Neu-Brandenburg - Der Ursprung

Das Land Stargard, der Hauptteil des jetzigen Großherzogtums Meklenburg-Strelitz, bildete in der Wendenzeit den großem Teil des Rhedarier-Landes, welches durch seine heidnischen Tempel so berühmt geworden ist und in der Tempelstadt Rhetra und der Burg Stargard (Alten-Burg, eine Meile südlich von Neu-Brandenburg) uralte Ortschaften besaß. Im Westen ward das Rhedarier-Land zum Teile durch den langgestreckten, lieblichen See Tollenze begrenzt. Dort wo in einem wiesenreichen Grunde zwischen weit reichenden Höhen der Tollenze-See in den Tollenze-Fluss abfließt und die Bildung des Bodens einen Querdurchgang von Osten nach Westen eröffnet, lag schon zur Zeit der Wenden an der großen Passage ein stadtähnlicher Ort Broda (auf deutsch: Fähre), und Märkte und Krüge bezeichneten die Stelle eines größern Verkehrs. Zur Zeit der Unterjochung der Wenden gehörten diese Gegenden, wie überhaupt die östlichsten Gegenden Mecklenburgs, den pommerschen oder lutizischen Fürsten. Mit dem J. 1169 hörten die verwüstenden Bekehrungskriege gegen die Wenden endlich auf und im Anfange des J. 1170 bestätigte der Kaiser Friederich I. den Frieden in ihren Ländern und nahm ihre Fürsten zu Fürsten des deutschen Reichs an. So schien die Ruhe befestigt zu sein. Schon im Anfange des J. 1170 war durch den Feuereifer des Bischofs Berno von Schwerin das Bistum Schwerin wiederhergestellt und das Kloster Doberan gegründet; am 16. Aug. 1170 erneuerte in einer glänzenden Versammlung der Markgraf Albrecht der Bär von Brandenburg auch das Bistum Havelberg, welches ebenfalls durch den hartnäckigen Widerstand der Wenden über zwei Jahrhunderte darnieder gelegen hatte. An demselben Tage schenkte der Fürst Kasimir I. von Pommern, unter Beistimmung seines Bruders Bugeslav I., welche beide bei der Feier der Domweihe zu Havelberg gegenwärtig waren, zur Verherrlichung derselben den Domherren von Havelberg fast alle Landgüter zu beiden Seiten der Tollenze von Prillwitz bis zur jetzigen Grenze von Pommern hinab und in der Mitte derselben den Ort Broda, um damit ein Stift ihres Ordens und ihrer Kirche zu grün-den. Mit dieser Schenkung ward das Prämonstratenser-Mönchs-Kloster Broda, zum Bistum Havelberg gehörig, gestiftet, welches eine Viertelstunde westlich von der jüngern Stadt Neu-Brandenburg am linken Ufer der Tollenze, am Ausflusse derselben aus dem See, an dem Fuße einer Anhöhe lag.

