Die Zeit nach Kaendler bis zu Marcolini 1763 bis 1814

Auch noch in die Perioden, von denen nun die Rede ist, ragt die Persönlichkeit Johann Joachim Kaendlers, wenn auch nicht mehr in beherrschendem Einflüsse. Der Ehrentempel, von dem im vorigen Abschnitte gesprochen wurde, entstand in der Zeit (1763), die eigentlich schon nicht mehr zu der Epoche seines künstlerischen Glanzes gehört; diese Arbeit war keineswegs seine letzte für die Manufaktur, vielmehr folgten ihr, solange er noch für diese tätig war, und diese Tätigkeit endete eigentlich erst mit seinem Tode, noch zahlreiche andere, so u. a. die Ausführung eines Auftrages auf 40 mythologische und allegorische Gruppen für die russische Kaiserin Katharina II.

Der Standort dieser großen und künstlerisch bedeutungsvollen Arbeit, die von Kaendler im Jahre 1772 begonnen und 1774, also ein Jahr vor seinem Tode, vollendet wurde, war lange Jahre hindurch unbekannt. Es ist das Verdienst Berlings*), die Gruppen wieder aufgefunden zu haben. Sie befinden sich (oder richtiger — da man im Hinblick auf die völlig veränderten Verhältnisse in Russland nicht weiß, ob sie ihren früheren Standort noch inne haben, ja ob sie überhaupt noch vorhanden sind — sie befanden sich im Jahre 1913, als Berling sie entdeckte) im Schlosse Oranienbaum bei Petersburg. Vorhanden waren noch 36, es fehlten somit 4. Entstanden waren sie auf eine Bestellung des russischen Hofes hin, der für das „Kabinett der Kaiserin“ 40 aus der Mythologie zu entlehnende Gruppen und Figuren verlangte — eine Aufgabe, für die niemand in Meißen geeigneter erschien als Kaendler, obwohl er, als die Bestellung einging, schon nicht mehr den beherrschenden Einfluss als Plastiker der Manufaktur besaß (den vielmehr bereits Acier übte) und zudem auch schon ein Mann in hohen Jahren — 66 — war. Er entwarf — ich folge der Darstellung Berlings — mit großem Eifer zunächst (im November 1772) ein ausführliches Programm für die Arbeit und legte es schriftlich fest. Seine Idee war, ein Werk zu schaffen, das zwar in erster Linie den Wunsch der hohen Auftraggeberin erfüllte, zugleich aber auch eine Huldigung für sie darstellte. Das geschah, indem er 17 von den 40 Gruppen in ein mythologisches Gewand kleidete, während er für die übrigen 23 die allegorische Schilderung wählte.

*) Karl Berling. Die Meißner Porzellangruppen der Kaiserin Katharina II. in Oranienbaum. Dresden 1914. Verlag von C. Heinrich.


