennofen konstruiert. Da Mehlhorn sich rühmte, Miterfinder des Porzellans (was natürlich nicht zutrifft) und Erfinder der blauen Unterglasurfarbe (was ebenfalls unwahr ist, denn Versuche zu ihrer Herstellung waren schon von anderen vor ihm gemacht worden, und seine eigenen diesbezüglichen Arbeiten führten zu nicht viel besseren Ergebnissen als jene) zu sein, so erwirkte auch er eine Erhöhung seiner Pension. Auch Mehlhorn, wie überhaupt alle diejenigen Arbeiter (Fabrikanten genannt), die entweder an der Bereitung der Masse oder der Farben beteiligt waren, war ein unruhiger Geist, welcher der Kommission viel zu schaffen machte. Der mächtige Aufschwung, den die Fabrik unter Höroldt nahm, lockte beinahe täglich Abenteurer nach Meißen, die alle möglichen Kenntnisse der Porzellan- und Farbenbereitung vorspiegelten. So erklärte u. a. ein ehemaliger Lehrling der Dresdner Hofapotheke, Isr. Aug. Schüler, seine Fähigkeit, Masse und Glasur des Porzellans verbessern zu können, und ein Dr. Müller behauptete, eine Erfindung gemacht zu haben, um „allerhand rote Farben unter die Glasur“ zu bringen.
Wie schon erwähnt wurde, geschah nach Augusts des Starken Tode die Vermittlung der Angelegenheiten der Fabrik mit dem Könige (Kurfürst Friedrich August II., als König von Polen August III.) durch dessen Günstling, den Kabinettsminister Grafen. Heinrich v. Brühl (vgl. Anm. 26). Brühl wurde am 17. August 1739 zum Oberdirektor der Fabrik ernannt und der Konferenzminister Graf Hennicke zu seinem Stellvertreter bestellt. Wenn Brühls Regiment über die Fabrik auch strenge war, wenn sie ihm auch nach seinem Belieben zur Befriedigung seiner Porzellanleidenschaft dienen musste, so hatte sie ihm doch auch mancherlei zu danken; er beeinflusste ihre künstlerischen Leistungen aufs nachdrücklichste durch seinen feinen, vielgerühmten Geschmack, und er sorgte dadurch vortrefflich für die Zufriedenheit der Angestellten, dass er mit Gehalts Verbesserungen und Titelverleihungen nicht geizte. In dieser Zeit, dem zweiten Teile der Periode 1720 — 1763. waren als Arkanisten Dr. Petsch, Daniel Gottlieb Schertel und Dr. Schatter (seit 1731) in der Fabrik tätig.
Obgleich man in Meißen nur in ganz unumgänglich notwendigen Fällen zu Entlassungen schritt, so waren solche doch bei der Unzuverlässigkeit der Fabrikanten nicht völlig zu umgehen; auch machten sich, je mehr der Betrieb der Manufaktur sich erweiterte, desto mehr die Versuche bemerkbar, Arbeiter der Fabrik zu heimlichem Entweichen aus ihr zu veranlassen. Die Höchster Fabrik, die im Jahre 1746 gegründet wurde, verdankt ihre Entstehung solch einem davongelaufenen Meißner Angestellten dem Maler Adam Friedrich V. Löwenfinck. Ferner gründete in Kelsterbach am Main 1760 ein Sachse namens Busch eine Fabrik, und aus Mannheim wurde schon 1741 nach Meißen gemeldet, dass der Sachse Elias Vater vorgäbe, Porzellan machen zu können. 1751 soll ein gewisser Bengraf, der erzählte, dass er früher in der Meißner Fabrik tätig gewesen sei, gutes weißes Hartporzellan herzustellen wirklich fähig gewesen sein. Auch von Berlin und Cassel kamen Mitteilungen über Porzellanherstellung nach Meißen; 1742 erbot sich ein Prof. Dr. Joh. Heinrich Pott, die Kunst der Bereitung von Porzellan gegen Entgelt zu lehren. Bei allen diesen Mitteilungen handelt es sich neben großsprecherischen Redereien um mehr oder minder gelungene Versuche der Nachbildung des Meißner Porzellans; als einziger ernsthafter Wettbewerber um Meißens Ruhm scheint in den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts nur die Wiener Manufaktur in Frage zu kommen, in der verschiedene, ehemals in Meißen tätig gewesene Arbeiter und Maler wirkten, u. a. auch als „Obermodellmeister“ der Bildhauer Joh. Christ. Ludwig Lücke, von dem im II. Abschnitt S. 55 ff. die Rede war. Die Drangsale des Siebenjährigen Kriegs legten zeitweise nicht nur den ganzen Betrieb der Manufaktur brach, sondern führten auch im Betriebe selbst zu Übelständen, die dem Weiterbestande des Werkes gefährlich werden konnten. Die Arbeiter klagten über ungerechte Behandlung, und Bestechungen und Begünstigungen führten zum Weggange vieler tüchtiger Leute. Den meisten Abbruch taten dem Unternehmen aber die Wiener Manufaktur, die seit dem Jahre 1744 im Besitze der Kaiserin Maria Theresia war und unter Joseph Wolf v. Rosenfeld (Direktor seit 1758) großen Aufschwung nahm, und die Berliner Fabrik Gotzkowskis, die im Jahre 1763, unmittelbar nach Beendigung des Krieges, von König Friedrich II. von Preußen in eigene Verwaltung genommen worden war. Friedrich, der bisher einer der leidenschaftlichsten Käufer von Meißner Porzellan gewesen war, verbot nunmehr nicht nur dessen Verkauf in ganz Preußen, sondern selbst die Durchfuhr durch sein Land. Hätte sich die Fabrik künstlerisch auf der bisherigen Höhe gehalten, so würde sie trotz dieser Schädigungen von außen her ganz zweifellos alsbald wieder die frühere Bedeutung als geschäftliches Unternehmen gewonnen haben; aber das war trotz Aciers Gewinnung nicht oder doch nur vorübergehend der Fall, verschuldet zunächst durch die Leitung des Unternehmens, die in den Händen des Kommerzienrats Helbig (vgl. Anm. 27) lag und vorläufig auch verblieb. Erst nach dem Tode Augusts III. (5. Okt. 1763), unter der Regierung des hochbegabten, aber kränklichen Kurfürsten Friedrich Christian wurde die Verwaltung von Grund aus geändert. Zwar gehörte Helbig noch eine Zeitlang der Manufakturkommission an, allein der Direktorposten wurde ihm genommen und dem schon erwähnten Geheimrat v. Nimptsch übertragen. Nach dem schnellen Hingange Friedrich Christians (er regierte nur vom 5. Oktober bis zum 17. Dezember 1763) übernahm die Fürsorge für die Manufaktur Prinz Xaver von Sachsen, der Bruder des verstorbenen Kurfürsten und Regent des Landes (bis 1768) während der Minderjährigkeit des Kurprinzen. Seiner energischen Hand hatte die Fabrik viele der Erfolge zu verdanken, die ihr nunmehr wieder für eine kurze Zeit beschieden waren. Er war es, der die Errichtung einer Kunstschule (1764) für die Bildhauer und Maler der Fabrik befahl, eine Einrichtung, die mindestens das Verdienst hatte, den künstlerischen Sinn der bildnerischen Manufakturangestellten zu beleben; seinen Anregungen wohl ist es ferner zuzuschreiben, dass Meißner Künstler und Beamte nach Wien, Paris und den Niederlanden gesandt wurden, teils um neue Techniken zu erforschen, künstlerische Anregungen zu gewinnen und bedeutende Künstler (z. B. Acier) nach Meißen zu ziehen, teils um die Gründe für das Nachlassen der Kauflust von Meißner Porzellan ausfindig zu machen. Von den Arkanisten dieser Zeit ist als der tüchtigste der Bergrat Dr. C.W. Pörner zu nennen, außerdem der Arkanist Walther, der durch den Versuch, Seilitzer statt Schnorrsche Erde zu verwenden, der Manufaktur vorübergehend schweren Schaden zufügte (vgl. S. 136).