Ehe aber noch die Gründung des Klosters in den zerrütteten Ländern zur Ausführung kommen konnte, machten innere Leiden die Entwickelung der neuen Stiftung unmöglich. Es waren nicht allein die wiederholten Aufstände der Wenden, namentlich nach dem Tode Pribislavs am 30. Dezember 1178, welche die verödeten Länder von neuem mit Blut tränkten: in derselben Zeit begannen auch die hartnäckigen, verwüstenden Kriege, welche die brandenburgischen Markgrafen gegen die Herzoge von Pommern über die Oberherrlichkeit über dieses Land führten, Kriege, mit denen die Ausdehnung der brandenburgischen Macht beginnt. Im J. 1182 fiel auch der Pommernherzog Kasimir I. in einer Feldschlacht gegen die Brandenburger; vorzüglich aber wüteten die immer erneuten Kriege, welche jeden Keim der Bildung vernichteten, in den Jahren 1197 bis 1198 und 1214, bis endlich die Pommernfürsten unterlagen und durch den Vertrag von Kremmen am 20. Juni 1236 ihre ursprünglichen Besitzungen von den Markgrafen zu Lehn nehmen und diesen das Land Stargard, ungefähr das jetzige Strelitzer Land, abtreten mussten. Jetzt erst kamen die Segnungen des Friedens über das unglückliche Land: unter den Brandenburgern, deren ehemalige Herrschaft noch Stadt-Wappen und Rechten zu erkennen ist, wurden die Städte und Klöster des Landes gegründet und alle Verhältnisse geregelt. Bis zum J. 1302 blieb das Land in brandenburgischem Besitze, bis zum Tode des letzten Fürsten der herrschenden brandenburgischen Linie, Albrechts III.; dieser ließ es seiner Tochter Beatrix, welche es als Heiratsgut ihrem Gemahle, dem Fürsten Heinrich dem Löwen von Mecklenburg zubrachte, der es trotz wiederholter Anfechtungen durch seine ritterliche Tapferkeit siegreich für alle Zeiten dem Hause Mecklenburg bewahrte.


In jenen Zeiten der blutigen Aufstände und Kriege verlor auch das Kloster Broda, welches sprichwörtlich wegen seines ursprünglichen Reichtums auch den deutschen Namen Brot erhalten hatte, beinahe alle seine Besitzungen, welche freilich fast übermäßig gewesen waren, und ward wiederholt zerstört; nicht nur die Markgrafen von Brandenburg eigneten sich das Gut, das ohne Verwalter war, zu, sondern auch die Fürsten von Werle scheinen sich einen Teil desselben angemaßt zu haben. Das Kloster behielt nicht viel mehr, als die an Broda zunächst gelegenen Dörfer, welche jedoch zur Erhaltung ausreichten. Der Bau des dem Apostel Petrus besonders geweihten Klosters wird erst nach dem J. 1216 begonnen sein; im J. 1244 stand es bereits.

Auf den nächsten Gütern des Klosters, welche die Landesherren an sich gerissen hatten, wahrscheinlich auf den Feldmarken Dober und Step, gründete der Markgraf Johann I. von Brandenburg, in richtiger Erkenntnis der günstigen Lage der Gegend des jetzt stille gewordenen Broda, am 4. Januar 1248 nach dem Muster seiner Stadt Alt-Brandenburg eine neue Stadt Neu-Brandenburg und übertrug die Einrichtung derselben dem Herbord von Rowa, der unter dem entstellten Namen Alborus von Raven als Gründer der Stadt bekannt ist, noch lange lebten Herbords Nachkommen als landbegüterte Vasallen und Bürger zu Neu-Brandenburg. Als die Stadt bald fröhlich aufblühte und die Mönche scheel auf die ihrem ehemaligen Boden entsprießenden Früchte sahen, entschädigten die Markgrafen Otto und Albert im J. 1271 das Kloster für den ihm für die Stadt genommenen Grund und Boden durch mehrere feste Hebungen und durch das Patronatrecht über die Kirchen der Stadt, so daß diese doch in einem Abhängigkeitsverhältnisse zu der altern Stiftung blieb, deren Unglücke sie ihr Dasein verdankte.

