Neue Untersuchung gegen untreue Staatsbeamten. Schaffirows Fall. Menschikows Gunst erschüttert.

Die nach jeder Rückkehr von ausländischen Reisen, entdeckte Peter auch nach seiner Heimkunft aus Persien, eine Reihe von Veruntreuungen, deren sich die ersten Staatsbeamten schuldig gemacht hatten. Veranlasst wurde die Entdeckung durch einen Zwiespalt zwischen Menschikow und dem Vizekanzler Schaffirow. Schon lange hatten die beiden Lieblinge sich geneidet und heimlich Feindschaft gegen einander genährt. „Wenn dein Neid ein Fieber wäre,“ sagte einst Schaffirow zu Menschikow, alle wohlhabende Russen wären längst ausgestorben.“ Bald verglich er ihn mit den Holzwürmern, die in den Bäumen nagten, von denen sie gehegt und gepflegt würden; bald spottete er seiner Feigherzigkeit und nannte ihn den Xerxes der schussfrei durch ein gutes Fernrohr der Salaminischen Schlacht zusehe. *) Der gegenseitige Groll war während Peters Abwesenheit in volle Flammen ausgebrochen. Sie hatten sich nicht entsehen, im offenen Senate, mit Hintansetzung der dem Kollegium schuldigen Achtung, die ehrenrührigsten Beschuldigungen gegen einander auszustoßen. Schaffirow war mit seinen Beschwerden dem Kaiser schon bis Zarizin entgegen geeilt, und kaum in Moskau angekommen, mußte Peter auch Menschikows Klagen anhören. „Ihr seid beiede schon dadurch schuldig,“ sagte er, ,,dass ihr euch nicht entblödetet, im offenen Senate solchen Anstoß zu geben. Dafür zahlt vorläufig jeder eine Geldbuße von hunderttausend Rubeln; **) und nun sollen die Beschuldigungen untersucht werden.“ Es geschah. Schaffirow, auf des Kaisers Gunst zu sicher trauend, hatte seine Kollegen, und namentlich den Großkanzler Gholowkin, wenig geschont. So konnte auch er jetzt keine Schonung erwarten. Er ward angeklagt er habe ohne des Kaisers und des Senats Vorwissen seinem Bruder ein Amt gegeben, habe als General- Post-Direktor eigenmächtig das Postgeld erhöht und die Einkünfte der Erhöhung sich zugeeignet, habe (Und das ward ihm vorzüglich zum Vorwurf gemacht) bei der Einziehung des Vermögens seines Schwiegersohns; des Fürsten Gagarin, zweihunderttausend Dukaten und kostbare Edelsteine, siebzigtausend Dukaten an Wert, verschwiegen, obgleich durch ein Mandat, das Schassirow selbst unterschrieben gehabt, bei Lebensstrafe geboten gewesen, dass alle, die Geld und Gut von Gagarin in Händen hätten, oder wüssten, wo es befindlich sei, solches anzeigen sollten. Das niedergesetzte Kriegsgericht, in welchem der Kaiser selbst den Vorsitz führte, bestand aus dem General- Feldzeugmeister Brüce und verschiedenen Senatoren und Offizieren von der Garde. Ein Urteil vom 23. Febr. 1723 erklärte ihn für einen überführten Verbrecher und erkannte, dass er nicht nur Würden, Ehre und Güter, sondern auch sein Leben verwirket habe.

*) Weber III. S. 24.


