Neuntes Kapitel. Meine Reise nach N.

Neuntes Kapitel.

Meine Reise nach N.


Es war Morgens, die Streu noch nicht aufgehoben, und Christian schüttete noch halbschlaftrunken Futter, als die Stalltür aufflog und der Schreier, der Reiter und der Lahme mit einmal eintraten.

„Gottswunder! Die Kerle haben noch nicht geputzt, und er wird gleich da sein –“

Mit emsiger Hast griff nun alles nach Striegel und Kardätsche, Mähnenkamm und Wasserbürste, und in kurzer Zeit standen wir, zu der Beschämung so mancher Stallordnung fürstlicher Marställe, wie glänzende Spiegel da.

Mit Peitschen versah sich alles, was Arme hatte, und kaum kannten wir uns vor Lebhaftigkeit und Feuer selbst noch.

Endlich ging die Stalltür auf, und ein aufgeblasener Mann mit großen Stiefein, klirrenden Spornen und einem großen dreieckigen Hut, begleitet von einem Reitknecht in Livree, der immer drei Schritt hinter ihm stand, trat in den Stall.

„Den Braunen von Maltzahn“, schrie mein schwarzer Herr, „fes, bei Gott, ein Pferd wie ein Ballen, aus dem Maltzahn'schen Gestüt von Englischer Rasse. Haben Sie die Gnade, Herr Stallmeister, besehen sich das Pferd, fes werth, dass man's ansieht, bei Gott, fes werth“ –

„Auch schon fromm und rittig ?“ fragte der Herr Stallmeister, dessen l'esu de jasmin den ganzen Stall mit Wohlgerüchen erfüllte.

„Gott'swunder! wirds nicht geritten sein – s'e können drauf setzen en Kind, en alten Herrn – ja geritten – legt die Stange of – gnäd'ger Herr sollen's selber reiten – die ganze Welt es seine – s'e im Stall reden wir gar nicht – s'e sollens draussen reden – fes en rores Pferd – s'e finden's bei keinem Handelsmann besser.“

Alles lief nun zu, mich bestmöglichst zuschmücken, indem der Herr Stallmeister den Stall verließ. Das schönste rote Deckchen, das eleganteste Stirnband zierte mich, mit feuchten Lappen überfuhr man mir Mähnen, Rücken und Schenkel, rollte den Schweif auf, und wußte die Empfindlichkeit meines Darmkanals durch einige Pfefferkörner so zu reitzen, dass ich den Börzel immer in einer erhabenen Stellung trug.

Jetzt führte man mich durch den Hof auf die Straße, und jeder Koppelknecht, bei dem ich vorbei passierte, gab mir noch einen Peitschenhieb.

Voll inniger Überzeugung, dass man einen fürstlichen Stallmeister nicht betrügen könnte, der 6 Jahre das Metier gelernt, noch überdies einen Cursum auf der Tierarzneischule gemacht, und endlich noch zur Unfehlbarkeit Plöns und Havemanns Anleitung zur äußern Pferdekenntnis gelesen habe, stand er, mich mit kritischen Blicken musternd, die jedoch nicht wussten, auf was sie zuerst fallen sollten, mit untergestemmten Armen umringt von meinem Herrn und einem dicken Mäckler da. Man stellte mich aus eine safte Anhöhe mit den Vorderschenkeln ausgestreckt – eine Kunst, die mich mein Reiter schon längst gelehrt hatte – ihm gegenüber; mein schwarzer Herr überfuhr mit seinen langen Nägeln unsanft meinen Rücken und brach, als ich diesen einzog und in demselben Maße meine etwas abgeschliffene Croupe erhob, in ein Lob meines, wie er sich ausdrückte, ganz englischen, geradlaufenden Kreuzes aus, vermaß sich beilläufig hoch und teuer, dass der Fürst schon zweimal den Herrn Stallmeister R… an ihn abgeschickt habe, um auf mich viel Geld bieten zu lassen, dass schon der Amtsrat B… um mich gehandelt, und der Graf W… aus Wien noch ohnlängst geschrieben habe, ihm sei ein Pferd von meiner Gestalt aufzuheben; da aber die Leipziger Messe so nahe wäre, so hätte er mich um 50 Louisd'or, was man ihm geboten nicht verkaufen wollen, denn dort bekommt man Hundert.