Neu-Brandenburg ward bald die erste Stadt des Landes Stargard; noch jetzt ist sie es und Vorderstadt des stargardischen Kreises, d. h. Vertreterin der übrigen stargardischen Städte in landständischen Angelegenheiten. Schon in dem Jahrhundert ihrer Erbauung ward die prachtvolle Hauptkirche vollendet und manche andere geistliche Stiftung gegründet, von denen ebenfalls noch treffliche Bauwerke zeugen; ein Jahrhundert später (vor dem J. 1417) erhielt es ein Franziskaner-Mönchs-Kloster. Die Tore und Mauern der Stadt mit den alten mit Eichen bepflanzten Wällen zeugen davon, dass sie stets von Bedeutung gewesen sei. War die Stadt auch nie beständige Residenz der Fürsten, so hielten sie hier doch häufig Hof, namentlich immer dann, wenn Geschäfte oder Feste eine große Anzahl von Gästen herbeizogen, und die Stadt ward der Schauplatz mancher merkwürdigen Begebenheit. Daher hatten die Landesherren hier auch immer einen Wohnhof. Den ältesten Hof verschenkten sie im J. 1349 an die zu Grafen von Fürstenberg erhobenen Herren von Dewitz, zogen ihn jedoch nach kurzer Zeit, als die Grafschaft Fürstenberg aufhörte, wieder ein. Darauf schenkten die Fürsten das Haus den in der Nähe der Stadt wohnenden Rittern von Ihlenfeld: in einer blutigen Fehde der Ihlenfelde mit den Bürgern, welche über die an dem Hofe klebenden Freiheiten und den Übermut der Ritter ergrimmt waren, brachen die Bürger im J. 1480 den Hof ab. Darauf bauten sich die Fürsten einen geräumigen Hof am stargardischen Tore, den sie jedoch im J. 1564 ebenfalls verschenkten, nachdem die Linie Mecklenburg-Stargard seit längerer Zeit ausgestorben war; noch heute führt ein an der Stelle des Hofes stehendes Gasthaus den Namen „zum Fürstenhofe." Erst seit dem J. 1775 entstand das jetzige Palais am Markte.

Der Wohlstand der Stadt ist geblieben, große Unglücksfälle haben aber bis auf die Kirchen, Mauern und Thore jede Spur von der alten Gestalt vertilgt, so daß Neu-Brandenburg als eine ganz neue Stadt erscheint, denn sie ist regelmäßig, weit und freundlich gebaut. Eine Feuersbrunst legte im J. 1614 die halbe Stadt in Asche. Nicht lange darauf ward sie von den Gräueln des dreißigjährigen Krieges so schrecklich heimgesucht, wie wenig andere Städte. Der heldenmütige König Gustav Adolph von Schweden hatte Deutschland am 4. Julii 1630 betreten. Wallenstein wich auf einige Zeit vom Kriegsschauplatze und der blutbefleckte Tilly ward sein Nachfolger im Oberbefehle des katholischen Heeres. Gustav Adolph, in dem Vorsatze, Schritt für Schritt sicher zu gehen, suchte sich erst in Pommern festzusetzen und zu stärken und von hieraus weitere Verbindungen anzuknüpfen. Die Kaiserlichen waren in diesen Gegenden nicht stark und der Schwedenkönig gewann ohne große Opfer eine Stadt nach der andern. Gustav Adolph gewann Neu Brandenburg mit leichter Mühe und hielt am 2. Februar 1631 seinen Einzug; weil er aber zur Belagerung von Demmin eilte, brach er mit seinem Heere am 7. Februar gegen diese Stadt auf und ließ in Neu-Brandenburg nur eine Besatzung von 2000 Mann unter dem General-Major von Kniephausen. Tilly, von den Fortschritten des Königs unterrichtet, rückte in Eilmärschen aus der Churmark von Ruppin her gegen die Stellung Gustav Adolphs. Voran schwärmten brennend und mordend die Kroaten, und die Kaiserlichen besetzten bald das nahe Stargard. Am 4. März erschien Tilly selbst vor Neu-Brandenburg; die Schwedischen Truppen und die herzhaften Bürger rüsteten sich mit allen Kräften zur Gegenwehr. Nach einigen Verhandlungen und Vorbereitungen begann die eigentliche Belagerung der Stadt am 6. März. Alles, was in der Stadt war, behauptete sich heldenmütig. Die Beschießung der Stadt dauerte drei Tage; was während des Tages eingeschossen war, füllten die Einwohner des Nachts wieder aus und stärkten sich am folgenden Tage wieder durch Gebet, Predigt und Abendmahl. Eine Kapitulation konnte Tilly nicht gewinnen; Kniephausen rief vielmehr: „Wachet nun auf und haltet euch wohl, ihr ehrlichen Soldaten; jetzt wirds zum Ernste gehen.