Als der im Jahre 1768 großjährig gewordene Kurprinz (Kurfürst Friedrich August III., der nachmalige erste Sachsenkönig Friedrich August I., der Gerechte) die Regierung des Landes übernahm, ließ der unter der Regentschaft des Prinzen Xaver wahrnehmbar gewesene Aufschwung der Manufaktur mählich wieder nach, allerdings nicht deshalb allein, weil der junge Kurfürst der Unternehmung nicht das große persönliche Interesse entgegenbrachte wie sein Onkel, sondern vornehmlich wohl wegen der künstlerischen Stagnation, die trotz Aciers Tätigkeit eingetreten war, und wegen der starken Konkurrenz, unter der Meißen, hauptsächlich durch die Manufakturen von Sèvres, Wien und Wedgwood, aber auch durch die vielen anderen wie Pilze aus der Erde hervorschießenden in- und ausländischen Porzellanfabriken zu leiden hatte. Zu dem Verbote Preußens, Meißner Porzellan innerhalb seiner Grenzen zu verkaufen, kamen jetzt gleiche Verbote Österreichs, Dänemarks, Schwedens und Portugals, während andere Länder, z. B. Frankreich, England, Rußland und Spanien, es mit so hohen Eingangszöllen (bis zu sechzig Prozent) belegten, dass dies völliger Einfuhrverhinderung gleichkam. Wurde durch solche Maßregeln der Absatz der wertvollen Stücke fast ganz unterbunden, so litt derjenige der billigen Gebrauchsporzellane ganz außerordentlich durch die thüringischen Fabriken von Gebrauchsporzellan, welche die Meißner Marke, die Kurschwerter, durch dieser ähnliche Zeichen nachbildeten und so das Publikum über die Herkunft des angebotenen Porzellans zu täuschen wußten. In dieser Zeit immer größer werdenden Rückgangs der Manufaktur übernahm deren Leitung (am 20. August 1774) der Günstling Friedrich Augusts III. Graf Camillo Marcolini. Mit großem Eifer nahm er sich der Angelegenheiten der Manufaktur an, freilich ohne dass es ihm in nachhaltiger Weise gelungen wäre, die Verhältnisse der Fabrik zu heben. Eine der ersten Aufgaben, denen Marcolini sich unterzog, war die Veranstaltung einer Untersuchung über die Betriebsverhältnisse der Fabrik. Sie führte zu dem Ergebnisse, dass das Werk mit einer jährlichen Unterbilanz von wenigstens 50,000 Talern arbeitete, wenn der Betrieb in der seitherigen Weise weitergeführt werde. Denn einer Ausgabe von monatlich etwa 12,000 Talern stand eine Einnahme von nur 7,000 — 8,000 Talern gegenüber. Graf Marcolini schlug zur Verbesserung der Verhältnisse vor, entweder 150 Personen des Unternehmens zu entlassen oder der Fabrik einen monatlichen Zuschuss von 4,000 — 5,000 Talern zu gewähren oder endlich die Besoldungen, Taxen und Pensionen von ihrer gegenwärtigen Höhe herabzusetzen. Der dritte Vorschlag wurde schließlich angenommen und durch Reskript vom 13. Januar 1776 zum Beschluss erhoben. Der Konkurrenz der thüringischen Fabriken suchte man dadurch zu begegnen, dass man durch ein „Generale“ vom 3. Oktober 1775 den Verkauf derjenigen Porzellane in Sachsen untersagte, die ein den Kurschwertern ähnliches Fabrikzeichen hatten. Im Jahre 1779 wurde diese Verordnung dann noch dahin erweitert, dass auch Porzellane, die überhaupt kein Fabrikzeichen trugen, in Sachsen nicht verkauft werden durften. Marcolini hatte den Wunsch, in gleicher Weise die ausländischen Fayencen behandelt zu sehen, auch die Durchfuhr von Porzellan durch Sachsen verhindert zu wissen; allein zu diesen Schutzmaßregeln für die heimische Porzellanerzeugung verstand sich Friedrich August III. aus dem leichtbegreiflichen Grunde nicht, dass sie zu Gegenmaßregeln führen könnten, die noch größeren Schaden brachten.
Schon im Jahre 1765 hatte man damit begonnen, die durch übereilte Personalvermehrungen entstandenen übergroßen Porzellanvorräte dadurch schnell zu vermindern, dass man sie ins Ausland, nach St. Petersburg, Amsterdam, Konstantinopel usw. sandte, um sie dort durch Versteigerungen absetzen zu lassen. Solche Versteigerungen hätten Zweck gehabt, wenn man sie nur zur Unterstützung des regelmäßigen Absatzes veranstaltet hätte. Aber man stützte verkehrterweise zeitweilig auf sie den Absatz bestimmter Waren überhaupt. Die übermäßige Ausdehnung der Versteigerungen musste schließlich mehr schaden als nützen und tat dies auch in dem Maße, dass das Direktorium in durchaus richtiger Erkenntnis dieser Sachlage am 6. Oktober 1775 eine Verordnung zur Einschränkung der Versteigerungen erließ. Aber wie fest diese Art des Warenvertriebes in dieser Zeit Fuß in der Manufaktur gefaßt hatte, erhellt aus der Tatsache, dass in demselben Jahre trotz jener Verordnung nicht weniger als 385 Kisten mit Porzellan auf einmal zu Versteigerungszwecken ins Ausland versendet wurden. Das ungewöhnlichste Mittel zur Vergrößerung des Umsatzes, zugleich allerdings auch zur Verminderung übermäßig starker älterer Warenbestände, wurde übrigens im Jahre 1790 auf Vorschlag des damaligen Kommissarius, Bergrat Pörner, angewendet. Durch einen vom 9. August 1790 datierten Befehl wurde nämlich diesem die Erlaubnis zur Veranstaltung von drei Porzellanlotterien erteilt, deren Urheber er allerdings selbst war, für die aber, als Gewähr den Käufern der Lose gegenüber, die Porzellanmanufaktur zu Meißen als Unternehmerin genannt werden durfte, und wozu die benötigten Waren von dieser dem Bergrat Pörner mit 12½ bezl. 25 % Nachlaß überlassen wurden. Durch diese drei Lotterien wurden für 50,000 bis 60,000 Taler zumeist ältere Porzellane so günstig losgeschlagen, dass der Fabrikkasse ein nicht unbeträchtlicher Gewinn erwuchs. Pörner freilich erlitt durch die Lotterie persönlich keinen Vorteil, sondern Nachteil, da er nicht alle Lose abzusetzen vermochte.
Die besten Geschäfte machte die Manufaktur während des ersten Teiles der Marcolinizeit mit Rußland, wo ganz bestimmte Sorten von Meißner Porzellan sehr beliebt waren. Es waren dies nach Böhmert*) gelblich und braun (d. h. mit Goldbrennfarben) glasierte und zugleich blau gemalte Kaffee- und Teeservice, vorzüglich Tassen, außerdem Blumenmalereien und Teller mit brauner Dekorierung. Die Nachfrage nach diesen Porzellanen (es wurden zuweilen Bestellungen bis zu 40,000 Talern an Wert auf einmal gemacht) war besonders vom Jahre 1796 an so stark, dass die Fabrik genötigt war, Sonntags- und. Feierstundenarbeit leisten zu lassen. Das Einfuhrverbot von Meißner Porzellan, das Rußland im Jahre 1806 erließ, machte diesem bedeutsamen Absätze jäh ein Ende und trug wesentlich zu dem großen Rückschlag bei, der sich seit dieser Zeit im auswärtigen Handel Meißens geltend machte. Hatte die Manufaktur im Jahre 1805 noch einen Gesamtumsatz von 155,964 Tlrn. 18 Gr. gehabt, so fiel er im Jahre 1806 auf 132,186 Tlr. 5 Gr. i Pfg. und im folgenden Jahre gar auf 65,620 Tlr. 22 Gr. i Pfg.; im Jahre 1810 betrug er nur noch 50,926 Tlr. 11 Gr. 3 Pfg. und sank so weiter, bis er im Jahre 1813 auf seinem tiefsten Stande, 24,378 Tlr. 15 Gr. 4 Pfg., anlangte.
