Der geängstigte Barbier
Der geängstigte Barbier. Ein Paar Zwillingsbrüder, Fritz und Karl, die einander so ähnlich waren, dass sie selbst von ihren Eltern oft verwechselt wurden, machten eine Reise durch Deutschland, durch die Schweiz und durch Italien mit einander. In Zürich wohnten sie im Schwerte, und gefielen sich in diesem Gafthofe, wo die Bewirtung einzig in ihrer Art ist, so sehr, dass sie beschlossen, lange hier zu verweilen. Sie waren beide sehr heiter, und erlebten durch ihre Ähnlichkeit manches freundliche Abenteuer. Ihre Bärte waren zur Ungebühr lang geworden, und der Eine von den Brüdern wartete an dem Fenster des Zimmers auf einen Bartabnehmer. Er gewahrte endlich einen Scherer, winkte denselben hinauf, und veranlasste seinen Zwillingsbruder, in die anstoßende Schlafkammer zu gehen, und sich dort ganz ruhig zu verhalten. Der Barbier trat herein, Fritz setzte sich, der Bart war schnell und gut abgenommen, und nun ging Fritz mit der Serviette in die Kammer, als wenn er Geld holen wollte. Der Barbier hatte indessen sein Barbierzeug zusammengepackt, und ging dem Geschorenen mit einer krummen Hand entgegen, um ihm das Geld abzunehmen. Wie erschrack er, als Fritz mit demselben Barte, welchen er so eben abgenommen hatte, wieder vor ihm saß, und verwundernd mit derselben Stimme, welche sehr ausgezeichnet war, fragte: „Nun, wollen Sie mich denn nicht barbieren?“ „Ich habe Sie ja schon barbiert,“ so sprach der Barbier mit zitternder Stimme. „Sie sind wohl nicht recht bei Sinnen,“ donnerte der Fremde ihn an. Ängstlich und zagend seifte der arme Barbiergeselle denselben Bart mit allen den kleinen Abzeichen ein, welche ein Bartscherer so leicht zu bemerken Gelegenheit hat; es waren ohne Zweifel dieselben Augen und Augenbraunen. Auch die etwas über den Mund herabhängende Nase musste, wie vorher, mit den Fingerspitzen ein wenig in die Höhe gehoben werden. An dem Kinne war dasselbe Wärzchen, und auf der Mitte der Stirne dasselbe Leberfleckchen, welches ihm vorhin aufgefallen war. Mit Angst und Not ward er fertig, ohne den lächelnden Karl geschnitten zu haben. Eben dieses sarkastische Lächeln war ihm schon vorher aufgefallen, und er fürchtete, er werde dem Hexenmeister heute wohl den ganzen Tag den Bart putzen müssen, und derselbe könne auch wohl sogar unter seinem Messer wieder wachsen. Ein solches schnelles Wachstum der Barthaare, wie er es eben erlebt hatte, konnte nach seiner Meinung gar nicht natürlich zugehen; er entfernte sich so schnell als möglich und war auf keine Weise dazu zu bereden, einen Heller für die Abnahme der beiden Bärte anzunehmen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Konversations-Lexikon für Geist, Witz und Humor - Band 1 - B