„Zunächst“, so schildert Berling wörtlich die Arbeit nach dem Eindruck, den er von ihr im Oranienbaumer Schlosse gewann, "stellte Kaendler, wie es für die Beherrscherin des an vielen Meeren gelegenen russischen Reiches und für die Kaiserin, die soeben in einem Seekriege glänzend gesiegt hatte, nahelag, Neptun und Amphitrite dar. Dann ließ er Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, Luna und Sol folgen, die sieben Hauptgottheiten, die zugleich die Planeten bedeuten. Sie sind mit ihrem Planetenzeichen als solche deutlich charakterisiert. Wo Jupiter war, durfte auch seine Gemahlin Juno nicht fehlen. Deshalb findet man sie hier und zwar mit der jugendlicher aufgefaßten Iris zusammen in einer Gruppe verbunden. Die letztere war gewählt worden, wohl weil man von ihr annahm, dass sie die Botschaften der Götter den Menschen — hier natürlich der Kaiserin — überbringt. Weiter kamen zur Darstellung Vulkan als Beschützer der Künstler und Handwerker, Apoll, den Python erlegend, d. h. der Sieg des Lichtes über die Finsternis, Perseus, der den Atlas wegen seiner Ungastlichkeit durch das Medusenhaupt in Stein verwandelt, Herakles als Sinnbild der Stärke, das Urteil des Paris, Irene, die Göttin des Friedens und endlich die den Göttern und den Menschen, also auch der Kaiserin, das Schicksal bestimmenden drei Parzen. Bei den Allegorien lag es nahe, Herrschertugenden wie Gerechtigkeit, Stärke und Gelehrsamkeit zu versinnbildlichen. Die erstere wurde geteilt in Justitia, die irdische, und Astraea, die himmlische Gerechtigkeit. Man ließ dann Handel und Schiffahrt folgen, schuf eine Vertreterin des Krieges und zwei, die den Sieg der Kaiserin personifizierten. An den Krieg mit den Türken sollten auch wohl die beiden Kriegselefanten erinnern, während in der Sphinx, die von der Barockkunst häufig dekorativ verwendet wurde, und die gleichfalls in zwei Gegenstücken vorhanden ist, der Mystizismus verkörpert war. Die Künste mussten Bildhauerei, Malerei, Baukunst, Musik und Dichtkunst, die Wissenschaften Mathematik, Rechnenkunst und Astronomie vertreten. Endlich hatte man, wie es in der antiken Kunst so oft geschehen war, das russische Reich selbst durch Personifikation seiner beiden großen Flüsse Wolga und Dnjepr zu kennzeichnen versucht.“

Von diesen 40 Gruppen — nicht mehr vorhanden, als sie Berling in Oranienbaum fand, waren die der Malerei, Bildhauerkunst, Rechnenkunst und Mathematik — sind 18 von Kaendlers Hand geschaffen worden; die übrigen 22 sind wohl zumeist auf Acier und seine Gehilfen zurückzuführen. Von Kaendler stammen die folgenden: Triumphzug der Amphitrite (Tafel XXIII), Neptun und Thetis, Phöbus Apollo, Luna, Mars, Venus, Merkur, Saturn, Apoll und Python, Die Parzen, Justitia, Astraea, Viktoria I und II, Wolga, Dnjepr, Kriegselefant I und II. Von Acier und seinen Gehilfen wurden geschaffen: Atlas und Perseus, Juno und Iris (Tafel XXIV), Jupiter, Das Urteil des Paris, Der Handel, Die Schiffahrt, Die Stärke, Herkules, Die Sphinx I und II, Vulkan, Bellona, Irene, Die Gelehrsamkeit, Die Musik, Die Dichtkunst, Die Baukunst, Die Astronomie, Die Bildhauerkunst, Die Malerei, Die Rechnenkunst und Die Mathematik. Die Stilverschiedenheit der Arbeiten Kaendlers und Aciers ergibt sich aus der Betrachtung der abgebildeten Stücke.

Was den künstlerischen Einfluss Kaendlers brach, wird heute schwerlich noch mit Sicherheit festzustellen sein; es mag sein, dass mehr persönliche — Kaendler wurde bei der ihm vorgesetzten Kommission wiederholt des Eigennutzes, der Geldgier und ungerechter Behandlung seiner Untergebenen bezichtigt — als künstlerische Momente hierfür maßgebend waren; es mag aber auch sein, dass es ihm nicht gelang, sich dem Wandel des Geschmacks, der im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts einzusetzen begann, in dem Maße anzupassen, wie es notwendig gewesen wäre, um die ohnehin durch die eben überstandenen Kriegskrisen stark darniederliegende Produktion der Manufaktur wieder zu heben. Man erkennt das in den 18 Gruppen für die Kaiserin Katharina. Ausgesprochenen Rokokocharakter zeigen sie eigentlich nur in den Sockeln; die Schilderungen selbst wahren durchaus den kraftvollen Barockstil, den Kaendler eigentlich nie aufgegeben hat.