*) Böhmert, Viktor, „Urkundliche Geschichte und Statistik der Meißner Porzellanmanufaktur von 1710 bis 1880 mit besonderer Rücksicht auf die Betriebs-, Lohn- und Kassenverhältnisse. Zeitschrift des Königl. Sachs. Statistischen Bureaus. 26. Jahrg. 1880. S. 44ff.
Infolge der Marcolinischen Änderungen der Betriebsverhältnisse der Fabrik, wie auch dadurch, dass in Cassel und Spa neue Warenlager eröffnet worden waren, hob sich erstens der Umsatz wieder ein wenig und besserten sich auch hinsichtlich der Ausgaben die Verhältnisse, sodass die Besoldungen der Angestellten wieder erhöht werden konnten. Aber von Dauer war diese Aufwärtsbewegung nicht. Schon im Jahre 1788 verstärkten sich die Nöte der Fabrik wieder und wurden endlich so groß, dass Marcolini 1790 um einen Zuschuss von 3,000 Tlrn. und einen Vorschuss von 9,000 Tlrn. bitten musste. Aber auch hierdurch ließ sich der Rückgang des Unternehmens nicht aufhalten. Schließlich, am 4. Juli 1799, erbat Marcolini in der Überzeugung von der Nutzlosigkeit aller weiteren Bemühungen um das dem völligen Untergänge entgegengehende Werk seine Entlassung aus der Stellung des Oberdirektors der Fabrik. Die Entlassung wurde vom Kurfürsten nicht genehmigt, und so wirtschaftete denn Marcolini weiter, so gut es eben gehen wollte. Kleinen Erfolgen folgten immer wieder größere Misserfolge. Während der Jahre 1804 — 1806 z. B. verbesserten sich die Verhältnisse zeitweilig, um dann im Jahre 1807 wieder schlechter zu werden und nun anhaltend weiter dermaßen zu sinken, dass im Jahre 1810 die Arbeit ganz eingestellt wurde. Diese Maßregel konnte allerdings wegen zu befürchtender Unruhen unter den Arbeitern des Werkes nicht allzu lange aufrechterhalten werden. So griff man nun wieder zu anderen Maßregeln, um den Stand der Fabrik zu verbessern. Man setzte die bereits im Jahre 1790 reduzierten Preise noch weiter herab, gestattete auch den Verkauf unbemalten Porzellans, eine Maßnahme, die zu neuen Schädigungen des Unternehmens führen musste und auch geführt hat. Denn sehr mit Recht war durch ein „Generale“ vom 27. August 1761 der Vertrieb unbemalten Meißner Porzellans verboten worden. Am 1. Januar 1814 nahm Marcolini schließlich doch seine Entlassung (er starb bald darauf, am 10. Juli 1814, in Prag), nachdem er trotz sparsamster Wirtschaft und unendlicher Mühen zur Erhaltung des Rufes Meißens eine Schuldenlast des Werkes gegenüber der kurfürstlichen Privatschatulle im Betrage von 325000 Talern nach Berling, nach Böhmert sogar von 410000 Talern an Vor- und Zuschüssen hinterlassen hatte.
Über die Ursachen dieses eminenten Verfalles des Werkes seit dem Siebenjährigen Kriege ist schon gesprochen worden; es ist aber trotzdem interessant, noch das Zeugnis desjenigen Mannes kennen zu lernen, dem es in der Folge gelingen sollte, die Meißner Manufaktur, wenn auch nicht wieder zu ihrem einstigen Glänze zu erheben, so doch sie zu geordneten, ihren Weiterbestand verbürgenden Verhältnissen zurückzuführen. Es war dies der nachmalige Direktor der Manufaktur (seit 1833), Geh. Bergrat H. G. Kühn, der seit dem Jahre 1814 als Inspektor, d. h. als Vorsteher des technischen Betriebes des Werkes tätig war. Er hat im Jahre 1828 auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Akten eine sehr zuverlässig geschriebene „Geschichte der Kgl. S. Porzellan-Manufaktur zu Meißen“ verfaßt, in der es von den Verhältnissen in der Manufaktur während der Zeit von 1774 — 1807 (also dem ersten Teile der Marcoliniperiode) folgendermaßen heißt:
„Die bestehenden Einrichtungen und insbesondere auch die Verfassung des Arcani gelangten zu einem solchen Grade legaler Stabilität, dass dadurch aller Antrieb zu Verbesserung der Fabrikation zu erlöschen und eine völlige Apathie dafür einzutreten anfing. Gerade in einer Periode, wo man aller Orten gewaltige Fortschritte in der Technik machte, wurde bei der Meißner Manufactur fast gar nichts darin geleistet, sondern vielmehr das angenommene Beharrungssystem nach und nach sogar auf den artistischen Betrieb und zwar in einem solchen Grade ausgedehnt, dass am Schlüsse dieser Periode und in den folgenden Jahren sowohl Formen als Malereien aus einer weit früheren Zeit herzustammen schienen. Von Seiten der Direktion geschah zu wenig, um das Übel aus dem Grunde heilen zu können. In der Hauptsache blieb es beim alten und unter den Arkanisten derjenige der angesehenste, welcher am besten verstand, sein ganzes Thun in ein geheimnisvolles Dunkel zu hüllen, ohne vielleicht irgend etwas zu wissen, dessen Mitteilung der Mühe gelohnt hätte . . . Die Manufactur rückte unaufhaltsam ihrem Verfalle entgegen.“
Und von dem zweiten Teile der Marcolinizeit, also dem unkünstlerischen und unlohnenden Betriebe in den Jahren 1807 — 1813, sagt Kühn an anderer Stelle seines Werkes:
„Ein im Innersten zerrütteter Betrieb des Technischen, ein durch schlechte Leitung und willkürliche Behandlung und den Einfluss des Arcani großentheils demoralisiertes, an Faulheit gewöhntes, zur heimlichen Insubordination geneigtes Personal der chemisch-technischen Branchen, ein veraltetes Formenwesen, ein mit wenigen Ausnahmen wahrem Sinn für Kunst und einer freien, echt künstlerischen Behandlung der Malerei entfremdetes, im besten Falle doch irregeleitetes, an ein mühsames Auspinseln gewöhntes Malercorps, ein großer Warenvorrat, der jedoch im regelmäßigen Verkaufe kaum Nachfrage mehr fand, und ein zerrütteter, man kann sagen ein vernichteter Debit waren die Materialien, welche der Periode nach Marcolini überliefert wurden, um unter den ungünstigsten äußeren Verhältnissen ein neues Gebäude damit aufzuführen.“
Ohne dass auf die nach Marcolini fallende Zeit des näheren einzugehen wäre, darf doch ganz im allgemeinen gesagt werden, dass die Fabrik, namentlich nachdem im Jahre 1833 der tatkräftige Inspektor Kühn die Leitung des Werkes übernahm, technisch und wirtschaftlich sich ganz außerordentlich entwickelte. Nicht nur hob Kühn die Geheimniskrämerei mit dem „Arcanum“ auf, die allzu lange als Hemmschuh aller freieren technischen Entwicklung mit herumgeschleppt worden war, sondern er verbesserte auch das Brennwesen durch die Einführung neuer, sogenannter Etagenbrennöfen, er kam ferner zu einer neuen wohlfeilen Vergoldungsart des Porzellans, der sogenannten Glanzvergoldung, und schließlich wurde unter seiner Leitung auch die Umänderung der bisher mit Holz gefeuerten in mit Kohle gespeiste Brennöfen vollzogen.