Ich erstaunte, dass auf einmal so viel Nachfrage nach mir sei, und das sogar der Fürst von – und der Amtsrat B… so viel auf mich bieten lassen, ohne mich nur gesehen zu haben. Überhaupt konnte ich nicht begreifen, warum auf einmal von dem Mahlzahnischen Gestüt, von Englischer Rasse und völlig zugeritten sein sollte. Zog denn nur dieses Gestüt gute Pferde? Mußte man denn von Englischer Rasse abstammen, um geschätzt zu werden? und wollten denn sogar auch Stallmeister schon zugerittene Pferde kaufen? Ich konnte mir das nicht erklären.

Der wohlbeleibte Mäkler unterhielt indeß den Reitknecht des Herrn Stallmeisters, lobte das hiesige sehr gute Bier, den vortrefflichen Franzwein, ließ im Vorbeigehen etwas von Erkenntlichkeit und gutem Zaumgelde fließen, und beeiferte sich, mir nebenbei unbemerkt Peitschenhiebe zukommen zu lassen.

„Nä, soll'n der gnädige Herr sehen, wie's trabt, nä, alle Engländer traben so nicht, und – en Schwanz tragen –“

Mit einem raschen Sprung saß mein Reiter auf, und von allen Seiten setzten mich Peitschen in Gang.

Das Mundstück, was ich jetzt hatte, war mir fremd, ich konnte mich nicht erinnern, seit Jacobs Ritt eine ähnliche Wirkung empempfunden zu haben; doch war der Eindruck desselben nicht so achmerzhaft und ich fühlbar genug, mich bei dem leisesten Anzug der Zügel halten zu lassen, ohne dass man mir, um die Hartmäuligkeit zu vertreiben, nach dem Privatgelehrten Buschendorf (man sehe dessen Dictionnaire für Pferdeliebhaber) gestoßenes Glas in die Laden einreiben durfte, und bei welchem ein Pferd so lange weichmäulig bleiben soll bis es wieder heraus geschworen ist. Eine Fabel, mit der man doch wohl den Herrn Privatgelehrten hinterging.

So geschickt mich diesmal auch mein Reiter führte, um mir dadurch die noch unverständliche Wirkung meines neuen Mundstücks bekannt zu machen, und so sehr es ihm auch wirklich glückte, mich so zu zeigen, als wäre ich schon längst auf der Cantare geritten worden, so sehr ich ferner auch selbst, aus Furcht vor der Menge in Bewegung seiender Peitschen, mein Möglichstes tat, um schnell zu traben und mich in Glopp zu erhalten, so war dies doch alles meinem zänkenden Herrn nicht gut genug, und unaufhörlich schrie er auf meinen Reiter:

„Na, laß en gehen, wie er geht, tu'n nichts – o wie! er will mehr Luft – der Kerl kann nicht reiten – fes das Pferd nicht mehr.“

Wie ungerecht! Ich fühlte, das mein Reiter alles tat, um meine Rohheit, meinen Mangel an aller Dressur, so viel wie nur möglich, zu verbergen, dass ich allein die Schuldhabe behülfliches plumpes Tier sei, das alle Meister der Reitkunst in seinem jetzigen noch unausgebildeten Zustand nicht vorteilhaft zeigen würden; und doch, wie erstaunte ich, als ich fand, dass alle diese unverdienten Vorwürfe meinen Reiter nicht verdrüßlich machten, ihn aber auch eben so wenig bestimmten, mich anders zu behandeln; ja ich fand, dass gerade dann, wenn er, der Schreier, schrie: „Na, lass'n gehen, wie er geht, tu'n nichts“, er mir unvermerkt die Sporen und die Peitsche gab, und ich kam fast darauf, zu glauben, dass alles Schreien, Zanken und Schimpfen eine angenommene Convention sei, dass ein gutes Zaumgeld für ihn mit bezahlt machen müsste.

Mein Gang, meine Figur, meine Bewegung, alles schien dem Herrn Stallmeister zu gefallen, zu dem ich jetzt wieder hingestellt wurde, der mir in das Maul sah, die Augen beguckte, die Schenkel begriff, und nun, wie es schien, unwissend, nach was er noch sonst sehen sollte, um mich herumging.

Beiläufig erzählte er dem versammelten Judencorps von der Gnade, mit welcher ihn sein Fürst beehrte, der ihm den Einkauf aller Pferde ganz unbedingt überlasse, und sich an gar keinen Preis kehre, wenn das Pferd nur seinem Geschmack angemessen sei und Serenissimus ganz eonveniere; und immer größer wurde die Versicherung meines Wertes von Seiten der beschnittenen Zuhörer.

