Zehntes Kapitel. Meine Dressur.

Zehntes Kapitel.

Meine Dressur.


Durchlaucht, mein nunmehriger Herr, waren ein großer Freund von Pferden, hatten ehemals eigne Gestüte gehabt, die sie jedoch bei den enormen Summen, die ihr Unterhalt bei einer schlechten Verwaltung verursachte, wieder eingehen lasssen, und nur einige Wagenpferde von ganz schlechter Holsteinischer Rasse, mit der man, nach dem Rat des Landgestütsmeisters dem Gestüt am besten wieder aufzuhelfen geglaubt hatte, waren noch da. Doch war deshalb der Stall, so wie das ganze Stallpersonal nicht verringert worden, und außer dem Oberstallmeister Ercellenz, der schon den dritten Tag nach unsrer Ankunft in den Stall kam, und aus Unbekanntschaft mit den Pferden, welche er enthielt, zwei alte Klepper für uns neu angekommene nahm, war noch ein Stallmeister, welcher uns gekauft, ein Bereiter und zwei Scholaren, die, nach ihrer Miene zu urteilen, in dem Dünkel standen, diesem Metier seinem vorigen Glanz zu geben, ein alter Hufschmied, der den Feldzug in Poleen mitgemacht hatte, ein Leibsattelknecht und eine ansehnliche Menge fauler Reitknechte und Kutscher da. Auch hatte Serenissimus die lobenswerte Idee, eine Tierarzneischule in seinem Lande anzulegen, an welcher zum Professor und Obertierarzt ein junger Mann bestimmt war, der ehemals menschliche Medizin studiert zu haben vorgab, und schon mancherlei über Tierarznei, Schuhblattern, Hypochondrie, Rindviehpest, Ökonomie, Galvanismus, Forstwissenschaft, Fabrikwesen und Geographie geschrieben hatte, noch an verschiedenen Journalen der Industrie Mitarbeiter, Ehrenmitglied mehrerer ökonomischer Gesellschaften und Recensent an einigen kritischen Blättern über mehrere Fächer war. Der Fürst hatte ihn, um sich in der Tierarzneikunde zu vervollkommnen, reisen lassen; da er sich aber in dieser Eigenschaft schon vollkommen glaubte, so hatte er die Gelegenheit, Berlin. Wien, Dresden, Kopenhagen, Lion und s. w. zu sehen, auf eine andre Art benutzt, und hierüber eine kleine Reisebeschreibung geschrieben, in welcher, drollig genug, von allem, nur nichts von der Tierarznei, vorkommt. Nur wenig Tage vor meiner Ankunft war er zurückgekommen und beschäftigte sich soeben mit der Einimpfung der Schafpocken, der Druse, der Rindviehpest und der Schuhblattern, das heißt, auf seiner Studierstube, und machte eine neue, und dies um so interessantere Personage des fürstlichen Stalles aus.

Den Tag nach unserer Ankunft hatten wir Rast, und wurden von mehreren Pferdeliebhabern, die sich auch Kenner zu sein einbildeten, wahrscheinlich weil sie Teuneckers Messgeschenk noch nicht gelesen hatten, das diese Herren doch ja beherzigen möchten, besucht.

Einer tadelte meinen Kopf, der andere meine Croupe, jenem war mein Oberarm zu kurz, und diesem mein Hals nicht genug gebogen. einer machte mich zu einem Nationalengländer, der andere zu einem Barben, und dem dritten schien ich mehr von Dänischer Rasse zu sein; kurz, jeder wollte etwas sagen, jeder mußte etwas loben und etwas tadeln, und nur die wenigsten wussten meinen Wert zu schätzen und meine wahren Mängel aufzufinden.

„Halten zu Gnaden, Herr Oberforstmeister“, sagte der alte Kurschmid, „das Pferd hat ja gleichsam die Mauke – dies möchte wohl ein remarkabler Fehler sein.“

„Die Schale vielmehr“, fiel der neue Professor der Tierarzneikunde ein, „ich werde Impfstoff zu den Kuhblättern davon nehmen.“

„Schale! das ist ja aber gleichsam etwas ganz anderes“, erwiederte der Schmied.