Am Schlusse dieser Betrachtung der inneren und Betriebsverhältnisse der Meißner Manufaktur mag noch erwähnt sein, dass sie mit dem im Jahre 1830 erfolgten Eintritt Sachsens in die Reihe der konstitutionellen Staaten, mit dem eine Trennung des Hofhaushaltes von den Staatsfinanzen verbunden war, aus dem bisherigen Besitz der Krone in den des Staates überging. Diese Umwandlung des Werkes in einen Teil des werbenden Staatsvermögens würde den Eingang der Manufaktur nach sich gezogen haben, wenn diese wie bisher in die Kapitel der Zuschüsse statt der Überschüsse hätte gestellt werden müssen. Aber die Begründung des deutschen Zollvereins im Jahre 1834, die ein ungeahntes Aufblühen der gesamten sächsischen Industrie nach sich zog, beeinflusste auch die Lage der Meißner Porzellanmanufaktur aufs günstigste; seit diesem Jahre sind, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, fortgesetzt Überschüsse, oft in bedeutender Höhe, an die Staatskasse abgeliefert worden.
Böttger als Administrator stand, da er von Dresden aus den Betrieb leitete, als sein Vertreter der Inspektor Steinbrück, sein Schwager, zur Seite.
Sehr erschwerend auf den Betrieb der Manufaktur wirkte während deren erster, frühester Zeit und auch später noch — man kann ruhig sagen: während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens — die Stellung der „Arkanisten“ (vgl. Anm. 10). In Meißen waren es Leute aller Berufsklassen, die in dieser Stellung gefunden wurden, Bergakademiker, Mathematiker und Alchimisten, oft auch nur einfache Arbeiter, die durch einen Zufall hinter das Geheimnis des „Arcanums“, in diesem Falle der Porzellanmassenzusammensetzung, gekommen waren und nun nicht mehr entlassen werden konnten, weil man fürchten musste, dass sie ihre „geheime Wissenschaft“ nach auswärts verrieten. Mehr als einer von den ersten „Arkanisten“ Meißens war nichts besseres als entweder ein gutbezahlter Nichtstuer oder ein unverlässlicher Großsprecher. Die übrigen Angestellten der Fabrik teilten sich in zwei Klassen, das sogenannte „Weiße Corps“, das die Former, Dreher und Brenner des Werkes umfasste, und das „Maler-Corps“, dem die Künstler der Manufaktur angehörten.
Der Verkauf der fertigen Porzellanwaren, soweit diese nicht von dem Kurfürsten und König für seine Sammlungen, für seinen Hofhalt und zu Geschenkzwecken in Anspruch genommen wurden, erfolgte in den ersten Jahren zur Hauptsache auf den Leipziger Messen. Feste Preise hatten die einzelnen Stücke nicht; der Wert wurde von den Händlern nach Gutdünken bestimmt, die das Porzellan in Leipzig erwarben und nun nach auswärts weiter vertrieben. Seit dem Herbste des Jahres 1714 bestand dann in Dresden eine Niederlage für den freihändigen Verkauf von Meißner Porzellan.
An Arkanisten der ersten Meißner Zeit werden genannt: David Köhler, Joh. Georg Schubert, Samuel Stöltzel oder Steltzel (der 1719 heimlich nach Wien entwich (vgl. Anm. 10), von dort aber mit Höroldt 1720 wieder nach Dresden zurückkehrte) und Chr. Wieden; Dr. W. H. Nehmitz, der ebenfalls den Arkanisten beigezählt wurde, hatte das Brennen und Glasieren zu beaufsichtigen. Die Oberaufsicht über die Gesamtheit der Arkanisten führte Dr. Bartholomäi. Als Modelleure bezl. Former waren in dieser Zeit neben Irminger noch die Töpfer Peter Geitner, Joh. Sam. Gümlich, Georg und Johann Kittel, J. G. Krumbholz, Gottfr. Lohse und Paul Wildenstein tätig; der Zeichnenlehrer Blumenthal, der in den Akten genannt wird, half (nach Berling) wohl weniger bei der Erfindung der Modelle, als vielmehr bei ihrer Dekoration. Für diese Zwecke waren außerdem noch der Lackierer Martin Schnell, der Goldarbeiter Joh. Carl Bahr, der Maler Joh. Chr. Schäffler und der Filigranarbeiter Stefky der Manufaktur zur Hilfe verpflichtet. Zu diesen kamen im Laufe der ersten Periode noch die Maler Jonathan Pappelbaum, Johann David Stechmann und Anshelm Bader. Am Schlüsse der Böttgerschen Administration (im März des Jahres 1719) bestand nach den Aufzeichnungen des Inspektors Steinbrück das gesamte Manufakturpersonal aus 26 Personen, von denen Steinbrück 25 Taler, Dr. Nehmitz 30 Taler und Joh. Gottfr. Mehlhorn (der 1718 nach Meißen berufen worden war, um die bis dahin nur sehr unvollkommen herstellbare blaue Unterglasurfarbe zu verbessern) 20 Taler Lohn erhielt. Die übrigen Angestellten hatten 12, 10, 8, 6 und 4 Taler monatlichen Verdienst.
Nach Böttgers Tode wurde auf Befehl des Kurfürsten und Königs eine dreigliedrige Kommission, bestehend aus den Geheimräten v. Seebach und v. Alemann (dieser wurde sehr bald durch den Vizebergwerksdirektor v. Ponikau ersetzt) und dem Kammerherrn v. Lesgewäng, gebildet, die den Auftrag erhielt, die Verhältnisse in der Fabrik zu untersuchen und Vorschläge zur Beseitigung der vorhandenen Mängel und Unstimmigkeiten zu machen. Die Tätigkeit dieser Kommission war so erfolgreich, dass ihr alsbald die Leitung des gesamten Betriebes übertragen wurde. Damit verlor einerseits der zeitweilig in das Direktorium berufene General-Kronpostmeister v. Holtzbrink, dem auf Befehl Augusts des Starken die Geheimnisse der Porzellanzusammensetzung eröffnet worden waren, und andererseits der bisherige Direktor Kammer- und Bergrat Nehmitz die Anwartschaft auf die Oberleitung über die Fabrik. Steinbrück wurde zum Administrator, Dr. Nehmitz zum technischen Leiter ernannt. Als im Jahre 1729 diese Kommission bis auf ein Mitglied zusammengeschmolzen war, bildete der König ein Kammerkollegium mit seinem Premierminister Grafen Karl Heinrich v. Hoym d. J. an der Spitze. Am 19. Mai 1731 übernahm August II. (der Starke) selbst die Oberleitung dieses Kollegiums, die er mit Hilfe von drei Kommissaren (den Kammer- und Bergräten v. Wichmannshausen und v. Pflugk und dem Meißner Kreisamtmann Fleutner) bis zu seinem Tode (1. Februar 1733) ausübte. Unter seinem Nachfolger August III. vermittelte dessen Kabinettsminister Graf Brühl zwischen dieser Kommission und dem Könige.