Endlich fragte er, den Verlust in Augen habend, welche sein Fürst bei der neuen Requisition erlitten hatte, ganz kleinlaut nach dem Preise, und man raunte ihm, bei Seite führend, als habe man ihm ein Staatsgeheimnis zu verraten, etwas von 70 Pistolen in das Ohr.

Ich wurde in den Stall zurückgeführt, und sahe kurz darauf ein preussisches, auf der Auktion in Berlin gekauftes, mehrerer Mängel wegen ausrangiertes Gestütpferd vorreiten, das man nur durch besondre Connexion mit vieler Mühe und einer ungeheuern Summe erhalten haben wollte, das von echt arabischer Rasse abstamme und von dem Hengst Külblank zu Neustadt an der Dosse gezeugt sei, ob es übrigens schon, außer seinen hohen Beinen, langen Fesseln, Hasenhacken, spahartiger Lähmung und sehr stierem Blick, der nicht den freiesten Zustand seines Gehirns verriet, nichts bemerkenswertes hatte.

Endlich kam auch dieses von der Musterung zurück, und der fürstliche Reitknecht zu unserer beiderseitigen Untersuchung noch einmal in den Stall, den ich sehr höflich gegen meine Herrn und unter vielen Danksagungen und Versicherungen, dass er alles zu dem Handel tun werde, in kurzer Zeit wieder abgehen sah.

Mäkler wurden nun dem kaufenden Stallmeister nachschickt, und selbst mein Reiter und mein schreiender und lahmer Herr zog mit dem Befehl an Christian, mich ja recht durchzuprügeln, dass ich sobald nicht wieder zu köken anfinge, diesem geldreichen und kenntnisleeren Pferdekenner nach; denn wie leicht hätte dieser zu andern Pferdehändlern kommen und von diesen in Beschlag genommen werden können, da diese, neidisch auf den Gewinnst, welchen meine Herren hier machen würden, alles anboten, den Käufer an sich zu locken! Wirklich saßen auch alle zu Pferde, wie bei einem allgemeinen Aufgebot und wo sich der Stallmeister mit seinem Reitknecht nur sehen ließ, da ritt ihm auch ein Pferdehändler über den Weg, in der Hoffnung, seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Aber von allem wusste ihn der hagere Mann abzuziehen, und konnte er den Pferden eines anderen Händlers keinen Mangel andichten, so sprach er wenigstens mit Beileidsversicherungen von ihnen, indem er hinzusetzte, daß dieser Mann kürzlich ein großes Unglück gehabt habe, dass in dessen Stall der Rotz und Wurm ausgebrochen sei, und es sehr zu befürchten stünde, dass dessen ganze Pferde davon infiziert sein würden.

Unter Lachen kehrte am Abend mein Herr mit dem Gefolge von Mäklern zurück und verkündigte den Koppelknechten, dass ich und das preussische Gestütpferd verkauft sei, und wir morgen früh mit dem Herrn Stallmeister abgehen würden, rufte die über diese Nachricht höchst erfreuten Männer zu der Auszahlung des Zaumgeldes zusammen, und befahl Christian, mit dem Anbruch des Tages ein glühendes Eisen zu dem Brennen für mich bereit zu halten.

Das fehlte noch, um allen diesen Misshanlungen, die ich hier erduldete, die Krone aufzusetzen, dacht' ich, und schlief voll banger Erwartung ein.

Der Tag brach an, und ich sah alle Vorkehrungen zu dem Abschlagen meines Schweifes treffen, das diese mehr gewinnsüchtige wie menschliche Zunft, bei allem Eifer der neuern Schriftsteller dagegen, nicht unterlassen haben würde. In einem Augenblick war die Operation geschehen, und, ehe ich es selbst noch glaubte, der Schmerz des Canterisierens verwischt. Schon wähnte ich nun die letzte Peinigung überstanden zu haben, als Christian mit dem glühenden Eisen noch einmal zu mir in den Stall trat, mir die Zunge heraus nahm und – man denke sich die barbarische Behandlung – die Spitze derselben brannte.

Dieser Schmerz war wirklich einer der größten, den ich je ertrug, und noch konnte ich nicht begreifen, zu welchem Endzweck, da hier gar keine blutenden Adern zu stillen waren, als an der zerschnittenen Schweifrübe, und die Unwarheiten bei meinem Verkauf ja mein Herr, nicht ich gesagt hatte, die ich dadurch bestraft zu sehen glaubte.