Den äußeren Anlass zur Berufung eines auswärtigen (französischen) Bildhauers gab die Errichtung einer Kunstschule in Meißen für die Künstler, Maler und Bildhauer der Manufaktur. Sie wurde am 7. Februar 1764 ins Leben gerufen, und zu ihrem Leiter wurde der Hofmaler und Professor an der Dresdner Kunstakademie Christian Wilhelm Ernst Dietrich (vgl. Anm. 22) ernannt. Diesem Manne wurden in allen künstlerische Dinge angehenden Fragen sowohl Kaendler als auch Höroldt unterstellt, und außerdem erhielt er den Auftrag, von auswärts her Bildhauer für die Fabrik zu gewinnen. Durch die Vermittlung zweier Meißner Künstler, des Bildhauers Elsasser und des Malers Hummitsch, die man zum Studium neuer Formen und Bemalungsarten nach Paris gesandt hatte, gelang so die Gewinnung des Bildhauers Michel Victor Acier (vgl. Anm. 23), nachdem ein anderer, Delaistre mit Namen, die Berufung nach Meißen abgelehnt hatte. Acier war der, den man in Meißen suchte und dort als unmittelbaren Nachfolger Kaendlers gut gebrauchen konnte, ein Künstler des Spät-Rokoko, voll lebhafter Phantasie, voll echter Rokokograzie und bezaubernder Anmut (vgl. Abb. 50 — 53 und 55). Es ist kein Zweifel daran, dass er in bezug auf die Leichtigkeit der Linie, auf spielerischen Reiz der Form Kaendler übertraf; aber andrerseits fehlt seinen Arbeiten die bei aller Anmut und Gefälligkeit doch so eminent große Kraft des Vortrags, das wenn auch nicht naturwahre, so doch ganz außerordentlich Natürliche der Kaendlerschen Figuren. Aus dem Kaendlerschen Rokoko würde sich niemals die hohle, geistlose Nachahmung herausgebildet haben, welche das Porzellan in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts erlebte. In dem Rokoko des 18. Jahrhunderts zeigt das Porzellan die größte Vollendung seines Wesens, in dem Rokoko des 19. Jahrhunderts seine geschmackloseste Verirrung. Man kann das feststellen, wenn man rekonstruierte Modelle mit den Originalmodellen vergleicht. Denn nicht immer blieben die Formen fehlerlos erhalten, oder aber die einstigen Vorbilder für die Bemalung waren nicht mehr vorhanden. Man half sich in solchen Fällen in früheren Zeiten damit, dass man ein Modell so gut es ging rekonstruierte, ohne Rücksicht darauf, ob die ursprüngliche Gestalt und die einstige Bemalungsart originalgetreu wiedergegeben wurden. So befanden sich z. B. in der C. H. Fischerschen Sammlung in Dresden zwei Balalaikenspielerinnen, die ganz zweifellos auf ein gemeinsames Modell zurückzuführen sind (vgl. Abb. 54). Das originale Stück zeigt in den Formen alle Merkmale des kraftvollen Kaendlerstils der mittleren Zeit (1740 — 1750), die Nachbildung der rekonstruierten Form alle diejenigen des entsetzlichen Rokokostils, wie er in der schlechtesten, unfruchtbarsten Zeit Meißens, in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts, geübt wurde. Und weiterhin, was die Bemalung angeht: auf dem originalen Stück findet man all den spiegelnden, reflektierenden Glanz der Glasur und die der natürlichen Erscheinung so wunderbar nachgebildeten leichten und doch saftigen Farben; die rekonstruierte Figur dagegen gibt an Verunstaltung des edlen Materials durch Verdeckung mit grellen Farben den schlechtesten Erzeugnissen ganz geringwertiger Manufakturen nichts nach. Heute sind erfreulicherweise solche künstlerischen Verirrungen in der Meißner Manufaktur nicht mehr möglich; es wird mit feinfühligem Sinne darauf geachtet, dass nur solche älteren Formen rekonstruiert werden, die einerseits eine genaue plastische Wiedergabe des einstigen Modells gestatten und andererseits dessen originale Bemalung, die letztere dadurch, dass ein vorhandenes altes Stück als koloristisches Vorbild benutzt werden kann.