Das Personal der Fabrik stieg bis zum Jahre 1730 nur langsam (auf 49), von da an aber infolge der großen Nachfrage nach Meißner Porzellan überraschend schnell; im Jahre 1731 betrug es schon 92, 1733 174, 1734 194, 1740 218, 1745 337 und 1750 378 Mann. Der technische Betrieb wurde in dieser Zeit ganz außerordentlich vervollkommnet; es wurden neue Anlagen zur Bereitung der Porzellanmasse geschaffen, die Brenneinrichtungen verbessert und auch der Absatz dadurch geregelt, dass in Leipzig und Warschau ständige Warenlager eingerichtet wurden. Vortrefflichen Einfluss auf den inneren und äußeren Betrieb der Manufaktur scheint in dieser zweiten Periode der Geheimrat v. Nimptsch gewonnen zu haben, der nach Pflugks Tode auf Befehl des Königs als Mitglied in die Kommission eingetreten war. Er genoss das allgemeine Vertrauen der Angestellten, da er seine Pflichten als Kommissar mit ebensoviel Festigkeit wie Besonnenheit und Güte wahrnahm.
Großen Schaden brachte der zweite schlesische Krieg der Fabrik. Bei dem Einmärsche der Preußen in Sachsen mussten die Arbeiter einstweilen entlassen werden, die Brennöfen wurden zerstört und die Betriebsdirigenten zur Wahrung der Herstellungsgeheimnisse nach Dresden in Sicherheit gebracht. Trotzdem gelang es dem König Friedrich II. von Preußen, sächsische Arbeiter für sich zu gewinnen, ja sogar weiße (Porzellan-) Erde aus Sachsen nach Berlin bringen zu lassen. In unmittelbarer Folge hiervon entstand im Jahre 1751 die Berliner Porzellanfabrik von Wilhelm Caspar Wegely, die allerdings nicht rentierte, daher bald wieder aufgegeben wurde, aber im Jahre 1761 von dem Berliner Bankier Ernst Gotzkowski aufs neue ins Leben gerufen und 1763 von Friedrich dem Großen in eigenen Betrieb übernommen wurde. Auch an anderen Orten entstanden infolge dieser Kriegsstörungen Porzellanfabriken (in Wien hatte der Holländer du Paquier infolge der Gewinnung des Meißner Emailleurs und Vergolders*) Konrad Christoph Unger (oder Hunger), schon im Jahre 1718 eine solche gegründet).
*) Es soll wohl heißen „Goldarbeiter“, da es „Vergolder“, d. h. Porzellanvergolder, um 1718 in Meißen noch gar nicht gab. Missglückte Versuche, das Porzellan mit Gold zu bemalen, beweisen nur, dass die Maler dieser Zeit sich hiermit beschäftigten, aber nicht Erfolge in dem Maße erzielten, dass sie sich „Vergolder“ nennen konnten.
Trotz dieser direkten und indirekten Störungen des Meißner Werkes nahm dieses einen dauernden Aufschwung, wie dies ja schon die mitgeteilten Ziffern über die Vermehrung des Personals ergeben. Dementsprechend vermehrten sich auch die Umsätze; hatte die Geldeinnahme im Jahre 1720, also ein Jahr nach Böttgers Tode, nur 9,694 Taler 20 Gr. betragen, so steigerte sie sich im Jahre 1742 schon auf 82,330 Tlr. 13 Gr. 6 Pfg. und im Jahre 1752 auf 222,560 Thlr. 23 Gr. 9 Pfg. Allein August der Starke entnahm während der Jahre 1725 bis 1733 für 50.846 Taler, August III. während der Jahre 1733 bis 1748 für 516,669 Taler Porzellan.
Über die großen Schädigungen, welche die Manufaktur durch den Siebenjährigen Krieg erlitt, wird an anderer Stelle (vgl. Anm. 20) berichtet.
Aus dem Hauptteile des Buches wissen wir, dass diese Zeit künstlerisch von den Namen Höroldt und Kaendler beherrscht wird; da alle diesen beiden beigegebenen Maler und Modelleure von Bedeutung in den betreffenden Abschnitten genannt worden sind, so erübrigt sich hier eine Wiederholung. Dagegen gewährt eine kurze Betrachtung der in dieser Periode angestellten Arkanisten manche interessante Einzelheit. Da ist zunächst noch einmal der Kommerzienkommissar Joh. Gottfr. Meerheim zu nennen, der gleich Böttger behauptete, das Arcanum zu besitzen, und sich anheischig machte, die kobaltblaue Unterglasurfarbe tadellos herzustellen. Natürlich gelang es ihm nicht, so wenig wie er die zu seiner Zeit (1725) noch recht mangelhafte Beschaffenheit der Masse zu verbessern vermochte. Wohl aber erwirkte er sich durch sein großsprecherisches Wesen eine Jahrespension von 300 Talern. Ferner ist nochmals zu erwähnen der Poliermühleninspektor Johann Georg Mehlhorn, der vom Jahre 1713 bis zum Jahre 1730 in der Fabrik tätig gewesen und dann in Pension gegangen war. Er trat im Jahre 1732 mit der Behauptung auf, eine Masse herstellen zu können, die im Feuer weder schwinde, noch (was bis dahin die Ausführung größerer Stücke unmöglich gemacht hatte) rissig werde; auch habe er einen besseren Brennofen konstruiert. Da Mehlhorn sich rühmte, Miterfinder des Porzellans (was natürlich nicht zutrifft) und Erfinder der blauen Unterglasurfarbe (was ebenfalls unwahr ist, denn Versuche zu ihrer Herstellung waren schon von anderen vor ihm gemacht worden, und seine eigenen diesbezüglichen Arbeiten führten zu nicht viel besseren Ergebnissen als jene) zu sein, so erwirkte auch er eine Erhöhung seiner Pension. Auch Mehlhorn, wie überhaupt alle diejenigen Arbeiter (Fabrikanten genannt), die entweder an der Bereitung der Masse oder der Farben beteiligt waren, war ein unruhiger Geist, welcher der Kommission viel zu schaffen machte. Der mächtige Aufschwung, den die Fabrik unter Höroldt nahm, lockte beinahe täglich Abenteurer nach Meißen, die alle möglichen Kenntnisse der Porzellan- und Farbenbereitung vorspiegelten. So erklärte u. a. ein ehemaliger Lehrling der Dresdner Hofapotheke, Isr. Aug. Schüler, seine Fähigkeit, Masse und Glasur des Porzellans verbessern zu können, und ein Dr. Müller behauptete, eine Erfindung gemacht zu haben, um „allerhand rote Farben unter die Glasur“ zu bringen.
Wie schon erwähnt wurde, geschah nach Augusts des Starken Tode die Vermittlung der Angelegenheiten der Fabrik mit dem Könige (Kurfürst Friedrich August II., als König von Polen August III.) durch dessen Günstling, den Kabinettsminister Grafen. Heinrich v. Brühl (vgl. Anm. 26). Brühl wurde am 17. August 1739 zum Oberdirektor der Fabrik ernannt und der Konferenzminister Graf Hennicke zu seinem Stellvertreter bestellt. Wenn Brühls Regiment über die Fabrik auch strenge war, wenn sie ihm auch nach seinem Belieben zur Befriedigung seiner Porzellanleidenschaft dienen musste, so hatte sie ihm doch auch mancherlei zu danken; er beeinflusste ihre künstlerischen Leistungen aufs nachdrücklichste durch seinen feinen, vielgerühmten Geschmack, und er sorgte dadurch vortrefflich für die Zufriedenheit der Angestellten, dass er mit Gehalts Verbesserungen und Titelverleihungen nicht geizte. In dieser Zeit, dem zweiten Teile der Periode 1720 — 1763. waren als Arkanisten Dr. Petsch, Daniel Gottlieb Schertel und Dr. Schatter (seit 1731) in der Fabrik tätig.