„Schale“, sagte der Leibsattelknecht, der unter allen der unbefangenste war „Schale bezeichnet in der Sprache der Pferdekenntnis eine Aufblähung des Knochens an dem untern Rande des Fesselbeins; Mauke aber ist ein chronisches Geschwür in dem Fesselgelenk, so führen wenigtens alle erfahrene Pferdekenner und Rossärzte diese Übel an.“

„Da hört man, wie weit ihr bei der Literatur der Tierarzneikunde zurück seid. Schale ist und muß ein offenes Geschwür sein, denn aus ihm haben ja die neuern Ärzte Impfe zu den Kuhblattern genommen.“

„Aber, wenn Sie erlauben“, erwiederte der Sattelknecht, „dies muß doch wohl ein Irrtum in der Krankheit gewesen sein, und diese Herren haben aus Mangel praktischer Kenntnisse die Namen dieser Übel verwechselt; denn von der Schale, die nichts anders wie eine Beingeschwulst ist, lässt sich durchaus kein Impfstoff nehmen oder man muss die Benennungen, die nun Jahrhunderte gültig waren, verwechseln, und das jetzt Schale nennen, was ehemals Mauke hieß.“

„Auch Mauke heißt es nur in den wenigsten Fällen“, nahm der Professor wieder das Wort, „besser drückt Javarre diesen kranken Zustand aus, der mit der Störzelseuche, dem Mähnengrind und der Maulwurfsgeschwulst so nahe verwandt ist.“

Der Kurschmied bekreuzigt sich. „Das sind ja gleichsam neue Remedien, von welchen ich in meinem 40jährigen Dienst als Fahnenschmied nichts gehört habe. Gott stärke mir doch das Gedächtnis, um nur alle die Namen zu behalten, mit welchen man gleichsam die Krankheiten mit Krankheiten belegt.“

Den vierten Tag wurden wir Serenissimo vorgeführt, und von allen Zuschauern nebst dem neuen Morgenkleide der Fürstin, die auf dem Balcon stand, zum Tischgespräch gemacht.

Die Wenigen, die mit dem Stallbeyartement in Verhältnissen standen, lobten, die weit größere Anzahl tadelte uns, keinem gefielen wir ganz, und am wenigsten dem Herrn von – I –, der schon seit Jahren seine Augen und Wünsche vergeblich zu der Reisestallmeisterstelle erhob, und außer der Bahne in Göttingen auch die Akademie in – B – besucht hatte.

Der Stallmeister hatte, seit der Erscheinung von Rumpelts Unterricht Pferde zu beschlagen viel von der Struktur des Hufes und noch mehr von dem mangelhaften Beschlage derselben gehört; er vermutete noch etwas Besseres in den neuesten Schriften über diesen Gegenstand zu finden, und schickte zu dem Herrn Professor, der auf Bücher hielt, da er oft buchstäblich genug aus eilsen das zwölfte machte, mit der Bitte, Ihm doch alles und jedes, was nur über das Beschlagen geschrieben worden sei, auf einige Augenblicke zukommen zu lassen.

Mit ganzen Stößen voll Bücher eilten die Stallknechte durch den Stall, indess der Schmied, dem es zu befehlen vergessen worden war, dass er sich bis zu der Entscheidung des Herrn Stallmeisters gedulden sollte, uns immer, wenn auch noch etwas mangelhaft, doch ziemlich einfach beschlug, und eben werden wir wieder in den Stall zurückgebracht, als der Stallmeister aus dem damals neuesten Werke aus Seemanns Abhandlung über das Beschlagen, um doch mit der Literatur und Mode fortzugehen, eine Art von Pantoffeleisen ausgewählt hatte, das unter andern angeblichen Vorzügen auch den haben sollte, dass es den Auftritt elastischer machte, doch wir waren nun beschlagen und die Verbesserung mußte bis zu dem nächsten Beschlage unterbleiben, wo ich, zu Folge meines glücklichen oder unglücklichen Geschicks, nicht mehr in diesem Stall und unter der Aufsicht des Herrn Stallmeisters und der Angabe seiner Bücher war.

Am achten Tage nach meiner Ankunft fing endlich meine Dressur an. Als hätte man die Absicht, Bären zu fangen oder Leoparden zu bändigen, trug man eine Menge Gerätschaften aus der Sattelkammer auf die Bahne, die ich noch nie gesehen hatte, und von welchen ich nur erst in der Folge die Benennung und den Gebrauch erfuhr. Da waren Kappzäume und spanische Reiter, Longen und Sandsäcke, Peitschen und Schleifzügel, und ganz gewiss hätte man auch die neu erfundene Trense, welche das Bocken der Pferde verhindern soll, herbei geholt, wenn der Herr Bereiter, der, wie so viele seiner Herrn Kollegen, außer dem Hallischen Courier oder dem Wochenblatt nichts las, die Tenneckerische Zeitung gekannt hätte, welche an diesem, wie es scheint, wirklichen nützlichen Instrumene doch einmal etwas mit Wahrheit und Überzeugung loben konnte, was, wie ich hörte, bei so manchem, was sie enthält und wie gewöhnlich lobt – denn was tadelte diese Zeitschrift wohl? – nicht der Fallsein mag.