Aciers Gewinnung bedeutete für die Manufaktur einen alsbald wahrnehmbar werdenden äußeren Erfolg, eine wenn auch nur vorübergehende zweite Blütezeit. Man fand Gefallen an seinen zierlichen, bald überschwenglich sentimentalen, bald überschäumend neckischen Schäferszenen und Amorettenfiguren, zu denen sich später auch die vielbewunderten Spitzenfiguren gesellten, jene Gebilde mit zartem Spitzenschmuck (vgl. Anm. 24), die ein neues glänzendes Zeugnis für die eminente Schmiegsamkeit der Porzellanmasse ablegten.

Aciers plastische Bedeutung ist namentlich von der Zeit, der er angehörte, aber auch später noch und bis in unsere Tage hinauf stark überschätzt worden. Sie reicht nicht entfernt an das genialisch Schöpferische von Kaendlers Begabung heran, schon um deswillen nicht, weil sie mit dem Material nicht so verwächst wie die Kaendlersche. Zu seinen bedeutendsten Arbeiten gehört außer dem Anteil, den er an den 40 Gruppen für die Kaiserin Katharina hat, ein Tafelaufsatz der als Verherrlichung der Regierung des Kurfürsten Friedrich August III. gedacht war. Er sollte aus drei Gruppen und zwei dazu gehörigen Tempeln bestehen. Die beiden letzteren existieren noch und befinden sich in der ehemaligen Hofsilberkammer in Dresden. An dieser Arbeit war, wie wohl auch an der für die Kaiserin Katharina bestimmten der Bildhauer Joh. Carl Schönheit beteiligt, von dem noch zu reden sein wird. Weiter modellierte Acier eine aus 12 Figuren bestehende Gruppe zu Ehren des Prinzen Heinrich von Preußen, der im bayerischen Erbfolgekriege Schulter an Schulter mit den Sachsen gekämpft hatte. Und endlich ist er der Erschaffer oder mindestens der Hauptbeteiligte bei der Ausführung eines aus sieben großen und figurenreichen Gruppen bestehenden Tafelaufsatzes für den russischen Fürsten Repnin, dem sich Sachsen für seine Vermittlung beim Friedensschluß zu Teschen verpflichtet fühlte. Zu diesem Werke gehörte ein Dessertservice von 60 Tellern mit sehr fein gemalten Bildern von Dresden, Pillnitz, Teschen, Petersburg, Moskau und anderen Städten, sowie größeren und kleineren Schüsseln, Näpfen, Fruchtkörben, Kühlgefäßen usw. Das Werk ist verschollen. Sehr groß ist die Zahl der kleineren Arbeiten Aciers. Hier seien vor allem die sogenannten „Devisenkinder“ genannt, jene kleinen Amorettenfiguren auf antikisierenden Sockeln, die Inschriften wie „Je mets le calme“, ,,Je les accouple“ usw. tragen. Acier modellierte sie nach Zeichnungen des Malers Johann Eleazar Zeissig gen. Schenau (Schönau), der während der Jahre 1773 — 1796 für die Manufaktur tätig war. Auch viele von den sogenannten galanten Figuren dieser Zeit sind Arbeiten seiner Hand, und endlich rühren von ihm noch zwei kleine Gellertdenkmäler her, das eine modelliert in Anlehnung an den Oeserschen Entwurf des Denkmals, das 1774 in Leipzig errichtet wurde, das andere dem Modell Schlegels für das Denkmal in der Leipziger Johanniskirche nachgebildet.

Kaendler gegenüber war Aciers Stellung von allem Anfange an gesichert worden. Zwar blieb der erstere während der zehn Jahre, die er noch mit Acier zusammen in Meißen arbeitete, Leiter der plastischen Abteilung; aber Acier war in seinen künstlerischen Entschlüssen völlig unabhängig von ihm, wurde ihm auch äußerlich dadurch vollkommen gleichgestellt, dass er gleich Kaendler den Titel eines Modellmeisters verliehen erhielt. Das Verhältnis der beiden Künstler zueinander war kein gutes; es kam oft zu Meinungsverschiedenheiten, ja sogar zu Streitigkeiten zwischen ihnen. Trotzdem scheint Kaendler auf Acier, wenigstens in technischer Beziehung, einigen Einfluss geübt zu haben; hierauf lässt eine Äußerung schließen, die sich in einer Eingabe findet, welche nach Kaendlers Tode dessen Kinder und Erben an den Kurfürsten Friedrich August III., den späteren König Friedrich August den Gerechten, richteten. Es heißt darin, was auf willige Anerkennung des reichen bildnerischen Talents Kaendlers von Seiten Aciers schließen lässt:

„dass er (Kaendler) zwanzig mal mehr verdienet, als ihm von seinen damaligen in dieser Kunst unerfahrenen Beurtheilern immer vorgeworfen worden*). Sein Nachfolger Acier verkennet die immer noch Summen Geldes erwerbenden Verdienste dieses Mannes nicht und ist gewiß zu bescheiden, das Verhältniß zu genehmigen, welches die Manufaktur zwischen dessen Vorfahrers Besoldung und der seinigen, als jener fast gleichkommenden, zu machen unvergessen gewesen ist. Wenn der Modellmeister Acier 45 Jahre Kaendlerisch gearbeitet haben wird, und wie zu vermuthen stehet, mit eben dem glücklichen und für das Interesse des Herrn so einträglichen Erfolg wie sein Vorfahrer, welchen er noch und zwar zu seiner eigenen Ehre für seinen Meister erkennet, wird er vielleicht eine höhere Besoldung und sich überhaupt besser berathen haben, als unser Vater.“

Ist aus diesen Worten immerhin ein Einfluss Kaendlers auf Acier zu erkennen, so scheint andrerseits Aciers leichtere Formensprache Kaendlers Hand nicht beeinflusst zu haben, wie eine Zeitlang angenommen worden ist. Vielmehr scheint Kaendler nach wie vor seinen eigenen Weg gegangen zu sein und nur mit der zunehmenden Abwendung des Volksgeschmackes von den bisherigen Formen sich nach und nach dem Antikenstil (vgl. Tafel XXV) zugewendet zu haben.

Als Plastiker werden in dieser Zeit noch genannt Carl Christoph Punkt seit 1762, Lincke seit 1764, Berger seit 1766 und Jean Troy seit 1768. Keiner von diesen hat, wohl infolge schlechter Behandlung von Seiten Kaendlers, lange in der Fabrik ausgehalten. Der begabteste von ihnen war zweifellos Punkt, der den als Modellmeister an die Berliner Manufaktur berufenen Meyer ersetzen sollte. Das vermochte er, obwohl er eine sehr fleißige und fruchtbare Tätigkeit entfaltete, um deswillen nur in bedingtem Maße, weil seine plastische Beweglichkeit bei weitem nicht an die Meyers heranreichte. Seine Figuren lehnen sich stark an die Art Kaendlers an; charakteristisch sind sie durch ihre langgezogenen Gesichter mit den hohen, vorspringenden Stirnen. Er hat vorwiegend Schäferfiguren, mit Vorliebe solche, die zusammengehören, Kindergruppen und allegorische Szenen modelliert (Abb. 56 und 57). Neben den genannten vier Modelleuren, zu denen noch der Bossierer Hauptmann kommt, waren von früher her Peter Reinicke (seit 1743), der namentlich an denkleinen Figuren, z.B. den italienischen Komödianten oder den Handwerkerund Soldatentypen beteiligt gewesen zu sein scheint, und Johann Friedrich Lücke (seit 1741) tätig. Der letztere wurde später Vorsteher der Formereiabteilung; von eignen Leistungen seiner Hand ist nichts bekannt geworden.