Obgleich man in Meißen nur in ganz unumgänglich notwendigen Fällen zu Entlassungen schritt, so waren solche doch bei der Unzuverlässigkeit der Fabrikanten nicht völlig zu umgehen; auch machten sich, je mehr der Betrieb der Manufaktur sich erweiterte, desto mehr die Versuche bemerkbar, Arbeiter der Fabrik zu heimlichem Entweichen aus ihr zu veranlassen. Die Höchster Fabrik, die im Jahre 1746 gegründet wurde, verdankt ihre Entstehung solch einem davongelaufenen Meißner Angestellten dem Maler Adam Friedrich V. Löwenfinck. Ferner gründete in Kelsterbach am Main 1760 ein Sachse namens Busch eine Fabrik, und aus Mannheim wurde schon 1741 nach Meißen gemeldet, dass der Sachse Elias Vater vorgäbe, Porzellan machen zu können. 1751 soll ein gewisser Bengraf, der erzählte, dass er früher in der Meißner Fabrik tätig gewesen sei, gutes weißes Hartporzellan herzustellen wirklich fähig gewesen sein. Auch von Berlin und Cassel kamen Mitteilungen über Porzellanherstellung nach Meißen; 1742 erbot sich ein Prof. Dr. Joh. Heinrich Pott, die Kunst der Bereitung von Porzellan gegen Entgelt zu lehren. Bei allen diesen Mitteilungen handelt es sich neben großsprecherischen Redereien um mehr oder minder gelungene Versuche der Nachbildung des Meißner Porzellans; als einziger ernsthafter Wettbewerber um Meißens Ruhm scheint in den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts nur die Wiener Manufaktur in Frage zu kommen, in der verschiedene, ehemals in Meißen tätig gewesene Arbeiter und Maler wirkten, u. a. auch als „Obermodellmeister“ der Bildhauer Joh. Christ. Ludwig Lücke, von dem im II. Abschnitt S. 55 ff. die Rede war. Die Drangsale des Siebenjährigen Kriegs legten zeitweise nicht nur den ganzen Betrieb der Manufaktur brach, sondern führten auch im Betriebe selbst zu Übelständen, die dem Weiterbestande des Werkes gefährlich werden konnten. Die Arbeiter klagten über ungerechte Behandlung, und Bestechungen und Begünstigungen führten zum Weggange vieler tüchtiger Leute. Den meisten Abbruch taten dem Unternehmen aber die Wiener Manufaktur, die seit dem Jahre 1744 im Besitze der Kaiserin Maria Theresia war und unter Joseph Wolf v. Rosenfeld (Direktor seit 1758) großen Aufschwung nahm, und die Berliner Fabrik Gotzkowskis, die im Jahre 1763, unmittelbar nach Beendigung des Krieges, von König Friedrich II. von Preußen in eigene Verwaltung genommen worden war. Friedrich, der bisher einer der leidenschaftlichsten Käufer von Meißner Porzellan gewesen war, verbot nunmehr nicht nur dessen Verkauf in ganz Preußen, sondern selbst die Durchfuhr durch sein Land. Hätte sich die Fabrik künstlerisch auf der bisherigen Höhe gehalten, so würde sie trotz dieser Schädigungen von außen her ganz zweifellos alsbald wieder die frühere Bedeutung als geschäftliches Unternehmen gewonnen haben; aber das war trotz Aciers Gewinnung nicht oder doch nur vorübergehend der Fall, verschuldet zunächst durch die Leitung des Unternehmens, die in den Händen des Kommerzienrats Helbig (vgl. Anm. 27) lag und vorläufig auch verblieb. Erst nach dem Tode Augusts III. (5. Okt. 1763), unter der Regierung des hochbegabten, aber kränklichen Kurfürsten Friedrich Christian wurde die Verwaltung von Grund aus geändert. Zwar gehörte Helbig noch eine Zeitlang der Manufakturkommission an, allein der Direktorposten wurde ihm genommen und dem schon erwähnten Geheimrat v. Nimptsch übertragen. Nach dem schnellen Hingange Friedrich Christians (er regierte nur vom 5. Oktober bis zum 17. Dezember 1763) übernahm die Fürsorge für die Manufaktur Prinz Xaver von Sachsen, der Bruder des verstorbenen Kurfürsten und Regent des Landes (bis 1768) während der Minderjährigkeit des Kurprinzen. Seiner energischen Hand hatte die Fabrik viele der Erfolge zu verdanken, die ihr nunmehr wieder für eine kurze Zeit beschieden waren. Er war es, der die Errichtung einer Kunstschule (1764) für die Bildhauer und Maler der Fabrik befahl, eine Einrichtung, die mindestens das Verdienst hatte, den künstlerischen Sinn der bildnerischen Manufakturangestellten zu beleben; seinen Anregungen wohl ist es ferner zuzuschreiben, dass Meißner Künstler und Beamte nach Wien, Paris und den Niederlanden gesandt wurden, teils um neue Techniken zu erforschen, künstlerische Anregungen zu gewinnen und bedeutende Künstler (z. B. Acier) nach Meißen zu ziehen, teils um die Gründe für das Nachlassen der Kauflust von Meißner Porzellan ausfindig zu machen. Von den Arkanisten dieser Zeit ist als der tüchtigste der Bergrat Dr. C.W. Pörner zu nennen, außerdem der Arkanist Walther, der durch den Versuch, Seilitzer statt Schnorrsche Erde zu verwenden, der Manufaktur vorübergehend schweren Schaden zufügte (vgl. S. 136).
Als der im Jahre 1768 großjährig gewordene Kurprinz (Kurfürst Friedrich August III., der nachmalige erste Sachsenkönig Friedrich August I., der Gerechte) die Regierung des Landes übernahm, ließ der unter der Regentschaft des Prinzen Xaver wahrnehmbar gewesene Aufschwung der Manufaktur mählich wieder nach, allerdings nicht deshalb allein, weil der junge Kurfürst der Unternehmung nicht das große persönliche Interesse entgegenbrachte wie sein Onkel, sondern vornehmlich wohl wegen der künstlerischen Stagnation, die trotz Aciers Tätigkeit eingetreten war, und wegen der starken Konkurrenz, unter der Meißen, hauptsächlich durch die Manufakturen von Sèvres, Wien und Wedgwood, aber auch durch die vielen anderen wie Pilze aus der Erde hervorschießenden in- und ausländischen Porzellanfabriken zu leiden hatte. Zu dem Verbote Preußens, Meißner Porzellan innerhalb seiner Grenzen zu verkaufen, kamen jetzt gleiche Verbote Österreichs, Dänemarks, Schwedens und Portugals, während andere Länder, z. B. Frankreich, England, Rußland und Spanien, es mit so hohen Eingangszöllen (bis zu sechzig Prozent) belegten, dass dies völliger Einfuhrverhinderung gleichkam. Wurde durch solche Maßregeln der Absatz der wertvollen Stücke fast ganz unterbunden, so litt derjenige der billigen Gebrauchsporzellane ganz außerordentlich durch die thüringischen Fabriken von Gebrauchsporzellan, welche die Meißner Marke, die Kurschwerter, durch dieser ähnliche Zeichen nachbildeten und so das Publikum über die Herkunft des angebotenen Porzellans zu täuschen wußten. In dieser Zeit immer größer werdenden Rückgangs der Manufaktur übernahm deren Leitung (am 20. August 1774) der Günstling Friedrich Augusts III. Graf Camillo Marcolini. Mit großem Eifer nahm er sich der Angelegenheiten der Manufaktur an, freilich ohne dass es ihm in nachhaltiger Weise gelungen wäre, die Verhältnisse der Fabrik zu heben. Eine der ersten Aufgaben, denen Marcolini sich unterzog, war die Veranstaltung einer Untersuchung über die Betriebsverhältnisse der Fabrik. Sie führte zu dem Ergebnisse, dass das Werk mit einer jährlichen Unterbilanz von wenigstens 50,000 Talern arbeitete, wenn der Betrieb in der seitherigen Weise weitergeführt werde. Denn einer Ausgabe von monatlich etwa 12,000 Talern stand eine Einnahme von nur 7,000 — 8,000 Talern gegenüber. Graf Marcolini schlug zur Verbesserung der Verhältnisse vor, entweder 150 Personen des Unternehmens zu entlassen oder der Fabrik einen monatlichen Zuschuss von 4,000 — 5,000 Talern zu gewähren oder endlich die Besoldungen, Taxen und Pensionen von ihrer gegenwärtigen Höhe herabzusetzen. Der dritte Vorschlag wurde schließlich angenommen und durch Reskript vom 13. Januar 1776 zum Beschluss erhoben. Der Konkurrenz der thüringischen Fabriken suchte man dadurch zu begegnen, dass man durch ein „Generale“ vom 3. Oktober 1775 den Verkauf derjenigen Porzellane in Sachsen untersagte, die ein den Kurschwertern ähnliches Fabrikzeichen hatten. Im Jahre 1779 wurde diese Verordnung dann noch dahin erweitert, dass auch Porzellane, die überhaupt kein Fabrikzeichen trugen, in Sachsen nicht verkauft werden durften. Marcolini hatte den Wunsch, in gleicher Weise die ausländischen Fayencen behandelt zu sehen, auch die Durchfuhr von Porzellan durch Sachsen verhindert zu wissen; allein zu diesen Schutzmaßregeln für die heimische Porzellanerzeugung verstand sich Friedrich August III. aus dem leichtbegreiflichen Grunde nicht, dass sie zu Gegenmaßregeln führen könnten, die noch größeren Schaden brachten.