**) Weber II. S. 79.


Schaffirow hatte große Verdienste in die Wageschaale zu legen. Er war es, der am Prush in dem Augenblicke, da Petern und dem Russischen Staate die größte Gefahr drohte, durch seine Klugheit diese Gefahr wandte; er war es, der durch seine fortgesetzten Verhandlungen in Konstantinopel den Frieden zu erhalten gewußt hatte; keiner glich ihm an Erfahrenheit in den Morgenländischen Staats - Angelegenheiten und in der Russischen Handelskunde. Das bezeugten ihm der in Moskau gegenwärtige Türkische Gesandte und der Holländische Resident Wilde. Auch Katharina, in lebhafter Erinnerung des kritischen Augenblicks am Pruth, wagte es, Schaffirows Verdienst bei ihrem Gemahle geltend zu machen. Sie gewann es, dass ihm das Leben geschenket wurde. Aber erst auf dem Blutgerüste, erst in dem Augenblicke da der Scharfrichter das Beil über ihn hob, vernahm er den Gnadenruf. Er ward in den Senats- Pallast zurück geführt, wo die versammelten Senatoren ihm die Hand reichten und ihm zu der Begnadigung Glück wünschten. Ein Wundarzt öffnete schnell dem Halbentseelten die Ader. „Hätte mir doch,“ sagte der Begnadigte, als er wieder zu reden vermochte, zu dem Wundarzte, „hätte mir doch statt deiner, nur der Mann mit dem Beile die Hauptader geschlagen!“ *) In der Abgeschiedenheit, worin Schaffirow nun unweit Petersburg leben mußte, hatte er Gelegenheit, das trügliche Wechselspiel des Menschenglückes vor seinem innern Auge anf’s neue vorüber gleiten zu lassen.**)

*) Bassewitz 1. c. p. 391. v. Bergholz bei Büsching XXI. S. 196.

**) Anmerkung 19.


Menschikow hatte sich seines Triumphes nicht sehr zu erfreuen. Peter, bei der Untersuchung wiederholt von seinem Geitz und seiner Habsucht überzeugt, bereitete auch ihm eine Strafe. Zwar konnte er sich immer nicht entschließen, diesen seinen Liebling durch eine öffentliche Strafe zu entehren. Aber er nahm ihm die schönen Landgüter, welche er durch Schenkung in der Ukraine besaß; er nahm ihm die General - Statthalterschaft über Estland und Ingermannland, die der General-Admiral erhielt; er nahm ihm endlich den einträglichen Tabackspacht; zugleich verurteilte er ihn zu einer Geldstrafe von 200.000 Rubeln, und ließ statt des Arms der Gerechtigkeit, seinen eignen züchtigenden Arm über ihn walten. Am empfindlichsten war es vielleicht dem Vertrauten, dass er des Kaisers Vertrauen sich mindern sah. Er wurde lange nicht zu den geheimen Beratschlagungen gezogen, und da der Tiefgebeugte in eine Krankheit fiel, labte ihn nicht, wie sonst, ein Besuch seines Beschützers. Als der Kaiser zum erstenmal nach dem Vorfall wieder zu dem Genesenen kam, fand er die sonst glänzenden Säle, worin er so viele Feste gefeiert hatte, ihres Glanzes beraubt. ,,Ach!“ sagte Menschikow zu dem Monarchen, als er dessen Verwunderung merkte, ,,ich habe meine Tapeten verkaufen müssen, um mich mit dem Fiskus abzufinden.“ - Ohne sich darauf einzulassen, erwiederte mit Ernst der Kaiser: „So gefällt mir’s hier nicht, lebe wohl! Aber bei der ersten Assemblée komme ich wieder, und finde ich dann deine Zimmer nicht so, wie dein Rang es erfordert, so wirst du dich noch einmal mit dem Fiskus abzufinden haben.“*) Er kam wieder, fand die Säle glänzend, wie sonst, und alles war vergessen.

Noch mehrere Personen sahen sich bei der ange-stellten gerichtlichen Untersuchung in Anspruch genommen. Der Ober-Proküreur und Major von der Garde, Pissarew, der jüngst widerstrebend das neue gefahrvolle Amt angenommen hatte, erlag unter den gehäuften Anklagen, die auf ihn zuströmten. Er ward zum Musketier, und der Obersekretär des Senats zum Kopisten erniedrigt. Andere litten Leibes- oder Gefängnisstrafe; keinem entging einer Geldbuße. Die Senatoren Fürsten, Gholizün und Dolghoruki, welche zu zeitigem Gefängnis verurteilt waren, befreite jedoch schnell Katharinens Fürsprache. Die Begnadigten wurden ihr zur Feier ihres Vermählungstages entgegen geführt. **)

*) Bassewitz I. c. p. 352.

**) Bassewitz II. c. von Bergholz a. a. O. 196. 198.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 3