Mit den gewaltigen Stiefeln und den noch größerern Sporen traten die Bereiterscholaren auf. Man führte uns in eine geräumige und bedeckte Bahne, die wie ich glaube, mit allen Straf- und Zwangsmitteln ausgeziert war, deren man sich nur immer seit der Entstehung der Reitkunst bediente, legte uns einen spanischen Reiter zugleich auf, und ließ uns von allem, was eine Peitsche führen konnte, gejagt, eine ganze Stunde an der Leine laufen.

Bei dem Changieren wurden wir nicht, wie ich dies in der Folge von gebildetern Bereitern sah, sanft an den Leinenführer herangenommen, geschmeichelt und dann wieder auf die andere Hand angefürt, sondern wir erhielten das Zeichen hierzu nur durch einen Prall mit dem Kappzaum und einem Peitschenhieb vor den Kopf.

Man sprach viel, dass man solche, ganz rohe Pferde, wie wir wären, nicht müde genug machen, nicht den Mut genug benehmen könnte, und jeder machte es sich zur angelegentlichsten Pflicht, dass Seinige hierzu redlich beizutragen; vorzüglich waren die beiden Herren Bereiterscholaren beschäftiget, uns den letzten Funken von Kraft durch Prellen und Reißen mit der Longe und unaufhörliches Antreiben mit der Peitsche zu benehmen.

Bis zum Umfallen entkräftet, wurden wir endlich dieser fürchterlichen Lektion enthoben, mit dem Schaumstriegel der über unsern ganzen Körper tropfende Schweiß abgezogen, und, was mich wunderte, nur von einem Stallknecht lansam herumgeführt, da ich vermutet hatte, man werde uns jedem wenigstens drei hierzu geben, da man uns doch einmal mehr für reißende Hyänen als noch junge kraftlose Pferde ansah.

Mit dieser Behandlung fuhr man auf vier Wochen fort, und wirklich waren wir in dieser Zeit so weit gekommen, dass wir einem lebenden Skelett glichen, und uns jeder Schriftsteller über die Pferdewissenschaft als Titelviguette recht gut hätte benutzen können, da diese Herren jetzt keine Schrift dieser Art ohne beigehendes Kupfer eines bald gut, bald fehlerhaft genug gezeichneten Pferdeskeletts in die Welt schicken.

Nach dieser Zeit versuchte man, es versteht sich nach geendigter Reprise, wenn wir vorher so müde gejagt worden waren, dass wir uns kaum auf den Schenkeln erhalten konnten, aufzusteigen, ohne dieses Wagestück bei so ganz rohen Pferden, wie diese Herren meinten, noch zu unternehmen, und acht Tage dauerten die Versuche, ehe man es wirklich riskierte.

Die Scholaren losten, als spielten sie ums Leben, welcher von diesen Helden uns reiten sollte, und zitternd stieg der Verlierende, nachdem wir jedoch diesmal zwei Stunden mit Zentner schweren Sandsäcken an der Leine gelaufen waren, auf.

Zwei Leinen, von dem Herrn Bereiter und dem andern Scholaren geführt, und zwei Schleifzügel, von den stärksten Stallknechten gehalten, benahm mir die Möglichkeit – etwa zu bocken – o behüte! – mich aus Müdigkeit niederzulegen.

Bügellos und ohne Spornen und Rute saß der Beänastiate, der nur zu Fuße durch seinen Auftritt Furcht erregte, oben; man zog mich einige Schritte fort, gleich einem Bären mit einem Ringe in der Nase, auf welchem ein Affe sitzt, parrierte, ließ den wieder Mut schöpfenden Bereiterscholaren absteigen, und führte mich in den Stall zurück.

Ich weiß nicht genau anzugeben, wie lange dieses Verfahren dauerte. Endlich schien man jedoch unsere Kraftlosigkeit zu fühlen, die man für erlernte Frömmigkeit nahm, wurde beherzter und zugleich auch rüder, und ich sah meinen Kameraden, dessen Schwäche des Hinterteils ihn zwang, sich alle nur erdenkliche Misshandlungen gefallen zu lassen, auf eine fürchterliche Art mit dem Kappzaum und Trensenzügeln in die Höhe prellen, und in gleichem Maße gespornt, geschlagen und in dem stärksten Trab reiten, dass ich jeden Augenblick sein Hinstürzen aus völliger Entkräftung fürchtete.