*) Kaendler, dem von der Kommission Verschwendungssucht vorgeworfen wurde, hat wiederholt wegen seiner „höchstbekannten (finanziellen) Umstände“ um Verbesserung seiner Bezüge gebeten, einmal, indem er in einem diesbezüglichen Gesuche betonte, dass er „Ihrer Königl. Majest. allerhöchstes Interesse bei erneuerten Kräften unglaublich mehr, als bei jetzigem ganz niedergeschlagenen Gemüthe zu befördern capable seyn“ werde, ein andermal, indem er darauf hinweist, dass er bei dem „gegen seine schwere Arbeit unproportionierlichen Gehalte“ nicht in der Lage sei, seine Schulden zurückzuzahlen. Am 6. August 1761 verlangte er für seine frühere Tätigkeit in der Fabrik rückständige 16.150 Taler. Die Berechtigung dieser Forderung ist zwar nicht anerkannt worden, doch gewährte man ihm daraufhin Zuschüsse in der Höhe von 300 Talern.

Besser als mit den Modelleuren war es während dieser Zeit mit den Malern bestellt; besonders bewährte sich der von Wien nach Meißen berufene Maler Joseph Brecheisen und ein gewisser Chr. Ad. Heynemann. Beide wurden wegen ihrer Geschicklichkeit zu Hofmalern ernannt, Brecheisen daneben auch noch zum stellvertretenden Leiter der Malerabteilung, also zum Vertreter des schon genannten Prof. Dietrich, dem die Leitung dieser Abteilung seit Höroldts Pensionierung übertragen worden war. Weiter wird ein Maler Böhme, ein Verwandter Dietrichs, als geschickter Arbeiter bezeichnet. Er verließ aber die Fabrik schon nach kurzer Tätigkeit wieder; mit ihm zugleich ging auch Joh. Balthasar Borrmann, einer der besten „Prospect- und Landschaftsmaler“. Beide wandten sich nach Berlin, wo sie der Gotzkowskyschen Fabrik, der späteren Königl. Porzellanmanufaktur, gute Dienste geleistet haben sollen.

Nachdrücklicher als die Gestaltung beginnt bereits in dieser Zeit die Malerei sich der antikisierenden Richtung zuzuwenden. Schon 1766 werden Geschirre mit „Hetrurischer Kante“ bemalt, werden Teller „à la Grèque“ dekoriert. Die Sockel der Figuren werden mit Perl- und Eierstäben, Mäanderbändern usw. umzogen, "Festonen“, aus deutschen Blumen (Abb. 58), Reseda, Tausendschön, Goldzahn, kommen in Aufnahme. Die Flächen der Geschirre werden jetzt gern mit Porträts oder Illustrationen (Abb. 59) und Copien nach Gemälden bemalt. So befindet sich in der Schreiber-Collektion im Victoria- und Albertmuseum in London ein Kaffeeservice mit der Darstellung der Leiden des jungen Werther; das Hamburgische Museum für Kunst und Gewerbe besitzt eine Tasse mit der Kopie eines englischen Farbdrucks nach einem Gemälde von Angelica Kauffmann, und in der Dresdner Porzellansammlung sieht man Dosen mit Landschaftsansichten im Stile Canalettos. In der Farbengebung gewinnt die Bemalung en camieu (vgl. S. 93) noch größere Bedeutung, und besonders gern verwendet man hierzu die Purpurfarbe; auch ein leuchtendes Rosa erfreut sich großer Beliebtheit. Weiter wird die grüne Farbe über der Glasur bedeutend verbessert und eine solche unter der Glasur, die zu dem bekannten Weinlaubmuster verwendet wird, hergestellt. Und endlich gelang jetzt auch die lange vergeblich versuchte Herstellung einer tiefblauen Fondfarbe (Abb. 60) (bleu du Roi) nach dem Vorbilde von Sèvres.