Schon im Jahre 1765 hatte man damit begonnen, die durch übereilte Personalvermehrungen entstandenen übergroßen Porzellanvorräte dadurch schnell zu vermindern, dass man sie ins Ausland, nach St. Petersburg, Amsterdam, Konstantinopel usw. sandte, um sie dort durch Versteigerungen absetzen zu lassen. Solche Versteigerungen hätten Zweck gehabt, wenn man sie nur zur Unterstützung des regelmäßigen Absatzes veranstaltet hätte. Aber man stützte verkehrterweise zeitweilig auf sie den Absatz bestimmter Waren überhaupt. Die übermäßige Ausdehnung der Versteigerungen musste schließlich mehr schaden als nützen und tat dies auch in dem Maße, dass das Direktorium in durchaus richtiger Erkenntnis dieser Sachlage am 6. Oktober 1775 eine Verordnung zur Einschränkung der Versteigerungen erließ. Aber wie fest diese Art des Warenvertriebes in dieser Zeit Fuß in der Manufaktur gefaßt hatte, erhellt aus der Tatsache, dass in demselben Jahre trotz jener Verordnung nicht weniger als 385 Kisten mit Porzellan auf einmal zu Versteigerungszwecken ins Ausland versendet wurden. Das ungewöhnlichste Mittel zur Vergrößerung des Umsatzes, zugleich allerdings auch zur Verminderung übermäßig starker älterer Warenbestände, wurde übrigens im Jahre 1790 auf Vorschlag des damaligen Kommissarius, Bergrat Pörner, angewendet. Durch einen vom 9. August 1790 datierten Befehl wurde nämlich diesem die Erlaubnis zur Veranstaltung von drei Porzellanlotterien erteilt, deren Urheber er allerdings selbst war, für die aber, als Gewähr den Käufern der Lose gegenüber, die Porzellanmanufaktur zu Meißen als Unternehmerin genannt werden durfte, und wozu die benötigten Waren von dieser dem Bergrat Pörner mit 12½ bezl. 25 % Nachlaß überlassen wurden. Durch diese drei Lotterien wurden für 50,000 bis 60,000 Taler zumeist ältere Porzellane so günstig losgeschlagen, dass der Fabrikkasse ein nicht unbeträchtlicher Gewinn erwuchs. Pörner freilich erlitt durch die Lotterie persönlich keinen Vorteil, sondern Nachteil, da er nicht alle Lose abzusetzen vermochte.
Die besten Geschäfte machte die Manufaktur während des ersten Teiles der Marcolinizeit mit Rußland, wo ganz bestimmte Sorten von Meißner Porzellan sehr beliebt waren. Es waren dies nach Böhmert*) gelblich und braun (d. h. mit Goldbrennfarben) glasierte und zugleich blau gemalte Kaffee- und Teeservice, vorzüglich Tassen, außerdem Blumenmalereien und Teller mit brauner Dekorierung. Die Nachfrage nach diesen Porzellanen (es wurden zuweilen Bestellungen bis zu 40,000 Talern an Wert auf einmal gemacht) war besonders vom Jahre 1796 an so stark, dass die Fabrik genötigt war, Sonntags- und. Feierstundenarbeit leisten zu lassen. Das Einfuhrverbot von Meißner Porzellan, das Rußland im Jahre 1806 erließ, machte diesem bedeutsamen Absätze jäh ein Ende und trug wesentlich zu dem großen Rückschlag bei, der sich seit dieser Zeit im auswärtigen Handel Meißens geltend machte. Hatte die Manufaktur im Jahre 1805 noch einen Gesamtumsatz von 155,964 Tlrn. 18 Gr. gehabt, so fiel er im Jahre 1806 auf 132,186 Tlr. 5 Gr. i Pfg. und im folgenden Jahre gar auf 65,620 Tlr. 22 Gr. i Pfg.; im Jahre 1810 betrug er nur noch 50,926 Tlr. 11 Gr. 3 Pfg. und sank so weiter, bis er im Jahre 1813 auf seinem tiefsten Stande, 24,378 Tlr. 15 Gr. 4 Pfg., anlangte.
*) Böhmert, Viktor, „Urkundliche Geschichte und Statistik der Meißner Porzellanmanufaktur von 1710 bis 1880 mit besonderer Rücksicht auf die Betriebs-, Lohn- und Kassenverhältnisse. Zeitschrift des Königl. Sachs. Statistischen Bureaus. 26. Jahrg. 1880. S. 44ff.
Infolge der Marcolinischen Änderungen der Betriebsverhältnisse der Fabrik, wie auch dadurch, dass in Cassel und Spa neue Warenlager eröffnet worden waren, hob sich erstens der Umsatz wieder ein wenig und besserten sich auch hinsichtlich der Ausgaben die Verhältnisse, sodass die Besoldungen der Angestellten wieder erhöht werden konnten. Aber von Dauer war diese Aufwärtsbewegung nicht. Schon im Jahre 1788 verstärkten sich die Nöte der Fabrik wieder und wurden endlich so groß, dass Marcolini 1790 um einen Zuschuss von 3,000 Tlrn. und einen Vorschuss von 9,000 Tlrn. bitten musste. Aber auch hierdurch ließ sich der Rückgang des Unternehmens nicht aufhalten. Schließlich, am 4. Juli 1799, erbat Marcolini in der Überzeugung von der Nutzlosigkeit aller weiteren Bemühungen um das dem völligen Untergänge entgegengehende Werk seine Entlassung aus der Stellung des Oberdirektors der Fabrik. Die Entlassung wurde vom Kurfürsten nicht genehmigt, und so wirtschaftete denn Marcolini weiter, so gut es eben gehen wollte. Kleinen Erfolgen folgten immer wieder größere Misserfolge. Während der Jahre 1804 — 1806 z. B. verbesserten sich die Verhältnisse zeitweilig, um dann im Jahre 1807 wieder schlechter zu werden und nun anhaltend weiter dermaßen zu sinken, dass im Jahre 1810 die Arbeit ganz eingestellt wurde. Diese Maßregel konnte allerdings wegen zu befürchtender Unruhen unter den Arbeitern des Werkes nicht allzu lange aufrechterhalten werden. So griff man nun wieder zu anderen Maßregeln, um den Stand der Fabrik zu verbessern. Man setzte die bereits im Jahre 1790 reduzierten Preise noch weiter herab, gestattete auch den Verkauf unbemalten Porzellans, eine Maßnahme, die zu neuen Schädigungen des Unternehmens führen musste und auch geführt hat. Denn sehr mit Recht war durch ein „Generale“ vom 27. August 1761 der Vertrieb unbemalten Meißner Porzellans verboten worden. Am 1. Januar 1814 nahm Marcolini schließlich doch seine Entlassung (er starb bald darauf, am 10. Juli 1814, in Prag), nachdem er trotz sparsamster Wirtschaft und unendlicher Mühen zur Erhaltung des Rufes Meißens eine Schuldenlast des Werkes gegenüber der kurfürstlichen Privatschatulle im Betrage von 325000 Talern nach Berling, nach Böhmert sogar von 410000 Talern an Vor- und Zuschüssen hinterlassen hatte.