Ich gesteh', dies empörte mich, und ich nahm mir vor, so gutwillig, geduldig und folgsam ich sonst war, mich bei einer ähnlichen Behandlung auf das empfindlichste zu rächen.

Ich erhielt sehr bald Gelegenheit dazu. Zwei Freunde meines Renomisten besuchten ihn eines Morgens in seiner edlen Beschäftigung, unsere Gesundheit und williges Temperament zu verstümmeln, auf der Bahne; er wollte sich zeigen, rammte mir die Spornen in den Leib, prellte mich mit den Zügeln in die Höhe und wollte so eben seine Geschicklichkeit in diesen Mißhandlungen seinen Freunden noch einmal zeigen, als ich alle meine noch habenden Kräfte aufbot, und mich bis zum Überschlagen mit meinem blaß wie der Tod werdenden Reiter emporlehnte, dann plötzlich einen kräftigen Sprung seitwärts tat, und ihn an der Wand abstreifte.

„Seht das ganz capriciöse, ganz stätische Pferd, dessen alte Tücke erst jetzt zum Vorschein kommen! Das darf ohne Leine durchaus nicht sobald wieder geritten werden, und auch hier nur mit der größten Vorsicht und nachdem es zuvor eine ganze Stunde an der Leine gelaufen ist“, schrie der Bereiter, seine mächtig gestiefelten Scholaren und – den Leibsattelknecht ausgenommen – das ganze Stallpersonale.

Wirklich wagte man es auch mehrere Tage nicht, mich zu besteigen, und als man es tat, geschah es nur mit denselben, die größte Gefahr ahndenden Zubereitungen und Anstalten als das erste Mal, und dem ungeachtet noch unter der größten Angst und Bangigkeit.

Als ich mich endlich aber auch hier, meine Übermacht nun fühlend, einmal wieder spenstig gestellt hatte, bestieg mich niemand mehr, und ich wurde als ein incorrigibles, stätisches und capriciöses Pferd, Serinissimus nie würde reiten können, und wenn es auch noch so lange unter dieser vortrefflichen Bearbeitung blieb, zum Ausmustern vorgeschlagen.

Mit Vergnügen ergriff der Stallmeister, welcher mich gekauft, die Gelegenheit, mich auf eine so gute Art wieder los zu werden, da ich immer einen lebenden Beweis seines gänzlichen Mangels an Pferdekenntnis abgab. Zwar gstand er durchaus nicht ein, dass ich ein Köker sei; meine abgeschliffenen Zähne kamen nur von dem Krippenschleifen her, welches ich mir erst seit kurzem bei nicht gehöriger Aufsicht der Stallwache angewöhnt habe, und woraus freilich, wie er meinte, allerlei Fehler erwachsen könnten; und eben so wenig gab er zu, dass ich nur erst drei Jahre alt sei, wenn auch schon mehrere behaupten wollten, dass ich nicht mehr markiere und mir die Fohlenzähne, welche ich erst im vieren Jahre verlöre, durch die Kunst, und dies, noch dazu sehr bemerkbar, da man alle viere auf einmal genommen, ausgebrochen wären. Seine Untergebenen schwiegen bei seinen Behauptungen, so unklug sie auch sein mochten, ganz, und die übrigen riskierten höchstens im Stillen; denn außer dem Dienst eines Stallmeisters versah auch der Herr Y… die Charge eines modernen Hofnarren, dessen Gunst jeder zu erhalten suchte.

Angenehm mußte es ihm aber doch sein, mich, als die Klippe, woran seine so große Pferdekenntnis, die er zu besitzen vorgab, gescheitert war, auf eine gute Art zu entfernen; denn wer konnte bei dem Einkauf wissen, dass ich einen soganz incorrigiblen, bösen, statischen und störrischem Humeur haben würde? – und mit Freuden setzte er den Tag meiner Ausmusterung so nahe wie möglich fest.

Von jetzt wurde ich nun, zu nicht geringer Freude und Beruhigung der Herren Scholaren, nicht mehr geritten, sondern nur zum Schreck der ganzen ehrsamen Bürgerschaft der kleinen Residenz, die mich nur aus der Erzählung meiner Bosheiten kannte, welchen selbst der Herr Bereiter mit so großen Stiefeln nicht gewachsen wäre, durch die Straßen geführt.