Länger als ein Vierteljahrhundert hatte wie in Frankreich so auch in Deutschland die verschnörkelte Linie des Rokoko die Kunst beherrscht, und nicht nur die Kunst, spndern auch das Leben. Es gibt keinen künstlerischen Stil, der so frappant zum Spiegel einer Zeit geworden ist, wie es der Rokokostil in Frankreich für das Zeitalter Ludwigs XV., in Sachsen für dasjenige Friedrich Augusts I. (des Starken) oder zeitlich genauer für dasjenige Friedrich Augusts II., wurde. Affektiert und geziert, allen Gesetzen der Natur zuwiderlaufend wie die Formen und Linien des Rokokos waren auch die Menschen der Rokokozeit, nur bestrebt, im Äußeren wie in ihren Sitten sich zu verkleinern, zu verfeinern, zierlich und geziert zu erscheinen. Wie man auf das Haar künstlich den Schnee des Alters, auf die Wangen künstlich das Rot der Jugend legte und, um diese Kontraste noch zu verschärfen, mouches, Schönpflästerchen, auf das Antlitz klebte; wie man die Füße in enge Stöckelschuhe mit großen, blanken Schnallen zwängte, sich in zierlich geblümte, zart gefärbte Seidenstoffe hüllte, die von duftigen Spitzen umflattert waren, so schwärmte maung der Maler enge Schranken gezogen. Kleinere oder größere Darstellungen mythologischen, allegorischen oder historischen Inhalts, zum Teil nach italienischen und niederländischen Gemälden aus kurfürstlichem Besitz, waren die bevorzugten künstlerischen Objekte, daneben elegante Genreszenen oder Tier- und Blumenstücke. Von dem Farbenreichtum, der Zierlichkeit und Anmut der Höroldtschen Palette war auf diesen Schilderungen nicht viel mehr zu bemerken. Die Farben verloren viel von ihrer Leuchtkraft und kamen auch nicht immer tadellos zum Ausdruck auf dem Scherben. Auch mit diesem selbst hatte man mancherlei Mißgeschick zu überstehen; durch allzu reichliche Verwendung von Seilitzer Erde (vgl. S. 136 und 145) bei der Zubereitung der Masse und durch den Verbrauch schlechter Auer Erde verlor die Masse viel von ihrer schönen weißen Farbe, wurde leicht unansehnlich und begünstigte das Abspringen der Farbe von dem Scherben.

Von den Malern dieser Periode ist kein einziger durch wirklich bedeutende Arbeiten ausgezeichnet; die besten von ihnen, z. B. der Landschafts-, Jagd- und Kriegsszenenmaler Chr. Friedrich Kühnel, der Figurenmaler Christ. Ferd. Matthaei, der Blumen- und Früchtemaler Birnbaum, der Blaumaler Colmberger usw. waren tüchtige Techniker, aber nur mittelmäßige Künstler.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Meißner Porzellan
Abb. 50 Liebesgruppe. Modell von Acier

Abb. 50 Liebesgruppe. Modell von Acier

Abb. 51 Bacchantin und Faun. Modell von Acier

Abb. 51 Bacchantin und Faun. Modell von Acier

Abb. 52 Malerkunst, Geometrie, Arithmetik. Modelle von Acier. Unbemalt

Abb. 52 Malerkunst, Geometrie, Arithmetik. Modelle von Acier. Unbemalt

Abb. 53 Sternkunde. Modell von Acier

Abb. 53 Sternkunde. Modell von Acier

Abb. 54 Balalaikenspielerinnen. Bunt bemalt

Abb. 54 Balalaikenspielerinnen. Bunt bemalt

Abb. 55 Kind mit Hund spielend. Modell von Acier. Unbemalt

Abb. 55 Kind mit Hund spielend. Modell von Acier. Unbemalt

Abb. 56 Schäferin und Schäfer. Modell von Punkt. Bunt bemalt

Abb. 56 Schäferin und Schäfer. Modell von Punkt. Bunt bemalt

Abb. 57 Die Kaufmannschaft. Modell von Punkt. Bunt bemalt

Abb. 57 Die Kaufmannschaft. Modell von Punkt. Bunt bemalt

Abb. 58 Teller. Mit der Kopie eines Gemäldes von Berghem

Abb. 58 Teller. Mit der Kopie eines Gemäldes von Berghem

Abb. 59 Vase. Mit der Kopie einer Malerei in Kupfergrün nach D. Teniers

Abb. 59 Vase. Mit der Kopie einer Malerei in Kupfergrün nach D. Teniers

Abb. 60 Vase. Mit königsblauem Fond

Abb. 60 Vase. Mit königsblauem Fond

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