Über die Ursachen dieses eminenten Verfalles des Werkes seit dem Siebenjährigen Kriege ist schon gesprochen worden; es ist aber trotzdem interessant, noch das Zeugnis desjenigen Mannes kennen zu lernen, dem es in der Folge gelingen sollte, die Meißner Manufaktur, wenn auch nicht wieder zu ihrem einstigen Glänze zu erheben, so doch sie zu geordneten, ihren Weiterbestand verbürgenden Verhältnissen zurückzuführen. Es war dies der nachmalige Direktor der Manufaktur (seit 1833), Geh. Bergrat H. G. Kühn, der seit dem Jahre 1814 als Inspektor, d. h. als Vorsteher des technischen Betriebes des Werkes tätig war. Er hat im Jahre 1828 auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Akten eine sehr zuverlässig geschriebene „Geschichte der Kgl. S. Porzellan-Manufaktur zu Meißen“ verfaßt, in der es von den Verhältnissen in der Manufaktur während der Zeit von 1774 — 1807 (also dem ersten Teile der Marcoliniperiode) folgendermaßen heißt:
„Die bestehenden Einrichtungen und insbesondere auch die Verfassung des Arcani gelangten zu einem solchen Grade legaler Stabilität, dass dadurch aller Antrieb zu Verbesserung der Fabrikation zu erlöschen und eine völlige Apathie dafür einzutreten anfing. Gerade in einer Periode, wo man aller Orten gewaltige Fortschritte in der Technik machte, wurde bei der Meißner Manufactur fast gar nichts darin geleistet, sondern vielmehr das angenommene Beharrungssystem nach und nach sogar auf den artistischen Betrieb und zwar in einem solchen Grade ausgedehnt, dass am Schlüsse dieser Periode und in den folgenden Jahren sowohl Formen als Malereien aus einer weit früheren Zeit herzustammen schienen. Von Seiten der Direktion geschah zu wenig, um das Übel aus dem Grunde heilen zu können. In der Hauptsache blieb es beim alten und unter den Arkanisten derjenige der angesehenste, welcher am besten verstand, sein ganzes Thun in ein geheimnisvolles Dunkel zu hüllen, ohne vielleicht irgend etwas zu wissen, dessen Mitteilung der Mühe gelohnt hätte . . . Die Manufactur rückte unaufhaltsam ihrem Verfalle entgegen.“
Und von dem zweiten Teile der Marcolinizeit, also dem unkünstlerischen und unlohnenden Betriebe in den Jahren 1807 — 1813, sagt Kühn an anderer Stelle seines Werkes:
„Ein im Innersten zerrütteter Betrieb des Technischen, ein durch schlechte Leitung und willkürliche Behandlung und den Einfluss des Arcani großentheils demoralisiertes, an Faulheit gewöhntes, zur heimlichen Insubordination geneigtes Personal der chemisch-technischen Branchen, ein veraltetes Formenwesen, ein mit wenigen Ausnahmen wahrem Sinn für Kunst und einer freien, echt künstlerischen Behandlung der Malerei entfremdetes, im besten Falle doch irregeleitetes, an ein mühsames Auspinseln gewöhntes Malercorps, ein großer Warenvorrat, der jedoch im regelmäßigen Verkaufe kaum Nachfrage mehr fand, und ein zerrütteter, man kann sagen ein vernichteter Debit waren die Materialien, welche der Periode nach Marcolini überliefert wurden, um unter den ungünstigsten äußeren Verhältnissen ein neues Gebäude damit aufzuführen.“
Ohne dass auf die nach Marcolini fallende Zeit des näheren einzugehen wäre, darf doch ganz im allgemeinen gesagt werden, dass die Fabrik, namentlich nachdem im Jahre 1833 der tatkräftige Inspektor Kühn die Leitung des Werkes übernahm, technisch und wirtschaftlich sich ganz außerordentlich entwickelte. Nicht nur hob Kühn die Geheimniskrämerei mit dem „Arcanum“ auf, die allzu lange als Hemmschuh aller freieren technischen Entwicklung mit herumgeschleppt worden war, sondern er verbesserte auch das Brennwesen durch die Einführung neuer, sogenannter Etagenbrennöfen, er kam ferner zu einer neuen wohlfeilen Vergoldungsart des Porzellans, der sogenannten Glanzvergoldung, und schließlich wurde unter seiner Leitung auch die Umänderung der bisher mit Holz gefeuerten in mit Kohle gespeiste Brennöfen vollzogen.
Am Schlusse dieser Betrachtung der inneren und Betriebsverhältnisse der Meißner Manufaktur mag noch erwähnt sein, dass sie mit dem im Jahre 1830 erfolgten Eintritt Sachsens in die Reihe der konstitutionellen Staaten, mit dem eine Trennung des Hofhaushaltes von den Staatsfinanzen verbunden war, aus dem bisherigen Besitz der Krone in den des Staates überging. Diese Umwandlung des Werkes in einen Teil des werbenden Staatsvermögens würde den Eingang der Manufaktur nach sich gezogen haben, wenn diese wie bisher in die Kapitel der Zuschüsse statt der Überschüsse hätte gestellt werden müssen. Aber die Begründung des deutschen Zollvereins im Jahre 1834, die ein ungeahntes Aufblühen der gesamten sächsischen Industrie nach sich zog, beeinflusste auch die Lage der Meißner Porzellanmanufaktur aufs günstigste; seit diesem Jahre sind, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, fortgesetzt Überschüsse, oft in bedeutender Höhe, an die Staatskasse abgeliefert worden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meißner Porzellan
Abb. 61 Das Opfer. Biskuitfigur. Modell von Jüchzer
Abb. 62 Hero und Leander. Biskuitfigur. Modell von Jüchzer
Abb. 63 Zephir und Flora. Biskuitfigur. Modell von Jüchzer
Abb. 64 Liebe und Belohnung. Modell von Schönheit; Unbemalt
Abb. 65 Liebe und Strafe. Modell von Schönheit. Unbemalt
Abb. 66. Der deutsche Bacchus, Modell von Schönheit. Unbemalt
Abb. 67 Die vier Jahreszeiten. Modell von Schönheit. Unbemalt
Abb. 68 Paris und Apollo. Modelle von Schönheit. Bunt bemalt
Abb. 69 Sokrates. Modell von Schönheit
Abb. 70 Teller. Mit durchbrochenem Rand und Vogelmalerei
Abb. 71 Durchbrochener Korb
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