“ Da eröffnete Tilly am 9. März früh Morgens ein furchtbares Bombardement und der Sturm begann bald; um Mittag drangen, nach heldenmütiger Gegenwehr der Belagerten, die Kaiserlichen über den Wall beim friedländischen Tore und von hier durch eine Bresche in der Mauer neben dem neuen Tore, wo noch jetzt zur Bezeichnung der Stelle drei Kanonenkugeln nach der Stadtseite eingemauert sind. Die Zügellosigkeit der wilden Horden kannte keine Grenzen. Es begann ein allgemeines Rauben und Morden unter den empörendsten Grausamkeiten. Selbst die Altäre waren den Feinden nicht heilig. In der schrecklichsten Verwirrung stürzte alles in die Marienkirche, wo fortwährend Gottesdienst gehalten ward; die Feinde stürmten nach und schonten mit blutbefleckten Händen im Heiligtum weder Prediger, noch Frauen und Jungfrauen. Die rohesten Ausschweifungen begleiteten das Blutbad und die allgemeine Plünderung währte drei Stunden. Unterdessen kam Tilly selbst in die Stadt; sein Pferd ward über Bretter durch die Bresche hineingeleitet. Glücklicherweise brach Feuer aus, wodurch die zügellosen Schaaren etwas von fernem Unmenschlichkeiten abgehalten wurden, obgleich die Martern noch längere Zeit fortgesetzt wurden. Tilly ging nach Stargard zurück; was er aber am 9. März in Neu-Brandenburg getan hatte, war nur ein Vorspiel von dem, was er am 20. Mai in Magdeburg tat. Gustav Adolph stand vor Frankfurt a. O., als er das unwürdige Benehmen Tilly's gegen die tapfere Schaar in Neu-Brandenburg ver-nahm. Auch er befahl, den Kaiserlichen keinen Pardon zu geben, und bei der Erstürmung Frankfurts am 13. April riefen die wütenden Schweden denen, welche um Quartier oder Pardon baten, die Antwort entgegen: „Neubrandenburgisch quartier" und hieben sie in Stücke. Bis auf die neuern Zeiten ward in Neu-Brandenburg zum Gedächtnisse am Mittwoch nach dem Sonntage Reministere ein Bußtag unter dem Namen des Tilly-Tages begangen. Was der Sturm noch geschont hatte, verwüsteten die namenlosen Leiden der Jahre 1637 und 38, welche durch ihre lange Dauer folgenreicher wirkten, als kaum ein anderes Unglück. Kaum hatte sich die Stadt ein wenig erholt, als am 20. Mai 1676 ein furchtbarer Brand die ganze Stadt verzehrte; nur die Kirchen und etwa 30 Wohngebäude blieben übrig, und die Einwohner retteten fast nichts als das nackte Leben. Erst seit dem entstehen des Hauses Mecklenburg-Strelitz (1701) erholte sich die Stadt durch mancherlei Begünstigungen etwas; doch gingen am 24. April 1737 wieder 222 Häuser mit dem Rathaus und dem Archive in Rauch auf. Dennoch hat Neu-Brandenburg bis heute immer die erste Stelle unter den Städten des Strelitzer Landes behauptet; regelmäßige Bauart, breite, reinliche Straßen, freundliche Häuser, eine schöne Kirche, eine große Schule, ein Schauspielhaus, ein fürstliches Palais, lebhafter Verkehr mit alten Wollwebereien, mit Wollmarkt und Pferderennen neuerer Zeiten und mit Versicherungsanstalten, mehrere Chausseen mit Schnellposten zeugen von der Bedeutsamkeit des Ortes, der in 28 regelmäßigen, rechtwinkligen Vierecken 650 Häuser mit mehr als 6000 Einwohnern zahlt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Mecklenburg in Bildern 1842