Nur zu bald fühlte ich, dass diese Misshandlung mir widerfahren sei, um, so lange als die Zunge schmerzhaft blieb, meinen Fehler des Kökens nicht verraten zu können.

Wohl segnete ich den Stallmeister, den Fürst, der ihn sandte, und den Reitknecht, der uns beide teuer erkaufte Tiere zur Hand führte, als wir die schöne Allee vor dem D. Tore nach – passierten.

„Sind doch ein paar schöne Pferde“, hob der Reitknecht, noch eingedenk des erhaltenen guten Zaumgeldes und des gestrig zechefrei getrunkenen Franzweins, an, „der Oberforstmeister, der wird seine Freude haben und der Kammerherr H . . . (der wohl, dachte ich, der seit 30 Jahren Equipage hält, und deshalb den Einfall hatte, den vollkommenen Kutscher ganz unvollkommen zu schreiben; gewiss ist es dieser, dem mein Unstern mich entgegen führt, und schon halb war meine Freude von vorhin dahin –) der“, fuhr er fort, „wird Augen machen. Ehrliche Handelsleute, schenerable Juden“, setzte er hinzu, „ich wüßte doch auch nicht ein Manggat an den lieben Tieren!“

„Dass ich auch nicht wüsste“, fiel der sich auf seinem struppierten Braunen stolz umsehende Stallmeister ein; „aber freilich, freilich,“ fuhr er wohlgefällig lächelnd fort, „man muss die Auswahl verstehen, man muss die Kerle zu betrügen wissen.“

O weh, dachte ich, so betrügen also auch die Christen; doch war die Reihe wenigstens diesmal erst an den Juden.

„Augen, Augen muss man haben“, setzte er hinzu, „auf alles muss man sehen, ein zweiter Sind muss man sein, und der Klügste kann da betrogen werden, wenn er nicht alle Mängel im Kopfe hat, die in Eisenberg so schön abgebildet sind. Nun ich hoffe, Durchlaucht soll Freude haben, den Braunen mindestens denk ich ihm in drei Jahren zur Parforcejagd zu geben.“

Wenigstens, dachte ich, wird hier, wie ich höre, die Abrichtung nicht nach Pferdehändler Manier übereilt; hier scheint man doch die Pferde gehörig behandeln zu wissen und sie nach den Lehren zu bearbeiten, die schon so viele Schriftsteller, mit und ohne Kenntnis der Sache, wovon sie schreiben, ohne Erfolg aufgestellt haben.

In G… glaubte ich einen Tag ausruhen zu können, da der Herr Stallmeister doch mindestens die Reitbahn besuchen würde, in welcher einst W… ritt, und deshalb Liebhabern dieser Kunst auch schon die Stätte ehrwürdig sein muß; doch geschah dies nicht, und kaum erlaubte sich der Herr Stallmeister nur so lange hier zu verweilen, als der Reitknecht Zeit brauchte, für den Herrn v. H. aus der nächsten Buchhandlung, die Kunst, die Lebensdauer der Pferde zu verlängern, zu holen; ein Werk, das zu dieser Zeit erschienen und wenn auch nicht so berühmt als Hufelands Macrobiotic, doch wenigstens von einer Menge faden Geschwätzes eben so stark war.

Noch marschierten wir einige Tage bei ganz schlechtem Wege fort, und ich fand, dass meine jetzige Wartung, ob ich gleich von einem fürstlichen Reitknecht bedient wurde, bei weitem nicht die sei, welche ich bei den Juden genoß. Meine Fessel wurden nie ausgewaschen, und brachen am Ende, von dem Schmutz und der allgemeinen Disposition zur Druse, die in meinem Korper lag, gereitzt, auf; auch ermüdete mein Kamerad bei seinem schwachen Hinterteil, trotz aller seiner Abstammung vom Hengst Külblank, so, dass er kaum fortzubringen war, und ich, man denke sich das Erschrecken des Stallmeisters, der bei meinem Einkauf die Augen überall gehabt haben wollte, lch fing, da nun meine Zunge gehellt war, meinen Fehler, das Köken, von neuem an.

Still, voller Verdruß und Beschämung zogen wir endlich spät am Abend in D… ein, und wurden von dem Herrn Bereiter und zwei Bereiterscholaren mit ungeheuer großen Stiefeln und Spornen, bei deren Auftritt der antikgewölbte Stall erbebte, und dem versammelten Stallpersonale mit vieler Erwartung empfangen.