Schlusswort

So hohen Wert die Meißner Manufaktur nach wie vor, und mit vollem Rechte, auf den Formenschatz und die Bemalungsvorbilder aus ihrer klassischen Zeit legt, so wenig hat sie versäumt, dem Geschmack der Zeit Rechnung zu tragen. Sie hat alle Wandlungen des Geschmacks mit durchgekämpft und — was hervorgehoben zu werden verdient gegenüber zahlreichen anderen, einst hochangesehenen staatlichen Porzellanmanufakturen, die eingehen mussten — siegreich überwunden. Sie sah das der Porzellankunst so wenig günstige Empire kommen und gehen; sie erlebte die fürchterliche Zeit der Blumistik mit (in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts), jene Zeit krasser Dekorationsverirrung, in der die Blume Form und Schmuck zugleich war, und sie musste dem immer mehr sich verschlechternden Geschmack auch folgen, als schließlich in völliger Verkennung seines Charakters, in völliger Verkennung auch des Materials, aus dem es gebildet ist, das Porzellan wie die Leinwand eines Malers behandelt wurde.

So kam es, dass die Manufaktur, trotzdem in ihrem inneren Betriebe die Tüchtigkeit des Direktors Kühn zu einer völligen Reorganisation des Werkes führte, in künstlerischer Beziehung Misserfolge über Misserfolge zu verzeichnen hatte. Auf der Londoner Weltausstellung vom Jahre 1851 schnitt man künstlerisch geradezu kläglich ab, und kaum weniger glücklich war man drei Jahre darauf bei der Beteiligung an einer internationalen Ausstellung in München. Erst die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts brachten dem künstlerischen Ansehen der Manufaktur einige neue Erfolge. Man hatte sich der Mitwirkung von Männern wie Bendemann (vgl. Reg. S. 2), Choulant (vgl. Reg. S. 4), Grüner (vgl. Reg. S. 7), Hübner (vgl. Reg. S. 9), Sachse und Schnorr (vgl. Reg. S. 18) versichert und mit ihrer Hilfe sowohl den Formenschatz wie auch die Bemalungsvorbilder verbessert. Von diesem Zeitpunkt ab kann man wie in Meißen, so überhaupt in der Porzellanplastik und -bemalung den Beginn einer Renaissance verzeichnen. An den Misserfolgen der eben vergangenen Zeit erkannte man die begangenen Fehler: aus den Händen von schöpferischen Künstlern war die Porzellankunst nach und nach in die Hände von nichts als routinierten Kunsthandwerkern geglitten, von Leuten, denen die tiefere Kenntnis von dem Wesen des Porzellans fehlte, die nicht mit dem feinfühligen Sinne eines Höroldt und vor allem eines Kaendler dieses zarte Material behandelten, sondern ihm Eigenschaften aufzwangen, die es seiner innersten Natur nach nicht besitzt und nie besitzen kann.

Es würde im Rahmen dieses kurzen Schlusswortes viel zu weit führen und selbst dann nur ein unvollkommenes Bild von dem weiteren Entwicklungsgange dieser Renaissancebewegung auf dem Gebiete der Porzellankunst geben, wollte ich versuchen, in großen Zügen den Gang der künstlerischen Wandlung zu schildern, der sich seit den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vollzogen hat. Stilepochen stehen ja nicht unvermittelt nebeneinander, sondern gehen fast unmerklich ineinander über. So ist auch die Bewegung, die im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts in den dekorativen Künsten einsetzte, keine plötzlich entstandene gewesen, keine, die ohne Übergänge zu früheren, ohne Verbindung mit historischen ist. Im Gegenteil, soweit die Porzellankunst von ihr betroffen wurde, war sie sogar eine solche, die dort die Verbindungsfäden wieder aufnahm, wo man sie seinerzeit nach und nach hatte fallen lassen, die ihre plastischen und koloristischen Vorbilder in denjenigen Kunstgewerbeerzeugnissen fand, die einst Pate gestanden hatten an der Wiege der europäischen Porzellankunst: bei den ostasiatischen Vorbildern. Auf der Wiener Weltausstellung vom Jahre 1873 befanden sich u. a. auch kunstgewerbliche Erzeugnisse Japans. Die ausschließlich dekorative Flächenkunst, die in ihnen zum Ausdruck kam, stand im vollsten Gegensatze zu der Überladung der Fläche mit architektonischen Ornamenten, an die man gewöhnt war, und zu der Verdeckung der Fläche mit Bemalungen, die nicht mehr dem Zwecke der Dekoration dienen, sondern eine selbständige Kunst darstellen wollten. Da sah man weder den Schnörkel- und Muschelüberschwang des Spätrokoko, die Steifheit der rechtwinkelig gebrochenen oder spiralförmig fortlaufenden Linie (Mäander) und der Perl- und Eierstäbe, noch die trockene Bildnis- und Allegorienmalerei, mit der man alles verdeckte, was vom architektonischen Ornament verschont geblieben war. Von dieser reinen Flächenkunst, die sich schlicht und doch mit feinfühligem künstlerischen Sinn der Erscheinungen in der Natur als ihres besten Vorbildes bediente, lernte Europa. Dem großen Reformator auf dem Gebiete des Kunstgewerbes, William Morris (vgl. Reg. S. 292), gebührt das Hauptverdienst der Vermittlung. Von ihm aus ergingen die ersten Anregungen zur Reorganisation des Kunstgewerbes. Er war es, der den Künstlern des Kunstgewerbes die Wege wies zu einer neuen künstlerischen Auffassung, der sie lehrte, ihr Interesse u. a. den japanischen Vorbildern zuzuwenden, aber zugleich auch, diese nicht sklavisch nachzuahmen, sondern sie mit eigenem Geiste zu erfüllen, ihnen ein neues Wesen einzuhauchen, sie im Geiste der Zeit und unserer Kultur weiterzubilden.


In der Porzellankunst ist der neue Stil von einem Dänen, dem künstlerischen Leiter der ehemaligen Königl. Porzellanfabrik zu Kopenhagen, Arnold Krogh, ausgegangen. Die Meißner Manufaktur hat sich die Anregungen, welche sich ganz allgemein von diesem Künstler auf die gesamte europäische Porzellankunst übertrugen, natürlich ebenfalls zunutze gemacht; aber es wäre völlig verkehrt, zu sagen, sie ahme einfach die Kopenhagener Erzeugnisse nach. Leider geschieht das in sehr vielen Fällen; man hört nur zu häufig, bei der Betrachtung eines Meißner Gefäßes in den Formen und der Bemalungsart des neuen Stiles, sagen, das sei ein „Gefäß in Kopenhagener Manier“. Vor bloßer Nachbildung der Kopenhagener Erzeugnisse wird die Meißner Manufaktur schon durch den ungleich größeren Reichtum ihrer Scharffeuer(Unterglasur-)farbenpalette gegenüber der Kopenhagener bewahrt. Dann aber auch lebt in dem neuen Formenschatz. Meißens und in seiner farbigen Dekorierung eine so eigene, selbständige künstlerische Sprache, dass von einer Abhängigkeit der Meißner von der Kopenhagener Manufaktur nie und nimmer die Rede sein kann.

Der Sammler neuen Porzellans kann Erzeugnisse beider Manufakturen nebeneinander stellen, ohne der Gefahr zu begegnen, dass er in den Erzeugnissen der einen die Nachbildungen der anderen erkennen müsse. Er vereinigt in seiner Sammlung die Früchte ganz individuell gearteten Kunstschaffens, das nur ein Gemeinsames hat: Übereinstimmung im Stilcharakter!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meißner Porzellan